Drucksache 18 / 16 817 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Franz Kerker (AfD) vom 22. Oktober 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Oktober 2018) zum Thema: Genitalbeschneidung und Antidiskriminierungsgesetz und Antwort vom 06. November 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 09. Nov. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Stefan Franz Kerker (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/16 817 vom 22. Oktober 2018 über Genitalbeschneidung und Antidiskriminierungsgesetz ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Abgeordneten Der Artikel 2 (2) des Grundgesetzes garantiert das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dem Artikel 3 (1) des Grundgesetzes zufolge sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich; Artikel 3 (3) erklärt, dass niemand wegen seines Glaubens oder seiner religiösen oder politischen Anschauungen wegen benachteiligt oder bevorzugt werden dürfe. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Null Toleranz gegenüber weiblicher Beschneidung oder Genitalverstümmelung: Opfern helfen und Genitalverstümmelung verhindern [Drucksache 17/2700] stellt in Bezug auf die Situation der Betroffenen u.a. fest: „Der Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit ist im Grundgesetz niedergelegt und muss seitens des Staates sichergestellt werden." Der Koalitionsvertrag erklärt u.a. folgendes: „Die Koalition wird die Aufklärung über weibliche Genitalverstümmelung und die kultursensible, medizinische sowie psychologische Hilfe von Betroffenen in Kooperation mit Initiativen und Aktivist*innen sowie die Entwicklung eines Referenzzentrums unterstützen .“ Ich frage den Senat: 1.) Die Beschneidung von Jungen stellt ebenfalls einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Welche Position vertritt der Senat diesem Sachverhalt gegenüber? 2.) Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit sind strafbar, sofern sie nicht medizinisch erforderlich sind. Die Beschneidung von Jungen wird aber dort toleriert, wo die Eltern die Notwendigkeit der Beschneidung mit sozialen Normen begründen, die sie aus ihren jeweiligen religiösen Überzeugungen herleiten. Wie kann die Beschneidung von Mädchen unterbunden werden, wenn diese ebenfalls aus Glaubensüberzeugungen der Eltern heraus begründet wird und jene sich auf Artikel 3 (3) berufen? 2 Die Beschneidung weiblicher Genitalien wird inzwischen zunehmend auch in Europa praktiziert. [ausführlich : Donner, Susanne: Legal beschnitten. Der Tagesspiegel Nr. 23602 vom 26.09.2018. S. 16.] Zu 1. und 2.: Die Beschneidung von Jungen erfüllt den objektiven Tatbestand einer Körperverletzung gemäß § 223 Strafgesetzbuch (StGB). Nach § 228 StGB ist es aber grundsätzlich möglich, dass die betroffene Person mit der Folge in den Eingriff einwilligt, dass die Rechtswidrigkeit und damit die Strafbarkeit entfällt, wobei bei einwilligungsunfähigen Personen der gesetzliche Vertreter die Einwilligung erteilen muss. Für noch nicht einwilligungsfähige Jungen hat der Bundestag mit dem Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes vom 10. Dezember 2012 (BGBl. I, S. 2749 f.) in § 1631d Absatz 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelt, dass die Personenfürsorge auch das Recht umfasst, „in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll“. Eine Begründung dieser Einwilligung unter sozialen oder religiösen Aspekten ist nicht erforderlich. Allerdings darf die Einwilligung dann nicht erteilt werden, wenn durch die Beschneidung das Kindeswohl gefährdet würde (§ 1631d Absatz 1 Satz 2 BGB). In Betracht kommt eine solche Kindeswohlgefährdung zum Beispiel bei besonderen Gesundheitsgefahren für das Kind. Die Verstümmelung weiblicher Genitalien ist seit 2013 in § 226a StGB (Verstümmelung weiblicher Genitalien) besonders unter Strafe gestellt. Auch bezüglich dieses Tatbestandes kommt eine Einwilligung nach § 228 StGB in Betracht. Der Gesetzgeber hat für einwilligungsunfähige Mädchen jedoch keinen dem des § 1631d Absatz 1 Satz 1 BGB vergleichbaren Rechtfertigungsgrund geschaffen. Der Senat vertritt keine von dieser Rechtslage abweichende Auffassung. 3.a) Welche Maßnahmen trifft der Senat, um das seit 2013 bestehende Verbot weiblicher Genitalbeschneidung durchzusetzen? 3.b) Falls er das Verbot nicht durchsetzt: weshalb toleriert er die Praxis nicht, etwa im Sinne des Respektes vor den pluralen Lebensentwürfen sogenannter „People of African Descent“? Zu 3a) und 3b): Die Verfolgung strafrechtlich relevanter Sachverhalte der Verstümmelung weiblicher Genitalien obliegt der Polizei und den Strafverfolgungsbehörden der Justiz. Darüber hinaus setzt sich der Berliner Senat gegen jede Form von Gewalt ein. In dem Kontext ist es ihm auch im Hinblick auf eine wirksame Prävention ein wichtiges Anliegen, dass von Genitalverstümmelung (FGM/C) bedrohte oder betroffene Frauen und Mädchen frühzeitig gezielte Unterstützung und Beratung erhalten. In Berlin bietet das vom Senat gefördert Familienzentrum Balance e.V. Hilfs-, Beratungs- und Fortbildungsangebote zum Thema Genitalverstümmelung an. Zu diesen Angeboten gehört auch das Projekt „Aufsuchende Beratung und Unterstützung für schwangere Frauen und zu Fragen von Familienplanung, Sexualität und Erziehung im Kontext von Flucht und ggf. Traumatisierung“. Darüber hinaus koordiniert Balance e.V. seit 2009 den Runden Tisch „Stopp FGM/C in Berlin-Brandenburg“. An den Gesprächsrunden nehmen unterschiedliche Akteure teil, u.a. Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Vereinen sowie Einzelpersonen. Der Runde Tisch fokussiert mehrere Arbeitsbereiche wie beispielweise die Fortbildungen für medizinische und pädagogische 3 Fachkräfte, die Arbeit mit unterschiedlichen Communities, die FGM/C befürworten, sowie Presse- und Lobbyarbeit. Allgemeine Informations-, Aufklärungs- und Weitervermittlungsarbeit wird darüber hinaus auch von geförderten Beratungs- und Hilfeangeboten für Migrantinnen geleistet. Von Genitalverstümmlung bedrohte Mädchen erhalten Hilfe über die Jugendämter und den Mädchennotdienst. Berlin, den 6. November 2018 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung