Drucksache 18 / 16 885 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Hanno Bachmann (AfD) vom 30. Oktober 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. Oktober 2018) zum Thema: Schleuserkriminalität in Berlin und Antwort vom 14. November 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Nov. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 6 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Herrn Abgeordneten Hanno Bachmann (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/16885 vom 30. Oktober 2018 über Schleuserkriminalität in Berlin ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen (u.a.) § 96, 97 AufenthaltG wurden seit 2015 bis heute bei der Staatsanwaltschaft Berlin eingeleitet? Wie viele solcher Verfahren wurden in demselben Zeitraum gemäß §§ 153 ff oder § 170 StPO eingestellt (bitte jahrweise auflisten)? Zu 1.: Die folgende Tabelle bildet die Anzahl der Js- und UJs-Verfahren der Staatsanwaltschaft mit der Deliktseintragung §§ 96, 97 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die im Zeitraum 1. Januar 2015 bis 7. November 2018 eingegangen sind, ab. Bei Js- Verfahren wird gegen namentlich bekannte Personen ermittelt und bei UJs-Verfahren gegen namentlich nicht bekannte Personen. Die folgende Tabelle bildet die Anzahl der Js-Verfahren zu den jeweiligen Einstellungen gem. §§ 153 ff. und 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) ab (Stand 7. November 2018): Erledigungsart Anzahl 2015 Anzahl 2016 Anzahl 2017 Anzahl 2018 e.E. - § 153 a I Nr. 1 StPO 0 0 1 0 e.E. - § 153 a I Nr. 2 StPO 0 0 12 52 e.E. - § 45 II JGG 0 1 0 0 Einst. - § 153 I StPO 14 16 19 17 Jahr Anzahl Js Anzahl UJs Insgesamt 2015 187 533 720 2016 450 1168 1618 2017 171 2108 2279 2018 253 2124 2377 Summe 1061 5933 6994 Seite 2 von 6 Einst. - § 153 I StPO Abgabe OWi 0 0 0 1 Einst. - § 154 b I - 3 StPO 0 0 0 1 Einst. - § 170 II i.V.m. § 152 II StPO 4 256 11 9 Einst. - § 170 II StPO 74 72 42 49 Einst. - § 170 II StPO objektiv keine Straftat 10 11 6 0 Einst. - § 170 II StPO Verfahrenshindernis 2 2 0 3 Einst. - § 45 I JGG, § 153 StPO 2 3 1 1 Die Einstellungen der entsprechenden UJs-Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO stellen sich wie folgt dar: Erledigungsart Anzahl 2015 Anzahl 2016 Anzahl 2017 Anzahl 2018 Einstellung 517 1148 2071 2052 2. Wie viele Anklagen gegen wie viele Angeklagte wurden wegen einer Strafbarkeit gemäß §§ 96, 97 AufenthaltG seit 2015 bis heute vor den Berliner Strafgerichten erhoben (bitte jahrweise auflisten)? Zu 2.: Die nachfolgende Tabelle bildet die Anklagen vor den Berliner Strafgerichten gemäß §§ 96, 97 AufenthG zwischen 1. Januar 2015 und 7. November 2018 ab. Erledigungsart Anzahl 2015 Anzahl 2016 Anzahl 2017 Anzahl 2018 Anklage - Große Strafkammer 2 12 6 9 Anklage - Jugendrichter 0 0 1 0 Anklage - Jugendschöffengericht 0 1 1 0 Anklage - Schöffengericht 4 8 13 7 Anklage - Strafrichter 4 4 8 6 Strafbefehl mit FS auf Bew. 0 0 1 0 Strafbefehl ohne FS 18 5 7 2 3. Wie viele Verurteilungen, u.a. wegen einer Strafbarkeit gemäß §§ 95 - 97 AufenthaltG, wurden seit 2015 von den Berliner Strafgerichten ausgesprochen (bitte jahrweise auflisten)? Wie viele davon erfolgten speziell gemäß § 96 II Nr. 1 oder Nr. 2 bzw. gemäß 97 II AufenthaltG? Zu 3.: Die nachfolgende Tabelle bildet die Verurteilungen (u.a.) gemäß §§ 95 - 97 AufenthG ab, die im Zeitraum 1. Januar 2015 bis 7. November 2018 ergangen sind. Entscheidungsart Anzahl 2015 Anzahl 2016 Anzahl 2017 Anzahl 2018 Freiheitsstrafe mit Bewährung 23 24 40 17 Freiheitsstrafe ohne Bewährung 12 22 21 19 Geldstrafe 183 174 305 255 Seite 3 von 6 Gesamtfreiheitsstrafe mit Bewährung 0 0 0 1 Gesamtfreiheitsstrafe ohne Bewährung 0 0 1 1 Gesamtgeldstrafe 0 1 2 0 Jugendarrest 0 1 2 3 Jugendstrafe - Aussetzung vorbehalten (§ 57 JGG) 0 0 2 1 Jugendstrafe mit Bewährung 0 7 3 0 Jugendstrafe ohne Bewährung 1 1 5 0 Strafvorbehalt (§ 59 StGB) 4 6 4 0 Verwarnung mit Auflage, § 13 II JGG 1 0 0 0 Verwarnung ohne Auflage, § 13 II 1 JGG 0 0 0 1 Zu den folgenden Verurteilungen, die im Zeitraum 1. Januar 2015 bis 7. November 2018 ergangen sind, sind die Normen §§ 96 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 bzw. 97 Abs. 2 AufenthG notiert: Entscheidungsart Anzahl 2015 Anzahl 2016 Anzahl 2017 Anzahl 2018 Freiheitsstrafe mit Bewährung 3 9 10 2 Freiheitsstrafe ohne Bewährung 3 5 1 1 Freispruch 0 0 0 1 Geldstrafe 3 1 0 2 4. Wie verteilt sich die Staatsangehörigkeit der unter Fragen Nr. 2 / 3 genannten Angeklagten bzw. Verurteilten jeweils zwischen deutsch und ausländisch und welches sind die zehn häufigsten Staatsangehörigkeiten der ausländischen Angeklagten / Verurteilten? Zu 4.: Diese Frage kann nicht beantwortet werden, da entsprechend valide Auswertungen im EDV-basierten staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister (MESTA) nicht möglich sind. 5. Welche Rolle spielt eine rechtskräftige Verurteilung gemäß §§ 96, 97 AufenthaltG in der Berliner Verwaltungspraxis für die im Rahmen der §§ 53, 54 AufenthaltG vorzunehmende Abwägung? Gibt es hierzu Anwendungsvorgaben / Verwaltungsvorschriften? Zu 5.: Die Umsetzung der §§ 53, 54 AufenthG ist in den Verfahrenshinweisen der Ausländerbehörde Berlin geregelt und unter https://www.berlin.de/labo/willkommen-inberlin /service/downloads/artikel.274377.php nachzulesen. 6. Wie viele gemäß §§ 96, 97 AufenthaltG rechtskräftig verurteilte Ausländer sind in den Jahren seit 2015 seitens des Landes Berlin ausgewiesen worden (bitte jahrweise auflisten)? Wie viele dieser Ausgewiesenen halten sich zum 30.09.2018 immer noch in Berlin auf? Seite 4 von 6 Zu 6.: Dies wird statistisch nicht erfasst. 7. Wie viele Beamte sind bei den Berliner Sicherheitsbehörden und bei der Berliner Staatsanwaltschaft schwerpunktmäßig mit Schleuserkriminalität befasst und wie hat sich deren Zahl seit 2015 entwickelt? Zu 7.: Die Bearbeitung von Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Schleusungskriminalität in Verbindung mit unerlaubter Einreise bzw. unerlaubtem Aufenthalt in Deutschland und den damit einhergehenden Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz, das Asylverfahrensgesetz und das Freizügigkeitsgesetz/EU erfolgt beim Landeskriminalamt (LKA) Berlin. Die Sollstärke in den zuständigen Gliederungseinheiten reduzierte sich seit 2015 geringfügig von 52 auf 49 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bei der Staatsanwaltschaft Berlin sind die allgemeinen Abteilungen sowie die Schwerpunktabteilung 255 mit Schleuserkriminalität befasst. Die Abteilung 255 ist für Organisierte Kriminalität mit den Schwerpunkten Serieneinbruchstaten (ohne Wohnungseinbruch ), Menschenhandel, Zwangsprostitution, Kfz-Verschiebung und Einschleusen von Ausländern zuständig. Alle Dezernentinnen und Dezernenten der Abteilung bearbeiten dabei auch entsprechende Verfahren. Die Abteilung 255 ist mit einer Abteilungsleiterin und einem Personalschlüssel von 6,8 Dezernentinnen und Dezernenten besetzt. 8. In Deutschland halten sich derzeit ca. 690.000 rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber auf, in Berlin sind es über 44.000. Teilt der Senat die Ansicht, dass die Aussicht, ganz unabhängig von einem positiven Ausgang des Asylverfahrens in Deutschland bleiben zu können, sobald man erst einmal hierher gelangt ist, den wesentlichen Anreiz bietet, die Dienste von Schleusern in Anspruch zu nehmen und somit die völlig unzureichende Vollstreckung von Ausreisepflichten die Schleuserkriminalität fördert? Zu 8.: Es trifft nicht zu, dass sich in Berlin über 44.000 rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber aufhalten. Vielmehr hielten sich am 31.10.2018 in Berlin insgesamt 12.438 ausreisepflichtigen Personen auf. Zu diesem Personenkreis zählen nicht nur abgelehnte Asylbewerber, sondern alle ausländische Staatsangehörige, die ihr Aufenthaltsrecht verloren haben. 10.737 der insgesamt 12.438 ausreisepflichtigen Personen sind im Besitz einer Duldung und können aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen derzeit nicht abgeschoben werden. Wenn die Ausreisepflicht durchsetzbar ist und humanitäre Gründe nicht entgegenstehen, wird die Ausreisepflicht konsequent durchgesetzt. Die mit dieser Frage vorgebrachte Unterstellung, Ausreisepflichten würden unzureichend vollstreckt, entspricht nicht der Realität. Zu möglichen Zusammenhängen zwischen der Inanspruchnahme von Schleusern und der in Einzelfällen bestehenden Möglichkeit, unter Umständen auch bei negativem Asylverfahren eine Aufenthaltsperspektive zu erlangen, liegen dem Senat keine belastbaren Erkenntnisse vor. Das Gewicht der Fluchtursachen und die Propaganda der Schleuser sollten in diesem Zusammenhang jedoch nicht unterschätzt werden. 9. Hat der Senat vor dem Hintergrund, dass Schleuserkriminalität den Kontrolldelikten zuzuordnen ist, seit 2015 besondere Schwerpunkte personeller, ermittlungstechnischer, organisatorischer oder Seite 5 von 6 sonstiger Art gesetzt, um angesichts der massiv gestiegenen illegalen Einreise nach Deutschland diese Form der Kriminalität effektiver zu bekämpfen? Falls ja, welche, und falls nein, warum nicht? Zu 9.: Bei der Berliner Polizei wurde im Januar 2015 die seit dem Jahr 2000 bestehende Gemeinsame Ermittlungsgruppe Schleuser aufgrund von Organisationsveränderungen im Landeskriminalamt neu strukturiert und im Oktober 2015 mit einer Verwaltungsvereinbarung zwischen der Bundespolizeidirektion Berlin und dem Polizeipräsidenten in Berlin den veränderten Rahmenbedingungen angepasst. Hierbei wurden Zuständigkeiten und Personalstärken festgeschrieben. Schwerpunkte in der Ermittlungsführung sind von den betreffenden Ermittlungsanhalten abhängig. Einen Ermittlungsschwerpunkt bilden gewerbsmäßige und organisierte Handlungen mit Bezug zur Organisierten Kriminalität. Mit der für die Verhinderung und Bekämpfung des islamistischen Terrorismus zuständigen Dienststelle des LKA besteht seit Ende 2016 ein enger Informationsaustausch. Aus den oben genannten Zahlen der Staatsanwaltschaft Berlin zu der tatsächlichen Entwicklung der Schleuserkriminalität ergibt sich, dass im Jahr 2016 im Bereich der Bekanntsachen (Js) in Relation zu 2015 ein signifikant hoher Anstieg der Verfahrenszahlen zu verzeichnen ist, der sich in den Folgejahren jedoch nicht fortsetzte. Es handelt sich in absoluten Zahlen (263 Fälle) um einen Anstieg, der bezogen auf das Gesamtaufkommen (in den Jahren 2015 bis 2017 zwischen 147.863 und 162.211 eingehende Bekanntsachen pro Jahr) nicht ins Gewicht fällt und sich in einer für die Fallzahlen anderer Kriminalitätsfelder - auch von solchen mit ähnlichem Gewicht wie der „Schleuserkriminalität“ – nicht außergewöhnlichen Schwankungsbreite bewegt. Nach Einschätzung der Justizbehörden zeigt sich anhand der oben aufgeführten Erledigungszahlen , dass die tatsächlich eingehenden Verfahren aus dem Bereich der Schleuserkriminalität von der Staatsanwaltschaft bewältigt werden konnten, ohne dass es der Setzung besonderer Schwerpunkte in personeller oder sonstiger Hinsicht bedurft hätte. Dies alles gilt auch für den Bereich der Unbekanntsachen (UJs). 10. Mit den Anfragen 18/15431 und 18/15205 wurde jeweils die Sachlage bei der Aufarbeitung der betrügerischen Aufenthaltserschleichung durch eine nigerianisch-portugiesische Schleuserbande abgefragt. Wie ist nunmehr der aktuelle Sachstand mit Blick auf a) die Gesamtzahl der Drittstaatenangehörigen, die mit Hilfe der Bande einen Aufenthaltstitel missbräuchlich erschlichen haben, b) die Zahl der in Frage Nr. 10 a) genannten Personen, die sich noch in Berlin aufhalten, c) die Zahl der eingeleiteten Maßnahmen zur Feststellung des Verlustes der Freizügigkeit, d) die Zahl der erlassenen aufenthaltsbeendenden Bescheide, e) die Zahl der Abschiebungen bzw. freiwilligen Ausreisen aus dem Bundesgebiet, f) die Zahl derer aus der unter Frage Nr. 10a) genannten Gruppe, die inzwischen einen Asylantrag gestellt haben, g) die Zahl derer aus der unter Frage Nr. 10a) genannten Gruppe, gegen die inzwischen Anklage erhoben worden ist und h) die Zahl derer aus der unter Frage Nr. 10a) genannten Gruppe, gegen die ein Strafverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen ist (bitte nach Ergebnis – Einstellung, Freispruch, Verurteilung - untergliedern)? Zu 10.: Die nachfolgenden Zahlen haben als Stichtag den 7. November 2018. Seite 6 von 6 Zu 10 a): Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand haben insgesamt 144 Drittstaatenangehörige mit Hilfe des oben genannten Schleuserrings missbräuchlich eine Aufenthaltskarte erschlichen. Zu 10 b): Davon halten sich 105 Personen in Berlin auf. Zu 10 c): In 122 der 144 Fälle wurden bereits Maßnahmen zur Feststellung des Nichtbestehens der Freizügigkeit eingeleitet. Zu 10 d): Es sind in diesem Zusammenhang bereits 72 aufenthaltsbeendende Bescheide erlassen worden. Zu 10 e): Eine der betroffenen Personen wurde abgeschoben, zwei sind nachweislich freiwillig ausgereist. Zu 10 f): Keine der betreffenden Personen hat einen Asylantrag gestellt. Zu 10 g) und h): Gegen die Drittstaatsangehörigen, die in diesem Zusammenhang erfolgreich eine Aufenthaltskarte erschlichen oder dies zumindest versucht haben, wurden circa 180 Trennverfahren eingeleitet. Circa 140 dieser Verfahren wurden gemäß § 153 a StPO vorläufig eingestellt. Davon wurden circa 100 Verfahren nach Erfüllung der jeweiligen Auflage (Zahlung von 600,- € an die Justizkasse) bereits endgültig eingestellt. In den verbleibenden Fällen erfolgten Einstellungen gemäß §§ 154 f, 170 Abs. 2 StPO. Berlin, den 14. November 2018 In Vertretung Torsten Akmann Senatsverwaltung für Inneres und Sport