Drucksache 18 / 16 508 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Bettina Jarasch (GRÜNE) vom 19. September 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. September 2018) zum Thema: Menschenwürdige Behandlung bei Abschiebungen und Antwort vom 04. Oktober 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. Okt. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 5 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Frau Abgeordnete Bettina Jarasch (GRÜNE) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/16508 vom 19. September 2018 über Menschenwürdige Behandlung bei Abschiebungen ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Abgeordneten: Im jüngst veröffentlichten Tätigkeitsbericht des Forum Abschiebungsbeobachtung Berlin-Brandenburg heißt es, dass die Mehrzahl der Abschiebungen geordnet verliefen. Dennoch werden darin für die Jahre 2016 und 2017 auch Missstände im Umgang mit Verpflegung, persönlichen Dokumenten, der Verfügbarkeit von Dolmetschern und in Einzelfällen bei Verfahren nach einer gescheiterten Abschiebung festgestellt. Der Berliner Flüchtlingsrat hat zudem laut einem Artikel im ND vom 01. September 2018 Misshandlungen der Betroffenen durch die Bundespolizei bei Sammelabschiebungen kritisiert. Außerdem würden Gutachten niedergelassener Ärzt*innen zur sog. Reiseunfähigkeit immer häufiger nicht anerkannt und Familien unnötig in Angst versetzt, indem Eltern und Kinder getrennt voneinander zum Flughafen gefahren würden. 1. Inwiefern war die Berliner Ausländerbehörde an der Sammelabschiebung am 6. Juni 2018 vom Flughafen Schönefeld nach Madrid beteiligt und wer hat diese Abschiebung federführend organisiert ? 2. Wie viele Minderjährige waren unter den Menschen, die an diesem Tag im Rahmen der EU Dublin III Verordnung nach Spanien überstellt wurden und wie viele Personen in Zuständigkeit der Ausländerbehörde Berlin befanden sich unter den Abgeschobenen (bitte nach Nationalität, Minderjährigkeit und Geschlecht differenzieren)? Zu 1. und 2.: Die in Amtshilfe für das BAMF durchgeführte Chartermaßnahme nach Madrid wurde federführend durch das Land Berlin organisiert. Auf der Basis des Dubliner Übereinkommens wurden insgesamt 90 Personen überstellt , davon insgesamt 26 Personen durch die Berliner Ausländerbehörde. Hiervon waren 18 Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit, je 3 Personen aus Guinea und Syrien sowie je eine Person aus der Türkei und Jemen. Das Alter sowie das Geschlecht der abgeschobenen Personen werden statistisch nicht erfasst, so dass eine Aussage hierzu nicht möglich ist. 3. Von welcher Polizeieinheit wurde der Flug begleitet und welches und wie viel Begleitpersonal befand sich neben den Mitarbeiter*innen der Fluggesellschaft nach Kenntnis des Senats an Bord? Seite 2 von 5 Zu 3.: Die Begleitung von Ausländerinnen und Ausländern über die Grenze hinaus bis zum Zielort und die Überstellung an die Grenzbehörde des Zielstaates fällt in die Zuständigkeit der Bundespolizei. Neben dem Personal der Fluggesellschaft befanden sich 49 Mitarbeitende der Bundespolizei, zwei Ärzte und zwei Sanitäter der Polizei Berlin sowie ein Sprachmittler der Ausländerbehörde an Bord. 4. Was kann der Senat zur Aufklärung beitragen im Blick auf die Vorwürfe, die der Flüchtlingsrat im Zusammenhang mit dieser Sammelabschiebung erhoben hat: Insbesondere soll es vor dem Flug (bei der Abholung und im Flughafengebäude) zu physischer Gewaltanwendung durch Polizeibeamt *innen gegen Flüchtlinge gekommen sein und die Flüchtlinge hätten sich auf Anweisung der Bundespolizei ihrer Kleidung bis auf die Unterwäsche entledigen müssen? Zu 4.: Der Flüchtlingsrat Berlin e.V. hat gegenüber dem Senat von Berlin bislang keine konkreten Vorwürfe im Zusammenhang mit der Rückführungsmaßnahme vom 6. Juni 2018 erhoben. Die Chartermaßnahme nach Madrid wurde im Rahmen der im Jahr 2013 eingerichteten unabhängigen Abschiebungsbeobachtung am Flughafen Schönefeld begleitet. Die Beobachtungen der im Auftrag der Caritas tätigen Abschiebungsbeobachterin wurden im Flughafenforum Berlin-Brandenburg erörtert. Im Flughafenforum sind neben der Bundespolizei als Vollzugsbehörde, den am Abschiebungsverfahren beteiligten Behörden der Länder Berlin und Brandenburg auch beide großen Kirchen, die Wohlfahrtsverbände, der UNHCR sowie Amnesty International und Pro Asyl vertreten . Die Arbeit des Forums dient dazu, Defizite zu erkennen, auf Verbesserungen hinzuwirken und die Abschiebungsprozesse so wenig belastend wie möglich zu gestalten . Die in der Presse erhobenen allgemeinen Vorwürfe physischer Gewaltanwendungen durch Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte können danach nicht bestätigt werden. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass bei Dublin-Überstellungen ein erhöhtes Risiko besteht, dass die Betroffenen durch Widerstand, Selbst- oder Fremdverletzungen versuchen, ihre Überstellungen zu verhindern, um durch einen damit verbundenen möglichen Ablauf der Überstellungsfrist die Asylzuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu erzwingen. Aufgrund von Widerstandshandlungen wurde daher in Einzelfällen die Ausübung unmittelbaren Zwangs erforderlich. Zutreffend ist, dass Durchsuchungen der erwachsenen Personen durchgeführt wurden. Sie waren erforderlich, weil nur so ein Schutz vor Selbst- oder Fremdverletzungen gewährleistet werden kann. Diese Maßnahmen erfolgten unter Beachtung der rechtlichen Voraussetzungen und des Grundsatzes der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit . Bei der Abholung der durch Berlin für diese Maßnahme vorgesehenen Ausreisepflichtigen durch die Dienstkräfte der Polizei Berlin ist es nicht zur Anwendung unmittelbaren Zwangs gekommen. Bezüglich der Zuführungen durch andere Bundesländer liegen dem Senat keine belastbaren Informationen vor. Die Diskussion und Nachbereitung der Maßnahmen durch die beteiligten Behörden und NGO-Vertreterinnen bzw. Vertretern im Flughafenforum stellt sicher, dass der Seite 3 von 5 Abschiebungsvollzug trotz der bei Dublin-Chartermaßnahmen bestehenden besonderen Herausforderungen insgesamt so schonend wie möglich gestaltet wird. 5. In wie vielen Fällen wurden 2017 und 2018 Gutachten niedergelassener Ärzt*innen zur Reisefähigkeit bzw. Reise-Unfähigkeit nochmals durch Ärzt*innen im Auftrag der Berliner Ausländerbehörde überprüft bzw. revidiert und nach welchen Kriterien geschieht das? Zu 5.: Eine statistische Erfassung im Sinne der Fragestellung erfolgt nicht. Nach § 60 a Abs. 2 c) AufenthG müssen Ausländer Erkrankungen, die die Abschiebung beeinträchtigen können, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung, die den in § 60 a Abs. 2 c) Satz 3 AufenthG genannten Anforderungen entspricht, glaubhaft machen. Die Folgen einer verspäteten Vorlage und der fehlenden Mitwirkung bei einer angeordneten Untersuchung regelt § 60 a Abs. 2 d) AufenthG. Diese Regelungen können zur Unbeachtlichkeit vorgelegter ärztlicher Bescheinigungen führen. Die Feststellung der Flug-/Reisefähigkeit und die Überprüfung von durch die Betroffenen vorgelegten Attesten und Gutachten erfolgt in der Regel durch Polizeiärztinnen und -ärzten sowie aus Kapazitätsgründen auch durch im Auftrag der Polizei Berlin tätige Honorarärztinnen und -ärzte. Eine im Vorfeld der Rückführungsmaßnahme ggf. erforderliche Überprüfung von Gutachten/Attesten niedergelassener Ärztinnen und Ärzte erfolgt durch den Polizeiärztlichen Dienst im Auftrag der Berliner Ausländerbehörde. Die Überprüfung von vorgelegten ärztlichen Attesten zur Reisefähigkeit bzw. Reiseunfähigkeit erfolgt gemäß den fachlichen Leitlinien (u. a. der Bundesärztekammer), in Fällen der Rückführung auf dem Luftweg nach den Kriterien der International Air Transport Association (IATA) zur Flugfähigkeit. Hierbei wird ausschließlich die Flugfähigkeit für die Dauer des Rückführungsfluges beurteilt, um auszuschließen, dass dadurch Gefahr für Leib oder Leben der rückzuführenden Person entsteht. Im Falle einer Abschiebung auf dem Land- oder Seeweg erfolgt eine ärztliche Beurteilung der Reisefähigkeit für diese spezielle Maßnahme. Alle Chartermaßnahmen werden durch ausgebildetes medizinisches Personal und Ärztinnen bzw. Ärzte begleitet. Diese Begleitung wird bei Prüfung der Flug- und Reisefähigkeit berücksichtigt und fließt in die Bewertung mit ein. Alle betroffenen Personen werden am Reisetag nochmals einer ärztlichen Untersuchung auf Reisefähigkeit unterzogen und auch ggf. ihre Rückführung zurückgestellt, wenn die Flugund Reisefähigkeit in Frage gestellt werden muss. 6. Welche Monitoring-Mechanismen, Beschwerdeverfahren und sonstige präventive Maßnahmen werden beim Vollzug von Abschiebungen durch die Landespolizei angewendet, um einen menschenwürdigen Vollzug von Abschiebungen (gemäß Art. 8 Abs. 6 EU-Rückführungsrichtlinie) zu gewährleisten? Zu 6.: Gemäß Artikel 8 Absatz 6 der Richtlinie 2008/115/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (EU-Rückführungsrichtlinie) haben die Mitgliedstaaten ein wirksames System für die Überwachung von Rückführungen zu schaffen. Eine spezielle Umsetzung dieser Seite 4 von 5 Vorschrift ins nationale Recht ist nicht erfolgt. Nach Auffassung der Bundesregierung ist Art. 8 Abs. 6 der Rückführungsrichtlinie keine Pflicht zu entnehmen, zusätzlich zur gerichtlichen und verwaltungsinternen Kontrolle eine unabhängige Überwachungsstelle einzurichten. Unabhängig von der Verpflichtung aus Art. 8 Abs. 6 der Rückführungsrichtlinie wurde bereits mit Organisationserlass des Bundesministeriums der Justiz vom 20. November 2008 die Bundesstelle zur Verhütung von Folter geschaffen. Darüber hinaus wurde die Länderkommission zur Verhütung von Folter mit Staatsvertrag über die Einrichtung eines nationalen Mechanismus aller Länder nach Artikel 3 des Fakultativprotokolls vom 18. Dezember 2002 zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 25. Juni 2009 eingerichtet. Die Polizei Berlin unterstützt die Arbeit der genannten Stellen durch Gewährung des Zutritts zu Liegenschaften und Räumlichkeiten, des Beiwohnens von Maßnahmen sowie durch Erteilung von Auskünften. Im weiteren Verlauf des Monitoring- Prozesses werden üblicherweise Empfehlungen formuliert, die der Polizei Berlin zugehen. Im Idealfall führt dies zur Beseitigung der im Bericht festgehaltenen Mängel . Allen im Zusammenhang mit einer Abschiebungsmaßnahme des Landes Berlin eventuell aufkommenden und begründeten Beschwerden wird nachgegangen und bei Begründetheit abgeholfen. Um den Vollzug von Abschiebungen menschenwürdig zu gestalten, werden durchzuführende Maßnahmen seitens der Polizei Berlin erläutert, auch unter Einsatz von Dolmetschenden, Hinzuziehung von Angehörigen oder Mitarbeitenden von Wohneinrichtungen . Bei Bedarf werden Ärzteteams bereitgestellt. Weiterhin werden Speisen und Getränke (auch vegetarische Nahrung und Obst) sowie Baby-/ Kindernahrung und Windeln angeboten. Die Betreuung von Frauen und Kindern erfolgt regelmäßig durch weibliche Dienstkräfte . Darüber hinaus ist die Polizei Berlin Mitglied im "Forum Abschiebungsbeobachtung Berlin-Brandenburg". Nochmals anzumerken ist, dass die in Berlin und Brandenburg eingerichtete Abschiebungsbeobachtung keine Umsetzung des Art. 8 Abs. 6 der Rückführungsrichtlinie, sondern eine freiwillige Maßnahme darstellt. Ergänzend wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. 7. Welche Konsequenzen zieht der Senat aus dem aktuellen Bericht des Abschiebeforums? Zu 7.: Der aktuelle Bericht des Forums Abschiebungsbeobachtung Berlin-Brandenburg für die Jahre 2016/2017 beschreibt den Abschiebungsvollzug generell als geordnet und routiniert. In der Mehrzahl der Fälle verliefen die Abschiebungen ohne besondere Probleme und Vorkommnisse. Die Abschiebungsbeobachtung hat sich nach Einschätzung des Senats bewährt. Die neutrale Beobachtung des Abschiebungsvollzugs ermöglicht es, strukturelle Defizite zu erkennen und diese zu beseitigen. Der Austausch im Forum dient zugleich auch der Sachaufklärung im Einzelfall. Seite 5 von 5 Der Senat plant daher, das Forum Abschiebungsbeobachtung weiterzuführen, um weiterhin einen transparenten und möglichst schonenden Abschiebungsvollzug zu gewährleisten. Berlin, den 04. Oktober 2018 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport