Drucksache 18 / 15 812 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) vom 27. Juli 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. August 2018) zum Thema: Offener Strafvollzug in Berlin – Anziehungspunkt für den sog. Vollzugstourismus ? und Antwort vom 15. August 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. Aug. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/15812 vom 27. Juli 2018 über Offener Strafvollzug in Berlin - Anziehungspunkt für den sog. Vollzugstourismus? ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Personen, die wegen einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden, erhielten in den Jahren 2009 bis zum 30.06.2018 eine Ladung für den Offenen Vollzug (erbitte nach Geschlecht, Alter und Jahr gesonderte Darstellung)? Zu 1.: Hierzu sind keine Angaben möglich, da eine gesonderte statistische Erfassung der Vollstreckungsverfahren, die eine der Frage entsprechende Eingrenzung der Verfahren ermöglichen würde, seitens der Staatsanwaltschaft Berlin nicht erfolgt. 2. Wonach bestimmt sich, wer eine Ladung für den Offenen Vollzug erhält? Gibt es Unterschiede zu anderen Bundesländern? Welche sind das? Zu 2.: Eine Ladung zum Strafantritt für den offenen Vollzug erhalten im Land Berlin männliche erwachsene Personen, die sich nach ihrer Verurteilung zu einer oder mehreren Freiheitsstrafen auf freiem Fuß befinden. Diese sachliche Zuständigkeit ist im Vollstreckungsplan des Landes Berlin geregelt. Jedes Bundesland legt die Zuständigkeiten seiner Justizvollzugsanstalten eigenständig in einem Vollstreckungsplan fest und trifft zudem eigenständig Regelungen dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen Ladungen zum Haftantritt direkt in den offenen Vollzug erfolgen. Auch andere Bundesländer sehen unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Ladungen in den offenen Vollzug vor. Beispielhaft seien hier Brandenburg, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern genannt . Regelungen zu Ausschluss- und Nichteignungsgründen finden sich im Land Berlin zudem nicht im Vollstreckungsplan sondern in den Verwaltungsvorschriften zu § 16 des Berliner Strafvollzugsgesetz (StVollzG Bln). Die Vollstreckungspläne der einzelnen Länder können unter www.vollstreckungsplan.de abgerufen werden. Trotz einer Ladung zum Strafantritt für den offenen Vollzug wird im Rahmen des Berliner Selbststellermodells zunächst geprüft, ob eine Eignung für den offenen Vollzug vorliegt. Daher kommen nicht alle Personen, die sich zum Strafantritt für den offenen Vollzug stellen, auch tatsächlich in den offenen Vollzug und können die Anstalt sofort tagsüber verlassen. 3. Was ist unter dem sog. Berliner Selbststellermodell zu verstehen? 2 Zu 3.: Männliche Personen, die zu einer oder mehreren Freiheitsstrafen verurteilt worden sind und sich auf freiem Fuß befinden, werden zum Haftantritt in die Justizvollzugsanstalt des Offenen Vollzuges Berlin (JVA OVB) geladen. Sofern die Nichteignung für die Unterbringung im offenen Vollzug offensichtlich ist, etwa bei offenkundiger Substanzabhängigkeit , erfolgt unverzüglich die Verlegung in die Einweisungsabteilung in der Justizvollzugsanstalt Moabit (EWA). In allen anderen Fällen prüft die JVA OVB die Eignung der Personen für eine Unterbringung im offenen Vollzug. Hierfür wird auf der Grundlage eines Diagnostikverfahrens ein Vollzugs- und Eingliederungsplan erstellt. Dabei hat die Anstalt insbesondere die in den Verwaltungsvorschriften zu § 16 StVollzG Bln festgehaltenen grundsätzlichen Ausschluss- und Nichteignungsgründe (z. B. begründeter Verdacht des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in der Haftanstalt oder Entweichungsversuche bei vorherigen Freiheitsstrafen) sowie die Erfordernisse einer besonders gründlichen Prüfung für eine Unterbringung im offenen Vollzug zu beachten. Bei besonders schwerwiegenden Straftaten, die der Freiheitsstrafe zugrunde liegen, wie z. B. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder Straftaten bei denen eine grobe Gewalttätigkeit verübt wurde, ist eine besonders gründliche Prüfung erforderlich. Bei Personen, die zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurden, ist darüber hinaus auch ein Sachverständigengutachten einzuholen. Bei Nichteignung für den offenen Vollzug erfolgt eine Unterbringung im geschlossenen Vollzug. Frauen werden grundsätzlich zum Strafantritt in die Justizvollzugsanstalt für Frauen (JVAF) geladen. Dort findet im Anschluss die Eignungsprüfung für den offenen Vollzug statt. 4. Wie wird mit Personen verfahren, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden, eine Ladung für den geschlossenen Strafvollzug erhalten haben und sich gleichwohl in der Justizvollzugsanstalt des Offenen Vollzugs Berlin zum Haftantritt einfinden? Zu 4.: Gemäß den Ausführungen zu Frage 3 werden zu einer Freiheitsstrafe verurteilte Männer, die sich auf freiem Fuß befinden, direkt in die JVA OVB geladen, sodass die geschilderte Situation in Berlin nicht eintreten kann. 5. Wie lange dauerte jeweils in den Jahren 2009 bis zum 30.06.2018 durchschnittlich die Eignungsprüfung für den offenen Vollzug (erbitte nach Jahren gesonderte Darstellung)? Zu 5.: Hierzu werden weder in der JVA OVB noch in der EWA, die diese Prüfungen in der JVA Moabit vornimmt, Daten erhoben. Die Eignung für die Unterbringung im offenen Vollzug wird im Rahmen eines Diagnostikverfahrens geprüft, auf dessen Grundlage die Vollzugs- und Eingliederungsplanung erstellt wird. Gemäß der gesetzlichen Vorgaben erfolgt dies regelmäßig innerhalb der ersten sechs Wochen nachdem die Vollstreckungsbehörde der Anstalt eine mit der Bescheinigung der Rechtskraft versehene beglaubigte Abschrift der zu vollziehenden gerichtlichen Entscheidung nebst Gründen übermittelt hat (vgl. § 9 Abs. 2 StVollzG Bln). 6. Wie viele Anträge auf Verlegung in den offenen Strafvollzug wurden seit 2009 bis zum 30.06.2018 von den in Berliner Justizvollzugsanstalten Inhaftierten gestellt (erbitte nach Jahr und Justizvollzugsanstalt gesonderte Darstellung)? 7. Wie viele der vorbenannten Anträge sind positiv beschieden worden? Zu 6. und 7.: Hierzu können keine Angaben gemacht werden, da eine statistische Erfassung nicht erfolgt. 8. Wie viele Inhaftierte, deren Taten dem Bereich der organisierten Kriminalität zuzuordnen sind, befanden sich zwischen 2009 und dem 30.06.2018 im offenen Strafvollzug? 3 Zu 8.: Hierzu werden in der JVA OVB erst seit 2014 Daten erfasst: 2014: 26 2015: 23 2016: 29 2017: 18 2018: 11 (bis 6. August 2018). In der Jugendstrafanstalt und der JVAF wird hierzu keine Statistik geführt. 9. Wie viele der in Berliner Justizvollzugsanstalten seit 2009 bis zum 30.06.2018 Inhaftierten sind in anderen Bundesländern als in Berlin verurteilt worden (erbitte Angaben einer Gesamtzahl, einer Prozentangabe sowie einer gesonderten Darstellung nach Jahren und den einzelnen Bundesländern)? Wie bewertet der Senat diese Zahlen? Zu 9.: Hierzu sind keine Angaben möglich, da eine statistische Erfassung nicht erfolgt. Eine im Jahr 2013 zu auswärtigen Vollstreckungen durchgeführte Länderumfrage hat ergeben, dass dort keine oder nur wenige Wohnsitzverlagerungen nach Berlin oder in andere Länder im Zusammenhang mit dem Strafantritt bekannt sind. 10. Ist dem Senat bekannt, wie viele in anderen Bundesländern Inhaftierte in Berlin verurteilt wurden? Zu 10.: Die Frage kann erst für einen Zeitraum beginnend ab dem 1. Januar 2012, dem Zeitpunkt der Einführung der Mehrländer-Staatsanwaltschafts-Automation (MESTA) bei der Staatsanwaltschaft Berlin, beantwortet werden, da nur insofern eine statistische Auswertung möglich ist. Die folgenden Zahlen bilden die Anzahl der auswärtigen Inhaftierungen Erwachsener pro Jahr des Haftbeginns ab: 2012: 830 2013: 1.113 2014: 1.330 2015: 1.338 2016: 1.559 2017: 1.625 2018: 780 (bis 6. August 2018). 11. Was gedenkt der Senat gegen den sog. Vollzugstourismus zu unternehmen? Zu 11.: Es wird auf die Antwort zu Frage 9 verwiesen. Auch können die Gründe für eine Wohnsitzverlagerung vor Strafantritt sehr unterschiedlich sein, sodass sich die bereits geringe Fallzahl noch weiter reduziert. Angesichts der nur geringen Zahlen wird derzeit kein Anlass gesehen, insofern tätig zu werden. Ein Vorstoß Berlins bei der Justizministerkonferenz im November 2013 diesbezüglich Änderungen zu erreichen, wurde von keinem anderen Bundesland mitgetragen. 12. Welche Kosten sind dem Land Berlin durchschnittlich jährlich seit 2009 bis zum 30.06.2018 aufgrund des sog. Vollzugstourismus entstanden? Gibt es diesbezüglich Vereinbarungen mit anderen Bundesländern ? Zu 12.: Die Kosten auswärtiger Vollstreckungen werden nicht erhoben, so dass hierzu keine Angaben möglich sind. Vereinbarungen mit anderen Bundesländern hierzu gibt es nicht. Länderübergreifende Verlegungen in Abweichung vom Vollstreckungsplan i. S. des § 26 Strafvollstreckungsordnung erfolgen erst nach gründlicher Prüfung der hierfür erforderlichen Voraussetzungen. Nach einem Beschluss des Strafvollzugsausschusses der Justizministerkonferenz der Länder werden in diesen Fällen keine Haftkosten erhoben, 4 sofern die Verlegung nicht aus medizinischen Gründen erfolgt oder besondere Aufwendungen im Einzelfall eine andere Regelung erforderlich machen. Berlin, den 15. August 2018 In Vertretung Margit Gottstein Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung