Drucksache 18 / 15 958 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Gabriele Gottwald (LINKE) vom 09. August 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. August 2018) zum Thema: Von München lernen? Mehr Schutz vor Verdrängung in Erhaltungsgebieten und Antwort vom 22. August 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Aug. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Frau Abgeordnete Gabriele Gottwald (Linke) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/15 958 vom 09.08.2018 über Von München lernen? Mehr Schutz vor Verdrängung in Erhaltungsgebieten Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Abgeordneten: Am 18.06.2018 hat München folgende Maßnahmen zur Anwendung des Vorkaufsrechtes bzw. der Abwendungserklärung beschlossen, die eine deutliche Verschärfung der Auflagen für den Käufer beinhalten, sollte die Stadt das Vorkaufsrecht nicht in Anspruch nehmen: a) Höchstmiete bei Neuvermietung nach Leerstand (orientiert am Mietspiegel oder günstiger). b) Neuvermietung nur an Personen, die gemäß dem „München Modell Miete“ berechtigt sind (Höchstgrenze nach Haushaltseinkommen). c) Maximal eine leerstehende oder während der Bindungsdauer leer werdende Wohnung darf ohne Einhaltung der Einkommensgrenze an Verwandte vermietet oder selbst genutzt werden. d) Eigenbedarfskündigungen sind in jedem Fall unzulässig. e) Mieterhöhungen nur nach dem Verbraucherindex für Deutschland ((Indexwert neu/Indexwert alt) x100-100=prozentual zulässige Mietsteigerung) und maximal bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete. f) Maximale Eingangsmiete bei Neuvermietung (nettokalt) ist gleich der zulässigen Anfangsmiete (siehe Punkt a) plus seitdem zulässige Mietsteigerung (siehe Punkt e). g) Staffelmietverträge sind ausgeschlossen. h) Abriss der Immobilie ist grundsätzlich ausgeschlossen. i) Maximal 8 % Modernisierungsumlage und maximal 3 € pro m² innerhalb von 8 Jahren. Modernisierungsumlage nur so lange, wie die Maßnahme noch nicht refinanziert ist. j) Bindung der Abwendungserklärung, solange Immobilie in einem Erhaltungsgebiet liegt. k) Erweiterung der Informationspflicht gegenüber den Mietern (Sozialreferat informiert alle Mieter über Abschluss der Abwendungserklärung). l) Bei Weiterveräußerung wird vertraglich geregelt, dass Bindungen weiterlaufen. m) Verbot der Aufteilung in Wohnungseigentum und von Luxuswohnungen auch bei Neubauten oder Aufstockungen in Erhaltungsgebieten. n) Vertragsstrafe bei Nichteinhaltung. Frage 1: Welche Regelung gibt es in Berlin zur Anwendung des Vorkaufsrechts bzw. der Abwendungserklärung? 2 Antwort zu 1: In Berlin wurde mit Senatsbeschluss vom 15.8.2017 das Konzept zur Ausübung der Vorkaufsrechte beschlossen. Darin wird den Bezirken empfohlen im Rahmen des Vorkaufsrechts gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB, vorrangig Abwendungsvereinbarungen mit der Käuferseite abzuschließen. Hierzu steht den Bezirken ein Muster zur Verfügung, das an den jeweiligen Sachverhalt angepasst und als Entwurf an die Käuferseite versandt wird. Bei Eingang einer einseitigen Abwendungserklärung ist diese auf die Einhaltung der Ziele der sozialen Erhaltungsverordnung zu prüfen und ggf. nachzuverhandeln. Parallel dazu wird aufgrund der kurzen Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts einem geeigneten Dritten der Entwurf einer Verpflichtungserklärung im Sinne des § 27 a BauGB übersandt. Frage 2: Welche der oben aufgeführten Maßnahmen der Stadt München gehen in ihrer Eingriffswirkung über die Berliner Regelungen hinaus? Bitte einzeln erläutern. Frage 4: Welche Maßnahmen könnten wie analog in Berlin umgesetzt werden? Hielte der Senat eine solche Umsetzung für wünschenswert, um den Schutz der Mieterinnen und Mieter vor Verdrängung zu erhöhen? Bitte für die Maßnahmen jeweils einzeln erläutern. Antwort zu 2 und 4: Unter Bezugnahme auf die Gliederung der Vorbemerkung zur schriftlichen Anfrage werden nachfolgend die Punkte a) bis n) im Hinblick auf die Frage 2 und gleichzeitig auch bezogen auf Frage 4 hinsichtlich einer möglichen Umsetzung in Berlin beantwortet. Eingangs wird darauf verwiesen, dass grundsätzlich Regelungen aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) dann abdingbar sind, wenn hierdurch im Hinblick auf die gesetzlichen Regelungen keine Nachteile für die Mieter/-innen entstehen. Daher kann eine Abwendungsvereinbarung günstigere Regelungen für die Mieter/-innen enthalten, als dies im BGB vorgesehen ist. Diese Erkenntnis muss bei der Formulierung von Abwendungsvereinbarungen einer zusätzlichen Prüfung im Hinblick auf die im Baugesetzbuch verankerte Zielsetzung des Erhalts der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in den sozialen Erhaltungsgebieten unterzogen werden. Die Prüfung der neuen Abwendungsvereinbarung ist hier in Berlin noch nicht abgeschlossen und wird zunächst auf Arbeitsebene abgestimmt. a) Es gibt derzeit keine dem Münchener Modell Miete vergleichbare Regelung in Berlin. Zu beachten ist, dass die Eingangsmiete in München derzeit 11,50 €/qm nettokalt beträgt. Dies zeigt bereits, dass eine direkte Übernahme in Berlin nicht angemessen wäre. Gleichwohl könnte ins Muster der Abwendungsvereinbarung in Berlin eine Regelung übernommen werden, dass bei Neuvermietung höchstens eine Miete in Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete für die konkrete Wohnung verlangt werden darf, die grundsätzlich auf der Grundlage des jeweils aktuellen Berliner Mietspiegels zu ermitteln ist. Die bundesweiten Regelungen zur Mietpreisbremse erlauben eine zulässige Miete, die 10 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete nach dem Berliner Mietspiegel liegt. b) Es gibt derzeit kein dem Münchener Modell Miete vergleichbares Modell in Berlin. Eine Übernahme in das Muster ist in Berlin im Moment nicht möglich. Die Mieterstruktur und die Einkommensverhältnisse sowie die Lebenshaltungskosten in beiden Städten sind nicht vergleichbar. Zu prüfen ist, ob eine Regelung entsprechend der Kooperationsvereinbarung mit den Wohnungsbaugesellschaften (WBGs) in das Muster aufgenommen werden soll. Danach werden 60 % der jährlich zur Wiedervermietung kommenden Wohnungen im 3 Bestand der städtischen Wohnungsbaugesellschaften an WBS-berechtige Haushalte maximal zur ortsüblichen Vergleichsmiete vermietet. c) Es gibt derzeit kein dem Münchener Modell Miete vergleichbares Modell in Berlin. Es ist Bundesrecht (BGB) anzuwenden, wobei der Einzelfall einer (gerichtlichen) Überprüfung unterliegt. Eine Einschränkung der Nutzungsmöglichkeit der Immobilie durch den Käufer (Eigentümer) und dessen Verwandte ist hier noch nicht abschließend geprüft. d) Bisher sieht das Muster der Abwendungsvereinbarung den Ausschluss von Eigenbedarfskündigungen nicht vor. Die Prüfung zur Änderung des Musters zu dieser Frage ist nicht abgeschlossen und wird die damit im Zusammenhang stehenden rechtlichen Aspekte zum Eigentumsschutz einerseits und zur Schutzrichtung des sozialen Erhaltungsrechts andererseits zu berücksichtigen haben. e) und f) Die Begrenzung von Mieten nach dem Verbraucherindex (§ 557 b BGB) mit einer Deckelung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete kann nur dann Vorteile für Mieter/-innen ergeben, wenn diese rechtssicher ausgestaltet ist und zudem mit einem vertretbaren Verwaltungsaufwand angewandt werden können. Für Berlin wird dies u.a. aufgrund der geltenden Einkommensgrenzen für den Erhalt eines Wohnberechtigungsscheins nicht für sinnvoll gehalten. Zudem könnten im Einzelfall Nachteile auftreten, da sich rechnerisch durch die jeweilige Erhöhung nach dem Verbraucherindex-Verfahren ein stärkerer Mietanstieg in kürzerer Zeit ergeben kann, als durch die gesetzliche Regelung in § 558 BGB. g) Bei Abschluss neuer Mietverträge sind Staffelmietverträge in München nicht zulässig. Dies wird auch für Berlin für sinnvoll gehalten, da andernfalls Regelungen zur Mietentwicklung umgangen werden könnten. h) Die Münchener Regelung zum Abriss von Wohngebäuden (jur. Begriff: Rückbau) bleibt hinter dem Berliner Muster zurück. Das hiesige Muster sieht vor, dass sich der Käufer dazu verpflichtet, auf den Rückbau zu verzichten. i) Im Muster von Berlin bislang nicht vorgesehen ist die Begrenzung der Umlagefähigkeit zulässiger Modernisierungskosten. Um verdrängungsgefährdete Haushalte über die sowieso ausgeschlossenen Luxusmodernisierungen hinaus zusätzlich zu schützen, ist eine derartige Festlegung sinnvoll. Die Münchener Regelung entspricht im Grunde den ehemaligen Überlegungen des Bundes zur Senkung der Modernisierungsumlage. Die aktuelle Berliner Bundesratsinitiative (Drs. 300/18) zielt auf eine Senkung der Modernisierungsumlage auf 6 % und eine absolute Grenze von 2,00 € innerhalb von acht Jahren allgemein und in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt – wie Berlin – auf 10 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete. j) Hier liegt sowohl in München als auch in Berlin dieselbe Zielrichtung vor. In Berlin ist eine Geltungsdauer von 20 Jahren vorgesehen, sofern nicht die soziale Erhaltungsverordnung vor Ablauf dieses Zeitraums außer Kraft tritt. Die Regelung soll in Berlin unverändert gelten. k) Eine Informationspflicht über die Inhalte der Abwendungsvereinbarung durch den Käufer (zukünftigen Eigentümer) gegenüber den Mietern ist im Muster Berlin bislang nicht vorgesehen. Die Prüfung zur Ausgestaltung von Informationsrechten der Mieter/-innen ist noch nicht abgeschlossen. Die Münchener Zielrichtung erscheint sinnvoll. 4 l) Sowohl in München als auch in Berlin ist Inhalt der Abwendungsvereinbarung, dass diese auch bei einer späteren Weiterveräußerung des Grundstücks fortgelten. In Berlin sieht das Muster vor, dass das Land Berlin über die Rechtsnachfolge und die Pflichtenübertragung binnen drei Monaten nach Abschluss des (weiteren) Kaufvertrags informiert werden muss. München sieht in der neuen Abwendungsvereinbarung zudem einen echten Vertrag zugunsten Dritter (hier: Stadt München) vor. Auch hier ist die Prüfung einer Änderung des Berliner Musters noch nicht abgeschlossen. m) In München wird ein Verbot der Aufteilung in Wohnungseigentum auch bei Neubauten oder Aufstockungen noch geprüft (vgl. Beschluss zur Sitzungsvorlage Nr. 14-20 / V 11734 des gemeinsamen Beschlusses von Kommunal- und Sozialreferat der Stadt München, dort Ziff. 5.7). Da die Errichtung einer baulichen Anlage im sozialen Erhaltungsgebiet nach § 172 Abs. 1 BauGB keinem Genehmigungsvorbehalt unterliegt, ist hier eine vertiefte juristische Prüfung vorzunehmen. n) Eine Vertragsstrafe bei Nichteinhaltung der Abwendungsvereinbarung ist auch in Berlin vorgesehen. Das Muster von Berlin enthält je nach Art des Verstosses abgestufte Vertragsstrafenhöhen. Frage 3: Wie hoch wäre in Berlin die zulässige Einkommensgrenze bei Neuvermietung, wenn eine dem „München Modell Miete“ ähnliche Regelung Bestandteil der Abwendungserklärung wäre (z.B. WBS-Bezug)? Antwort zu Frage 3: Die Einkommensgrenzen nach der aktuellen „München Modell Miete“ bei Neuvermietung stellen sich im Vergleich zu den Einkommensgrenzen in Berlin für einen „normalen“ Wohnberechtigungsschein („ § 9 Absatz 2 WoFG plus 40 %) wie folgt dar: Einkommensgrenzen in € jährlich Haushaltsgröße München Modell Miete (Wohnen in München VI) BerlinerWohnberechtigungsschein (§ 9 Absatz 2 WoFG plus 40 %) 1-Personen- Haushalt 26.400 € 16.800 € 2-Personen- Haushalt 39.600 € 25.200 € zuzüglich für jede weitere zum Haushalt rechnende Person 8.900 € 5.740 € Zuschlag für jedes zum Haushalt gehörende Kind 1.500 € 700 € 5 Die Berliner Einkommensgrenzen für einen „normalen“ WBS liegen rund 36 % unterhalb der Münchner Einkommensgrenzen (mit Ausnahme des Kinderzuschlages). Diese Unterschiede bei den Einkommensgrenzen (außer beim Kinderzuschlag) lassen sich mit den unterschiedlichen Miethöhen in beiden Städten erklären. Die Durchschnittsmiete (nettokalt) des Mietspiegels für München 2017 liegt bei 11,23 €/m² monatlich. Demgegenüber liegt die Durchschnittsmiete des Berliner Mietspiegels 2017 bei 6,39 €/m² monatlich. Im Berliner Mietspiegel 2017 ist damit die Durchschnittsmiete um 43 % niedriger als in München. Die Relation der oben dargestellten Einkommensgrenzen beider Städte korrespondiert bei Unterstellung vergleichbar hoher Betriebskosten in etwa mit dem Verhältnis der Mietniveaus (bruttowarm) beider Städte. Frage 5: Welche weiteren Regelungen der Stadt München sind dem Senat bekannt, die in ihrer Schutzwirkung für Mieterinnen und Mieter über analoge Berliner Regelungen hinausgehen – dies generell sowie bezogen auf Erhaltungsgebiete und kommunale Wohnungsbaugesellschaften? Antwort zu Frage 5: Mit Beschluss vom 25. Juli 2018 hat der Münchener Stadtrat eine „Mietpreisbremse“ für die dortigen städtischen Wohnungsbaugesellschaften beschlossen. Die Kooperationsvereinbarung „Leistbare Mieten, Wohnungsneubau und soziale Wohnraumversorgung“ (KoopV) vom 5. April 2016 von Berlin weist eine ähnliche Zielrichtung auf. Die Berliner KoopV weist dagegen mit der Härtefallregelung sowie den höheren Quoten für die Wiedervermietung an bestimmte Bedarfsgruppen soziale Komponenten auf, die im Münchener Maßnahmenpaket in diesem Ausmaß nicht enthalten sind. Berlin, den 22.08.2018 In Vertretung Scheel ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen