Drucksache 18 / 16 163 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Oliver Friederici (CDU) vom 28. August 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. August 2018) zum Thema: Tempo-30-Zonen - warum "5" Streckenabschnitte? und Antwort vom 11. September 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Sep. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Herrn Abgeordneten Oliver Friederici (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/16163 vom 28. August 2018 über Tempo-30-Zonen - warum “5“ Streckenabschnitte? Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Verwaltung: Der Senat weist darauf hin, dass es sich bei dem Pilotversuch zur lufthygienischen und verkehrlichen Wirkung von Tempo 30 und Tempo 50 mit Verkehrsverstetigung als Maßnahmen des Luftreinhalteplans zur Reduzierung von NO2 nicht um Anordnungen von Tempo-30-Zonen, sondern jeweils um die streckenbezogene Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h handelt. Frage 1: Auf welchen Straßenabschnitten will der Senat in Berlin gegenwärtig Tempo-30 Zonen mit welchem Erkenntniserfolg einführen und testen? Antwort zu 1: Im Rahmen des Untersuchungskonzeptes zur lufthygienischen und verkehrlichen Wirkung von Tempo 30 und Tempo 50 mit Verkehrsverstetigung („grüne Welle“) als Maßnahme des Luftreinhalteplans zur Reduzierung von Stickstoffdioxid (NO2) erfolgt aktuell in Berlin ein Verkehrsversuch, inwiefern durch eine Verkehrsverstetigung bei gleichzeitiger Anordnung einer Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h in hoch belasteten Straßenabschnitten eine Reduzierung der NO2-Belastung erreicht werden kann. Die versuchsweise straßenverkehrsbehördliche Anordnung von Tempo 30 erstreckt sich auf die Straßenabschnitte Leipziger Straße (zwischen Potsdamer Platz und Markgrafenstraße), 1.160 m, Potsdamer Straße (zwischen Potsdamer Platz und Kleistpark), 1.820 m, Tempelhofer Damm (zwischen Alt-Tempelhof und Ordensmeisterstraße), 1.110 m, Hauptstraße (zwischen Innsbrucker Platz und Kleistpark), 1.620 m, Kantstraße (zwischen Amtsgerichtsplatz und Savignyplatz), 1.720 m. 2 Frage 2: Aus welchem Grunde sind es diese fünf Streckenabschnitte und wann starten und enden diese? Frage 3: Weshalb ist die Anzahl "5" gewählt worden, mit welcher Begründung? Antwort zu 2 und 3: Unter Berücksichtigung der finanziellen Rahmenbedingungen für diesen Verkehrsversuch wurden die fünf mit Stickstoffdioxid am höchsten belasteten Berliner Straßenabschnitte (Messung aus dem Jahr 2016, Jahresmittelwert) ausgewählt. Der zeitliche Beginn des Verkehrsversuchs in den einzelnen Straßen ist: Leipziger Straße: 9. April 2018 Potsdamer Straße: 8. Juni 2018 Hauptstraße: 3. September 2018 Tempelhofer Damm: 3. September 2018 Kantstraße: November 2018 Für statistisch abgesicherte Ergebnisse der Wirkung von Tempo 30 auf die Luftqualität ist eine Testphase von zwei Jahren notwendig (Tempo 50, Tempo 30 sowie Auswertung der Ergebnisse). Die Untersuchungen in allen fünf Straßenabschnitten sollen nach Vorliegen sämtlicher Untersuchungsergebnisse bis Ende 2019 abgeschlossen sein. Über einen Fortbestand von Tempo 30 für die Straßen des Untersuchungskonzeptes wird unter Berücksichtigung des jeweiligen Untersuchungsergebnisses eine Einzelfallentscheidung getroffen. Frage 4: Ist damit zu rechnen, dass nicht mit Fahrverboten für einzelne oder grundsätzlich für Fahrzeuge auf Straßen zu rechnen ist? Antwort zu 4: Hierzu muss vorangestellt werden, dass aufgrund der Grenzwertüberschreitung von Stickstoffdioxid auch Berlin vom Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission betroffen ist. In diesem Verfahren ist eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig. Im Falle einer Verurteilung drohen Strafzahlungen in empfindlicher Höhe. Die Einhaltung der Grenzwerte für NO2 (40 µg/m³ als Jahresmittelwert pro Jahr) ist zudem von Bürgerinnen und Bürgern und von Umweltverbänden vor Verwaltungsgerichten einklagbar. Die Deutsche Umwelthilfe und der BUND haben bereits 16 Städte verklagt. Seit Sommer 2016 läuft auch eine Klage gegen das Land Berlin. Alle bisher gefällten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts – BverwG [siehe Urteil des 7. Senats vom 27. Februar 2018, Az.: 7 C 30.17 (Stuttgart) und Urteil des 7. Senats vom 27. Februar 2018, Az.: 7 C 26.16 (Düsseldorf)] fordern unisono die Umsetzung ambitionierterer Maßnahmen, um angesichts der langjährigen Verfehlung der festgelegten Fristen die Einhaltung der Grenzwerte so schnell wie möglich sicherzustellen und die Höhe und die Dauer der Überschreitung zu minimieren. Dies schließt die Anordnung von 3 Fahrverboten ausdrücklich ein, wenn alle anderen Schutzmaßnahmen, hierzu gehört auch das hier beschriebene Untersuchungskonzept, nicht greifen. Wegen der andauernden Überschreitung der Grenzwerte sind auch stark einschneidende Maßnahmen verhältnismäßig. Im Rahmen der Fortschreibung des Luftreinhalteplans wird zunächst entsprechend die Wirkung von verkehrlichen Maßnahmen ohne Fahrverbote auf die Luftqualität untersucht. Hierzu gehört auch die Berücksichtigung vorläufiger Ergebnisse der laufenden Tempo-30- Untersuchung. Sollten diese Maßnahmen nicht ausreichen, um an allen Straßen die Grenzwerte einzuhalten, werden unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit auch Fahrverbote geprüft. Fahrverbote sind zum derzeitigen Zeitpunkt weder ausgeschlossen noch beschlossen. Frage 5: Sind Rückschlüsse zu ziehen auf andere Straßen nach den fünf Straßenabschnitten (und ggfs. welche)? Antwort zu 5: Rückschlüsse zu erforderlichen verkehrsbeschränkenden Maßnahmen in weiteren mit Stickstoffdioxid über dem zulässigen NO2-Grenzwert belasteten Straßenabschnitten in Hauptverkehrsstraßen können erst nach Vorliegen von ersten belastbaren Untersuchungsergebnissen aus dem aktuellen Verkehrsversuch gezogen werden. Frage 6: Welche Verbände oder Akteure sind vorab über die fünf Straßenabschnitte informiert worden? Antwort zu 6: Der Verkehrsversuch wurde im Vorfeld umfangreich unter Berücksichtigung verschiedener verkehrlicher Belange vorbereitet und in diesem Zusammenhang von der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz federführend mit der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, dem Polizeipräsidenten in Berlin, der Verkehrslenkung Berlin, dem für Lichtsignalanlagen im Land Berlin zuständigen Generalübernehmer Alliander Stadtlicht, den zuständigen Straßenbaulastträgern, Ordnungsämtern und unteren Straßenverkehrsbehörden der Bezirke, der Verkehrsmanagementzentrale (VMZ) als aktive Akteure und mit den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) aufgrund von Auswirkungen auf den Omnibuslinienverkehr abgestimmt. Frage 7: Wie hoch belaufen sich die Kosten im Einzelnen und gesamthaft bei dem vorgenannten Projekt? Antwort zu 7: Einzelpositionen können aktuell noch nicht beziffert werden, da sich der Verkehrsversuch noch im Aufbau bzw. im laufenden Betrieb befindet. Im Haushaltsplan sind für das Jahr 2018 850.000 Euro und für das Haushaltsjahr 2019 150.000 Euro hinterlegt. 4 Frage 8: Inwieweit ist durch Tempo 30 in den genannten Abschnitten mit Stau, mehr Brems- und Beschleunigungsvorgängen und weiteren Verkehrsbehinderungen zu rechnen? Antwort zu 8: Die verkehrlichen Auswirkungen von streckenweisem Tempo 30 auf den fünf Straßenabschnitten des Untersuchungskonzeptes werden im Rahmen umfangreicher Erhebungen zur verkehrlichen Ausgangssituation bei Tempo 50 und anschließend bei Tempo 30 ermittelt (Verkehrsqualität, Stausituationen, Informationen über Veränderungen des Verkehrsaufkommens auf dem betroffenen Streckenabschnitt). Um die verkehrliche Situation bei Tempo 50 repräsentativ erfassen zu können, müssen Daten über einen Zeitraum zwischen vier und sechs Monaten (außerhalb der Schulferienzeit) bei Tempo 50 und bei Tempo 30 vorliegen. Eine belastbare Aussage zu den verkehrlichen Auswirkungen auf die unterschiedliche Fahrgeschwindigkeit ist erst nach Vorliegen von belastbaren Untersuchungsergebnissen aus dem aktuellen Verkehrsversuch möglich. Berlin, den 11.09.2018 In Vertretung Stefan Tidow Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz