Drucksache 18 / 15 641 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Stefan Förster (FDP) vom 19. Juni 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Juli 2018) zum Thema: Wann beginnt eine Abwärtsspirale im geplanten Milieuschutzgebiet? (II) und Antwort vom 26. Juli 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 31. Juli 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Herrn Abgeordneten Stefan Förster (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/15641 vom 19. Juni 2018 über Wann beginnt eine Abwärtsspirale im geplanten Milieuschutzgebiet? (II) Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie erklärt der Senat den Anlass zur stadtweiten Ausweitung der Milieuschutzgebiete, wenn unerwünschte Entwicklungen bereits eingetreten sind? Antwort zu 1: Es wird auf die ausführliche Antwort zu Ihrer Frage 1 in der Drucksache 18/15360 verwiesen. Gerade weil unerwünschte Entwicklungen eingetreten sind, ist ein Gegensteuern geboten. Wenn es keine unerwünschten Entwicklungen gäbe, wäre auch der Einsatz des Milieuschutzes obsolet. Frage 2: Die Grundlagen aus dem sozialen Monitoring, die in den vorbereitenden Untersuchungen zugrunde gelegt werden, erfassen neben vielen weiteren Themen auch statistische Betrachtung von Bildungsabschlüssen der Bewohner in den Untersuchungsgebieten. Einige der Bildungsabschlüsse sind heute aufgrund diverser Systemanpassungen nicht mehr zu erlangen, beispielsweise der Hauptschulabschluss. Wie bewertet der Senat die statistische Einbeziehung der Schul- und Bildungsabschlüsse in die vorbereitenden Untersuchungen, am Beispiel des Bezirksamts Neukölln mit der Darstellung der „Höchste[n] Bildungsabschlüsse[n] nach Zuzugsjahr“ mit der gezogenen Folgethese „Zuzug einer höheren Bildungsschicht“? Antwort zu 2: Der Bildungsstand von Personen ist - neben anderen - ein fachlich anerkanntes Merkmal, das sich auf den sozialen Status bezieht. Im Rahmen von sozialwissenschaftlichen Untersuchungen (z.B. Sozialstudien) und Voruntersuchungen für die Prüfung der 2 Anwendungsvoraussetzungen für den Milieuschutz wird dieses Merkmal von den Bezirken regelmäßig erhoben. Um Veränderungen bei der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu prüfen, ist es sachgerecht, die Bildungsabschlüsse der Zugezogenen mit den Bildungsabschlüssen der schon länger im Gebiet lebenden Personen zu vergleichen. Solche Vergleiche werden regelmäßig u.a. auch bei der Stellung im Berufsleben, beim monatlich zur Verfügung stehenden Haushaltsnetto-einkommen oder bei der Angewiesenheit auf Transferleistungen gezogen. Frage 3: Welche sozialräumliche Verteilung und Anzahl von Bildungsabschlüssen in den Gebieten erachtet der Senat als erstrebenswert? Antwort zu 3 Die sozialräumliche Verteilung ist durch die jeweilige spezifische gebietliche Zusammensetzung der Wohnbevölkerung geprägt. Diese soll über das Instrument des Milieuschutzes gesichert werden. Hinsichtlich der Anzahl der Bildungsabschlüsse ist es erstrebenswert, dass jede erwerbsfähige Person in Berlin über einen Bildungsabschluss verfügt. Frage 4: Sieht der Senat die Gefahr, dass durch die geplante stadtweite Ausweitung sozialer Erhaltungssatzungen lediglich eine Erhöhung des Mietzinses ausgebremst wird, während Instandhaltungen und Modernisierungen ausbleiben und Bedingungen geschaffen werden, die dem Ziel, eine „Berliner Mischung“ zu erhalten, entgegenstehen? Antwort zu 4 Diese Gefahr besteht nicht. Grundsätzlich unterliegen in einem sozialen Erhaltungsgebiet Instandsetzungsmaßnahmen nicht der Genehmigungspflicht bzw. können im Verbund mit Modernisierungen nicht versagt werden. Sie sind auch nicht auf die Miete umlagefähig. Bei Modernsisierungsmaßnahmen hat der Bundesgesetzgeber umfangreiche Genehmigungsansprüche für Eigentümer im § 172 Abs. 4 S. 2 und S. 3 Nr. 1 und 1a Baugesetzbuch (BauGB) bestimmt. So ist u.a. die Genehmigung zu erteilen, wenn die Änderung einer baulichen Anlage der Herstellung des zeitgemäßen Ausstattungszustands einer durchschnittlichen Wohnung unter Berücksichtigung der bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen dient. Frage 5: Wie will der Senat den Grundsatz der Gleichbehandlung bei der Bescheidung und Prüfung der Anträge zur Durchführung von Instandhaltung- und Modernisierungsmaßnahmen aller Eigentümer bezirksübergreifend sicherstellen? Antwort zu 5 Gemäß § 30 des Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuches (AGBauGB) i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes über die Zuständigkeiten in der Allgemeinen Berliner Verwaltung (AZG) liegt die Zuständigkeit für den Milieuschutz bei den Bezirken. Die Anwenderbezirke haben Genehmigungskritieren für die Gesetzesauslegung bestimmt und 3 stehen darüber untereinander in einem engen fachlichen Austausch. Aus Sicht des Senats gibt es bei den Genehmigungskriterien für bauliche Maßnahmen keine abweichenden Auslegungen des Gesetzes zwischen den Bezirken. Ziel des Senats ist es, dass die Bezirke eine einheitliche Auslegung des § 172 BauGB und Genehmigungspraxis vollziehen. Um dieses zu erreichen, werden den Bezirken rechtliche Beratungen angeboten. Spezielle Themen - wie die einheitliche Anwendung der Umwandlungsverordnung – werden systematisch und in Form von Arbeitshilfen aufbereitet und der regelmäßige fachliche Austausch der Bezirke im Rahmen einer speziellen AG unterstützt. Frage 6: Wie viele Anhörungen der Mieter, zur Abklärung, ob öffentliche Belange durch den Mieter hervorgebracht werden können, die eine Instandhaltungsmaßnahme verhindern könnten, haben bisher stattgefunden? Antwort zu 6 Dem Senat liegt keine Erfassung von Anhörungen zu der speziellen Fragestellung vor. Es besteht auch keine praktische Relevanz für eine solche Erfassung, da Instandsetzungsmaßnahmen durch den Milieuschutz nicht verhindert werden dürfen. Frage 7: Sieht der Senat die Gefahr, dass die gesetzliche Pflicht der Eigentümer zur Einhaltung von Fristen zur Bereitstellung von Informationen über geplante Durchführungen von Modernisierungen mit der vorgeschalteten Anhörung vorgegriffen wird und dies zu Ankündigungen von Maßnahmen im Vorfeld der offiziellen Ankündigung führt? Antwort zu 7 In der Frage werden verschiedene Rechtsgebiete vermengt. Inhaltlich zu trennen sind die von dem/der Eigentümer/in geplanten Modernisierungsmaßnahmen nach § 555b ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und daraus folgende Verpflichtungen gegenüber den Mieterinnen und Mietern von den baurechtlichen Verpflichtungen bei geplanten Modernisierungsmaßnahmen nach dem BauGB. Zivilrechtlich muss ein/e Eigentümer/in, der/die Modernisierungsmaßnahmen i.S.v. § 555b BGB vornehmen möchte, diese den Mieterinnen und Mietern spätestens drei Monate vor ihrem Beginn in Textform ankündigen (§ 555c BGB). Gemäß § 172 Abs. 1 S. 1 BauGB sind unter anderem in einem sozialen Erhaltungsgebiet der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen genehmigungsbedürftig. Für die Erteilung der Genehmigung hat der/die Eigentümer/in die notwendigen Unterlagen bei der zuständigen Behörde einzureichen. Im Rahmen der Prüfung hat die Behörde gemäß § 173 Abs. 3 S. 2 BauGB auch Mieter/innen, Pächter/innen und sonstige Nutzungsberechtigte zu hören. In der Praxis wird ein/e Eigentümer/in die Modernisierungsankündigung nach BGB und das Genehmigungsverfahren nach BauGB oftmals zeitgleich in die Wege leiten, um Zeit zu sparen. Zu einer verfrühten Kenntnis der Mieter/innen kommt es daher in diesen Fällen erst gar nicht. Ferner sind Ankündigung (BGB) und Anhörung (BauGB) gesetzlich 4 vorgeschrieben, um den Mieterschutz zu gewährleisten. Aber selbst wenn das Genehmigungsverfahren nach § 173 BauGB der Modernisierungsankündigung nach § 555c BGB vorgeschaltet ist, ergeben sich hieraus keine Nachteile für den/die Eigentümer/in, sofern diese/r - wovon ausgegangen wird - in gesetzlichem Umfang von seinem/ihrem Recht auf Modernisierung Gebrauch macht. Frage 8: Wie werden die Daten der im Antragsverfahren zur Durchführung von Instandhaltungs- oder Modernisierungsmaßnahmen erfassten Mieten ausgewertet und ist geplant, die Daten in die Erfassung der ortsüblichen Vergleichsmiete einzubeziehen? Antwort zu 8 Wenn ein Bezirk Mietangaben vor und nach Modernisierung im Rahmen des Antragverfahrens von dem/der Eigentümer/in erfasst, dürfen diese nur für das jeweilige Prüfverfahren genutzt werden. Die Angaben geben Aufschluss über die Kostenintensität und -wirkungen der beantragten Modernisierung und können zur Beurteilung herangezogen werden, ob eine Gefährdung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung durch die geplante Maßnahmen zu erwarten ist. Die ortsübliche Vergleichsmiete wird über den Berliner Mietspiegel in einem eigenständigen Verfahren bestimmt. Angaben aus den Antragsverfahren des Milieuschutzes werden dafür - auch zukünftig - nicht genutzt. Frage 9: Wie soll aus Sicht des Senats vom Bezirksamt verfahren werden, wenn Mieter in Abstimmung mit dem Eigentümer hochwertige Ausstattungen im Rahmen einer Badsanierung wünschen? Gibt es Möglichkeiten die Ausstattungsmerkmale, die über dem Durchschnitt liegen, anzuwenden oder sind diese immer aufgrund der von den Bezirksämtern formulierten Genehmigungskriterienkataloge ausgeschlossen? Empfiehlt der Senat Ermessensspielräume durch die Bezirksämter zu nutzen? Antwort zu 9 Gemäß der Intention des Bundesgesetzgebers in § 172 Abs. 4 S. 3 Nr. 1BauGB sollten Ausstattungsverbesserungen, die über den zeitgemäßen Ausstattungszustand einer durchschnittlichen Wohnung unter Berücksichtigung der bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen liegen, nicht genehmigt werden. Frage 10: Wie bewertet der Senat die auf zukünftige Entwicklungen ausgerichtete Anwendung in Milieuschutzgebieten moderner, technischer Ausstattung, wie beispielsweiser Wärmerückgewinnungsanlagen, smart home Ausstattung und Gegensprechanlagen? Wie wird ein grundsätzlicher Ausschluss in Zusammenhang mit Berlin als Vorreiterrolle als Smart City bewertet? Antwort zu 10 Mit Verweis auf einen zeitgemäßen Ausstattungsstandard einer durchschnittlichen Wohnung unter Berücksichtigung der bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen sowie die baulichen und anlagentechnischen Mindestanforderungen der 5 Energieeinsparverordnung hat der Gesetzgeber im § 172 Abs. 4 S. 3 Nr. 1 und 1a BauGB Regelungen getroffen, die auch zukünftigen Entwicklungen Raum geben. Für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals zeitgemäßer Ausstattungsstandard ist hinsichtlich der tatsächlichen Verhältnisse ein bundesweiter Vergleichsmaßstab heranzuziehen und nicht nur auf das konkrete soziale Erhaltungsgebiet abzustellen. Ein zeitgemäßer Ausstattungszustand ist zudem nicht statisch zu betrachten, sondern im Laufe der Zeit einem Wandel unterworfen. Bestimmend sind insbesondere der technische Fortschritt und gesellschaftliche Entwicklungen, wie z.B. die Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung. Auch über Änderungen der landesrechtlichen Bauordnung können sich die heranzuziehenden bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen wandeln. Dies gilt ebenso bei Änderungen der Mindestanforderungen der Energiesparverordnung. Wenn der Einsatz smarter Technologien nicht zu höheren Wohnkosten führt oder sogar dazu beiträgt, diese zu senken, bestehen auch keine Zielkonflikte zum Milieuschutz. Berlin, den 26.07.2018 Katrin Lompscher ................................ Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen