Drucksache 18 / 16 373 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tim-Christopher Zeelen (CDU) vom 04. September 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. September 2018) zum Thema: Junge Pflegende in Berlin und Antwort vom 24. September 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Sep. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Herrn Abgeordneten Tim-Christopher Zeelen (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/16373 vom 04. September 2018 über Junge Pflegende in Berlin ________________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren gibt es in Berlin schätzungsweise, die Familienangehörige pflegen? Zu 1.: Laut einer Studie des Zentrums für Qualität in der Pflege aus dem Jahr 2016 sind bundesweit 5% aller Kinder und Jugendlichen in der Altersgruppe zwischen 12 bis 17 Jahren aktiv in die Pflege eines Angehörigen eingebunden. Um diese Zahlen für Berlin zu verifizieren , die Bedarfslage zu konkretisieren und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, wurde 2017 die Fachstelle für pflegende Angehörige in Trägerschaft des Diakonischen Werks Berlin Stadtmitte e.V. mit einer Untersuchung an zufällig ausgewählten Berliner Schulen beauftragt. An dieser Untersuchung nahmen von 98 angefragten Schulen 6 über das Stadtgebiet verteilte Schulen mit 648 Befragten zwischen 12 und 17 Jahren teil. Das Ergebnis wies aus, dass etwa 6,8% der befragten Kinder und Jugendlichen nach eigenem Bekunden über das normale Maß hinaus sich an Pflege und Versorgung beteiligen. Übertragen auf alle Kinder und Jugendlichen der Jahrgangsstufen 12-17 ergibt dies rechnerisch rund 11.000 Kinder und Jugendliche in Berlin, die sich über das normale Maß hinaus an Pflege und Versorgung beteiligen. 2. Was tut der Senat, um die Kinder und Jugendlichen, die bei der häuslichen Pflege ihrer Angehörigen mithelfen (müssen), zu entlasten? Zu 2.: Die Probleme pflegender Kinder und Jugendlichen fanden in der Vergangenheit nicht ausreichende Beachtung. Das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) hatte Ende 2016 bundesweit auf den Handlungsbedarf hingewiesen. - 2 - 2 Berlin nimmt - insbesondere über die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung - bundesweit eine Vorreiterrolle im Umgang mit der Problematik ein: - 2013: erstmals öffentlichkeitswirksam Ehrung einer pflegenden Jugendlichen mit dem Berliner Pflegebär im Rahmen der Woche für pflegende Angehörige. Auch 2015 und 2017 wurden Jugendliche geehrt. Seit 2015 gibt es auf der Woche der pflegenden Angehörigen eine spezifische kulturelle Veranstaltung für pflegende Jugendliche. Ziel ist, ihnen eine Auszeit zu ermöglichen und den Kontakt zu anderen pflegenden Jugendlichen zu befördern . - 2015: Fachstelle für pflegende Angehörige und Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung berücksichtigen pflegende Jugendliche als spezifische Gruppe pflegender Angehöriger durch ein eigenes Kapitel im „Maßnahmenplan zur Unterstützung pflegender Angehöriger“ - 2016/17: Dialogveranstaltungen im Rahmen des Arbeitskreises sektorenübergreifende Versorgung; hieraus entstand in Kooperation mit dem Projekt EPYC – einem mit EU- Mitteln finanzierten Projekt in Koordination des Diakonischen Werks Berlin Stadtmitte e.V. - eine bundesweite Fachveranstaltung, die am 07.05.2018 stattfand. - 2017: Evaluation „Pflegende Kinder und Jugendliche in Berlin – Analyse der Ist-Situation und Handlungsempfehlungen“. - 9/2017: Start der Onlineberatung www.echt-unersetzlich.de bei Pflege in Not: anonyme Onlineberatung und weiterführende Informationen für pflegende Jugendliche und junge Erwachsene; Sen GPG und AOK Nordost erhöhen zudem 2018 die Förderung von „Pflege in Not“ um jeweils 20.000 €. Dies ermöglicht es dem Träger, in Ergänzung der Onlineberatung über eine Krisenberatung hinaus im Rahmen des in den Vorjahren erprobten Handlungsansatzes „Familiengespräche“ sowie im Rahmen der psychologischen Begleitung Betroffene intensiver zu begleiten und sie in diesem Kontext an weiterführende Hilfen durch andere Stellen (wie Familien-, Jugend-, Bildungs-, Gesundheitsbereich) heranzuführen . - 2017-2018: Das Projekt EPYC erstellt u.a. Informationsmaterialien für Kinder und Jugendliche aus krankheits-belasteten Familien sowie Arbeitshilfen und Informationsmaterialien für Fachkräfte der Bereiche Bildung, Jugend und Familie bzw. Gesundheit und Pflege. - 2018: Der Senat plant, noch in 2018 eine „Berliner Strategie zur Unterstützung pflegender Angehöriger“ vorzulegen. Hierin ist das Thema berücksichtigt. 3. Gibt es Beratungsstellen für Kinder und Jugendliche in dieser Lebenssituation? Wenn ja, welche, wie erfolgt das Hilfsangebot und wie viele Kinder und Jugendliche haben dieses seit 2016 jährlich in Anspruch genommen? Wenn nein, warum nicht? Zu 3.: Für pflegende Jugendliche und junge Erwachsene bietet das Projekt www.echt unersetzlich …!? von Pflege in Not Beratung an. Beratungsanfragen gibt es derzeit noch wenige. Das Projekt hat bisher acht Klientinnen und Klienten beraten. Teilweise werden diese wahrscheinlich über einen längeren Zeitpunkt beraten und begleitet. Kinder und Jugendliche benötigen in der Regel für den Zugang zu Hilfen die Unterstützung von Fachkräften in Form von Information, Ermutigung, Vermittlung und Überleitung. Hier sind insbesondere der Bildungs-, Jugend- und Familienbereich, aber auch der Pflege- und Gesundheitsbereich gefordert. Darüber hinaus gibt es bereichsspezifische Angebote, wie das Angebot der Krebsgesellschaft Berlin. Einige Gruppenangebote werden auch im Bereich Geschwisterkinder, also - 3 - 3 Geschwister von behinderten oder kranken Kindern, angeboten. Hier ist die Björn-Schulz- Stiftung zu nennen. Auch Kinder psychisch kranker Eltern oder suchtkranker Eltern übernehmen Pflegeverantwortung. Sie unterstützt u.a. das Projekt sunny side up. Das im Projekt EPYC erarbeitete Handbuch „Kinder und Jugendliche aus krankheitsbelasteten Familien“ listet für Berlin und das Bundesgebiet Anlaufstellen, Netzwerke und Beratungsstellen auf. Ein Auszug ist als Anlage beigefügt. 4. Existiert für pflegende Kinder und Jugendliche ein Beratungstelefon? Wenn ja, wie viele Kinder und Jugendliche haben dieses seit 2016 jährlich in Anspruch genommen? Wenn nein, warum nicht? Zu 4.: Das BMFSFJ hat das Thema ebenfalls aufgegriffen und Anfang 2018 unter Nutzung Berliner Vorarbeiten auf Bundesebene das Projekt „Pausentaste“ eingerichtet: www.pausentaste.de. (insbes. Kinder- und Jugendtelefon sowie Email-Beratung durch „Nummer gegen Kummer e.V.“). Das Projekt www.echt unersetzlich…!? ist derzeit konzeptionell ausgerichtet auf den Zugangsweg „Online“, weil dieser Zugangsweg nach bisheriger Einschätzung von der Zielgruppe primär genutzt wird. Die Zugriffszahlen auf die Internetpräsenz www.echtunersetzlich .de steigen kontinuierlich. Hierbei wird der Onlineberatungsbereich durchschnittlich 250 Mal im Monat besucht. Für eine kontinuierliche telefonische Erreichbarkeit reichen die zur Verfügung stehenden Personalkapazitäten zudem nicht aus. Durch die unmittelbare Anbindung an Pflege in Not ist aber gleichzeitig auch eine telefonische Erreichbarkeit gewährleistet. 5. Welche Bestrebungen gibt es in den Berliner Krankenhäusern, die betroffenen Kinder und Jugendliche bei der Pflege kranker Angehöriger einzubinden? Zu 5.: Zu dieser Frage liegen dem Senat keine eigenen Erkenntnisse vor. Deswegen wurde die Frage an die Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) weitergeleitet. Die BKG teilte mit: „Die Pflege von Patienten in Berliner Krankenhäusern wird durch geschultes Fachpersonal durchgeführt. Informationen oder gar Hinweise darauf, dass Kinder und Jugendliche bei der Pflege kranker Angehöriger eingebunden werden, liegen der BKG nicht vor.“ 6. Welche Erfahrungen haben die Berliner Jugendämter mit Kindern und Jugendlichen, die ihre Familienangehörigen pflegen (müssen)? Bitte Erfahrungsberichte der Berliner Jugendämter auflisten. Zu 6.: Informationen zu Umfängen von Beratungen in diesem Kontext oder Erfahrungsberichten der Berliner Jugendämter über diesen Sachverhalt liegen der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung nicht vor. 7. Inwiefern ist die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie mit Schülern in der oben benannten besonderen Lebenssituation befasst? - 4 - 4 Zu 7.: Hierzu liegen der für Bildung, Jugend und Familie zuständigen Senatsverwaltung keine Erkenntnisse oder weitergehenden Informationen vor. 8. Welche Unterstützung erfahren Kinder und Jugendliche von Lehrkräften und Sozialarbeitern in den Berliner Schulen, um mit diesem Thema zeitlich und psychisch umzugehen? Zu 8.: Hierzu liegen der für Bildung, Jugend und Familie zuständigen Senatsverwaltung keine Erkenntnisse oder weitergehenden Informationen vor. 9. Welche Projekte fördert der Senat, um junge Pflegende zu unterstützen bzw. was plant er künftig? Zu 9.: Die Ergebnisse der Studie 2017 deuten auf einen Handlungsbedarf hin. Sie sind eine gute Grundlage, um benötigte Hilfen und Unterstützungsleistungen zu konkretisieren und in der Folge zu etablieren. In der „Berliner Strategie zur Unterstützung pflegender Angehöriger“ wird hierzu ausgeführt: „Für die Entwicklung und Etablierung der für Berlin benötigten Hilfsangebote ist eine enge Zusammenarbeit der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung mit der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie notwendig. Im Fokus steht zunächst insbesondere die Sensibilisierung wesentlicher Multiplikatorinnen und Multiplikatoren (Lehrerinnen und Lehrer, schulische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Sportvereine, Fachkräfte ambulanter Pflegedienste etc.). Hierfür liegen von Pflege in Not und dem EPYC-Projekt erarbeitete Arbeitshilfen für Fachkräfte aus dem Erziehungs-, Bildungsbereich und Pflegebereich vor. Aufgabe der zuständigen Senatsverwaltungen ist es, in ihren Zuständigkeitsbereichen den Eingang dieser Materialien in die Praxis zu befördern und die Schulung und Begleitung der Fachkräfte sicher zu stellen. Für die Konzipierung und Weiterentwicklung benötigter Angebote wird ein von der für Bildung, Jugend und Familie zuständigen Senatsverwaltung koordinierter Arbeitskreis eingerichtet, an dem sich die relevanten Akteure beteiligen.“ Berlin, den 24. September 2018 In Vertretung Barbara König Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung