Drucksache 18 / 16 114 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Franz Kerker (AfD) vom 23. August 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. August 2018) zum Thema: Herkunftssprache Türkisch und Antwort vom 31. August 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Sep. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Herrn Abgeordneten Franz Kerker (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/16114 vom 23. August 2018 über Herkunftssprache Türkisch ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Abgeordneten: Der Berliner Koalitionsvertrag für die Legislaturperiode 2016 - 2021 enthält u.a. den folgenden Programmpunkt: „Die Koalition wird ein Konzept zur Förderung der Mehrsprachigkeit im Sinne der Didaktik der Mehrsprachigkeit entwickeln. Die Angebote an zweisprachiger Bildung und Erziehung z. B. Für Türkisch, Arabisch und Kurdisch, aber auch von osteuropäischen Sprachen, baut die Koalition aus und schafft Möglichkeiten, die Herkunftssprache als erste bzw. zweite Fremdsprache zu erlernen und bei Prüfungen anzuerkennen.“ Ein Teil dieses Konzeptes wird inzwischen umgesetzt [Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/13165 über Muttersprachlichen Unterricht in den Sprachen Türkisch, Kurdisch und Arabisch] 1.) Eine Änderung der Praxis des sogenannten Konsularunterrichtes wird laut Tagespresse damit begründet, dass der Senat die Beeinflussung von Schülern durch türkische Staatsbeamte unterbinden wolle. Zu 1.: Gemäß der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 25.7.1977 (77/486/EWG) über die schulische Betreuung der Kinder von Wanderarbeitnehmern wird Muttersprachlicher Ergänzungsunterricht (MEU), der eine Unterweisung in der Muttersprache und der heimatlichen Landeskunde umfasst, in alleiniger Verantwortung der diplomatischen Vertretungen erteilt. Gemäß § 15 Abs. 3 des Schulgesetzes (SchulG), § 12 Abs. 4 der Grundschul-Verordnung (GsVO) und § 9 Abs. 5 der Verordnung für die Sekundarstufe I (Sek I-VO) können Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache an Berliner Schulen Angebote zum Erlernen ihrer Muttersprache erhalten. Die Republik Türkei hält entsprechende Angebote an Grundschulen vor. Der muttersprachliche Ergänzungsunterricht (MEU) wird durch die diplomatischen Vertretungen der Heimatländer – hier der Republik Türkei – verantwortet, finanziert und durchgeführt. Der Lehrplan und die Lehrinhalte liegen in der Verantwortung der 2 Herkunftsländer. Der MEU Türkisch umfasst die Unterweisung in der Muttersprache Türkisch und in heimatlicher Landeskunde, welche die islamische Religionskunde einschließt. MEU ist kein bekennender Religionsunterricht. Die Vermittlung von Glaubensinhalten im Sinne einer islamischen Religionsgemeinschaft darf daher nicht Gegenstand des MEU sein, wohl jedoch dürfen religiöses Wissen und Verstehen vermittelt werden. Um der Nachfrage nach Angeboten herkunftssprachlichen Unterrichts in Türkisch nachzukommen, wurde in Berlin darüber hinaus zum zweiten Halbjahr des Schuljahres 2017/18 an 21 Grundschulen in Bezirken mit einem hohen Anteil von türkischstämmigen Schülerinnen und Schülern (Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Charlottenburg-Wilmersdorf, Tempelhof-Schöneberg und Neukölln) ein AG-Angebot „Herkunftssprache Türkisch“ bereitgestellt. Mit diesem Angebot verbindet sich das Ziel, die bereits vorhandenen Angebote für die Sprache Türkisch (Zweisprachige Erziehung an einzelnen Grundschulen, Staatliche Europaschule Berlin Deutsch- Türkisch, Muttersprachlicher Ergänzungsunterricht des türkischen Generalkonsulats) zu ergänzen und den Herkunftssprachenunterricht zu stärken. Aufgrund der Nachfrage wurde das Angebot zum Schuljahr 2018/19 ausgeweitet, sodass nunmehr 45 Grundschulen Unterrichtsangebote für Herkunftssprachenunterricht Türkisch bereitstellen. Im Übrigen ist es nicht Aufgabe des Senats, Presseberichte zu kommentieren. 1.a) Worin genau besteht diese Einflussnahme bzw. Indoktrination? Zu 1.a): Ich verweise hierzu auf meine Antwort auf die Frage 1. 1.b) Wird für Arabisch, Kurdisch und diverse osteuropäische Sprachen ebenfalls Konsularunterricht angeboten? Zu 1.b): Neben dem durch das Konsulat der Republik Türkei organisierten Unterricht gab es im Schuljahr 2017/18 Angebote von Konsulaten der Länder Portugal, Italien, Griechenland und Serbien. 1.c) Wie sollen künftige ideologische Einflussnahmen aus anderer Richtung ausgeschlossen werden? Zu 1.c): Konsulatsunterricht, wenn er in den Räumen einer Schule stattfindet, unterliegt der Schulaufsicht (siehe § 12 Absatz 3 Grundschulverordnung). Konsulatsunterricht außerhalb von Schule unterliegt nicht dem Einfluss der Behörde. Konsulate und Botschaften sind exterritoriales Gebiet, auf welches von Seiten des Senats keine Einflussmöglichkeiten existieren. 3 2.) Die sogenannte Didaktik der Mehrsprachigkeit beruht auf der Interdependenz-Hypothese, wonach der Zweitspracherwerb nur im Rahmen bereits erlangter muttersprachlicher Kompetenzen möglich sei; zur Tragfähigkeit dieser Hypothese gibt es keine gesicherten Erkenntnisse [Vgl.: Esser, Hartmut: MIGRATION, SPRACHE UND INTEGRATION AKI-Forschungsbilanz 4. Arbeitsstelle Interkulturelle Konflikte und gesellschaftliche Integration (AKI) Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) Berlin Januar 2006. S. 101] Sieht der Senat die „Didaktik der Mehrsprachigkeit“ als wissenschaftlich abgesichert an? Zu 2.: Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie geht nicht von einer einzigen Didaktik der Mehrsprachigkeit aus. Die Entwicklung der letzten 10 Jahre zeigt, dass international verschiedene Strömungen vertreten werden. Dazu werden die aktuellen wissenschaftlichen Studien aufbereitet und analysiert. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden dann in das Konzept zur Mehrsprachigkeit für die Berliner Schule einfließen. 3.) Die oben zitierte Studie des WZB enthält u.a. folgende Aussage: „Es gibt auch so gut wie keine systematischen empirischen Belege für die Vermutung, dass bilinguale Fertigkeiten eine über die Effekte der Zweitsprachenkompetenz hinausgehende positive Wirkung auf das soziale und psychische Wohlergehen der Migranten(kinder) haben. Es zeigt sich eher, dass nicht die Beibehaltung der Muttersprache, sondern die (sprachliche) Assimilation zu einem höheren Selbstwertgefühl und zu geringeren psychischen Problemen führt.“ [Vgl.: Esser (2006) S. 101] Verschärft die Ansprache durch zwei kontrastierende Botschaften d.h. „Das Erlernen des Deutschen ist der Schlüssel für die Zukunft“ im Gegensatz zu „Die Heimatsprache darf nicht aufgegeben werden“ nicht die psychischen Konflikte des so Adressierten, zumal eines Minderjährigen? Zu 3.: Darüber liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor. 4.) Die Studie des WZB adressiert auch die Wechselwirkung zwischen Sprache, Status und sozialer Aufwärtsmobilität: „Es deutet so gut wie alles darauf hin, dass die ethno-linguistischen Konzentrationen bzw. die damit meist deutlich kovariierenden Konzentrationen statusniedriger Kinder (und die damit verbundenen Wirkungen auf das Lernklima und die Lerneffizienz) eine der zentralen Ursachen der ethnischen Unterschiede in den schulischen (Sprach-) Leistungen sind und dass entsprechende Mischungen in den Schulen und Schulklassen ein wichtiger Teil der Lösung des Problems wären.“ [Vgl.: Esser (2006) S. 71] 4.a) Führt die geplante Anerkennung der jeweiligen Muttersprache als Prüfungsfach möglicherweise unter Schülern und Eltern zum Vorwurf, hier werde ein „Migrantenbonus“ gewährt, zumal sich die Erteilung herkunftssprachlichen Unterrichts laut Drucksache 18/13165 ausschließlich an Kinder mit der Herkunfts- bzw. Familiensprache Arabisch bzw. Türkisch richtet? 4 Zu 4. und 4.a): Eine Anerkennung der jeweiligen Herkunftssprache als Prüfungsfach findet zurzeit in Berlin nicht statt. Das Land Berlin erkennt unter bestimmten Voraussetzungen die Herkunftssprache als zweite Fremdsprache für Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache an. Antragsberechtigt sind Schülerinnen und Schüler an Gymnasien der Sekundarstufe I und der gymnasialen Oberstufe. 4.b) Falls „Ja“: Welche Auswirkungen ergäben sich daraus aus der vom Senat vorgeblich verfolgten Strategie der De-Segregation? Zu 4.b): Entfällt. 5.) Schließlich stellt sich die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhaltes. In einem Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen [Drucksache 18/0277] wird dazu aufgefordert, „die sprachliche Vielfalt in Berlin als Reichtum zu begreifen und zu entwickeln.“ Dieser Antrag vermengt zwei Sachverhalte. Jede einzelne Sprache für sich genommen verfügt über ein mehr oder minder umfassendes Maß an Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten zur Benennung von Sachverhalten. Der zitierte Antrag zielt jedoch auf die Vielzahl an Sprachen ab, welche in Berlin gesprochen werden und zwar in unterschiedlichen Milieus, die einander immer weniger zu sagen haben. Der Nutzen einer Vielzahl an Sprachen für den Zusammenhang der Gesellschaft ist fragwürdig: „Ähnliches gilt für die Funktion der Sprache als Medium der übergreifenden gesellschaftlichen Kommunikation. Auch hier ist, wie in Schulen und Betrieben, die sprachliche Vielfalt eher ein Problem: Den produktiven Aspekten steht das „Turmbau-zu-Babel-Problem“ der eingeschränkten Verständigung und kommunikativen Transaktionskosten gegenüber, und es entsteht ein Bedarf nach einer übergreifenden Lingua franca.“ [Vgl.: Esser (2006) S. 14] 5.a) Fördert der Senat die sogenannte Leichte Sprache auch als ein Medium, durch welches Träger der Gendergerechten Sprache ihre Botschaften an die Träger der Herkunftssprache Türkisch (HSU Türkisch) richten werden? Zu 5. und 5.a): Zunehmend werden Dokumente durch den Senat in die so genannte Leichte Sprache übersetzt. Dies dient dem Abbau sprachlicher Barrieren, dem auch im Zuge der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention eine wachsende Bedeutung zukommt. 5.b) Beugt sich der Senat den Forderungen des „Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg e.V.“ nach der Beibehaltung des Türkischen als „Muttersprache“? 5 Zu 5.b): Der Senat trifft seine Entscheidungen auf fachlich-sachlicher Grundlage. Berlin, den 31. August 2018 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie