Drucksache 18 / 16 475 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Gabriele Gottwald, Katalin Gennburg und Harald Gindra (LINKE) vom 14. September 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. September 2018) zum Thema: Ansiedlung von Tech-Firmen - Auswirkungen auf Kiezstrukturen, Mieten und lokales Gewerbe und Antwort vom 27. September 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Okt. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Frau Abgeordnete Katarina Gennburg und Herrn Abgeordneten Harald Gindra (Linke) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/16475 vom 14. September 2018 über Ansiedlung von Tech-Firmen - Auswirkungen auf Kiezstrukturen, Mieten und lokales Gewerbe Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie beurteilt der Senat Auswirkungen und strukturelle Dominanz der Ansiedlung von Tech-Unternehmen und „Tech-Bros“ (TECHnical BROtherS = sogenannte technical community) hinsichtlich der Auswirkungen auf Kiezstrukturen, Anwohner, Kleingewerbe und Wohnumfeld (bitte, wenn möglich, mit Daten/ Statistiken/ Studien konkretisieren)? Antwort zu 1: Laut Untersuchung der landeseigenen Investitionsbank Berlin ist die Branche Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) seit einigen Jahren bedeutender Wachstumstreiber in der Bundeshauptstadt. Im Zeitraum 2008 bis 2016 sind in der Digitalen Wirtschaft Berlins 36.380 neue Arbeitsplätze entstanden, was einem Wachstum von 89,1% entspricht. In der gesamten Berliner Wirtschaft lag das Wachstum von Arbeitsplätzen zum Vergleich bei 22,7%. Dieser Anstieg von Arbeitsplätzen führt auch zu gesteigerten Wohnraumnachfrage und Infrastrukturnachfrage. Daten, Statistiken und Studien zu Auswirkungen von Tech-Unternehmen und Tech-Bros auf Kiezstrukturen, Anwohner, Kleingewerbe und Wohnumfeld sind dem Senat leider nicht bekannt. Frage 2: Wie beurteilt der Senat in diesem Zusammenhang die zu beobachtenden Mietsteigerungen nach Ansiedlung von Tech-Firmen, auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen anderer Städte weltweit? Wie wird dadurch die Verknappung des regulären Mietwohnungsmarktes eingeschätzt, wie die Verknappung von kleingewerblichen Versorgungsstrukturen des Alltags? 2 Antwort zu 2: Größere Gewerbeansiedlungen (zum Beispiel von Tech-Firmen) haben regelmäßig Auswirkungen auf das jeweilige Stadtquartier. Neben der direkten Konsumtion von Gewerbeflächen sind weitergehende Effekte zu erwarten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firmen werden regelmäßig eine Wohnungsnachfrage vor Ort und ggf. auch andere Konsumpräferenzen als die ansässige Bevölkerung entfalten, was wiederum Veränderungen in der Angebotsstruktur des ansässigen Gewerbes bewirken kann. Auswirkungen auf den Berliner Mietspiegel haben Veränderungen in einzelnen Stadtquartieren jedoch nur marginal, weil die ortsüblichen Vergleichsmieten für unterschiedliche Wohnungstypen für ganz Berlin ausgewiesen werden und nicht für einzelne Stadtquartiere oder Bezirke. Frage 3: Über welche Maßnahmen kann der Senat Verdrängungseffekte durch Unternehmen der Tech- und Startup- Branche, die vorrangig in funktionierenden „hippen“, gemischten Kiezstrukturen wie z.B. in Kreuzberg- Friedrichshain temporär Flächen und Gewerberäume anmieten, vermeiden und welche Instrumente haben aus Senatssicht die Bezirke hierfür zur Hand? (bitte nach lokalem Gewerbe, sozialen, kulturellen und anderen Dienstleistungen und Nahversorgung differenzieren)? Antwort zu 3: Die Bauleitplanung regelt u.a. die Zuordnung der räumlichen Nutzungen, d.h. u.a. des Wohnens und des Gewerbes. Die Instrumente des besonderen Städtebaurechts im Baugesetzbuch greifen im Sinne eines unmittelbaren Erhalts einer spezifischen Zusammensetzung gewerblicher Nutzungen nicht. Leider können Instrumente der Wirtschaftsförderung keinen Beitrag zur Vermeidung von Verdrängungseffekten in der wachsenden Stadt leisten. Daher muss zum Beispiel im Rahmen von einem Standortmanagement oder von Standortgemeinschaften eine kooperative Steuerung installiert werden. Zu Steuerungsmöglichkeiten wird auch auf die Antwort zur Frage 5 verwiesen. Frage 4: Wie beurteilt der Senat den Aufwertungs- und Verdrängungsdruck z.B. von multinationalen Unternehmen wie WeWork und insbesondere dem Google-Campus im denkmalgeschütztem Umspannwerk Ohlauer Straße? Antwort zu 4: Obwohl der Zuzug von multinationalen Unternehmen nach Berlin ein Beleg für die neue Attraktivität der Stadt ist, sieht der Senat den damit verbundenen Aufwertungs- und Veränderungsdruck in der wachsenden Stadt durchaus mit Sorge. Daher ist es von besonderer Bedeutung, bereits bei der Erteilung von Planungsrecht oder Baugenehmigungen die Auswirkungen auf das unmittelbare Umfeld zu beachten, und wo möglich Maßnahmen einzufordern zum Wohle der vorhandenen Kiezstruktur. 3 Frage 5: Wie wird das Geschäftsmodell des Co-Working und Co-Living aus Sicht der sozialen Wohnraumversorgungspolitik eingeordnet? Stellt Co-Living eine Nutzungskonkurrenz zu Bestands- und Neubau-Wohnraum dar und wenn ja, wie kann dies verhindert werden? Antwort zu 5: Das Geschäftsmodell des Co-Working kann zur ressourcenschonenden Nutzung von Gewerbeflächen durch mehrere Mieterinnen und Mieter führen, weil alternativ die einzelnen Nutzerinnen und Nutzer Gewerberäume nachfragen und damit mehr Fläche verbrauchen würden. Nicht anders stellt es sich bei Co-Living dar, wenn sich mehrere Mietparteien eine Wohnung teilen und dadurch die Wohnungsnachfrage tendenziell sinkt. Co-Living bedient lediglich ein spezielles Marktsegment. Für die soziale Wohnraumversorgung leistet Co-Living allerdings vermutlich keinen nennenswerten Beitrag. Wichtig ist, dass sich sowohl Co-Working als auch Co-Living an den gesetzlichen Rahmen halten, insbesondere nicht gegen das Zweckentfremdungsverbot von Wohnraum und das Wohnungsbindungsrecht im sozialen Wohnungsbau verstoßen. Nutzungskonkurrenz kann dort entstehen, wo Co-Living im bedarfsgerechten und bezahlbaren Wohnungsbestand realisiert wird und/oder wo aufgrund der Häufung bzw. des Umfangs ein größerer Teil des Neubaupotenzials in einem Quartier gebunden wird. Da Co-Living vordergründig auf stark nachgefragte Quartiere orientiert, bietet insbesondere das soziale Erhaltungsrecht Möglichkeiten der Einflussnahme zum Schutz des vorhandenen bedarfsgerechten und bezahlbaren Wohnraums. Frage 6: Welche Auswirkungen haben Bewohner geschlossener Systeme wie z.B. rent 24 in Schöneberg auf Kiezstrukturen? Antwort zu 6: Untersuchungen zu Auswirkungen von Bewohnerinnen und Bewohner von geschlossenen Systemen auf Kiezstrukturen sind dem Senat leider nicht bekannt. Frage 7: In diesem Zusammenhang: Werden öffentliche Fördergelder für Start-Ups am Ende dort als indirekte Mietsubvention vergeben und ist dies ein gewünschter Effekt? Antwort zu 7: Öffentliche Fördergelder für kleine und mittelständische Unternehmen oder Startups unterstützen die Entwicklung ausgewählter förderfähiger Unternehmen und können nicht zur Mietsubvention missbraucht werden. Frage 8: Wie kann planungs- und bauordnungsrechtlich die Zulässigkeit dieser Geschäftsmodelle stadtverträglich genehmigt werden? Wird es eine Beschränkung und Versagung gemäß BauNVO zu Büroflächen und Arten des Beherbergungswesens geben? Werden entsprechend die Ausführungsvorschriften zur BauO Berlin und andere Verordnungen geändert? 4 Antwort zu 8: Die Zulässigkeit der genannten Geschäftsmodelle richtet sich nach dem für den entsprechenden Bereich geltenden öffentlichen Baurecht. Der angesprochenen „Stadtverträglichkeit“ wird durch die Prüfung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots Rechnung getragen. Eine etwaige Beschränkung beziehungsweise Versagung von Büroflächen und Arten des Beherbergungsgewerbes unterliegt einer Einzelfallprüfung und richtet sich nach den durch die Baunutzungsverordnung (BauNVO) für das entsprechende Baugebiet vorgegebenen Zulässigkeitskriterien. Bauordnungsrechtliche Anforderungen an bauliche Anlagen, die Einfluss auf Geschäftsmodelle haben könnten, gibt es nicht. Berlin, den 27.09.2018 In Vertretung Regula Lüscher ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen