Drucksache 18 / 15 705 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Frank Scholtysek (AfD) vom 21. Juli 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Juli 2018) zum Thema: NO2, NOx, Verbesserung der Luftqualität durch Tempo 30? und Antwort vom 08. August 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Aug. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Herrn Abgeordneten Frank Scholtysek (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/15705 vom 21.07.2018 über NO2, NOx, Verbesserung der Luftqualität durch Tempo 30? Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Messergebnisse über den Modellversuch liegen aktuell vor? Antwort zu 1: Die erste Pilotphase auf dem Streckenabschnitt der Leipziger Straße ist am 09.04.2018 gestartet. Seit 04.06.2018 gilt auch auf der Potsdamer Straße auf dem Streckenabschnitt zwischen Potsdamer Platz und Kleistpark Tempo 30. Im Herbst werden drei weitere Pilotstrecken eingeführt: am Tempelhofer Damm zwischen Ordensmeister Straße und Alt Tempelhof, an der Hauptstraße in Schöneberg vom Kleistpark bis zum Innsbrucker Platz sowie an der Kantstraße vom Amtsgerichtsplatz bis zum Savignyplatz. An allen Streckenabschnitten befinden sich seit vielen Jahren Stickstoffdioxid- Passivsammler, die eine genaue Einschätzung der Belastungssituation in den Jahren vor der Umstellung auf Tempo 30 und mit Tempo 30 auf Basis des grenzwertrelevanten Stickstoffdioxid-Jahresmittelwertes ermöglichen. Zudem befindet sich am Standort Leipziger Straße 20 der mobile Messwagen des Berliner Luftgütemessnetzes. Hier werden Messwerte für Stickstoffdioxid, Stickstoffmonoxid, Summe der Stickoxide, Partikel PM10, Ozon und Kohlenstoffmonoxid mit automatischen Messverfahren in einer zeitlichen Auflösung von einer Stunde ermittelt. Diese Daten können auf der Internetseite des Berliner Luftgütemessnetzes unter: https://luftdaten.berlin.de/station/mw088 eingesehen werden. Zur Beurteilung der Wirkung von Tempo 30 auf den Schadstoffausstoß von Kraftfahrzeugen sind Messfahrten im Verkehr vorgesehen, bei denen Geschwindigkeiten, Beschleunigungen und Stoppanteile gemessen werden. Daraus lassen sich die Stickoxid- 2 Emissionen berechnen. Im November 2017 fand die Vorher-Befahrung bei der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h statt. Die Befahrung bei Tempo 30 soll im Herbst 2018 oder Frühjahr 2019 erfolgen. Zur Beurteilung der verkehrlichen Wirkung wurden an allen Strecken zusätzliche automatische Verkehrszähleinrichtungen installiert. Vorläufige Auswertungen zeigen, dass es keine Verlagerungseffekte in andere Straßen gegeben hat. Frage 2: Wie beurteilt der Berliner Senat die messtechnische Begleitung des Modellversuchs, d.h. verwendete Messverfahren, Messstandorte generell, aber auch speziell des Messfahrzeugs in der Leipziger Straße? Antwort zu 2: Die Beurteilung erfolgt in Bezug auf den Stickstoffdioxid-Grenzwert für das Kalenderjahr in Höhe von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter, da ausschließlich dessen Einhaltung an stark befahrenen Straßen problematisch ist. Hierzu werden die Messergebnisse vor und nach Einführung von Tempo 30 berücksichtigt. Mithilfe des Messwagens können aufgrund der höheren Datenauflösung lokale und zeitliche Effekte erfasst werden. Die messtechnische Begleitung wurde auf der Grundlage der bestehenden Erfahrungen mit ähnlichen Projekten konzipiert und ermöglicht eine umfassende Beurteilung des Vorher- und Nachher-Zustandes der Luftqualität und der verkehrlichen Einflussgrößen. Mit der genannten Vorgehensweise können offene Fragen, wie z.B. die Beurteilung der Verkehrsmengen vor und nach Einführung von Tempo 30 und Fragen zur Fahrdynamik, beantwortet werden. Eine derart umfassende Begleitung der Anordnung von Tempo 30 ist in Deutschland bisher einzigartig. Frage 3: Wie beurteilt der Berliner Senat die Unterschiedlichkeit der Messergebnisse von RBB/TU und Senat? Antwort zu 3: Die von der Technischen Universität (TU) Berlin im Auftrag des Rundfunks Berlin Brandenburg (RBB) erhobenen Daten sind nach Einschätzung des Berliner Senats aus methodischen und messtechnischen Gründen nicht geeignet, den grenzwertrelevanten Stickstoffdioxid-Jahresmittelwert oder die Wirksamkeit der Einführung von Tempo 30 an der Leipziger Straße zu beurteilen. Da die Messkampagne des RBB vorab nicht mit dem Berliner Senat abgestimmt war, ist eine direkte Vergleichbarkeit nicht möglich. Als Gründe sind insbesondere die den gesetzlichen Vorgaben nicht entsprechende Messstellenplatzierung, der unterschiedliche Aufbau der eingesetzten Stickstoffdioxid- Passivsammler, die abweichende statistische Auswertung und die nicht erfolgte Harmonisierung mit den strengen Qualitätsstandards des Berliner Luftgütemessnetzes zu nennen. Zudem ist generell eine seriöse belastbare Bewertung des Modellversuchs für einen so kurzen Untersuchungszeitraum, wie ihn die TU Berlin im Auftrag des RBB gewählt hat, nicht möglich. Bereits eine statistisch und rechtlich belastbare Auswertung erfordert aufgrund der Einflüsse von Meteorologie und Verkehrsentwicklung die Betrachtung eines deutlich längeren Zeitraums. Für Stickstoffdioxid muss aber die Wirkung von Tempo 30 in 3 der Leipziger Straße bezogen auf das Kalenderjahr beurteilt werden, da dies der Bezugszeitraum des überschrittenen Grenzwertes ist. Frage 4: Über welchen Zeitraum soll der Modellversuch messtechnisch insgesamt begleitet werden? Um die Auswirkung auf die Luftqualität beurteilen zu können, werden alle zusätzlichen Messungen grundsätzlich jeweils ein Jahr vor und nach der Anordnung von Tempo 30 durchgeführt. Der Einsatz des Messwagens an der Leipziger Straße 20 ist mindestens bis Ende 2018 vorgesehen. Frage 5: Gibt es innerhalb des Modellversuchs Vergleichsmessungen, z.B. in Parallelstraßen zu eigentlichen Versuchsstrecken? Die Messungen der Luftqualität werden durch Verkehrszähleinheiten an den betreffenden Straßenabschnitten und in Parallelstraßen ergänzt, wodurch Verdrängungseffekte, die einen negativen Einfluss auf die Luftschadstoffkonzentrationen in den betroffenen Gebieten haben können, erfasst werden. Für vergleichende Auswertungen stehen die umfangreichen Messungen des Berliner Luftgütemessnetzes zur Verfügung. Es werden zudem auch Verkehrszählungen in anderen Straßen berücksichtigt. Hierfür kann zum großen Teil auf das vorhandene Zählnetz zurückgegriffen werden; nur in Einzelfällen wurden zusätzliche Verkehrszähleinrichtungen installiert. Frage 6: Gibt es Vergleichsmessungen am selben Straßenkilometer aber mit mehren in unterschiedlichem Abstand zur Straße stehenden Messstationen? Wenn ja, zu welchen Ergebnissen kommt es hier? Nein, solche Messungen erfolgen nicht. Entsprechende Abhängigkeiten wurden bereits in früheren Untersuchungen ausführlich ermittelt. Im Übrigen werden die diesbezüglichen Kriterien der 39. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz an den vorhandenen Standorten eingehalten, weshalb die Notwendigkeit für derartige Vergleichsmessungen im konkreten Fall nicht besteht. Frage 7: Werden auch Messergebnisse, die nicht vom Senat beauftragt wurden, ausgewertet? Dem Berliner Senat sind derzeit keine Messungen innerhalb der Pilotstrecken bekannt, die den gesetzlichen Anforderungen an Messstellenplatzierung und Datenqualität gerecht werden und damit als vergleichbar mit den Daten des Berliner Luftgütemessnetzes angesehen werden können. Es werden daher zum jetzigem Zeitpunkt keine zusätzlichen Daten Dritter ausgewertet. Frage 8: Beabsichtigt der Berliner Senat einen unabhängigen Gutachter mit der Auswertung der Messergebnisse zu beauftragen? 4 Die Auswertung der Daten zur Luftqualität erfolgt durch die zuständige Behörde. Die Bewertung der verkehrlichen Auswirkungen erfolgt unter Mitwirkung der VMZ Berlin Betreibergesellschaft mbH. Frage 9: Welche konkreten Maßnahmen plant der Senat, wenn sich herausstellt, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Tempo 30 keine Verbesserung der Luftmesswerte erbringt? Konkrete Maßnahmen wurden bereits im Rahmen der Mobilitätsgespräche des Regierenden Bürgermeisters beschlossen und umgesetzt. Dies umfasst u.a. die Förderung emissionsarmer Fahrzeuge im Wirtschaftsverkehr, die Förderung von Elektrofahrzeugen, den weiteren Ausbau der Ladeinfrastruktur, Nachrüstungen von Fahrzeugen, lokale Maßnahmen wie die Reduzierungen von Störungen im Verkehrsablauf sowie die Förderung des ÖPNV und des Radverkehrs. Im Rahmen der Fortschreibung des Luftreinhalteplans werden derzeit umfangreiche Maßnahmenszenarien entwickelt und hinsichtlich ihrer Wirkung bewertet, darunter auch streckenbezogene Fahrverbote. Ob und inwieweit diese Maßnahmen ergriffen und umgesetzt werden müssen, bleibt abzuwarten. Ergebnisse der Modellierungen liegen derzeit noch nicht vor. Berlin, den 08.08.2018 In Vertretung Stefan Tidow Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz