Drucksache 18 / 15 984 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christian Gräff (CDU) vom 13. August 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. August 2018) zum Thema: Auswirkungen eines ungesteuerten Brexits auf Berlin und seine Wirtschaft und Antwort vom 30. August 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. Sep. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe Herrn Abgeordneten Christian Gräff (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/15 984 vom 13. August 2018 über Auswirkungen eines ungesteuerten Brexits auf Berlin und seine Wirtschaft ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie groß ist die Handelsbilanz Berlins mit britischen Firmen? Zu 1.: Die Handelsbilanz 2017 des Landes Berlin mit dem Vereinigten Königreich beträgt (Statistisches Bundesamt): Ausfuhr: 643.695.000€ Einfuhr: 534.169.000€ Differenz: +109.526.000€ 2. Welche Folgen erwartet der Senat aus einem möglicherweise ungesteuerten Ausstieg Großbritanniens aus dem gemeinsamen Binnenmarkt für die Berliner Wirtschaft? 3. Wie hoch wären die ökonomischen Risiken Berlins? Zu 2. und 3.: Ein ungesteuerter bzw. harter Brexit würde bedeuten, dass der Handel zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich (VK) künftig lediglich nach den allgemeinen WTO-Regeln (Welthandelsorganisation) erfolgen würde, also nach denselben Regeln wie beispielsweise mit den USA. Das hieße, dass im Warenverkehr zwischen der EU und dem VK die Zölle erhoben werden, die auch für Drittländer ohne präferenzielle Handelsvereinbarung gelten. Wissenschaftliche Untersuchungen dazu, wie hoch die ökonomischen Risiken für Berlin in diesem Fall wären, liegen nach Kenntnis des Senats nicht vor. Gemessen an der Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft dürfte insbesondere das Verarbeitende Gewerbe vom Brexit betroffen sein. 4. Welche Folgen hätte ein solcher Brexit auf den Wissenschaftsstandort Berlin und seine Verbindung zu britischen Universitäten oder Forschungseinrichtungen? 2 5. Welche Folgen hätte der Brexit auf Studenten- und Schüleraustausche? Zu 4. und 5.: Für einen solchen Vorgang gibt es in der Geschichte der EU keine Erfahrungswerte und Blaupausen. Insbesondere wäre nicht abzusehen, welche Folgen sich aus einer möglichen Konfliktdynamik ergeben. Es ist aber hervorzuheben, dass das VK wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, die wissenschaftliche Kooperation mit Europa fortsetzen zu wollen. Im Fall eines „ungesteuerten“ Brexit wird erwartet, dass das VK nicht länger an sämtlichen EU-Programmen – wie zum Beispiel Erasmus, Horizon 2020 oder die ERC- Grants – partizipieren könnte. Zugleich würden dem EU-Haushalt die Mittel entzogen werden, die das VK bislang eingezahlt hat. Neben den europäisch geförderten Programmen gibt es aber auch eine Vielzahl von bilateralen Forschungskooperationen zwischen unterschiedlichen Einrichtungen. Diese würden durch einen „ungesteuerten “ Brexit voraussichtlich weniger in Mitleidenschaft gezogen werden und würden in Zukunft vermutlich eine Ausgestaltung erfahren, wie sie sich für Wissenschaftsbeziehungen mit anderen Ländern außerhalb der Europäischen Union bewährt hat. Tatsächlich gibt es zwischen Berlin und dem VK gewachsene Forschungskooperationen und einen regen Studierendenaustausch. Die sensiblen Felder, die von einem „ungesteuerten“ Brexit betroffen sein könnten, dürften vor allem aufenthaltsrechtliche Fragen, finanzielle und rechtliche Folgen bestehender Austauschprogramme (z.B. Erasmus) sowie die Frage der Studiengebühren betreffen. Detailliertere Ausführungen wären jedoch rein spekulativ, da bereits die Grundbedingungen des „ungesteuerten Austritts“ nicht definiert sind. Der Brexit könnte Auswirkungen auf die Reisebedingungen im Rahmen von Schüleraustauschen haben. Dies wäre dann der Fall, wenn eine allgemeine Visapflicht eingeführt wird, welche die Reisefreiheit durch Verwaltungsverfahren und- gebühren einschränkt. 6. Wie bereitet sich der Senat auf die möglichen Folgen eines Brexits vor? Zu 6.: Bereits Ende 2016 hat der damalige Fachbereich Europa des Landes Berlin in der Senatskanzlei (jetzt Senatsverwaltung für Kultur und Europa) eine Umfrage bei den Senatsverwaltungen sowie ausgewählten Unternehmen, Verbänden etc. durchgeführt , um frühzeitig zu erfahren, welche Aufgabengebiete und Politikfelder vornehmlich betroffen sein und welche Herausforderungen auf das Land Berlin zukommen könnten. Auch wenn konkrete Aussagen aufgrund der Ungewissheit über den künftigen Status des Vereinigten Königreichs schwer zu treffen sind, ist nach der Auswertung der Umfrage deutlich geworden, dass viele verschiedene Bereiche betroffen sein werden. Dies betrifft z.B. einen vermuteten erhöhten bürokratischen Aufwand , wenn automatische Anerkennungen, die derzeit EU-weit geregelt sind, in unterschiedlichen Bereichen wegfallen. Zudem ist das Vereinigte Königreich für Berlin fünftwichtigster Handelspartner europaweit. Gleichzeitig können sich aus dem Brexit auch in manchen Bereichen Chancen für Berlin ergeben, so z.B. durch einen möglichen Zuzug von qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und von Unternehmen . Zu dieser Folgenabschätzung Berlins und zu den Folgenabschätzungen der anderen Länder hat über die Gremien der Europaministerkonferenz ein intensiver Austausch stattgefunden, der eine der Grundlagen für die weiteren Vorbereitungsarbeiten auf Landesebene darstellt. 3 Für die konkrete Vorbereitung auf den Brexit auf Landesebene ist es darüber hinaus entscheidend, sich an den Beratungen zur Festlegung der Verhandlungsposition der Bundesregierung beteiligen und die Folgen des Austritts und die zukünftigen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich anhand der Verhandlungsergebnisse frühzeitig abschätzen zu können. Daher haben die Länder die Bundesregierung im Wege eines Bundesratsbeschlusses aufgefordert, die Länder 1. bereits vor Aufnahme und während der Verhandlungen an den Beratungen zur Festlegung der Verhandlungsposition der Bundesregierung zu beteiligen , 2. durch zwei Bundesratsbeauftragte an der Ratsarbeitsgruppe "Brexit" zu beteiligen sowie 3. frühzeitig an gesetzgeberischen Maßnahmen zur Anpassung an den Brexit auf nationaler Ebene sowie der Begleitgesetzgebung entsprechend den verfassungs-, insbesondere kompetenzrechtlichen Vorgaben zu beteiligen. (Beschluss vom 31. März 2017, Bundesratsdrucksache 235/17) In der Folge wurden am 7. Juli 2017 zwei Vertreter des Bundesrates für die Ratsarbeitsgruppe „Brexit“ benannt. Zudem wurde eine informelle Bund-Länder- Arbeitsgruppe zum Thema Brexit eingesetzt, über die ein regelmäßiger Informationsaustausch stattfindet. An dieser Arbeitsgruppe nehmen Vertreterinnen und Vertreter aller Länder, die zwei Bundesratsbeauftragten, Vertreterinnen und Vertreter des federführenden Auswärtigen Amtes sowie bei Bedarf und auf Wunsch Vertreterinnen und Vertreter anderer Bundesministerien teil. Berlin ist regelmäßig durch das Europareferat der Senatsverwaltung für Kultur und Europa (SenKultEuropa) vertreten, wobei die Senatsverwaltungen und die Senatskanzlei jeweils vor und nach den Sitzungen durch das Europareferat eingebunden werden. Zur weiteren Konkretisierung der Vorbereitungen hat die SenKultEuropa im Juli 2018 eine Abfrage eingeleitet, bei der die Ressorts aufgefordert wurden, den landesrechtlichen Anpassungsbedarf unter Zugrundlegung des Szenarios des Abschlusses des Austrittsabkommens und des Szenarios eines ungeordneten Austritts („No deal“) zu prüfen. Dabei liegt den Ressorts eine von der SenKultEuropa erstellte vorläufige und nicht abschließende Liste der vom Brexit möglicherweise betroffenen Berliner Landesnormen vor, die durch die Ressorts hinsichtlich Aktualität und Vollständigkeit zu überprüfen ist. Des Weiteren sind die Ressorts aufgefordert worden, den gesetzgeberischen Umsetzungsbedarf für die Übergangsphase zu prüfen. Nach dem derzeitigen Verhandlungsstand zum Austrittsabkommen ist darin eine Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2020 vorgesehen, in der das Vereinigte Königreich im Unionsrecht und im nationalen Umsetzungs- und Durchführungsrecht grundsätzlich weiter als Mitgliedstaat gilt. Parallel zu dem auf Bundesebene geplanten „Gesetz für die Übergangsphase nach dem Austritt des VK und Nordirland aus der Europäischen Union“ wurde von der SenKultEuropa ein erster Entwurf eines Berliner Brexit- Übergangsgesetzes erarbeitet, der den Ressorts im Rahmen der Abfrage ebenfalls zur Prüfung vorliegt. Dieser Entwurf entspricht weitestgehend dem genannten Gesetzesentwurf auf Bundesebene. In Bezug auf das Szenario eines ungeordneten Austritts sind die Ressorts schließlich gebeten worden zu prüfen, ob in Einzelfällen eine Rechtsanpassung erforderlich sein könnte, wenn beispielsweise aus fachlichen Erwägungen die Notwendigkeit eines weiteren Zugangs zu bestimmten britischen Produkten oder Fachkräften besteht. Des Weiteren informiert die SenKultEuropa auf ihrer Webseite (https://www.berlin.de/sen/europa/aktuelles/brexit/) kontinuierlich über den aktuellen 4 Stand der Brexit-Verhandlungen und gibt Hinweise zu weiteren wichtigen Informationsquellen . Die Senatswirtschaftsverwaltung arbeitet zusammen mit der Industrie und Handelskammer Berlin (IHK), Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie (BPWT) und der Senatskanzlei im Arbeitskreis UK (United Kingdom) an einer Strategie, um u.a. auf die Folgen des Brexit für Berliner Unternehmen zu reagieren und Unternehmen und Institutionen anzusprechen, die im VK ansässig sind oder ihr europäisches Headquarter unterhalten und entwickelt daraus Vorschläge für gezielte Maßnahmen (siehe auch die Beantwortung der Frage 9). Zur Reduzierung der negativen Effekte des Brexit sollen auch die Kooperationen mit der Stadt London - Greater London Authority (Senatskanzlei, Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe), der London Chamber of Commerce and Industry (IHK) und London First (BPWT) genutzt werden, da diese Partner ihrerseits ein starkes Interesse an einem internationalen Austausch haben. 7. Gab es Gesprächsrunden im Senat oder der Senatswirtschaftsverwaltung, die sich mit den Risiken oder Folgen eines Brexits für Berlin befasst haben? Zu 7.: Ja. Am 11. Juli 2017 hat sich der Senat mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union befasst. Schwerpunkte dieser Befassung waren die Einbeziehung der Länder in die Verhandlungen und die Implikationen des Austritts des VK für Berlin. In diesem Zusammenhang stellte die Senatsverwaltung für Kultur und Europa insbesondere auch die Auswertung der Brexit-Umfrage Berlin vor (siehe dazu auch die Antwort zu Frage 6.). Außerdem beschäftigt sich der Arbeitskreis UK in monatlichen Sitzungen mit den wirtschaftlichen Risiken und Folgen eines Brexits für Berlin (s. Antwort zu 6.). 8. Welche Varianten werden oder wurden dabei durchdacht und welche Maßnahmen sind jeweils vorgesehen? Zu 8.: Die Umfrage zur Brexit-Folgenabschätzung in Berlin bezog sich allgemein auf den Austritt des VK aus der Europäischen Union und differenzierte nicht nach verschiedenen Szenarien. Konkrete Maßnahmen zur Abmilderung der Risiken und Folgen eines Brexits für Berlin sind abhängig vom weiteren Fortgang der Verhandlungen zu planen und bedürfen einer engen Abstimmung mit den Ländern, der Bundesregierung und der Europäischen Kommission. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 6. verwiesen. 9. Ist dem Senat bekannt, ob britische Firmen oder Institutionen (Verbände, etc.) eine Standortverlegung nach Berlin planen? 10. Wirbt der Senat aktiv um diese Firmen und Institutionen? Wenn ja, mit welchen Maßnahmen? Zu 9. und 10: Im Arbeitskreis UK entwickeln die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe (SenWiEnBe), Senatskanzlei, BPWT und IHK in monatlichen Sitzungen Konzepte und Maßnahmen zur Ansprache von britischen Firmen und Institutionen (Verbände, etc.), die eine Standortverlegung nach Berlin planen könnten (s. Antwort zu 6.). 5 Mit der konkreten Ansprache von Firmen oder Institutionen (Verbände, etc.), die eine Standortverlegung nach Berlin planen, hat die SenWiEnBe die BPWT beauftragt. BPWT spricht seit 2016 systematisch potenziell vom Brexit betroffene Firmen im VK an. Die Bearbeitung des Marktes erfolgte durch eine sehr regelmäßige und zeitlich engmaschige Präsenz vor Ort durch Messebesuche, bei denen im Einzelfall auch eigene Aktivitäten geplant wurden. Zum Beispiel hat BPWT in Kooperation mit dem Startup Magazin „Courier“ aus London im Rahmen der London Tech Week ein Satellitenevent zum Thema „Diversity as a Factor of Competitiveness for Cities“ organisiert . Zwei Sprecher aus London und zwei Sprecherinnen aus Berlin gaben den rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Überblick über die Herausforderungen, die den Städten begegnen. Von Berliner Seite waren Justine Powell - CEO von Handelsblatt Global - und Mali Baum - CEO und Gründerin der W Lounge - die Protagonistinnen . Bei der Noah-Konferenz in London organisierte BPWT einen Workshop zum Thema „Different Markets, Different Challenges: How to Scale your Fintech across Europe“. Aus Berlin dabei waren die Fintech-Start-ups Spotcap, Raisin und SumUp, die als Testimonials den Standort Berlin bewarben. Im zweiten Halbjahr 2017 wurde der Markt noch einmal besonders aktiv bearbeitet: In Ergänzung zu den regulär geplanten und durchgeführten Aktivitäten konnten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von BPWT im Vereinigten Königreich an den folgenden insgesamt 6 ausgewählten Veranstaltungen teilnehmen: MedTech Invest Europe, 19./ 20. September 2017, London Techday London. 27. Oktober 2017, London NOAH Conference, 10./ 11. November 2017. London Ad:Tech‚ 29./ 30. November 2017, London UK HealthTech, 5. Dezember 2017, Cardiff Genesis, 14. Dezember 2017, London” Im Ergebnis wurden im Zeitraum von 23. Juni 2016 (Brexit-Referendum) bis 30. Juli 2018 101 neue Unternehmenskontakte (Leads) generiert. 6 Diese Kontakte sind größtenteils noch in der Bearbeitung. Dadurch, dass die Bedingungen für den Brexit noch nicht klar sind, ist die Projektdauer im Schnitt überdurchschnittlich lang. Entscheidungen zum kompletten Abzug aus dem VK, Teilverlagerung oder Eröffnung von Repräsentanzen in Berlin werden erst nach dem endgültigen Ausgang der Brexit-Verhandlungen gemacht. Bei der Bearbeitung des VK-Marktes stehen die folgenden Handlungsfelder im Fokus : Handlungsfelder: a) Zwingende, regulatorische Erfordernisse für eine Repräsentanz im EU- Binnenmarkt b) Fortlaufende Akquisition/Leadgenerierung entlang der sich überschneidenden Cluster c) Bearbeitung des VK-Marktes außerhalb VK Darüber hinaus hat das Standortmarketing bei BPWT 2017 begonnen, ein Content Marketing in ausgewählten Zielmärkten aufzusetzen, insbesondere für das VK (vgl. https://reason-why.berlin/). Das Konzept dient der Ansprache von potenziellen Investoren . Berlin, den 30.08.2018 In Vertretung Christian R i c k e r t s .......................................................... Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe