Drucksache 18 / 15 747 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Franz Kerker (AfD) und Tommy Tabor (AfD) vom 26. Juli 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Juli 2018) zum Thema: Anreizsystem für Lehrer und Antwort vom 02. August 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. Aug. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Herrn Abgeordneten Franz Kerker und Herrn Abgeordneten Tommy Tabor (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/15747 vom 26. Juli 2018 über Anreizsystem für Lehrer ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Motivation und Arbeitsbelastung 1.) Welche der folgenden Aussagen teilt der Senat: a.) „Lehrer in Berlin könnten bei den Schülern bessere Lernerfolge erzielen, wenn sie wollten.“ b.) „Die Lehrer in Berlin befinden sich bereits an der Grenze ihrer Belastbarkeit.“ Zu 1.a) und b): Studien der jüngeren Vergangenheit (Coaktiv, Hattie etc.) legen einen Zusammenhang zwischen Haltung und Entwicklung der Professionalität von Lehrkräften und Lernerfolgen der Schülerinnen und Schüler nahe. Den Aussagen unter 1 ist aufgrund der enthaltenen Pauschalisierungen jedoch nicht zuzustimmen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass es Lehrkräfte gibt, die hinsichtlich ihrer Motivation und/oder ihrer Belastung in Grenznähe arbeiten. Beide Aspekte sind aber sehr subjektiv und insofern schwer messbar und vergleichbar. Siehe dazu auch Herzmann/König in „Lehrerberuf und Lehrerbildung“ (2016). 2.a) Wie bewertet der Senat die Motivationslage der Berliner Lehrer? 2.b) Sieht der Senat eine Arbeitsüberlastung bei den Berliner Lehrern? Zu 2.a) und b): Diese Fragen für alle Lehrkräfte zu beantworten bzw. zu bejahen oder zu verneinen ist nicht möglich, siehe dazu die Beantwortung der Fragen 1 a) und b). Empirische Forschung 2 3.) Welche Studien der empirischen Lehrer-Anreiz-Forschung sind dem Senat bekannt? Zu 3.: Es gibt verschiedene internationale Studien zur Anreiz-Forschung. Die von Harvard- Professor Roland Gerhard Fryer veröffentlichte Studie (Teacher Incentives And Student Achievement: Evidence From New York City Public Schools; National Bureau of Economic Research, Cambridge, Massachusetts; 2010) beispielsweise untersucht die Frage, ob Anreizsysteme für Lehrer zu höherem Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler führen können. Dahinter steht die Frage: Könnten Lehrkräfte besser unterrichten, wenn sie nur wollten? In der Harvard-Studie konnten keine nennenswerten Effekte nachgewiesen werden. Eine Annahme lautet, dass Anreizsysteme dazu führen, dass zuvor wenig motivierte Lehrkräfte sich durch Anreize stärker engagieren und dadurch bessere Lernerfolge bei den Schülerinnen und Schülern erkennbar sind. Die gegenteilige Annahme legt jedoch einen negativen Effekt nahe: Der vielen Lehrkräften innewohnende Idealismus und die intrinsische Motivation können durch ein Belohnungssystem konterkariert werden. Befürchtet wird auch das Entstehen von Konkurrenzsituationen unter den Lehrkräften, die sich möglicherweise mittel- und langfristig nachteilig auf den Lernerfolg auswirken. Die Einführung eines Belohnungssystems hat teilweise auch keinerlei Auswirkungen. Dieses kann damit zusammenhängen, dass die Belohnung zu gering ist, oder dass keine weiteren Möglichkeiten (zum Beispiel weitere Steigerung der didaktischen Kompetenzen) zur persönlichen Verbesserung zur Verfügung stehen. Ob Anreize für Lehrkräfte also tatsächlich den Unterrichtserfolg verbessern, ist deshalb in der empirischen Forschung umstritten. Andererseits hat das Ausbildungs- und Einstellungssystem für Lehrkräfte tatsächlich einen Selektionseffekt, der zu einer ungünstigeren Verteilung führen kann. So entsteht bei einer Marktlage, in der das Angebot an ausgebildeten Lehrkräften kleiner ist als der Bedarf, eine Distribution nach Kompetenz: Schulen mit einem besonders guten Leumund, attraktiven Leistungskursen oder besonders guten baulichen Gegebenheiten beispielweise können Junglehrkräfte mit sehr guten Abschlüssen für sich gewinnen. Andere Schulen haben weniger attraktive Besonderheiten, mit denen sie Lehrkräfte anziehen können und müssen dann möglicherweise mit weniger gut ausgebildeten Lehrkräften arbeiten. 4.) Welche Kriterien messen schulischen Erfolg? Zu 4.: In erster Linie wird schulischer Erfolg von Schülerinnen und Schülern an den Schulabschlüssen gemessen. Darüber hinaus finden nationale und internationale Vergleiche hinsichtlich verschiedener Kompetenzbereiche statt. Die Unterrichtsforschung und die Lehr-Lernforschung haben darüber hinaus in den vergangenen Jahren verstärkt den schulischen Erfolg von Lehrkräften, d.h. den Zusammenhang zwischen Verhaltensweisen von Lehrkräften und dem Lernerfolg bei Schülerinnen und Schülern untersucht (siehe hierzu Helmke, Weinert, Baumert, Hertel u.a.). Hiernach sind insbesondere die drei Dimensionen Klassenführung, kognitive Aktivierung und soziales Klima zentrale Parameter für die Lernerfolge der Schülerinnen und Schüler. 5.) Sieht der Senat eine Gefahr, dass die intrinsische Motivation der Lehrer durch ein Belohnungssystem verringert werden könnte? 3 6.) Sieht der Senat eine Gefahr, dass sich durch ein Belohnungssystem innerhalb der Lehrerschaft eine Konkurrenzsituation entwickelt, die sich negativ auf den Lernerfolg der Schüler auswirken könnte? Zu 5. und 6.: Siehe Beantwortung zu Frage 3. 7.) Welche Bundesländer praktizieren ein Belohnungssystem für Lehrer bzw. haben ein solches erprobt? Zu 7.: Bekannt sind entsprechende Maßnahmen zum Beispiel aus dem Land Sachsen. Aus anderen Bundesländern liegen keine Informationen vor, die über politische Absichtserklärungen hinausgehen. 8.) Welche anderen Staaten sind dem Senat bekannt, in denen ein Belohnungssystem für Lehrer praktiziert wird bzw. erprobt wurde? Zu 8.: Sehr verbreitet sind Anreizsysteme in Staaten, in denen entweder der freie Markt ein wesentliches Steuerungselement ist, wie zum Beispiel in den USA, oder aber in stark zentralistisch organisierten Staaten wie in Frankreich. In den USA ist sowohl das Zahlen von Leistungsprämien für erreichte Schülerleistungen verbreitet als auch ein finanzieller Anreiz für besonders erfolgreiche Absolventinnen und Absolventen, die sich an Schulen zur Anstellung bewerben. Hier locken beispielsweise elitäre Schulen die besten Absolventinnen und Absolventen mit höheren Gehältern. Darüber hinaus werden befristete Verträge geschlossen, für deren Verlängerung die Lehrkräfte bestimmte Leistungen erbringen müssen. In Frankreich hingegen hat sich ein Anreizsystem etabliert, das dem Nord-Süd- Gefälle entgegenwirken soll. Lehrkräfte können durch besondere Qualifizierungen eine Anstellung in besonders begehrten Schulen oder Regionen (zum Beispiel im Süden) erhalten. Dieses sind zwei Beispiele mit jeweils sehr unterschiedlichen Effekten und Erfolgen, die hier aufgrund der Komplexität der Sachverhalte nicht erschöpfend dargestellt werden. Alternativen 10. Welche alternativen Belohnungssysteme für Lehrer gibt es zu rein monetären Anreizen? Zu 10. (s. Ihre Nummerierung): Es sind zahlreiche Belohnungssysteme über den finanziellen Aspekt hinaus bekannt. Steigerung der Reputation, Anreiz durch Entlastung, Aufgabensplittung und Erhöhung der Eigenverantwortung sind einige Beispiele hierfür. 11.) Welche Alternativen sieht der Senat, um bei den Schülern eine Verbesserung des Lernerfolges zu erreichen und wie bewertet er diese (z. B. Weiterbildungen zur Fachdidaktik, Stundenreduzierung für mehr Vorbereitungszeit, Verkleinerung der Klassen, usw.)? 4 Zu 11. (s. Ihre Nummerierung): Internationale Studien (zum Beispiel die Hattie-Studie „Visibel Learning for Teachers“ (2014)) zeigen, dass allein die Größe der Klasse beispielsweise nicht als wesentlicher Faktor für den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern zu betrachten ist. Vereinzelte Maßnahmen und „einfache Lösungen“ können nicht zur nachhaltigen Qualitätssteigerung beitragen. Zur Verbesserung des Lernerfolgs sind verschiedene Maßnahmen notwendig, die aufeinander abgestimmt sein müssen. Hierzu gehören unter anderem die Erhebung relevanter Daten an Einzelschulen, ein funktionierendes Netzwerk von Lehrkräften, Schulleitungen, Schulaufsichten und außerschulischen Partnern, Unterstützungssysteme sowie eine solide Ausbildung und gute Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für Lehrkräfte. Bonuszahlungen für Lehrer an sogenannten „Brennpunktschulen“ Im aktuellen Haushalt wurden 8,6 Millionen für Bonuszahlungen für Lehrer an Schulen mit schwierigen Bedingungen (sogenannte „Brennpunktschulen“) eingestellt. Anschließend wurde neben Bonuszahlungen auch eine Stundenreduzierung diskutiert. 12.) Wie gestaltet sich die geplante Besserstellung der Lehrkräfte an Schulen mit schwierigen Bedingungen (sogenannte „Brennpunktschulen“)? Zu 12. (s. Ihre Nummerierung): Die Umsetzung der Zahlung eines zusätzlichen Bonus für Lehrkräfte an Schulen mit einem hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern, die Transferleistungen erhalten, befindet sich derzeit noch in der Vorbereitung, so dass abschließende Aussagen noch nicht möglich sind. 13.) Sollen die Bonuszahlungen für Lehrer an sogenannten „Brennpunktschulen“ erfolgsunabhängig oder erfolgsgebunden gezahlt werden? Zu 13. (s. Ihre Nummerierung): Die Grundsätze der Verwirklichung des Auftrages der Berliner Schule sind für alle Schulen verbindlich, unabhängig von dem Anteil an Schülerinnen und Schülern, die Transferleistungen erhalten. Die Schulleiterin oder der Schulleiter trägt die Gesamtverantwortung und wirkt auf die Umsetzung des Auftrages der Schule hin. Die Zahlung eines zusätzlichen Bonus erfolgt daher nicht erfolgsabhängig, sondern aufgrund der gegebenen Rahmenbedingungen für die Arbeit vor Ort. Berlin, den 02. August 2018 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie