Drucksache 18 / 16 529 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Stephan Lenz (CDU) vom 14. September 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. September 2018) zum Thema: Radikalisierungsprävention in Berliner Justizvollzugsanstalten und Antwort vom 09. Oktober 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Okt. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Stephan Lenz (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/16529 vom 20. September 2018 über Radikalisierungsprävention in Berliner Justizvollzugsanstalten -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viel Strafgefangene mit islamistischem Tathintergrund befinden sich gegenwärtig in den Berliner Justizvollzugsanstalten und Einrichtungen des Strafvollzugs (bitte nach Jahren ab 2014 und Einrichtungen gesondert darstellen)? Zu 1.: Erfasst sind rechtskräftig aufgrund der Strafrechtstatbestände §§ 89 a, 129, 129a Strafgesetzbuch (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Verbindung z. B. mit Vorbereitung einer Sprengstoffexplosion) verurteilte Gefangene (d.h. keine Untersuchungshäftlinge), bei denen sich aus den Urteilsgründen ein islamistischer Hintergrund ergibt. Aufgrund zum Teil mehrjähriger Verurteilungen und somit jahresübergreifender Unterbringungen in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) sowie Verlegungen innerhalb des Berliner Justizvollzuges während eines Kalenderjahres beziehen sich die nachfolgenden Einzelangaben auf einen Personenkreis von 13 Gefangenen. In der folgenden Tabelle ist die Anzahl der insgesamt zu irgendeinem Zeitpunkt während des jeweiligen Jahres in der jeweiligen JVA inhaftierten Strafgefangenen angegeben. 2 JVA / Jahr 2014 2015 2016 2017 2018 (bis zum 30.09.) Gesamtanzahl Gefangene bis zum 31.12. Gesamtanzahl Gefangene bis zum 31.12. Gesamtanzahl Gefangene bis zum 31.12. Gesamtanzahl Gefangene bis zum 31.12. Gesamtanzahl Gefangene JVA Tegel 1 1 2 4 4 JVA Plötzensee 0 1 1 1 1 JVA Heidering 0 1 2 1 2 JVA Moabit 2 2 3 2 5 Jugendstrafanstalt Berlin 0 0 3 1 1 JVA Offener Vollzug Berlin 0 0 0 0 1 2. Wie viele Strafverfahren werden gegenwärtig in Berlin gegen Personen mit islamistischem Tathintergrund geführt? Zu 2.: Zurzeit sind 27 Anklagen der Berliner Strafverfolgungsbehörden mit belegbarem islamistischem Tathintergrund bei Berliner Gerichten anhängig. Das gleiche gilt für 1 Sicherungsverfahren und 4 Strafbefehlsverfahren. 3. Wie viele Ermittlungsverfahren werden gegenwärtig in Berlin gegen Personen mit islamistischem Tathintergrund gestellt? Zu 3.: Zurzeit sind 186 einschlägige Ermittlungsverfahren mit belegbarem islamistischem Tathintergrund anhängig, in denen die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Hierin nicht enthalten sind die ca. 100 sogenannten Vorlagesachen, in denen die Bundesanwaltschaft zunächst über das Vorliegen eines Anfangsverdachts wegen Bildung oder Unterstützung einer terroristischen Organisation zu entscheiden hat. 4. Wie viele Personen, die in Berlin wegen einer Straftat mit islamistischem Hintergrund verurteilt wurden, sind mittlerweile frei? Zu 4.: Von den 13 zu Frage 1. aufgelisteten Gefangenen befinden sich 9 Gefangene noch in Strafhaft, 3 Personen wurden bereits abgeschoben oder sind zum Zwecke der Abschiebehaft an die Polizei übergeben worden und 1 Gefangener, der sich selbst zur Strafverbüßung gestellt hatte, wurde im Jahr 2016 entlassen. 5. Aus welchen Haushaltsmitteln wird die Präventions- und Deradikalisierungsarbeit in Berliner Justizvollzugsanstalten finanziert und wie haben sich diese seit 2014 entwickelt? Zu 5.: Neben den bestehenden etablierten Behandlungs- und Beratungsangeboten für Gefangene in den Berliner Justizvollzugsanstalten wurden seit 2016, gemeinsam mit in der Thematik erfahrenen freien Trägern, besondere Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung entwickelt und vorgehalten. Die Finanzierung erfolgt über die Haushaltstitel der jeweiligen Justizvollzugsanstalten und über Zuwendungsmittel der Landeskommission Berlin gegen Gewalt. Seit 2017 wird die Finanzierung aus Bundesmitteln der Fördereinheit des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend „Demokratie leben“ maßgeblich abgesichert. 6. Gibt es in allen Justizvollzugsanstalten und Einrichtungen des Strafvollzugs Angebote zu Prävention und Deradikalisierung und falls nein, in welchen Einrichtungen gibt es diese Angebote? 3 Zu 6.: Die Angebote zur Deradikalisierung und Radikalisierungsprävention werden in den Justizvollzugsanstalten vorgehalten, in denen die Zielgruppen dieser Maßnahmen untergebracht sind. Dazu gehören alle Justizvollzugsanstalten des geschlossenen Männervollzuges , die Jugendstrafanstalt Berlin (JSA) und in Einzelfällen die JVA des Offenen Vollzuges Berlin (OVB). Sofern ein Bedarf in der JVA für Frauen Berlin absehbar ist, werden die Maßnahmen angeboten. 7. Mit welchen (zivilgesellschaftlichen) Trägern wird diese Radikalisierungsprävention und Arbeit zur Deradikalisierung in Berliner Gefängnissen durchgeführt? Zu 7.: Aktuell werden die Maßnahmen durch folgende freie Träger angeboten: Violence- Prevention-Network (VPN), Denkzeit Gesellschaft e.V., Gangway e.V., Lichtjugend e.V., Forschungsgruppe Modellprojekte e.V. (NEXUS) und ein freier Mitarbeiter für die Ethikgruppen für muslimische Gefangene. 8. Sind alle Strafgefangenen, die aufgrund eines islamistischem Tathintergrunds eine Haftstrafe verbüßen müssen, zur Teilnahme an Maßnahmen zur Deradikalisierung verpflichtet? Zu 8.: Die Teilnahme an den Maßnahmen ist freiwillig. Grundlegend ist hierbei eine Bereitschaft zur Überprüfung der eigenen radikalen Haltungen und dem Verzicht auf weitere einschlägige Straftaten. Dies ist notwendig, da der Erfolg der Maßnahmen die aktive eigene Teilnahme der Gefangenen und somit ihre Bereitschaft zur Teilnahme erfordert. Durch die Mitarbeitenden der Justizvollzugsanstalten werden die Gefangenen motiviert, sich auf eine erste Kontaktaufnahme zu den Mitarbeitenden der freien Träger einzulassen , um sich dann für eine Zusammenarbeit zu entscheiden. Liegt die Motivation nicht vor, so wird durch die Bediensteten weiter an einem Aufbau der Motivation gearbeitet. 9. Ist im Alltag der Justizvollzugsanstalten eine räumliche Trennung zwischen Strafgefangenen mit islamistischem Tathintergrund sowie potentiell radikalisierungsbereiten Strafgefangenen möglich und falls ja, welche Erfahrungen sind hiermit gemacht worden? Zu 9.: Spezielle Hafthäuser oder besondere Abteilungen für Terroristen werden aufgrund der negativen historischen Erfahrungen mit derartigen Einrichtungen in den 1970er Jahren bisher nicht eingerichtet. Seinerzeit hatte eine Zusammenlegung dieser Gefangenengruppe zu einem gegenseitigen Bestärken in der gewaltbereiten radikalen Gesinnung und zu einem extremen internen Gruppenzwang mit den bekannten Folgen geführt. Eine Ballung von Gefangenen mit radikal-islamistischer Einstellung könnte ähnlich unerwünschte Folgen haben. Eine dezentrale Unterbringung ist vorzuziehen, da das quantitative Ausmaß zurzeit relativ begrenzt ist und eine ausreichende Überwachung und Trennung radikaler Gefangener ohne Schaffung von Sonderbereichen leistbar ist. Das Vorgehen entspricht der Praxis aller anderen Bundesländer. 10. Wie viele Insassen nehmen an den Angeboten zur Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung teil und wie hat sich diese Zahl in den vergangenen fünf Jahren entwickelt (bitte aufgegliedert nach Jahren und Justizvollzugsanstalten)? 4 Zu 10.: Deradikalisierung-Einzeltraining: JVA 2014 2015 2016 2017 bis 31.08.2018 Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene JVA Tegel - - - 5 4 JVA Plötzensee - - - - - JVA Heidering - 2 2 1 - JSA - - 2 1 1 JVA Moabit - - - 2 2 JVA OVB - - - - - Extremismusprävention – Gruppentraining: JVA 2014 2015 2016 2017 bis 31.08.2018 Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene JVA Tegel - - - - - JVA Plötzensee - - - - - JVA Heidering - - - - - JSA 8 8 8 8 - JVA Moabit - - - - - JVA OVB - - - - - JSA Berlin (weitere zielgruppenorientierte Maßnahmen): Maßnahme/ Jahr 2014 2015 2016 2017 bis 31.08.2018 Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene „ZwischenWelten“ - - 22 42 37 „Maxime Berlin“, Interkulturelles Präventionsprojekt - 9 - - - JVA Plötzensee (weitere zielgruppenorientierte Maßnahmen): Maßnahme/ Jahr 2014 2015 2016 2017 bis 31.08.2018 Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene Anzahl Gefangene Psychologische Einzelgespräche keine statistische Erfassung 1 1 1 - Daneben existieren noch weitere Angebote welche sich nur mittelbar mit diesem Themenkomplex beschäftigen. 11. In welcher Form gibt es eine Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalten, den zivilgesellschaftlichen Trägern und Sicherheitsbehörden, um mögliche Radikalisierungstendenzen von Strafgefangenen in Berliner Gefängnissen frühzeitig zu erkennen? Zu 11.: Im Rahmen einer Multiplikatorenschulung werden aus jeder Justizvollzugsanstalt und von den Sozialen Diensten der Justiz Mitarbeitende umfassend geschult. Die Inhalte dieser Schulung beziehen sich auf die Bereiche des politisch- und religiös motivierten 5 Extremismus, Islamismus/Salafismus, Rechtsextremismus, Radikalisierungsmodelle und -verläufe, Maßnahmen zur Prävention, Intervention und Deradikalisierung sowie thematisch fallbezogener Begleitungen. Die Mitarbeitenden stehen in ihren Justizvollzugsanstalten und bei den Sozialen Diensten der Justiz als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es zwischen den Sicherheitsabteilungen und den Fachdiensten der Justizvollzugsanstalten regelmäßige Abstimmungen mit den Anbietern der Maßnahmen. Sofern Abstimmungen mit den Sicherheitsbehörden notwendig sind, werden diese durch die Mitarbeitenden der Sicherheitsabteilungen vorgenommen. 12. In welcher Form gibt es Kooperationen, um ehemalige Strafgefangene, die während ihrer Haftstrafe an Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung teilgenommen haben, auch über die Haftzeit hinaus zu betreuen und entstandene Vertrauensverhältnisse zu Begleitpersonen aufrecht zu erhalten? Zu 12.: Die Maßnahmen zur Deradikalisierung sind darauf ausgerichtet, auch nach der Haftentlassung weitergeführt zu werden. Die Konzeption der freien Träger sieht dies vor und es entspricht auch dem Ansatz der unterstützenden Überleitung aus der Haft. Berlin, den 9. Oktober 2018 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung