Drucksache 18 / 16 590 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 25. September 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. Oktober 2018) zum Thema: Organisierte Kriminalität – Staatsanwälte vor Ort und Antwort vom 12. Oktober 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Okt. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/16 590 vom 25. September 2018 über Organisierte Kriminalität – Staatsanwälte vor Ort -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, an den acht kriminalitätsbelasteten Orten jeweils eine eigene Staatsanwältin oder einen eigenen Staatsanwalt einzusetzen? 2. Welche Erfahrungswerte liegen knapp ein Jahr nach Einsetzung eines solchen Staatsanwaltes vor Ort in Neukölln vor? 3. Welche konkreten Pläne bestehen bezüglich einer Anwendung dieses Konzepts auch auf andere Bezirke bzw. kriminalitätsbelastete Orte und wann ist deren Umsetzung zu erwarten? Zu 1. - 3.: Initiiert von der Staatsanwaltschaft Berlin und der damaligen Bezirksbürgermeisterin wurde im Oktober 2017 für den Bezirk Neukölln die sogenannte „Staatsanwaltschaft vor Ort“ eingerichtet. Zielsetzung ist eine bessere Vernetzung der Behörden zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in Neukölln. Daher ist die von der Staatsanwaltschaft Berlin als Pilotprojekt geführte Maßnahme dort auch in der für Organisierte Kriminalität zuständigen Abteilung 255 angesiedelt worden. Im Fokus der im Rahmen des Pilotprojekts ergriffenen Maßnahmen steht eine effektive Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität durch insbesondere täterorientierte Ermittlungen und vermehrte vermögensabschöpfende Maßnahmen auch im Immobilienbereich. Teilnehmer des Projekts sind neben der Staatsanwaltschaft Berlin die zuständigen Stellen im Bezirk Neukölln (Bezirksbürgermeister nebst Koordinierungsstelle, Bezirksstadtrat für Jugend und Gesundheit, Jugendamt, der Beauftragte für Integration u. a.), die zuständigen Polizeidienststellen der Direktion 5 und des Landeskriminalamtes (LKA) sowie das Jobcenter Neukölln. Das Amtsgericht Neukölln hat der Staatsanwaltschaft Berlin einen Arbeitsraum zur Verfügung gestellt, der in wechselseitiger Besetzung von mehreren Staatsanwältinnen und Staatsanwälten der Abteilung 255 in der Regel an einem Wochentag genutzt wird, unter anderem für Treffen mit Ansprechpartnern aus dem Bezirk. 2 Nach den bisherigen Erfahrungen konnte insbesondere der Austausch zwischen der Staatsanwaltschaft und den Polizeidienststellen, aber auch innerhalb des LKA und mit den Polizeiabschnitten 54, 55 und 56 verbessert werden, was eine zügige und effektive Bearbeitung der Verfahren ermöglicht. Teil des Konzepts sind darüber hinaus Schwerpunkteinsätze zur Kontrolle von Gewerbebetrieben durch das Bezirksamt Neukölln mit Unterstützung der Polizei, die zum Teil durch die beteiligten Staatsanwältinnen und Staatsanwälte begleitet werden. Diese Einsätze verschaffen konkrete Einblicke in die kriminellen Milieus und erscheinen geeignet das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu verbessern. Nach aktueller Einschätzung sollen vor einer abschließenden Entscheidung über die Ausweitung des Konzepts zunächst noch der weitere Verlauf des Pilotprojekts beobachtet und die gewonnenen Erkenntnisse ausgewertet werden. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass sich ein solches Konzept nicht für jeden Bereich und jedes Kriminalitätsphänomen eignet. 4. Wie lange benötigen derzeit im Durchschnitt die Jugendstrafverfahren und welche Faktoren beeinträchtigen maßgeblich deren zügige Bearbeitung? Zu 4.: Im Jahr 2016 lag die durchschnittliche Dauer sämtlicher in diesem Jahr bei der Staatsanwaltschaft Berlin eingegangener Verfahren bei 44 Tagen, im Jahr 2017 bei 38 Tagen. Es ist indes zu berücksichtigen, dass hierbei auch die in Jugendstrafsachen häufig vorkommenden Verfahren berücksichtigt sind, bei denen ohne gerichtliche Einbindung zügig eine folgenlose Einstellung gemäß §§ 45 Jugendgerichtsgesetz (JGG) und 153 Strafprozessordnung (StPO) erfolgt ist. Jugendstrafrechtliche Verfahren der Staatsanwaltschaft Berlin im Jahr 2016, in denen eine gerichtliche Entscheidung erging, dauerten im Durchschnitt 175 Tage, entsprechende Verfahren im Jahr 2017 im Durchschnitt 146 Tage. Diese Zeitdauer umfasst auch das Ermittlungsverfahren. Die Bearbeitungsdauer wird sowohl durch den Umfang und die Komplexität der Verfahren als auch die personellen Kapazitäten aller beteiligten Behörden und Gerichte sowie die Qualität ihrer Zusammenarbeit bestimmt. Darüber hinaus wirken sich auch rechtliche Vorgaben aus. So müssen insbesondere Verfahren, in denen Untersuchungshaft angeordnet wird, unter Wahrung enger gesetzlicher Fristen besonders zügig geführt werden. 5. Welche Möglichkeiten sieht der Senat, diese Verfahren zu beschleunigen, bzw. welche Rahmenbedingungen müssten zugunsten einer zügigeren Bearbeitung geschaffen werden? Zu 5.: Aufgrund der im Rahmen des Pilotvorhabens „Staatsanwalt für den Ort“ zur Verfolgung der Jugendkriminalität gewonnenen positiven Erfahrungen wird die staatsanwaltschaftliche Jugendsachbearbeitung berlinweit schrittweise regionalisiert. Dies bedeutet, dass im Bereich der Jugendabteilungen eine ortsbezogene Zuständigkeit eingeführt wird. Dabei wird eine organisatorisch an den sechs Polizeidirektionen orientierte Entwicklung ins Auge gefasst. Nachdem im Laufe des Pilotvorhabens die ortsbezogene Sachbearbeitung auf den Bereich der Polizeidirektion 5 (Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg) erstreckt worden war, ist sie nach Ablauf des Pilotverfahrens zum 1. Juli 2018 zunächst auf den Bereich der Polizeidirektion 6 (Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg, Treptow-Köpenick) erstreckt worden und wird zum 1. Januar 2019 auf den der Polizeidirektion 2 (Spandau, Charlottenburg-Wilmersdorf) erweitert werden. Die Umstrukturierung im Hinblick auf die drei verbleibenden Direktionen 1, 3 und 4 soll anschließend umgesetzt werden. Mit einer solchen Regionalisierung kann, was sich im Laufe des Pilotvorhabens gezeigt hat, eine Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahrensabläufe, eine Verbesserung der Zu- 3 sammenarbeit aller beteiligten Stellen und eine Unterstützung des besonderen Engagements im jugendstrafrechtlichen Bereich erreicht werden. Auch im polizeilichen Bereich wird der Bearbeitung von Jugendstrafsachen durch eine qualifizierte Jugendsachbearbeitung besondere Aufmerksamkeit zuteil. In der für die gesamte Polizeibehörde geltenden Rahmenrichtlinie über die Ausbildung und den Einsatz qualifizierter Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter (JuSB) werden die Grundsätze der Auswahl, der Aus- und Fortbildung sowie der Arbeitsbelastung der JuSB geregelt, um den zeitlichen und qualitativen Anforderungen der Jugendsachbearbeitung gerecht zu werden. Bereits bestehende Maßnahmen werden kontinuierlich optimiert, was auch der Beschleunigung der Verfahren zugutekommt. Dazu gehören die intensive Kooperation zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendhilfe im Diversionsverfahren und im vereinfachten Jugendverfahren. Für die schnelle Einleitung und Durchführung der Diversionsverfahren wurden direkt in den sechs örtlichen Polizeidirektionen pädagogische Fachkräfte räumlich angebunden. Weiterhin unterliegt die enge Kooperation von Fachdienststellen der jeweiligen Polizeidirektion mit den zuständigen Sonderstaatsanwältinnen und Sonderstaatsanwälten bei der Bearbeitung von Verfahren mit Intensiv- und Schwellentäterinnen und –tätern einer fortwährenden Betrachtung und Fortentwicklung. Eine weitere Verbesserung auch in Bezug auf die beschleunigte Bearbeitung von Jugendstrafverfahren wird von der zeitnahen stadtweiten Einführung des Konzepts „Strategische Ausrichtung im Themenfeld Jugenddelinquenz“ (StrAus) erwartet, das den Ansatz verfolgt, die Tatortzuständigkeit bei der Bearbeitung von Ermittlungsvorgängen mit tatverdächtigen Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden zugunsten der Wohnortzuständigkeit zu durchbrechen. Berlin, den 12. Oktober 2018 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung