Drucksache 18 / 16 904 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) vom 30. Oktober 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 31. Oktober 2018) zum Thema: Ist Berlin gut betreut? und Antwort vom 13. November 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 16. Nov. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Herrn Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/16904 vom 30. Oktober 2018 über Ist Berlin gut betreut ? ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Bedeutung hat für den Senat das Thema „Vorsorgevollmacht“ und was unternimmt er, um möglichst viele Berlinerinnen und Berliner damit vertraut zu machen? Zu 1.: Das Instrument der Vorsorgevollmacht hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Durch eine Vorsorgevollmacht kann eine gesetzliche Betreuung vermieden werden. Denn eine/ein vom Betreuungsgericht eingesetzte/eingesetzter Betreuerin/Betreuer ist nach dem Willen des Gesetzgebers (§ 1896 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) dann nicht erforderlich, wenn und soweit eine/ein Bevollmächtigte/Bevollmächtigter die Angelegenheiten regeln kann. Damit wird das Recht auf Selbstbestimmung gestärkt: Mit einer Vorsorgevollmacht kann die/der Betroffene eine Vertrauensperson auswählen, die bei später eintretender Geschäftsund /oder Einwilligungsunfähigkeit entscheidet und handelt. Das Thema Vorsorgevollmachten hat daher eine erhebliche Bedeutung für den Senat. Die Information und Beratung darüber erfolgt einerseits durch die bezirklichen (örtlichen) Betreuungsbehörden, andererseits über die anerkannten Betreuungsvereine. Für die örtlichen Betreuungsbehörden ergibt sich aus § 4 Absatz 1 des Betreuungsbehördengesetzes (BtBG) die Pflicht, einzelne Personen über allgemeine betreuungsrechtliche Fragen, insbesondere über Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen, zu informieren. Die Betreuungsbehörden sind zudem gem. § 6 Absatz 1 BtBG verpflichtet, Aufklärung und Beratung über Vollmachten und Betreuungsverfügungen zu fördern. 2 Gemäß § 1908f Absatz 4 BGB gehört die planmäßige Information über Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen auch zum Aufgabenkreis der Betreuungsvereine und stellt eine Voraussetzung für deren Anerkennung dar. Daher sind alle in Berlin anerkannten Betreuungsvereine gleichermaßen verpflichtet, ein entsprechendes Angebot vorzuhalten. Im Rahmen ihrer gesamtstädtischen Steuerungsaufgaben wird die für Soziales zuständige Senatsverwaltung ab dem Jahr 2019 dauerhaft insgesamt 12 Betreuungsvereine und damit in jedem Berliner Bezirk einen öffentlich zugängigen Betreuungsverein über Zuwendungen fördern. Zum Aufgabenbereich der darüber geförderten Personalstelle (Querschnittsmitarbeiter/in) wird u. a. die Durchführung entsprechender Informationsveranstaltungen gehören. 2. Welche Vertriebskanäle stehen für entsprechende Informationen z.B. der Betreuungsvereine für Berlin und seine Bezirke zur Verfügung? Zu 2.: Die örtlichen Betreuungsbehörden machen das Thema „Vorsorgevollmacht“ mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung in den Bezirken öffentlich bekannt. So werden Merk- und Informationsblätter sowie Flyer der Betreuungsbehörden zum Beispiel in Bürgerämtern, Sozialämtern, Pflegestützpunkten und bei anderen Anbietern sozialer Dienstleistungen bereitgestellt. Öffentliche Veranstaltungen führen die Betreuungsbehörden entweder allein oder in Zusammenarbeit mit den örtlichen Betreuungsvereinen durch und nutzen für den Vertrieb der Informationen auch bezirkliche Veranstaltungen (Gesundheitstage, Verbund für Altenhilfe und Gerontopsychiatrie, Angehörigenabende in Pflegeeinrichtungen, Angebote für Seniorinnen und Senioren in den Freizeitstätten). Ferner werden die Internetplattformen der beteiligten Akteure für die Verteilung und Bekanntmachung von Informationen genutzt. 3. Warum verzichtet das Land Berlin, anders als alle anderen Bundesländer, auf eine eigene Broschüre zur Vorsorge? Sind die Menschen in Berlin schon von Natur aus informiert oder braucht man in Berlin nicht vorzusorgen? Zu 3.: Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) ist für die dem Betreuungsrecht zugrunde liegenden bundesrechtlichen Vorschriften zuständig und stellt zum Thema Vorsorge ausführliche Broschüren und Musterformulare zur Verfügung. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert und können kostenfrei bestellt oder online unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Betreuungsrecht.pdf?__blob=public ationFile&v=28 abgerufen werden. Auf diese Möglichkeiten wird bei den entsprechenden Stellen hingewiesen. Für den Haushalt 2020/2021 wurden seitens der für Soziales zuständigen Senatsverwaltung Mittel u. a. für eine Broschüre zum Thema Vorsorgevollmachten und Patientenverfügung zur Anmeldung gebracht. Damit sollen in Zusammenarbeit mit den Betreuungsvereinen entsprechende Informationen vor allem auch mit berlinspezifischen Bezügen bereitgestellt werden. 3 4. Welche Angebote gibt es in Sachen Vorsorgevollmacht und Betreuung für Berlinerinnen und Berliner, deren Herkunftssprache nicht Deutsch ist? Welche Sprachen werden bis wann dazukommen oder sieht der Senat hier keinen Bedarf? Zu 4.: Das BMJV hält Formulare für Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen in mehrsprachigen Ausfertigungen vor. Diese können sowohl von den Betreuungsbehörden wie auch den Betreuungsvereinen genutzt werden. Vereinzelt gibt es auch auf bezirklicher Ebene mehrsprachige Angebote zu Vorsorgevollmachten. Seitens des Senats wird auch die Notwendigkeit gesehen, den nicht deutschsprachigen Menschen darüber hinaus einen verbesserten Zugang zu dem Angebot der Vorsorge und der Betreuung zu ermöglichen. Das Thema Kosten für Dolmetscherinnen/Dolmetscher wird im Kontext der Forschungsvorhaben des BMJV (hier: Qualität in der rechtlichen Betreuung) behandelt. Hier sind die Ergebnisse abzuwarten. 5. Wenn die gerichtliche Entscheidung über die Betreuungsanordnung bis zu sechs Monaten dauert, wie wird in dieser Zeit die gebotene Unterstützung/Betreuung gewährleistet? Zu 5.: Vor der Anordnung einer rechtlichen Betreuung ist regelmäßig eine umfassende Ermittlungstätigkeit des Gerichts erforderlich, die gewisse Zeit in Anspruch nimmt. In Fällen, in denen ein sofortiges Handeln notwendig ist, kann das Betreuungsgericht in einem vereinfachten Verfahren durch einstweilige Anordnung eine/einen vorläufige/vorläufigen Betreuerin/Betreuer bestellen oder einen vorläufigen Einwilligungsvorbehalt anordnen (§ 300 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – FamFG). 6. Wie wird gewährleistet, dass gerade bei einer Betreuung aus dem Familien- oder Freundeskreis der Betreuer/die Betreuerin im aufgabennotwendigen Umfang der Amtssprache Deutsch mächtig ist und wie wird dies durch wen geprüft? Zu 6.: Gemäß § 1897 BGB bestellt das Betreuungsgericht eine natürliche Person, die geeignet ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenbereich die Angelegenheiten der/des Betreuten rechtlich zu besorgen und sie/ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen. Das erfordert die Prognose, ob die/der potentielle Betreuerin/Betreuer voraussichtlich die sich aus der Betreuungsführung und den damit verbundenen Pflichten im Sinne von § 1901 BGB folgenden Anforderungen erfüllen können. Die Beurteilung der Eignung der Betreuerin/des Betreuers ist eine Ermessensentscheidung des Tatrichters. Einer Person, die der deutschen Sprache nicht mächtig ist, dürfte regelmäßig die Eignung fehlen. Vor der erstmaligen Bestellung einer Betreuerin/eines Betreuers hat das Betreuungsgericht gemäß § 279 Absatz 2 FamFG die zuständige Betreuungsbehörde anzuhören. Die Betreuungsbehörde ist zur Berichterstattung verpflichtet (§ 8 BtBG), der Bericht soll sich auch zur Betreuerauswahl, insbesondere auch zur Eignung, verhalten. In der Regel prüft die Betreuungsbehörde die Eignung einer potentiellen Betreuerin/ eines potentiellen Betreuers im Rahmen eines Eignungsgesprächs. Eignungskriterium für die Behörden sind u. a. die notwendigen deutschen Sprachkenntnisse in Wort und Schrift. Die Betreuungsvereine achten in ihren Beratungsgesprächen gleichfalls auf die Eignung der Betreuerinnen und Betreuer und geben bei Bedenken entsprechende Rückmeldungen an das Betreuungsgericht und die Betreuungsbehörde. 4 Zur Prüfung der Anforderungen an ehrenamtlich und beruflich tätige rechtliche Betreuerinnen und Betreuer können die Betreuungsbehörden die von der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger (BAGÜS) herausgegebenen „Empfehlungen für Betreuungsbehörden bei der Betreuerauswahl“ heranziehen. Das Auswahlermessen des Betreuungsgerichts wird von dem Betreuervorschlag der Betreuungsbehörde nicht berührt, das Gericht entscheidet in richterlicher Unabhängigkeit. Gleichwohl hat das Betreuungsgericht vorrangig die Wünsche der Betreuten zu berücksichtigen. Die Auswahl der Betreuerin/des Betreuers muss sich am Wohl der betroffenen Person orientieren. Unberücksichtigt bleiben kann der Wille der betroffenen Person nur, wenn die Bestellung ihrem Wohle zuwiderlaufen würde. Werden die Umstände, die einer Bestellung entgegengestanden haben, erst später bekannt, ist eine/ein bereits bestellte/bestellter Betreuerin/Betreuer bei fehlender Eignung zu entlassen, § 1908b Absatz 1 Satz 1 BGB. Berlin, den 13. November 2018 In Vertretung Alexander F i s c h e r _____________________________ Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales