Drucksache 18 / 16 792 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Bettina Jarasch und Sebastian Walter (GRÜNE) vom 18. Oktober 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Oktober 2018) zum Thema: Offene Rechnungen: wie können Verfahren beschleunigt werden? und Antwort vom 05. November 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Nov. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Frau Abgeordnete Bettina Jarasch und Herrn Abgeordneten Sebastian Walter (Bündnis 90/Die Grünen) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/16792 vom 18.10.2018 über Offene Rechnungen: wie können Verfahren beschleunigt werden? ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. In der 36. Sitzung des Hauptausschusses berichtete der Senat, dass Rechnungen der Betreiber von Flüchtlingsunterkünften aus den vergangenen Jahren in Höhe von insgesamt 10,4 Millionen Euro noch offen seien. Die Rote Nummer 1327 A vom 25. September 2018 beziffert nunmehr die Höhe der offenen Rechnungen mit 18.745.291,97 Euro - davon 13.527.504,74 € strittig, weitere 5.217.787,23 € noch nicht geprüft. Wieso steigt die Summe der offenen Rechnungen weiter an, obwohl der Senat sich um eine zügige Abarbeitung offener Rechnungen bemüht und dafür im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) extra eine „Projektgruppe zur Ermittlung einer endgültigen Vergütung für Flüchtlingsunterkünfte mit nicht endverhandelten Belegungssätzen“ eingerichtet hat, um offene Forderungen insbesondere aus der Zeit zwischen 2014 und 2016 endgültig zu klären und zu begleichen? Zu 1.: Die Summe der offenen Rechnungen steigt nicht an. In der 35. Sitzung des Hauptausschusses wurde berichtet, dass Rechnungen im Umfang von 10,4 Mio. € nur von Betreiberinnen/Betreibern offen sind. In der Roten Nummer 1327 A wurden entsprechend des Berichtsauftrages alle offenen Rechnungen aufgelistet, also nicht nur von Betreiberinnen/Betreibern sondern auch von anderen Dienstleistern. Der Stand an offenen Rechnungen im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) unterliegt ständigen Schwankungen, da jeden Monat Rechnungen im zweistelligen Millionenbereich eingehen und bearbeitet werden. 2 Die Projektgruppe zur Ermittlung einer endgültigen Vergütung für Flüchtlingsunterkünfte mit nicht endverhandelten Belegungssätzen bearbeitet keine offenen Rechnungen, sondern verhandelt Vergütungen. Die Betreiberinnen/Betreiber bezeichnen ihre geforderten, höheren Vergütungen häufig als offene Forderungen. Für diese liegen jedoch keine Rechnungen vor, die beglichen werden könnten. Ob aus den Verhandlungen eine Forderung für die Betreiberinnen/Betreiber entsteht oder eine Rückforderung für das Land Berlin, kann erst nach Abschluss der Verhandlungen benannt werden. 2. Die Rote Nummer 1327 A benennt 17 Betreiber von insgesamt 40 Flüchtlingsunterkünften, die derzeit ohne endverhandelten Tagessatz, d.h. auch ohne endgültigen Vertrag arbeiten, sowie von weiteren 24 Betreibern, die insgesamt 36 mittlerweile geschlossene Unterkünfte ohne endverhandelten Tagessatz und Vertrag betrieben hätten. 2a. Ist beabsichtigt, dass alle 17 Betreiber dieser derzeit aktuellen Flüchtlingsunterkünfte Verträge abschließen sollen? Zu 2a: Ja, die Zielstellung des LAF beinhaltet, dass alle 17 Betreiberinnen/Betreiber am Ende der Verhandlungen einen Vertrag abschließen. Die Annahme obliegt jedoch dem Betreiber selbst. 2b. Müssen auch diejenigen Betreiber mittlerweile geschlossener Unterkünfte, die bei Schließung der Unterkunft einen Beendigungsvertrag unterzeichnet haben, ihre Kosten erneut darstellen, oder gelten diese Vorgänge als erledigt? Zu 2b: Betreiberinnen/Betreiber, die eine beiderseitig unterzeichnete Aufhebungsvereinbarung für ihre Objekte haben, müssen ihre Kosten nicht erneut darstellen, die Vorgänge gelten als erledigt. 2c. Im Zwischenbericht heißt es weiter, dass Betreibern, die sich für keines der beiden angebotenen Verfahren (Ist-Kosten oder Kalkulation) entschieden haben, vom LAF ein angemessener Tagessatz zur Endabrechnung bzw. zur Ermittlung zukünftiger Kosten angeboten worden sei. Ist erwogen worden, ein solches vereinfachtes Verfahren allen Betreibern, die noch keine endverhandelten Tagessätze haben, anzubieten und wenn nein, warum nicht? Zu 2c: Ein solches Verfahren wurde erwogen, es wäre jedoch nicht zielführend. Sofern die Betreiberin/der Betreiber eine höhere Vergütung fordert als bisher vereinbart, muss diese begründet werden. Das Angebot einer höheren Vergütung durch das LAF ohne die Darlegung der Angemessenheit, wäre nicht mit den Haushaltsgrundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit vereinbar. Nur in den Einzelfällen, in denen der Betreiber keine höhere Vergütung fordert, kann durch das LAF geprüft werden, ob die vorläufige Vergütung auf Basis der vorliegenden Informationen angemessen ist und es kann ein entsprechendes Angebot für die Zukunft erfolgen. 2d. Wie werden die Referenzwerte ermittelt, die das LAF zur Prüfung der eingereichten Ist-Kosten und Kalkulationen bzw. zur Ermittlung eines angemessenen Tagessatzes zugrunde legt? Zu 2d: Die Referenzwerte wurden auf Basis einer Betrachtung der am Markt vereinbarten Preise und diesen zugrundeliegenden Kalkulationen ermittelt. Hierfür wurden die vereinbarten Preise bzw. Kosten der Betreiber nach Kategorien (z. B. Personalkosten, Sicherheitsdienstleistungen, Catering etc.) erfasst, ausgewertet und um Ausreißer bereinigt. Aufgrund der Struktur der Daten wurde als Referenzwert zur Beurteilung der Angemessenheit je Kostenkategorie der Mittelwert zzgl. der Standardabweichung festgelegt. 3 2e. Die Mehrzahl der Betreiber, über deren endgültige Tagessätze derzeit verhandelt wird, hat die Unterkünfte auf der Grundlage einer Absichtserklärung betrieben, die zwischen der damaligen Senatsverwaltung bzw. dem LaGeSo und den Betreibern vereinbart wurde. Welche Verbindlichkeit bzw. welchen Status hat eine solche Absichtserklärung für die Verhandlungen der derzeitigen Senatsverwaltung bzw. des LAF mit diesen Betreibern? Zu 2e: Die genannte Absichtserklärung hat den Rechtscharakter eines Vorvertrages (Rechtsbindungswille der Parteien), durch den die Verpflichtung der Vertragsparteien zum Abschluss eines endgültig verhandelten Belegungssatzes begründet wird. In diesen Absichtserklärungen wurden durch die Parteien nur vorläufige Vereinbarungen hinsichtlich des Leistungsumfanges und der Leistungsvergütung getroffen. 3. Das LAF möchte bis Jahresende für alle damaligen und heutigen Betreiber die endgültige Vergütung festlegen. Welche Verfahren haben dabei Vorrang: Richtet sich die Prüfung der vorgelegten Ist-Kosten bzw. Kalkulationen danach, wie sehr die wirtschaftliche Situation eines Betreibers durch die ausstehenden Gelder gefährdet wird (also nach der Höhe der offenen Beträge in Relation zur Größe des Betreibers) oder gibt es andere Kriterien für die Priorisierung? Bitte ggf. die Kriterien darstellen. Zu 3.: Wie bei 1. beschrieben, kann die Höhe der offenen Forderungen, erst nach Abschluss der Verhandlungen beziffert werden. Sie kann deshalb nicht im Vorhinein als Kriterium herangezogen werden. Die Reihenfolge der Prüfung richtet sich nach dem Eingang der zu prüfenden Unterlagen. Mit dem Abschluss des Projektes wird zwischenzeitlich nicht mehr zum 31.12.2018 gerechnet. 4a. Wie viele Betreiber haben sich entschieden, die ihrer Ansicht nach offenen Forderungen gerichtlich einzuklagen? Wie viele Verfahren sind dabei konkret vor den Berliner Gerichten anhängig? Wie hoch ist der jeweilige Streitwert? Mit wie vielen weiteren Verfahren ist nach Einschätzung des Senats zu rechnen? Zu 4a: Aktuell sind 56 Klagen rechtshängig, bei denen Streitgegenstand Betreiberleistungen und deren Vergütung sind, diese betreffen jedoch nicht nur Betreiber mit nicht endverhandelten Belegungssätzen, sondern auch andere Sachverhalte wie z. B. die Unterbringung in Hostels. Die Forderungssumme aller Verfahren beträgt rund 8 Mio. €. Ob weitere Verfahren angestrebt werden, ist nicht bekannt. 4b. Hat das LAF umgekehrt Betreiber gerichtlich verklagt, die offene Forderungen nicht zurückzahlen wollten oder hat es das noch vor und wenn ja, wie ist der Stand der Verfahren? Zu 4b: Bei Forderungen, welche das LAF selbst gegenüber Betreiberinnen/Betreibern hat, erfolgt in der Regel eine Aufrechnung als ebenfalls wirksame Maßnahme. In anderen Fällen wird zur Durchsetzung von Geldforderungen ein gerichtliches Mahnverfahren betrieben. Dies ermöglicht die Vollstreckung einer Geldforderung ohne Klageerhebung. Bei rechtshängigen Verfahren wird, wenn begründbar, Widerklage erhoben. Davon unabhängig wurde bisher in einem Fall Klage erhoben. In den Fällen, in denen es rechtlich geboten ist, werden auch in Zukunft die zweckmäßigsten Instrumente zur Durchsetzung von Forderungen des LAF eingesetzt. 4c. Wie stellt der Senat sicher, dass die Mitarbeiter*innen des damaligen LaGeSo und heutigen LAF nicht länger fürchten müssen, wegen der Auftragsvergabe an Betreiber durch bloße Absichtserklärung und ohne Vertragsabschluss in der Zeit der großen Ankunftszahlen von Flüchtlingen disziplinarrechtlich belangt zu werden? 4 Zu 4c: Liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vor, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, so hat die oder der Dienstvorgesetzte die Dienstpflicht, ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Der Senat hat insoweit kein Ermessen. 5. Einzelne Betreiber haben auch Kosten geltend gemacht, wenn die vorgehaltenen Kapazitäten in den Unterkünften nicht oder nur teilweise durch das LAF belegt wurden. Welche Belegungsalternativen haben Betreiber, wenn das LAF die vorgehaltenen Kapazitäten nicht nutzt? 5b. Für den Fall, dass der Betreiber keine Belegungsalternativen hat: gibt es Überlegungen des Senats, diesem Umstand Rechnung zu tragen, indem die vorgehaltenen Kapazitäten ausfinanziert werden? Falls nicht, sieht der Senat andere Möglichkeiten, insbesondere mit den kleinen und sozial ausgerichteten Betreibern hier einen wirtschaftlich tragbaren Weg zu finden? 5c. Welche sonstigen Möglichkeiten sieht der Senat, um vom LAF nicht genutzte Plätze in Unterkünften zukünftig anderweitig zu nutzen – bsp. durch die sozialen Wohnämter der Bezirke? Zu 5., 5b und 5c: Im Regelfall ist eine Belegung ausschließlich durch das LAF möglich. In einzelnen Altverträgen ist auch eine Belegung durch die sozialen Wohnhilfen der Bezirke geregelt. Bei Betreiberinnen/Betreibern, die auf Basis eines Altvertrages oder einer Absichtserklärung tätig sind, erfolgt entweder die Erstattung von Ist-Kosten oder es wird ein Belegausfallsatz gezahlt, so dass die Kosten der Betreiberin/des Betreibers auch bei einer geringeren Belegung refinanziert werden. Hiervon sind insbesondere Notunterkünfte betroffen, die aufgrund der anstehenden Schließung nicht mehr belegt wurden. Bei neuen Verträgen für Gemeinschaftsunterkünfte erfolgt die Vergütung für belegte Plätze. Es wird mit einer 95 % Auslastung kalkuliert, so dass die Betreiberin/der Betreiber bei einer Vollbelegung einen Überschuss erzielt. Bei einer geringeren Belegung besteht für die Betreiberin/den Betreiber die Möglichkeit, variable Kosten zu reduzieren. Bei einer dauerhaften Unterbelegung besteht ein Sonderkündigungsrecht. Eine dauerhafte Unterbelegung von Gemeinschaftsunterkünften ist nicht absehbar, da weiterhin ein hoher Bedarf an Unterbringungsplätzen für wohnungslose Personen besteht. Bereits jetzt wohnen in den Unterkünften des LAF zu ca. 50 % Personen, die in der Zuständigkeit der sozialen Wohnhilfen der Bezirke sind. Ziel ist, diesen Anteil weiter zu erhöhen, um die Nutzung von vertragsfreien Unterkünften durch die Bezirke zu verringern und die Unterkünfte des LAF voll auszulasten. Berlin, den 05. November 2018 In Vertretung Daniel T i e t z e _____________________________ Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales