Drucksache 18 / 16 195 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Emine Demirbüken-Wegner (CDU) vom 31. August 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. September 2018) zum Thema: Wer schützt den Kinderschutz im Land Berlin? und Antwort vom 20. September 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Sep. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Frau Abgeordnete Emine Demirbüken-Wegner (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/16195 vom 31. August 2018 über Wer schützt den Kinderschutz im Land Berlin? ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat die Vielzahl der Berichte in den Berliner Medien über die Sommermonate zu den desolaten Zuständen im Bereich des bezirklichen Kinderschutzes? Inwieweit decken sich diese Darstellungen mit den Einschätzungen des Senats? 5. Wie stellt sich der Senat zu dem Vorwurf von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der gleichen Abendschau-Sendung, dass sie sich mit den Problemen im Bereich des Kinderschutzes vom Senat allein gelassen fühlen? Wie stellt sich der Senat insbesondere zu dem Vorwurf, dass es immer noch keine Ausführungsvorschriften für den Bereich gibt und Kinder in akuten Krisen wegen Platzmangels nicht untergebracht werden können? 6. Was will der Senat tun, um kurzfristig Entlastung in diesem Bereich zu schaffen, damit den betroffenen Kindern nachhaltig und schnell geholfen werden kann? Zu 1., 5. und 6.: Der Senat mißt der Arbeit der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in den Jugendämtern, die täglich eine hohe Verantwortung bei der Wahrnehmung des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdungen übernehmen, eine hohe Bedeutung bei. Deshalb wurden in den bezirklichen Jugendämtern seit dem 01.01.2015 insgesamt 180 zusätzliche Personalstellen geschaffen. Damit konnte die Anzahl der finanzierten Stellen von 710,76 (Stand 01.01.2015) auf 891,2 zum 01.07.2018 gesteigert werden. Der Senat weiß um die hohe Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aufgrund des Fachkräftemangel, durch deutlich längere Vakanzen bei zu besetzenden Stellen und durch die Zunahme der Personalfluktuation, entsteht. 2 Allerdings kann das Bild, das in den Medien zur Situation des Kinderschutzes in Berlin, insbesondere in der rbb-Abendschau vom 19.08.2018, vermittelt wurde, nicht bestätigt werden. Dass Kinder und Jugendliche, die von Gewalt und Misshandlung betroffen sind, wegen Platzmangel in Berlin nicht untergebracht werden können, ist nicht zutreffend. Eine Rückführung von Kindern zu Eltern, von denen Gewalt gegen Kinder ausgeht, ist weder zulässig noch reale Praxis in den Jugendämtern. Im Rahmen einer Gesetzesänderung hat der Senat ab dem 01.01.2018 die Verantwortung und Zuständigkeit für den Berliner Notdienst Kinderschutz (BNK) wieder übernommen. Der BNK ist ganzjährig für die sofortige Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Notsituationen zuständig. Damit können Berliner Kinder und Jugendliche in Krisensituationen jederzeit sicher untergebracht werden. Eine Abweisung aufgrund von fehlenden Platzkapazitäten, wie in oben genanntem Bericht dargestellt, findet nicht statt. Das Bezirksamt Marzahn – Hellersdorf hat zwischenzeitlich zum Bericht der rbb-Abendschau vom 19.08.2018 eine Pressemitteilung verfasst. https://www.berlin.de/ba-marzahnhellersdorf /aktuelles/pressemitteilungen/2018/pressemitteilung.733572.php Für den Bereich des Kinderschutzes gelten nach wie vor die Gemeinsamen Ausführungsvorschriften über die Durchführung von Maßnahmen zum Kinderschutz in den Jugend- und Gesundheitsämtern der Bezirksämter des Landes Berlin (AV Kinderschutz JugGes) vom 08. April 2008. Die Ausführungsvorschrift wird derzeit aktualisiert. 2. Wie hat sich seit der letzten Personalerhebung in diesem Bereich – Stichtag 1.1.2017 – die Zahl der besetzten und unbesetzten Stellen in den Bezirken mit welchen Folgen für den Kinderschutz verändert? Bitte dazu um eine erläuternde tabellarische Gegenüberstellung der Jahre 2017 und 2018. Zu 2.: Seit dem Erhebungsstichtag 01.01.2017 ist die Zahl der besetzten Stellen im Arbeitsbereich Regionaler Sozialpädagogischer Dienst der Jugendämter berlinweit um 21,5 Vollzeitäquivalenten (VZÄ) gestiegen und beträgt 747,1 VZÄ (Stand 01.07.2018). Bei gleichzeitigem Stellenzuwachs ist im gleichen Zeitraum auch die Zahl der unbesetzten Stellen um 16,4 auf 144,1 VZÄ angewachsen. Die Aufschlüsselung nach Bezirken ist der folgenden Tabelle zu entnehmen. 3 Bezirk 1) Anzahl besetzter RSD Stellen 2 3 4) (Planstelle n) Anzahl unbesetzte r RSD Stellen 5) Anzahl besetzter RSD Stellen 2 3 4) (Planstelle n) Anzahl unbesetzte r RSD Stellen 5) Differen z besetzte Stellen Differen z unbesetzte Stellen Nr . in VZÄ in VZÄ in VZÄ in VZÄ in VZÄ in VZÄ zum Stichtag 01.01.2017 zum Stichtag 01.07.2018 01.07.2018 - 01.01.2017 1 Mitte 75,6 12,0 80,9 6,8 5,3 -5,2 2 Friedrichshain- Kreuzberg 63,0 12,5 70,5 8,0 7,5 -4,5 3 Pankow 63,2 11,9 75,1 10,9 11,9 -1,0 4 Charlottenburg- Wilmersdorf 50,4 15,8 47,6 18,0 -2,8 2,2 5 Spandau 54,6 14,8 57,3 14,4 2,7 -0,4 6 Steglitz-Zehlendorf 39,4 14,4 46,4 8,9 7,0 -5,4 7 Tempelhof- Schöneberg 67,2 13,8 59,2 25,8 -8,0 12,0 8 Neukölln 76,7 5,2 76,0 9,9 -0,7 4,7 9 Treptow-Köpenick 39,0 5,0 44,0 6,0 5,0 1,0 10 Marzahn-Hellersdorf 75,1 7,0 66,0 17,7 -9,1 10,7 11 Lichtenberg 67,3 7,0 65,2 9,9 -2,1 2,9 12 Reinickendorf 54,0 8,4 59,0 7,7 5,0 -0,7 Berlin 725,6 127,7 747,1 144,1 21,5 16,4 Anmerkungen: 1) Quelle: Abfrage bei den Bezirken zu den Erhebungsstichtagen 01.01.2017 sowie 01.07.2018. 2) Die Planstellen umfassen alle Stellen inkl. Langzeiterkrankter. 3) Die Planstellen umfassen die unbefristeten Stellen aus dem Prozess der AG Wachsende Stadt. 4) Die Stellen umfassen den RSD im engeren Sinne (ohne Verwaltung, Regionalleitung, Eingliederungshilfe, Jugendberufshilfe, Pflegekinderdienst, Wirtschaftliche Hilfe). 5) unbesetzte Stellen, die lt. Stellenplan dem RSD zugeordnet sind und nicht an anderer Stelle genutzt werden. Kinderschutzfälle werden gemäß der Gemeinsamen Ausführungsvorschriften über die Durchführung von Maßnahmen zum Kinderschutz in den Jugend- und Gesundheitsämtern der Bezirksämter des Landes Berlin (AV Kinderschutz JugGes), in den Jugendämtern prioritär bearbeitet. In mehreren Jugendämtern wurden zur Bearbeitung von Kinderschutzfällen neben dem Regionalen Sozialpädagogischen Dienst, sogenannte Kriseninterventionsteams zusätzlich eingerichtet. 3. Aus welchen Gründen hat sich der Senat in seiner Antwort 18/13532 verweigert, auf die Frage der stetigen Erhöhung von Kinderschutzfällen pro Mitarbeiterin bzw. Mitarbeiter in den letzten Jahren konkret zu antworten? Warum hat er dafür besondere regionalen Organisationsgegebenheiten der Dienste verantwortlich gemacht? Zu 3.: Eine statistische Erhebung der Kinderschutzfälle pro sozialpädagogischer Fachkraft steht dem Senat nicht zur Verfügung. In der Bundesstatistik Kinder- und Jugendhilfestatistik Teil I. 8 wird die Anzahl der abgeschlossenen Kinderschutzfälle 4 pro Bezirk erhoben. Hieraus lässt sich eine fachkraftbezogene Auswertung nicht ermitteln. Bezirkliche Erhebungen zu Fallzahlen pro sozialpädagogischer Fachkraft beziehen sich nicht nur auf sogenannte Kinderschutzfälle, sondern immer auf alle Fallkonstellationen die im regionalen Sozialpädagogischen Dienst zu bearbeiten sind. 4. Treffen die Aussagen des Jugendstadtrates Gordon Lemm (SPD) in der rbb-Abendschau vom 19. 8.2018 zu, dass die Bezirke vom Senat eine Begrenzung von 65 Fällen pro Mitarbeiterin bzw. Mitarbeiter in einem unlängst darüber geführten Gespräch mit Senatsverantwortlichen einforderten? Wenn ja, wann fand das Gespräch statt und welche weiteren Forderungen wurden mit welchem Ergebnis besprochen? Zu 4.: Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie hat bereits 2015 im Rahmen eines Berichtes an den Unterausschuss Bezirke des Hauptausschusses (Identifikation von Maßnahmen zur nachhaltigen Sicherung der Aufgabenerfüllung der Berliner Jugendämter Bez 0016 O) die fachliche Verständigung auf eine Soll-Fallzahl von 1:65 unter Einhaltung der fachlichen Standards dargestellt. Eine abschließende konsensuale Auffassung mit den Bezirken zu einer verbindlichen Regelung für den Regionalen Sozialpädagogischen Dienst liegt nicht vor. 7. Welches Konzept verfolgt der Senat, um die Rahmenbedingungen für den Kinderschutz in den Bezirken kurz- und langfristig zu verbessern? Welche Rolle spielt dabei der Integrierte Maßnahmenplan gegen sexuelle Gewalt (IMP)? 8. Wie will der Senat seiner Verantwortung im Bereich des Kinderschutzes künftig besser nachkommen, damit von einem wirklichen Kinderschutz ohne Wenn und Aber gesprochen werden kann? 9. Welche Maßnahmen will der Senat überdies ergreifen, um die Anerkennung der Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich des Berliner Kinderschutzes spürbar zu verbessern? Zu 7., 8. und 9.: Für die Verbesserung der Rahmenbedingungen bedarf es insbesondere eines angemessenen Stellenrahmens (1:65) sowie einer deutlichen Minderung der Stellenvakanzen. Für die Besetzung der Stellen sind die Bezirke verantwortlich. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Steigerung der Attraktivität des Berufsfeldes. Gemeinsam mit den Bezirken werden eine Reihe von Maßnahmen entwickelt werden, die eine stärkere Fachkräftegewinnung ermöglichen. Dazu gehören: 1. Die Entwicklung eines dualen Studienganges Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Kinder und Jugendhilfe. Der duale Studiengang, zu dem die Studentinnen und Studenten einen Ausbildungsvertrag mit den Jugendämtern abschließen, bereitet insbesondere auf die Arbeit in den regionalen Sozialpädagogischen Diensten der bezirklichen Jugendämter vor. 2. Erstmalige Teilnahme der Jugendämter auf dem Berlin – Tag am 22.09.2018 zur Vorstellung der Arbeitsfelder der Jugendämter. 3. Schaffung der Möglichkeit einer Stipendienvergabe für den Studiengang Soziale Arbeit. 5 Gleichzeitig verfolgt der Senat mit großem Nachdruck das Ziel, in den Anfang 2019 stattfindenden Tarifverhandlungen zum TV-L eine verbesserte Eingruppierung der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in den Regionalen Sozialpädagogischen Diensten zu erreichen. Parallel dazu wird das seit 2007 bestehende Netzwerk Kinderschutz kontinuierlich weiterentwickelt und ausgebaut. Im Rahmen der ressortübergreifenden Zusammenarbeit im Netzwerk Kinderschutz werden in dieser Legislaturperiode weitere ressortübergreifende Vorhaben zur Sicherung des Kinderschutzes umgesetzt. Derzeit wird ein mobiles Schulungsteam Kinderschutz eingesetzt um alle hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Einrichtungen für geflüchtete Menschen im Kinderschutz zu schulen. Das ebenfalls neue Projekt Jugendnotmail (Start am 10.09.2018) ist eine kostenlose Online – Beratung für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen. Die Beratung erfolgt innerhalb von 48 Stunden durch Fachkräfte und stellt bei Bedarf die Vermittlung zu einer Face-to-Face-Beratung des Kinderschutzzentrums Berlin sicher. Weitere Projekte, wie die 5 regionalen Kinderschutzambulanzen, die Gewaltschutzambulanz, die Ausweitung des Modellprojektes Notunterkunft für obdachlose Familien mit Kindern und die Ausweitung der Babylotsenprojekte auf alle Geburtskliniken, unterstützen die Arbeit im Kinderschutz. Zum weiteren Ausbau des Netzwerkes Kinderschutz gehört auch die weitere Umsetzung der im Integrierten Maßnahmenplan gegen sexuelle Gewalt empfohlenen Maßnahmen für eine effektive Prävention sexualisierter Gewalt an Minderjährigen. Berlin, den 20. September 2018 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie