Drucksache 18 / 16 657 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 01. Oktober 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Oktober 2018) zum Thema: Organisierte Kriminalität – Clankriminalität Status Quo 2018 und Antwort vom 22. Oktober 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Okt. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 5 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Herrn Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/16657 vom 01. Oktober 2018 über Organisierte Kriminalität – Clankriminalität Status Quo 2018 ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Was wurde seit 2014 seitens der Berliner Polizei, der Innenverwaltung und der Staatsanwaltschaft Berlin unternommen, damit es tatsächlich zu einer anerkannten Definition von Clankriminalität in Berlin kommt? (Aufstellung der Maßnahmen und deren Zielsetzungen erbeten.) Zu 1.: Täterorientierte Ermittlungen in Fällen der schweren und Organisierten Kriminalität (OK) durch Täter aus arabischstämmigen Strukturen stellen bereits seit Jahren einen Schwerpunkt für die Berliner Strafverfolgungsbehörden dar, wenngleich bislang keine bundeseinheitliche Definition zur sogenannten „Clankriminalität“ existiert. Zu den konkreten organisatorischen Maßnahmen wird auf die Schriftliche Anfrage Drucksache Nr. 18/13851 verwiesen. Seit Jahresmitte 2018 wirkt die Polizei Berlin im Rahmen der Weiterentwicklung des Bundeslagebildes OK auf Gremienebene an der Erarbeitung einer bundeseinheitlichen Definition des Begriffes „Clankriminalität“ mit. Diese wird auch den Erkenntnissen der Polizei Berlin zu dieser Täterklientel Rechnung tragen und nur für den Bereich OK gelten. Die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung wird sich ebenfalls auf Gremienebene im Rahmen der Sitzung des Strafrechtsauschusses vom 22. bis 24. Oktober 2018 mit Ihrer Expertise zur Thematik einbringen. Für die Sitzung sind ein Erfahrungsaustausch, die Erörterung bestehender Konzepte der Länder sowie gemeinsame Überlegungen hinsichtlich der Stärkung der Zusammenarbeit und Vernetzung der betroffenen Behörden und der Notwendigkeit einer einheitlichen Begrifflichkeit geplant. In der Folge werden die Ergebnisse auch auf der anstehenden Herbstkonferenz der Justizministerinnen und der Justizminister im November 2018 diskutiert werden. 2. Wie erklärt sich, dass es bundesweit keine einheitliche Definition der Clankriminalität gibt und warum gibt es keine verstärkte Zusammenarbeit und Vernetzung der betroffenen Behörden? Seite 2 von 5 Zu 2.: Der Begriff „Clan“ bzw. „Clankriminalität“ lässt sich ohne weitere inhaltliche Bestimmung nicht auf eine Ethnie oder Herkunftsregion beschränken. Aus der unterschiedlichen Betroffenheit der Bundesländer in quantitativer Hinsicht aber auch in Bezug auf die Herkunftsregion bzw. Ethnie resultiert zwangsläufig ein abweichendes Verständnis der Begriffe „Clan“ bzw. „Clankriminalität“. Zudem existieren in den Ländern unterschiedliche Bekämpfungsansätze bzw. –strategien zu soziokulturell geprägter Kriminalität. Die Zusammenarbeit und Vernetzung der Bundes- und Landesbehörden ist über die Gremienstrukturen und themenspezifische Projektarbeit sowohl im Einzelfall als auch anlassunabhängig gewährleistet. 3. Wie viele offenstehende Haftbefehle gibt es gegen Personen aus den Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga den Zeitraum von 2010 bis heute? (Aufstellung nach Nationalitäten und Jahren erbeten.) Zu 3.: Hierzu führt die Polizei Berlin keine Statistik, eine automatisierte Recherche ist insofern nicht möglich. 4. Wann und wie oft wurde von 2010 bis 2018 das Thema der „Clankriminalität“ in der Innenministerkonferenz behandelt und mit welchen Ergebnissen? (Aufstellung erbeten.) Zu 4.: Das Thema wurde bereits mehrfach und wird auch derzeit in den Gremien der Ständigen Konferenz der Innenminister und –senatoren der Länder (IMK) behandelt, siehe Antwort zu Frage 1. Eine automatisierte Recherche ist dazu nicht möglich. 5. Welche Pläne gibt es, analog zur Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Rockerkriminalität von 2010, eine übergreifende Arbeitsgruppe einzurichten um eine gemeinsame und abgestimmte Bekämpfungsstrategie gegen die Clankriminalität voranzutreiben? (Aufstellung erbeten.) Zu 5.: Wie in der Antwort zu Frage 2 dargelegt, sind die Bundesländer unterschiedlich vom Phänomenbereich betroffen. Strukturelle Bezüge zwischen den in Berlin agierenden Tätergruppierungen und denen des restlichen Bundesgebietes sind bisher nicht belegt. Eine vom Einzelfall losgelöste, länderübergreifende Ermittlungsführung ist daher nicht zielführend. Davon unbenommen werden die Vernetzung und der Erfahrungsaustausch der betroffenen Bundesländer im Sinne des Best-Practice- Ansatzes beständig fortgeführt. 6. Welche Pläne gibt es eine neue Ermittlungsgruppe zum Sozialleistungsbetrug im Rahmen Organisierter Kriminalität ins Leben zu rufen und inwiefern soll die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Berlin sowie mit Jobcentern zur erfolgreichen Arbeit der Ermittlungsgruppe beitragen? (Aufstellung erbeten.) Zu 6.: Sozialleistungsbetrug ist kein Kriminalitätsbereich, der zur Organisierten Kriminalität im Sinne der Definition der Arbeitsgemeinschaft Justiz/Polizei (siehe dazu Beantwortung der Fragen 1 bis 3 der Schriftliche Anfrage Drucksache Nr. 18/13651) gerechnet werden kann. Insofern gibt es seitens der Polizei Berlin aktuell keine Pläne zur Einrichtung einer auf Dauer angelegten Ermittlungsgruppe im Sinne der Fragestellung. Im Zusammenhang mit dem Phänomenbereich des Sozialleistungsbetruges ist der fallbezogene Informationsaustausch zwischen den Seite 3 von 5 beteiligten Dienststellen gewährleistet. Abstimmungsfördernde Besprechungsrunden unter Beteiligung der zuständigen Ämter auf kommunaler Ebene werden derzeit seitens der Polizei Berlin regelmäßig mit dem Bezirksamt Neukölln durchgeführt. 7. Welche konkreten Maßnahmen wurden aus der Studie zur Paralleljustiz von 2015 seitens des Berliner Senats umgesetzt? (Aufstellung erbeten.) Zu 7.: Zur Umsetzung der in der Studie zu „Paralleljustiz“ in Berlin vorgeschlagenen Maßnahmen wurde gemäß Beschluss des Senats vom 10. Mai 2016 zu „Paralleljustiz“ unter Federführung der Justizverwaltung eine Arbeitsgruppe mit Beteiligung der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, der Senatsverwaltung für Inneres und Sport und der Polizei Berlin eingerichtet, die ihre Arbeit im Juli 2018 abgeschlossen hat. Es wurden die folgenden Maßnahmen umgesetzt: • Strukturierte Informationsgewinnung durch Einrichtung eines Ansprechpartnersystems zu „Paralleljustiz“ bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften (bei der Staatsanwaltschaft Berlin existiert bereits seit März 2016 ein solcher Ansprechpartner). • Sensibilisierung der Gerichte und Staatsanwaltschaften durch Ausgabe von Praxisleitfäden zum Erkennen von und Umgang mit „Paralleljustiz“ im Strafrecht und an den Familiengerichten. • Regelmäßige Fortbildungen zu interkulturellen Kompetenzen, Diversität, Diskriminierung, Islam und Paralleljustiz sowohl intern bei Polizei und Justiz als auch an der Verwaltungsakademie Berlin. • Erstellung von Informationsmaterialien über die Grundzüge des deutschen Rechtssystems. • Rechtskundeunterricht „WIR im Rechtsstaat“ in Schulen, Volkshochschulen und teilweise auch Flüchtlingsunterkünften. • Sprach- und Integrationskurse in den Volkshochschulen. • Fortlaufende Kontaktpflege und Netzwerkarbeit der Polizei in migrantisch geprägten Kiezen. • Herstellung zusätzlicher Kommunikationswege in migrantisch geprägten Communities. • Sichtbare Polizeipräsenz in migrantisch geprägten Kiezen. Flankierend wurde in der Staatsanwaltschaft Berlin der Personalansatz der für die Bekämpfung der OK zuständigen Abteilungen erhöht, um die nachhaltige Verfolgung von Verdunkelungstaten sowie zeitnahe Maßnahmen zur Beweissicherung - wie z. B. richterliche Vernehmungen oder auch Videovernehmungen - zu gewährleisten. Ziel ist es, den potentiellen Einfluss von Friedensrichtern auf die justizielle Beweisgewinnung auszuschließen oder zumindest dauerhaft zu minimieren. Seite 4 von 5 8. Wie erklärt sich der Widerspruch, dass der Bereich der Schutzgelderpressung als ein Hauptbestandteil der Delikte von Tätern aus Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga als Beispiel angeführt wird, obwohl die Zahl von 2010 (19 Fälle) zu 2017 auf 9 Fälle massiv abgesunken ist? Zu 8.: Die Polizei Berlin kennt keine Aussage, wonach die Schutzgelderpressung Hauptbestandteil der Delikte von Tätern aus Mitgliedstaaten der Arabischen Liga ist. 9. Welche Maßnahmen ergreifen die Polizei Berlin und Staatsanwaltschaft gegen Friedensrichter im Bereich der Clankriminalität, welche bewusst und fahrlässig fernab unseres Rechtsstaates agieren? (Aufstellung der Maßnahmen erbeten.) Zu 9.: Sofern den Strafverfolgungsbehörden Anhaltspunkte auf die Einschaltung oder das Agieren von sogenannten „Parallelschlichtern“ oder „Streitschlichtern“ bekannt werden, findet eine Ansprache der Betroffenen statt, in der diese auf die Möglichkeiten und Normen des Rechtsstaats hingewiesen werden. Streitschlichtern werden insbesondere ihre neutrale Rolle und die möglichen strafrechtlichen Konsequenzen ihres Handels verdeutlicht. Im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung erfolgt beim Bekanntwerden von Einflussnahmen oder der Behinderung polizeilicher Arbeit die Einleitung von Ermittlungsverfahren, beispielweise wegen des Verdachts der Strafvereitelung, Begünstigung, falscher Verdächtigung, Bedrohung oder Nötigung. Den Dienstkräften der Polizei Berlin steht ein Merkblatt mit Handlungsempfehlungen zum polizeilichen Umgang mit sogenannten „Streitschlichtern“ zur Verfügung. 10. Welche konkreten Maßnahmen wurden ergriffen, nachdem in verschiedenen sozialen Netzwerken Fahndungsaufrufe aus dem Bereich der Arabischen Liga (zum Beispiel im Hinblick auf den Mord an Nidal R.) verbreitet wurden und zu wie vielen Strafanzeigen kam es in dessen Folge? (Aufstellung erbeten.) Zu 10.: Im Zusammenhang mit der Verbreitung von Informationen oder Bildern in sozialen Netzwerken, die sich auf aktuelle Ermittlungsverfahren beziehen, wird grundsätzlich geprüft, ob strafbare Inhalte dargestellt werden. Die Prüfung führt regelmäßig einerseits zur Einleitung von Strafermittlungsverfahren und andererseits zur Aufforderung der Löschung an die Betreiber der Seiten. Sollten bedrohliche Inhalte verbreitet werden, erfolgen neben der Einleitung von Ermittlungsverfahren gegebenenfalls auch Sicherheitsgespräche und Gefährderansprachen. Im angefragten Fallzusammenhang wurde eine Strafanzeige gefertigt. Weitere Auskünfte können wegen der andauernden umfangreichen Ermittlungen in dem Verfahren, das die Tötung von Nidal R. zum Gegenstand hat, nicht erteilt werden. 11. Wird weiterhin daran festgehalten, dass im Land Berlin keine Klauseln zur Organisierten Kriminalität in Kaufverträge von Liegenschaften aufgenommen werden, die der Geldwäsche durch den Handel mit Grundstücken entgegenwirken könnten und wenn ja, mit welcher Begründung? 12. Welche Maßnahmen hat die Senatsverwaltung für Finanzen umgesetzt, bzw. geplant um jener Problematik entgegenzuwirken? (Aufstellung realisierter und geplanter Maßnahmen sowie deren Zielsetzungen erbeten.) 13. Kann das Land Berlin derzeit vollkommen ausschließen, Grundstücksverkäufe oder -käufe getätigt zu haben, die in Verbindung mit Geldwäsche und illegalen Kaufgeschäften stehen und wie wird dies auch zukünftig gewährleistet? (Wenn ja, auf welche Weise?) Seite 5 von 5 Zu 11. bis 13.: Derartige Klauseln entfalten in der Praxis keine Rechtswirkung. Insoweit gilt es, bei der Auswahl seiner Geschäftspartner besondere Sorgfalt walten zu lassen. Die Senatsverwaltung für Finanzen und die für das Land Berlin tätige Berliner Immobilien Management GmbH handeln dementsprechend sorgfältig. Dennoch kann nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass Käufe oder Verkäufe im Sinne der Fragestellung getätigt wurden oder werden. Es gibt derzeit jedoch keine dahingehenden Erkenntnisse. 14. Wie erfolgreich schätzt die Berliner Polizei die Phänomenstreife „Nachtleben“ aus dem LKA 6 ein, nachdem es seit 2013 keine „Besondere Aufbauorganisation“ (BAO) „Türsteher“ (LKA 4) mehr gibt? Zu 14.: Eine Phänomenstreife „Nachtleben“ existiert bei der Polizei Berlin nicht. Im Kontext mit dem Thema dieser Schriftlichen Anfrage gibt es eine Phänomenstreife „Täterorientierte Bekämpfung schwerer Bandenkriminalität“, die sowohl in repressiver als auch präventiver Hinsicht überaus erfolgreich tätig ist. Sie steht in keinem Zusammenhang mit der Besonderen Aufbauorganisation „Türsteher“. 15. Ab wann konkret wird die Polizei Berlin die polizeiliche Videovernehmung einsetzen, besonders im Bereich der Organisierten Kriminalität, und wieso verzögert sich der Einsatz dieser Methode seit Beschluss im Innenausschuss bisher? Zu 15.: Die polizeiliche Videovernehmung befindet sich derzeit im personalvertretungsrechtlichen Beteiligungsverfahren. Ein Einführungszeitpunkt kann daher noch nicht benannt werden. Berlin, den 22. Oktober 2018 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport