Drucksache 18 / 16 848 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) vom 24. Oktober 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Oktober 2018) zum Thema: Gewaltschutzambulanzen und Antwort vom 09. November 2018 (Eingang beim Abgordnetenhaus am 15. Nov. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/16 848 vom 24. Oktober 2018 über Gewaltschutzambulanzen -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Bedeutung hat für den Senat die Arbeit der Gewaltschutzambulanz an der Charité für den Schutz von Opfern häuslicher Gewalt in Berlin? Zu 1.: Der Senat schätzt die Bedeutung der Gewaltschutzambulanz (GSA) für den Schutz von Opfern jeglicher Formen von Gewalt als sehr hoch ein und hält sie für einen unverzichtbaren Baustein in der Unterstützungslandschaft im Land Berlin. Die Gewaltschutzambulanz (GSA) ist die rechtsmedizinische Untersuchungsstelle für Berlin und bietet Opfern von Gewalt eine kostenlose rechtsmedizinische Dokumentation an. Fast die Hälfte der Betroffenen, die sich an die GSA wenden, sind Opfer von häuslicher Gewalt. Neben der Einbringung der rechtsmedizinischen Dokumentation in einem Strafverfahren aufgrund von häuslicher Gewalt ist sie auch im Rahmen einer Gewaltschutzanordnung sowie eines familienrechtlichen Verfahrens zur Klärung des Sorgerechts der Kinder hilfreich und sinnvoll . Rückmeldungen seitens der Strafverfolgungsbehörden ergeben, dass die rechtsmedizinischen Dokumentationen der GSA vor allem bei Fällen von häuslicher Gewalt häufig zu einem geständigen Verhalten der Angeklagten führen, so dass den Gewaltopfern oftmals eine Aussage vor Gericht und die Gefahr der damit verbundenen Retraumatisierung erspart werden kann. 2. Welche Verbesserungsmöglichkeiten sieht der Senat bei deren Arbeit und was wird davon bis wann umgesetzt ? Zu 2.: Die personelle Kapazität der Gewaltschutzambulanz befindet sich aufgrund der hohen Nachfrage an ihrer Kapazitätsgrenze, so dass eine weitere personelle Aufstockung für den Doppelhaushalt 2020/2021 anzustreben ist. Auch die angestrebte Ausweitung der Öffnungszeiten erfordert einen Aufwuchs der Mittel für die GSA. - 2 - 3. Wie beurteilt der Senat die Arbeit der Gewaltschutzambulanz im Hinblick auf Qualität und Effizienz im Vergleich zu anderen Einrichtungen, z.B. dem Netzwerk Probeweis in Hannover oder dem Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Düsseldorf? Zu 3.: Der Senat bewertet nicht die Arbeit von Einrichtungen außerhalb des Landes Berlin. Gleichwohl zeigt ein Vergleich, dass die Gewaltschutzambulanz ein bundesweit herausragendes Angebot darstellt. Aus einer Pressemitteilung des Netzwerks ProBeweis vom 01.09.2017 (https://www.probeweis.de/de/service/presse-news-downloads/pressearchiv/MHH-InfoBilanz) geht hervor, dass es zu diesem Zeitpunkt seit fünf Jahren in 26 Städten in Niedersachsen vertreten war und in dieser Zeit insgesamt 560 Fälle untersucht wurden. In den vier Jahren und acht Monaten seit Einrichtung der GSA wurde in 2059 Fällen eine rechtsmedizinische Untersuchung durchgeführt (Stichtag 1. November 2018). Die Fallzahlen des Instituts für Rechtsmedizin der Uniklinik Düsseldorf liegen dem Senat nicht vor. Ein weiterer, für den Senat elementarer Unterschied ist, dass die Untersuchungen im Netzwerk ProBeweis von Klinikern durchgeführt werden, die sich lediglich konsiliarisch von Rechtsmedizinern beraten lassen können. Dagegen werden sämtliche in der GSA durchgeführten Untersuchungen durch Fachärztinnen und -ärzte für Rechtsmedizin bzw. von Assistenzärztinnen und -ärzten, die auf diesem Gebiet tätig sind, unter der Supervision einer Fachärztin für Rechtsmedizin durchgeführt. Dieser Qualitätsanspruch ist dem Senat sehr wichtig, da die rechtsmedizinische Expertise und Erfahrung bei den hohen Fallzahlen in Berlin eine große Rolle in Strafverfahren sowie Familiengerichtsverfahren spielt. Klinisch tätiges ärztliches Personal verfügt in der Mehrzahl nicht über diese Erfahrungen und insbesondere nicht über die Erfahrungen in gerichtlichen Verfahren. 4. Warum bietet die Berliner Gewaltschutzambulanz nur Konsil für die Charité selbst an anstatt wie z.B. die Einrichtungen in Hannover und Düsseldorf für alle Ärzte? Zu 4.: Entgegen der Annahme, die GSA biete nur Konsil für die Charité, steht diese sämtlichen Fachkräften, die mit Gewaltopfern arbeiten, so auch sämtlichen Berliner Ärztinnen und Ärzten, jederzeit für eine Beratung kostenlos zur Verfügung. Ferner werden Untersuchungen von stationär versorgten Gewaltopfern in sämtlichen Berliner Kliniken durchgeführt ; hierfür wurde nach Erweiterung der Gewaltschutzambulanz auf sechs Ärztinnen im Jahr 2016 extra ein mobiler Dienst eingeführt. Zudem verweisen nahezu sämtliche Rettungsstellen der Stadt und viele niedergelassene Praxen ambulant versorgte Patienten an die GSA, so dass seit Einrichtung der GSA 26 % aller Gewaltbetroffenen, die in der GSA untersucht werden, aus anderen Kliniken oder von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten kommen. Diese Zahl wird nur noch durch die Zuweisungen der Polizei (31%) übertroffen. Darüber hinaus versorgt die GSA mit einem mobilen Dienst alle fünf Kinderschutzambulanzen der Stadt. 5. Welche Wege der rechtssicheren Dokumentation und anonymen Spurensicherung für medizinische Einrichtungen außerhalb der Charité sieht der Senat für Gewaltopfer in Berlin und hält er dies für ausreichend? Zu 5.: Eine rechtssichere Dokumentation ohne Anzeige von Verletzungsfolgen wird derzeit in den meisten Rettungsstellen der Stadt und in vielen Praxen angeboten. Die Charité hält für ihre vier Rettungsstellen für Erwachsene sogar einen eigenen Qualitätszirkel vor, in dem sämtliche Mitarbeiter regelmäßig geschult werden, so dass gewährleistet ist, dass in jeder Dienstschicht der Rettungsstellen mindestens eine erfahrene Fachkraft vor Ort ist. Da aber keine Rechtsmedizinerinnen und -mediziner in den Rettungsstellen vor Ort sind, erfolgt in der Regel nach einer Dokumentation trotzdem die Bitte zum Aufsuchen der GSA, um eine rechtsmedizinische Untersuchung zu gewährleisten. Die vertrauliche Spurensicherung nach Sexualdelikten (anzeigenunabhängige DNA- Spurensicherung) wird derzeit nur über die GSA angeboten. Da lediglich die Charité in - 3 - Berlin eine Kooperation mit dem Landeskriminalamt für die Versorgung von Opfern von sexualisierter Gewalt unterhält und dementsprechend über die standardisierten Verfahrenswege und sämtliche benötigte Fachrichtungen einschließlich eines entsprechenden Qualitätszirkels verfügt, erfolgen die Untersuchungen lediglich in den vier Rettungsstellen der Charité. Die stetig wachsenden Fallzahlen der Gewaltschutzambulanz und die hohe Zuweisung durch sämtliche medizinische Einrichtungen Berlins, die alle nicht über Rechtsmedizinerinnen verfügen, zeigen hierbei, dass das System in Berlin gut funktioniert, so dass der Senat derzeit keine weitere Notwendigkeit für andere Strukturen, wohl aber für eine bessere (insbesondere personelle) Ausstattung sieht (siehe in diesem Zusammenhang die Antwort zu 2.). 6. Anders als die Einrichtungen beispielsweise in Hannover und Düsseldorf ist die Gewaltschutzambulanz der Charité nicht integraler Bestandteil des regionalen Netzwerks für Gewaltopfer. Warum? Zu 6.: Die Gewaltschutzambulanz ist integraler und ständiger Bestandteil mehrerer regionaler Netzwerke für Gewaltopfer wie z.B. dem Netzwerk der Zentralen Anlaufstelle für Betroffene von Terroranschlägen sowie dem Netzwerk für Opferschutz der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, dem Kooperationsgremium der Kinderschutzambulanzen in Berlin, dem Netzwerk Charité gegen Gewalt, dem Qualitätszirkel häusliche und sexualisierte Gewalt, den Qualitätszirkel häusliche und sexualisierte Gewalt der Rettungsstellen, dem Runden Tisch geflüchteter Frauen sowie den Qualitätszirkel Deeskalation. Darüber hinaus nimmt die GSA periodisch als geladener Gast an weiteren Netzwerken, wie z.B. dem Netzwerk Frauen in Neukölln, dem Arbeitskreis Kinderwohl , dem Praxisrat, dem Landesfrauenrat und anderen Netzwerken und Gremien teil, um hier einen Austausch zu ermöglichen. 7. Wie beurteilt der Senat die Relation zwischen Kosten und betreuten Fällen bei der Berliner Gewaltschutzambulanz im Vergleich zu den exemplarisch genannten Einrichtungen in Düsseldorf und Hannover und worauf führt er die bessere Relation dort zurück? Zu 7.: Dem Senat liegen weder Erkenntnisse über die Anzahl der in Düsseldorf betreuten Fälle noch über die dortige finanzielle Ausstattung vor. Im Hinblick auf die Tätigkeit von ProBeweis in Niedersachsen wird auf die Antwort zu Frage 3. verwiesen. Auch wenn Pro- Beweis und die GSA dieselben Ziele verfolgen, sind die Strukturen in einem Flächenland wie Niedersachen gänzlich anders als in Berlin. Ein tragfähiger Vergleich zwischen den beiden Institutionen lässt sich wegen der unterschiedlichen Strukturen daher nicht herleiten . Berlin, den 9. November 2018 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung