Drucksache 18 / 15 624 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Andreas Statzkowski (CDU) vom 13. Juli 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Juli 2018) zum Thema: Versorgungssituation von Menschen mit Pflegegraden und Antwort vom 01. August 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Aug. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Herrn Abgeordneten Andreas Statzkowski (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/15624 vom 13. Juli 2018 über Versorgungssituation von Menschen mit Pflegegraden ________________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie sieht die aktuelle Versorgungssituation durch eine Sozialstation gemäß SGB XI von Menschen mit einem Pflegegrad in Berlin aus? Zu 1.: Pflegedienste unterstützen den Verbleib von pflegebedürftigen Menschen in der eigenen Häuslichkeit. Sie kommen dann zum Einsatz, wenn Angehörige, Freunde, Bekannte und Nachbarn diese Hilfen nicht leisten können oder die Betroffenen die professionelle Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst bevorzugen. Zu ihren Leistungen gehören körperbezogene Pflegemaßnahmen wie waschen, anziehen, beim Essen helfen, pflegerische Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfe bei der Haushaltsführung, etwa einkaufen oder kochen. Die Pflegeversicherung spricht hier von Pflegesachleistungen. Ambulante Pflegeleistungen dürfen nur zugelassene Pflegedienste erbringen, mit denen die Pflegekassen einen Versorgungsvertrag abgeschlossen haben (Paragraf 72 SGB XI). Aktuell sind in Berlin 635 Pflegedienste mit Versorgungsvertrag nach SGB XI tätig. Viele Dienste leisten gleichzeitig im Rahmen eines Versorgungsvertrags nach 132a Abs. 4 SGB V Leistungen der Häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V. Daten hierzu werden regelmäßig nur im Rahmen der Pflegestatistiken nach § 109 Abs. 1 SGB XI in Verbindung mit der Pflegestatistik-Verordnung (PflegeStatV) erhoben. Daten liegen zuletzt für den 31.12.2015 vor. Zu diesem Zeitpunkt waren es 30.313 Personen .* Daten zu den Beschäftigten liegen ebenfalls zum Stand 31.12.2015 vor. Demzufolge waren 18.229 Pflegekräfte in den damals 585 Pflegediensten mit SGB XI und/oder SGB V Verträgen beschäftigt, davon 7.268 ohne pflegefachlichen/sozialarbeiterisch- /sozialpädagogischen Berufsabschluss. Dies entspricht einer Fachkraftquote von 60 %.* - 2 - 2 2. Inwieweit werden alle Menschen mit einem Pflegegrad und einer Sachleistung in Berlin durch eine Sozialstation versorgt? 4. Wie viele Menschen mit einem Pflegegrad und einem Sachleistungsbegehren werden derzeit in Berlin nicht bzw. nicht ausreichend versorgt? 6. Inwieweit ist nach Auffassung des Berliner Senats von einem Versorgungsnotstand im Bereich bezüglich der Durchführung von Sachleistungen gemäß SGB XI zu sprechen? Zu 2., 4. und 6.: Die Beschaffung von ambulanten pflegerischen Versorgungsleistungen geschieht in der Regel durch die Privatperson selbst bzw. pflegende Angehörige nahestehende oder vertretungsberechtigte Personen. Die 36 Berliner Pflegestützpunkte unterstützen bei der Suche eines geeigneten Pflegedienstes, bei Bedarf koordinieren sie auch die notwendigen Hilfen (siehe auch Antwort zu Frage 8). Von Bezirken, Pflegestützpunkten, pflegebedürftigen Menschen bzw. pflegenden Angehörigen gehen zunehmend Hinweise ein, dass das Finden eines Pflegedienstes, der die ambulante pflegerische Versorgung übernimmt , schwieriger wird Pflegedienste mit Hinweis auf Personalmangel die Übernahme von Aufträgen ablehnen pflegebedürftige Menschen bzw. pflegende Angehörige und um Unterstützung gebetene Pflegestützpunkte immer mehr Anstrengungen unternehmen müssen, um benötigte Leistungen zu erhalten bzw. zu vermitteln eine Auswahl zwischen mehreren Pflegediensten immer seltener möglich ist pflegebedürftige Menschen bzw. pflegende Angehörige zeitlich immer weniger Wahlmöglichkeiten haben Zeiten, in denen privat zur Überbrückung Lösungen gefunden werden müssen, obwohl eine Unterstützung durch einen Pflegedienst gewünscht oder benötigt wird, sich verlängern, insbesondere Menschen mit Pflegegrad 1 und Anspruch auf Entlastungsleistungen öfter keine Pflegedienste finden, die für diese kleinen Aufträge (haushaltsnahe Dienstleistungen) zur Verfügung stehen. Hier versucht die Senatsverwaltung durch Stärkung der Angebote zur Unterstützung im Alltag Abhilfe zu schaffen (siehe auch Antwort zu Frage 8). Es sind derzeit aber im Sachleistungsbereich des SGB XI keine Fälle bekannt, in denen bisher Menschen dauerhaft unversorgt blieben. Von Seiten der Pflegedienste gehen ebenfalls zunehmend Hinweise ein, dass Anfragen zur Erbringung von Leistungen der Häuslichen Pflegehilfe leider nicht/nur beschränkt/mit zeitlicher Verzögerung bedient werden können, weil den Pflegediensten das für die Versorgung notwendige Pflegepersonal und damit die notwendigen Kapazitäten fehlen. In diesem Kontext wird auch darauf hingewiesen, dass diese Patienten dann im schlimmsten Fall unversorgt bleiben könnten, wenn es allen nachgefragten Pflegediensten nicht anders geht. - 3 - 3 Leistungsanbieter berichten darüber hinaus, dass Stellenbesetzungsverfahren schwieriger werden, Pflege(fach)kräfte in Verhandlungen immer höhere Forderungen stellen und Anforderungen an die persönliche Qualifikation von Bewerbern reduziert werden müssen, um freie Stellen besetzen zu können. Aus den Hinweisen deutet sich gleichzeitig an, dass der Pflegekräftemangel derzeit primär Pflegefachkräfte betrifft. Diese werden vor allem im Bereich des SGB V eingesetzt. Belastbare Daten zu Art und Umfang liegen nicht vor. Während sich aufgrund der veränderten Marktbedingungen die Verhandlungsposition von Pflege(fach)kräften strukturell verbessert, verschlechtert sich die Lage für pflegebedürftige Menschen bzw. pflegende Angehörige. Ging man bei Einführung der Pflegeversicherung davon aus, dass sich aufgrund der mit ihr verbundenen Marktmechanismen ein Leistungswettbewerb etabliert, der Qualitätsentwicklungen befördert und Verbrauchern Wahlmöglichkeiten eröffnet, muss derzeit konstatiert werden, dass das Marktgeschehen in Zeiten eines Pflege(fach)kräftemangels diese Erwartungen nicht mehr erfüllt. Aufgrund des Pflege(fach)kräftemangels muss auch im Sachleistungsbereich des SGB XI mit Engpässen gerechnet werden. Der Senat unternimmt deshalb vielfältige Aktivitäten, um dem Personalmangel und den damit verbundenen Versorgungsproblemen entgegen zu wirken (siehe Antwort zu Frage 8). 3. Inwieweit erhalten alle Menschen mit einer Verordnung gemäß SGB V eine Versorgung bzw. eine Versorgungsstruktur durch Berliner Sozialstationen? Zu 3.: Dem Senat liegen dazu keine Zahlen vor. 5. Welche Erkenntnisse hat der Berliner Senat über Sozialstationen, die Menschen mit einem Pflegegrad und einem Sachleistungsbegehren derzeit die Versorgung kündigen? Zu 5.: Im Gegensatz zu früher müssen Pflegedienste mittlerweile immer weniger Anstrengungen zur Akquise von Kunden tätigen, sondern können sich zunehmend ihre Kunden aussuchen . Dies birgt strukturell das Risiko, dass insbesondere Pflegebedürftige, die nur im geringen Umfang Leistungen in Anspruch nehmen oder deren Betreuung in Verbindung mit den Wegezeiten für die Dienste nicht attraktiv ist, Probleme beim Zugang zu Leistungen und der Sicherung der Leistungskontinuität bekommen können (Gefahr der Nutzerselektion ). Befürchtungen dieser Art wurden wiederholt geäußert. Belastbare Daten hierzu sowie zur Kündigung von Pflegeverträgen liegen nicht vor. 7. Wie viel Fachpersonal fehlt nach Erkenntnissen des Berliner Senats derzeit an den Berliner Sozialstationen ? - 4 - 4 Zu 7.: Pflegestatistiken werden nach § 109 Abs. 1 SGB XI in Verbindung mit der Pflegestatistik- Verordnung (PflegeStatV) erhoben. Nach § 1 Abs. 1 PflegeStatV werden Erhebungen durchgeführt über die Pflegeeinrichtungen und über die Pflegegeldleistungen. Gemäß § 2 Abs. 1 PflegeStatV gibt es folgende Erhebungsmerkmale über Pflegeeinrichtungen: 1. Art der Pflegeeinrichtung und der Trägerschaft, 2. in der Pflegeeinrichtung tätige Personen nach Geschlecht, Geburtsjahr, Beschäftigungsverhältnis , Tätigkeitsbereich (einschließlich Beschäftigungsumfang in der Pflege) und Berufsabschluss und zusätzlich bei Auszubildenden und Umschülern Art der Ausbildung und Ausbildungsjahr, 3. Zahl und Art der Pflegeplätze, 4. betreute Pflegebedürftige a) nach Geschlecht, Geburtsjahr, Grad der Pflegebedürftigkeit, b) bei stationär betreuten Pflegebedürftigen auch die Art der in Anspruch genommenen Pflegeleistung, c) bei ambulant betreuten Pflegebedürftigen die Postleitzahl des Wohnorts sowie d) bei vollstationär betreuten Pflegebedürftigen die Postleitzahl des Wohnorts vor Einzug in das Pflegeheim, 5. an die Pflegeeinrichtung nach Art und Höhe der Pflegeleistung zu zahlende Entgelte für a) allgemeine Pflegeleistungen nach Pflegegraden und b) Unterkunft und Verpflegung. Die Daten werden von den Auskunftspflichtigen an die Statistikämter der Länder übermittelt . Da Daten zu unbesetzten Stellen/fehlendem Personal im Rahmen der Pflegestatistiken nicht erhoben werden, liegen hierzu keine verlässlichen Daten vor. 8. Welche Schritte unternimmt der Berliner Senat auf Landesebene, um die freien Träger bei der Lösung deren personellen Probleme zu unterstützen? Zu 8.: Der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung ist sehr bewusst, dass gute und würdevolle Pflege gute Arbeitsbedingungen braucht, die Beschäftigten Motivation und Wertschätzung bieten und ihnen langjährig ein zufriedenstellendes und gesundes Tätig Sein ermöglichen. Attraktive Arbeitsbedingungen sind gut für die Beschäftigten und bestimmen maßgeblich die Zufriedenheit der Gepflegten. Aus diesem Grund ist die die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung sehr aktiv. Sie erarbeitet derzeit mit den Akteuren in der Pflegebranche den „Berliner Pakt für die Pflege“, der drei konkrete Ziele hat: 1. den bedarfsgerechten Ausbau von Ausbildungszahlen, 2. eine bessere Vergütung in der Ausbildung, für die Pflegehelfer/innen und die Pflegefachkräfte und 3. die Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen durch die Einführung von Gesundheitsmanagementstrukturen und einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf . - 5 - 5 Durch den „Berliner Pakt für die Pflege“ soll es gelingen, genügend Auszubildende für die Pflegeberufe zu gewinnen und sie nach ihrer Ausbildung auch möglichst lange in dem Beruf zu halten. Ebenso sollen Menschen, die bereits in einem Pflegeberuf tätig sind, durch die bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen motiviert werden, ihre Tätigkeit so lange wie möglich auszuüben, und ehemalige Fachkräfte nach Möglichkeit zur Rückkehr in den Beruf bewegt werden. Die am Pakt für die Pflege beteiligten Akteure werden sich in vertiefenden Workshops zu konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der „Ausbildung“ und zu Möglichkeiten des „Gesundheitsmanagements“ abstimmen. Um zu unterstützen, dass der Pflegeberuf attraktiver und damit die personelle Situation verbessert wird, setzt sich der Senat für eine bessere Vergütung in der Pflege ein. In diesem Kontext erfolgte Ende 2017 für das Jahr 2018 eine Anhebung der Vergütung der ambulanten Pflege im SGB XI - Bereich um 6%. Es wurde vereinbart, dass die Vergütungssteigerung an die Beschäftigten weiterzureichen ist. Hinzu kommt die Vorhaltung und Weiterentwicklung einer Reihe von flankierenden Beratungs - und Unterstützungsangeboten für Pflegebedürftige, die darauf zielen, häusliche Pflegesettings zu stabilisieren und die ambulante Pflege auf das erforderliche Maß zu begrenzen . Dazu gehören insbesondere: die Stärkung der Angebote zur Unterstützung im Alltag. Sie stellen eine wichtige Unterstützung für pflegebedürftige Menschen sowie für die ihnen nahestehenden Personen dar. Mit den Angeboten zur Unterstützung im Alltag können Pflegebedürftige durch den Entlastungsbetrag in Höhe von 125 € gem. § 45 b SGB XI ihren Unterstützungsbedarf jenseits der durch die Pflegedienste zu leistenden professionelle Versorgung decken. Gefördert werden diese Angebote vom Land Berlin in 2018 und 2019 mit einem Mitteleinsatz von jeweils 1.679.000 €. Neben den bisherigen niedrigschwelligen Betreuungsangeboten insbesondere für an Demenz erkrankte Menschen, die maßgeblich durch Ehrenamtliche getragen werden, hat der Senat seit 2017 mit Novellierung der Verordnung zur Anerkennung und Förderung von Angeboten zur Unterstützung im Alltag (Pflegeunterstützungsverordnung) die Möglichkeit eröffnet, den Entlastungsbetrag auch für die Erbringung haushaltsnaher Dienstleistungen durch gewerbliche Anbietern einzusetzen. Seit der Novellierung sind berlinweit 19 Angebote neu hinzugekommen. die Weiterentwicklung der Pflegstützpunkte: Seit 01.07.2017 werden in Trägerschaft der Pflege- und Krankenkassenverbände und des Landes Berlin nunmehr 36 Berliner Pflegestützpunkte betrieben. Diese wohnortnahen Anlaufstellen informieren, beraten und unterstützen unabhängig und kostenfrei bei allen Fragen zur Pflege sowie rund ums Alter im Vorfeld von Pflege. Auf Wunsch koordinieren sie bei Bedarf auch die notwendigen Hilfen und helfen auch bei der Beschaffung eines geeigneten Pflegedienstes. Zur Weiterentwicklung der Pflegestützpunkte im Kontext einer wachsenden und älter werdenden Stadtgesellschaft werden die landesseitigen Pflegestützpunkte derzeit sukzessive deutlich personell verstärkt und inhaltlich weiterentwickelt. die Förderung der pflegeflankierenden Selbsthilfe gem. § 45 d Abs. 2 SGB XI durch die 12 Berliner Kontaktstellen PflegeEngagement. Die Kontaktstelle Pflege- Engagement unterstützt und entlastet pflegende und betreuende Angehörige und pflegebedürftige Menschen jeden Alters im Umfeld häuslicher Pflege. - 6 - 6 Das Angebot besteht z. B. aus Besuchsdiensten durch freiwillige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Begleitung pflegender Angehöriger, Gesprächsgruppen für pflegende und betreuende Angehörige, Freizeitangeboten, Unterstützung und Vernetzung von Nachbarschaftsinitiativen, der Vermittlung von Hilfsangeboten, Informationsmaterialien und Fachvorträge sowie der Begleitung und Qualifizierung freiwillig Engagierter. Die Kontaktstellen arbeiten eng mit den Pflegestützpunkten, Pflegediensten , Besuchsdiensten, Selbsthilfeorganisationen und anderen Akteuren zusammen . *Quelle: https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/publikationen/stat_berichte/2016/SB_K08-01-00_2015j02_BE.pdf Berlin, den 01. August 2018 In Vertretung Barbara König Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung