Drucksache 18 / 16 436 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Hakan Taş (LINKE) vom 12. September 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. September 2018) zum Thema: Besuch des türkischen Staatspräsidenten – Strafbarkeiten und Versammlungen und Antwort vom 24. September 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Sep. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 4 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Herr Abgeordneter Hakan Taş (Linke) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/16436 vom 12. September 2018 über Besuch des türkischen Staatspräsidenten – Strafbarkeiten und Versammlungen ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Nach einer Agenturmeldung (https://anfdeutsch.com/aktuelles/Sengal-proteste-erdogan-ist-einmoerder -und-faschist-6186) wurden von mehreren Personen am 18.08.2018 im Rahmen einer Kundgebung auf dem oder um den Alexanderplatz die Personalien festgestellt. a. Kann der Senat den in der Meldung beschriebenen Sachverhalt bestätigen? b. Wenn ja, wie viele Personen waren von den polizeilichen Maßnahmen in welchem Umfang betroffen ? Zu 1. a. und b.: Es ist zutreffend, dass im Zusammenhang mit der genannten Versammlung die Identität von vier Personen durch die vor Ort eingesetzten Polizeidienstkräfte aufgrund des Anfangsverdachts von Straftaten festgestellt wurde. Die vier genannten Personen wurden nach Beendigung der polizeilichen Maßnahmen am Ort entlassen. c. Gegen wie viele Personen wurden strafrechtliche Ermittlungen aufgrund welcher vermuteten Verstöße (Sachverhalt und möglicherweise verletzte Strafnorm) eingeleitet? Zu 1. c.: Im Rahmen der Einsatzbewältigung im Zusammenhang mit der bezeichneten Versammlung wurden gegen vier Personen Strafverfahren eingeleitet. Die Erfassungsgründe dieser Verfahren sind in drei Fällen Beleidigungen gemäß § 185 des Strafgesetzbuches (StGB) und in einem Fall ein Verstoß gegen § 20 Absatz 1 Nummer 4 des Vereinsgesetzes. 2. Wie beurteilt der Senat die Strafbarkeit der Parole „Erdoğan ist ein Mörder und Faschist“? Falls der Senat die Parole als strafbar beurteilt, ist dies auf die Bezeichnung „Mörder“ oder „Faschist“ oder beide Bestandteile gestützt? Zu 2.: Seite 2 von 4 Bei Äußerungen im Rahmen öffentlicher und politischer Meinungsbildung sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Grenzen der freien Meinungsäußerung gemäß Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) weit zu fassen. In Angelegenheiten des politischen Meinungskampfes und von öffentlichem Interesse gilt zudem eine Vermutung zugunsten der Meinungsäußerungsfreiheit. Dies gilt auch für Äußerungen über Personen. Die strafrechtliche Bewertung verbaler Äußerungen im Rahmen von öffentlichen Kundgebungen obliegt dabei in erster Linie den Strafverfolgungsbehörden und gegebenenfalls im weiteren Verfahren auch den damit befassten Strafgerichten. Hinsichtlich der Losung "Erdoğan ist ein Mörder und Faschist" vertritt die Staatsanwaltschaft Berlin die Auffassung, dass eine Strafbarkeit unter Berücksichtigung der vorbezeichneten Schutzwirkung von Artikel 5 Absatz 1 GG grundsätzlich nicht anzunehmen ist. 3. Sind dem Senat Ermittlungsverfahren wegen der Bezeichnung der Bundeskanzlerin, anderer Regierungsmitglieder in Deutschland oder von Repräsentanten anderer Staaten bekannt, die darauf beruhen, dass die Betroffenen als „Mörder“ bezeichnet wurden? Zu 3.: Weder der Wortlaut einer Beleidigung noch die Opferrolle der Geschädigten oder des Geschädigten als z.B. „Politiker/in“ oder „Regierungsmitglied“ werden im Rahmen der Erfassung einer Strafanzeige im polizeilichen Landessystem zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung (POLIKS) statistisch erfasst; sie stellen somit kein recherchefähiges Kriterium dar. Dies gilt ebenso für den Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK). 4. Für den 28. und 29. September sind mehrere Kundgebungen und Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Besuch des türkischen Staatspräsidenten geplant: a. Welche sind dem Senat für welchen Zeitraum und Ort bekannt? Zu 4. a.: Mit Stand vom 18. September 2018 liegen der Versammlungsbehörde Berlin folgende Versammlungsanmeldungen mit einem Bezug zum Staatsbesuch des türkischen Staatspräsidenten vor: Datum Beginn Ende Art der Versammlung Veranstaltungsort Thema 28.09.18 08:00 18:00 Kundgebung Berlin-Mitte „Menschenrechte für Minderheiten in der Türkei“ 28.09.18 08:00 18:00 Kundgebung Berlin-Mitte „Menschenrechte für Minderheiten in der Türkei“ 28.09.18 11:00 14:00 Kundgebung Berlin-Mitte "Protestaktion gegen die unrechtmäßige Inhaftierung von JournalistInnen in der Türkei" 28.09.18 15:00 20:00 Kundgebung Berlin-Mitte "Erdogan - nicht willkommen " 28.09.18 16:00 21:00 Aufzug City-West "Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Europa und der Tür- Seite 3 von 4 kei" 28.09.18 16:00 22:00 Aufzug City-West "Erdogan not Welcome " 28.09.18 17:30 21:30 Kundgebung Berlin-Mitte "Protestaktion gegen die unrechtmäßige Inhaftierung von JournalistInnen in der Türkei" 28.09.18 18:00 21:00 Kundgebung Berlin-Mitte "Protestaktion gegen den Staatsbesuch des Staatspräsidenten der Republik Türkei Recep Tayyip Erdogan" 29.09.18 12:00 18:00 Aufzug Berlin-Mitte "Erdogan not Welcome " b. Welche Auflagen sind zu den unter a. genannten Kundgebungen und Demonstrationen jeweils erlassen worden? Zu 4. b.: Die Berliner Versammlungsbehörde konnte noch keine abschließende Beurteilung der vorliegenden Versammlungsanmeldungen vornehmen, da der Polizei Berlin lediglich ein vorläufiges Besuchsprogramm vorlag. Insofern wurden bislang keine Auflagen erteilt. c. Ist es für die Entscheidung über Auflagen und/oder die Ausgestaltung einer Kundgebung oder Demonstration für den Senat erheblich, ob Herr Erdoğan in potentieller Sicht- und Hörweite der Versammlung ist? Zu 4. c.: Die von Artikel 8 Absatz 1 GG und Artikel 26 der Verfassung von Berlin gewährleistete Versammlungsfreiheit beinhaltet das Recht der Veranstalterin oder des Veranstalters , grundsätzlich selbst über den Ort der Versammlung und die Art und Weise der Durchführung zu bestimmen. Davon erfasst ist grundsätzlich auch die Durchführung einer Versammlung in Sicht- und Hörweite zu einem begehrten Ereignis, Objekt oder einer bestimmten Person. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Bei Konflikten sind die beteiligten Interessen demnach gegeneinander abzuwägen und im Wege der praktischen Konkordanz in Ausgleich zu bringen. Bei der Vielzahl unterschiedlichster Veranstaltungen und Versammlungen, die nicht zwangsläufig nur im Zusammenhang mit der Anwesenheit des türkischen Staatspräsidenten stehen, wird es zu Kollisionen widerstreitender Interessen und Überschneidungen bei der Wahl von Örtlichkeiten und Zeiten kommen. Unter Beachtung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit wird die Polizei Berlin mit Blick auf die Gesamtumstände und unter Abwägung aller betroffenen Interessen einen Ausgleich durch praktische Konkordanz schaffen, die dem Einzelnen die Wahrnehmung seiner jeweiligen Rechte in größtmöglichem Umfang ermöglicht. 5. Wurden in der Vergangenheit Auflagen zu Inhalten bei Versammlungen kurdischer Gruppen oder bei anderen gegen die türkische Regierung gerichteten Versammlungen erlassen? Wenn ja, welche ? Seite 4 von 4 Zu 5.: In der Vergangenheit wurde bei Versammlungen im Sinne der Fragestellung vornehmlich die folgende Auflage erteilt: „Das Werben für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sowie deren Nachfolge- und Tochterorganisationen in Wort, Schrift oder Bild wird untersagt. Kennzeichen, Symbole oder Embleme dieser Organisationen sowie Bilder des Vorsitzenden Abdullah Öcalan dürfen weder auf Fahnen, Transparenten noch sonst mitgeführt werden.“ Im Hinblick auf die zu damaliger Zeit nicht abschließend geklärte Rechtslage und den noch existenten § 103 StGB musste im Jahr 2016 bei einigen Versammlungen das Zitieren des Böhmermann-Gedichtes „Schmähkritik“ mit der folgenden Auflage untersagt werden: „Das öffentliche Zeigen oder Rezitieren des Gedichts „Schmähkritik“ von Jan Böhmermann oder einzelner Textpassagen daraus wird untersagt. Ausgenommen hiervon ist die bloße Namensnennung des Titels „Schmähkritik“. Diese bleibt in Wort oder Schrift im Rahmen Ihrer Versammlung ausdrücklich erlaubt.“ Da in Einzelfällen erteilte Auflagen bei der Versammlungsbehörde nicht gesondert erfasst werden, sind weitere Ausführungen hierzu nicht möglich. 6. Gibt es Anweisungen, Rundschreiben oder ähnliche Mitteilungen der Polizei Berlin, in denen mehrere oder einzelne Parolen, Aussagen oder Sprüche als zulässig oder unzulässig beschrieben werden, wenn ja, welche, wenn nein, wie wird die Entscheidung über solche Sachverhalte bei Versammlungen getroffen? Zu 6.: Es gibt keine verbindlichen Vorschriften oder Dienstanweisungen der Polizei Berlin, in denen mehrere oder einzelne Parolen, Aussagen oder Sprüche als zulässig oder unzulässig beschrieben werden. Bei Versammlungen vor Ort obliegt der Polizeieinsatzleitung die Entscheidung. Sie hat dazu im Rahmen der Durchführung von Großversammlungslagen die Möglichkeit , für rechtliche Einschätzungen Mitarbeitende von Fachdienststellen, das Justiziariat der Polizei Berlin oder sogar die Staatsanwaltschaft Berlin beratend zur Grundlage von Einzelfallentscheidungen einzubinden. Berlin, den 24. September 2018 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport