Drucksache 18 / 17 085 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Stefan Förster (FDP) vom 19. November 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. November 2018) zum Thema: Beschmiert, ignoriert und vergessen – wer rettet den Grenzwachturm am Schlesischen Busch? und Antwort vom 03. Dezember 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Dez. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 5 Senatsverwaltung für Kultur und Europa Herrn Abgeordneten Stefan Förster (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei – G Sen – Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18 / 17085 vom 19.11.2018 über Beschmiert, ignoriert und vergessen – wer rettet den Grenzwachturm am Schlesischen Busch? Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welchen Denkmalwert hat der Grenzwachturm am Schlesischen Busch und welche Begründung gab es für dessen Eintragung in die Denkmalliste im Jahr 1992? Zu 1.: Der Grenzwachturm wurde wegen der geschichtlichen und städtebaulichen Bedeutung in die Denkmalliste eingetragen. Das Landesdenkmalamt hat unmittelbar nach der Wende die Unterschutzstellung der Berliner Mauer und die Durchsetzung denkmalpflegerischer Ziele für die Mauer betrieben . Zwischen 1990 und 2005 erfolgte in mehreren Schritten die Aufnahme von überlieferten Elementen der „Berliner Mauer“ in die Denkmalliste, darunter die letzten Wachtürme am Schlesischen Busch und an der Kieler Straße. Als Teil des Grenzanlagen-Systems ist die "Führungsstelle" Schlesischer Busch ein historischer Sachzeuge der "Berliner Mauer", der Aufschluss über die 28-jährige Teilung der Stadt und somit die deutsche Nachkriegsgeschichte gibt. Wachtürme der Grenztruppen der Nationalen Volksarmee (NVA) gehörten zu den markantesten Elementen im sogenannten Todesstreifen. Gerade an den verschiedenen Wachturm- Typen lässt sich die ständige "Modernisierung" und "Verbesserung" der Grenzsicherungsanlagen nachvollziehen. Jeweils eine Gruppe der relativ schlanken Beobachtungstürme (wie an der Erna-Berger-Straße unweit des Potsdamer Platzes noch vorhanden ) wurde von einer voluminöseren sogenannten „Führungsstelle“ aus koordiniert . Die "Führungsstelle" am Schlesischen Busch ist eine von zwei am originalen Standort erhaltenen innerstädtischen "Führungsstellen" (der zweite steht am sogenannten Kieler Eck in Berlin-Mitte). Seite 2 von 5 Wachtürme des Typs "Führungsstelle" sind markanter Ausdruck des Ausbaus der innerdeutschen Grenze zu einem nahezu undurchdringlichen Todesstreifen und erinnern damit an den mit den Grenzanlagen verbundenen Schrecken und die Unmenschlichkeit dieses Bauwerks. Gemeinsam mit einer nördlich der Puschkinallee erhaltenen Plattenwand der "Vorfeldsicherung" sowie den Resten und Spuren der Grenzsicherung an der heutigen Kunstfabrik am Flutgraben bezeugt die „Führungsstelle “ einen Grenzabschnitt, der aufgrund der Lage am Flutgraben Ort zahlreicher Fluchten war. Die „Führungsstelle“ Schlesischer Busch ist auch von städtebaulicher Bedeutung, da sie Zeugnis ablegt von dem 43 km langen innerstädtischen Grenzanlagen-System, das die Stadt 28 Jahre in Ost und West teilte, das Stadtbild dominierte und nicht nur alte Verbindungen unterbrach, sondern auch zu einer getrennten städtebaulichen und infrastrukturellen Entwicklung in Ost- und West-Berlin führte. Die heutige städtebauliche Situation der „Führungsstelle“ – sie liegt einem Aussichtsturm gleich in dem in den 1990er Jahren neu gestalteten Park Schlesischer Busch – verdeutlicht zugleich auch den gerade in der direkten Nachwendezeit allgegenwärtigen Wunsch, die von der „Berliner Mauer“ in die Stadtlandschaft gerissenen Wunden wieder zu schließen. 2. Welche Bedeutung für die Erinnerung an die Berliner Mauer und die Teilung der Stadt wird dem Gebäude als einem von nur noch drei erhaltenen Wachtürmen im Stadtgebiet beigemessen? Zu 2.: Von den insgesamt 302 Wach- und Beobachtungstürmen entlang des 155 km langen Grenzstreifens um West-Berlin sind heute lediglich acht erhalten, davon drei im Bereich der 43 km langen innerstädtischen Grenze. Der "Führungsstelle" Schlesischer Busch kommt heute somit eine besondere Bedeutung für die Erinnerung an die Berliner Mauer und die Teilung der Stadt zu. Grenz- und Hinterlandmauer, Kolonnenweg und Lichttrasse sind durch landschaftsgestaltende Maßnahmen Anfang der 1990er Jahre im Umfeld des Wachtturms nahezu spurlos verschwunden. So verweist der heute von Grünflächen umgebene Wachturm in seiner isolierten Gestalt in symbolischer Überhöhung auf die Geschichte der deutsch-deutschen Teilung. 3. Was ist an Originalausstattung noch im Turm vorhanden? Zu 3.: Der rund 10 m hohe Turm auf quadratischem Grundriss besteht aus vorgefertigten Betonelementen und verfügt über vier Geschosse. Das in den Boden versenkte Sockelgeschoss enthielt während der Nutzungszeit technische Anlagen und Leitungen sowie eine Telefonanlage, die Verbindung zu den umliegenden Beobachtungstürmen herstellte. Im Erdgeschoss befinden sich der Eingang, eine Toilette sowie eine Arrestzelle . Das erste Obergeschoss diente als Aufenthaltsraum für den kommandierenden Offizier und drei Wachsoldaten. Das an allen vier Seiten mit großen Panoramafenstern ausgestattete zweite Obergeschoss diente mit seiner Rundumsicht als eigentlicher Beobachtungsstand. Zudem befanden sich hier die elektrische Schalttafel zur Überwachung der Grenze und der Hebel zur Betätigung des Suchscheinwer- Seite 3 von 5 fers auf dem begehbaren Dach. Falltüren und steile Eisentreppen verbinden die Geschosse . Auf der Dachplattform befindet sich noch der originale Suchscheinwerfer. Der Turm ist in seiner baulichen Hülle und seiner baulichen Ausstattung weitestgehend erhalten. Die Außenhülle ist durch allseitige kleine Öffnungen (Schießscharten mit innenliegenden Metallklappen) unterbrochen. Die Fenster bestehen aus einer Metallkonstruktion und sind unbeschädigt erhalten. Die Grundrissaufteilung ist im Original überliefert (einschließlich der Arrestzelle), ebenso die bauliche Ausstattung wie Geländer, Leitern und Türen. Von den technischen Einrichtungen ist im eigentlichen Beobachtungsstand nichts mehr vorhanden. Lediglich der Suchscheinwerfer auf der begehbaren Plattform ist noch an Ort und Stelle. Im Kellergeschoss sind originale Schalt- und Übertragungsschränke für Telefon und Warnsysteme vorhanden. Möglicherweise stammen diese aber auch von anderen Wachtürmen. Im Gebäude befindet sich derzeit Mobiliar des Vereins Flutgraben e. V., welches der Aufbewahrung von Informationsmaterial/Flyern sowie der Durchführung des gegenwärtigen Projektes „Watch“ dient. 4. In wessen Eigentum oder Fachvermögen befindet sich der Turm? Zu 4.: Das Land Berlin ist Eigentümer des Grundstückes nebst aufstehendem Wachturm. Der Turm befindet sich im Fachvermögen des Bezirksamtes Treptow-Köpenick von Berlin/Straßen und Grünflächenamt. 5. Inwieweit wird der Turm momentan genutzt und welche künftigen Nutzungen sind geplant? Zu 5.: Es besteht ein Nutzungsvertrag zwischen dem Bezirksamt Treptow-Köpenick von Berlin und der Kunstfabrik am Flutgraben e.V. Heute präsentiert hier die benachbarte Kunstfabrik am Flutgraben e.V. eine ständige Ausstellung zur Geschichte des Ortes und wechselnde Kunstausstellungen. 6. Wann gibt es öffentliche Führungen und durch wen? Zu 6.: Öffentliche Führungen sind in Absprache mit der Kunstfabrik am Flutgraben e.V. bzw. dem Verein Grenzläufe e.V. möglich. In den Monaten Mai - Oktober finden jeweils auf Anfrage beim Betreiberverein Flutgraben e. V. von diesem organisierte Führungen statt. Planungen für zukünftige Nutzungen sind dem Bezirksamt derzeit nicht bekannt. Seite 4 von 5 7. In welchem baulichen Zustand befindet sich das Denkmal und welche Restaurierungsmaßnahmen müssen ggf. ergriffen werden? Zu 7.: Der Turm wurde 2004 sehr sorgfältig denkmalgerecht saniert – wobei man bewusst nicht den Neubau-Zustand wiederherstellen wollte, sondern den über die Jahrzehnte gewachsenen Zustand konserviert hat. Vandalismusschäden und Graffiti wurden entfernt , freiliegende Bewehrungen saniert, Schäden in den Betonoberflächen ausgebessert und der vorhandene Spritzputz mit authentischem Material ergänzt. Im Inneren wurde der letzte nachgewiesene Anstrich wiederholt. Als Zugeständnis an die heutige Nutzung wurde seinerzeit ein Graffitischutz auf die Erdgeschosswände aufgetragen . Der heutige Zustand des Turmes ist erneut reparaturbedürftig. So gibt es undichte Stellen in der Dachhaut und punktuelle Schäden an der Stahlbetonfassade. Hier besteht kurzfristiger Handlungsbedarf zur Instandsetzung. Die Fassade ist bis ins 1.OG mit Graffiti beschmiert. 8. Warum wird seit vielen Jahren geduldet, dass das Denkmal extrem stark durch Graffiti beschmiert und verunreinigt ist und warum wird der Eigentümer nicht aufgefordert, diese Schäden unverzüglich zu beheben? 9. Wird diese Anfrage zum Anlass genommen, hier tätig zu werden und wenn nein, warum nicht? Zu 8. und 9.: Schmierereien wie Graffiti sind derzeit eine permanente Erscheinung im Stadtbild, vor allem an unbeobachteten Stellen. Schon mehrmals wurde durch den Eigentümer die Beseitigung der Schmierereien veranlasst. Leider sind solche Maßnahmen nur von kurzer Dauer. Die Verpflichtung zur baulichen Unterhaltung liegt laut Nutzungsvertrag beim Land Berlin. Tatsächlich gehört Berlin zu den Hauptstädten der Graffiti-Szene und ist damit ein Ort, an dem sich Sprayer profilieren wollen. Der Turm ist durch Nutzungsvertrag vom 20.10.2004 an den Verein Flutgraben e. V. für eine Dauer-Dokumentationsausstellung und entsprechende Projektarbeit übergeben . Auch der vorgenannte Betreiberverein zeigt sich von diesen und weiteren vandalistischen Handlungen, wie Einwurf von Fensterscheiben, betroffen. Seite 5 von 5 Für die Bekämpfung von Graffiti bestehen regelmäßig drei Handlungsansätze: a) Jeweils sofortige Graffitientfernung, um die vom Sprayer beabsichtigte Außenwirkung zu unterbinden und den Standort auf Dauer unattraktiv zu machen. Das bindet jedoch Haushaltsmittel in erheblichem Umfang. b) Nach den §§ 303 II bzw. 304 II des Strafgesetzbuches sind Graffiti als eine unter Strafe stehe unbefugte Erscheinungsbildveränderung durch die Polizei zu verfolgen. Zur Prioritätensetzung der Polizei bei der Verfolgung derartiger Handlungen kann hier keine Aussage getroffen werden. c) Präventionsarbeit in Schulen und Jugendclubs, auch hier aber nach Maßgabe der jeweiligen Personalsituation. Die bisherige Duldung des Zustandes ist auch dem Umstand der begrenzten Personalkapazitäten in der Unteren Denkmalschutzbehörde (UD) Treptow-Köpenick geschuldet . Diese zwingen die UD innerhalb ihres Arbeitsumfangs Prioritäten zu setzen . Gerade mit der gestiegenen Bautätigkeit im Bezirk sind viele Denkmale von Veränderungen betroffen, sodass für die Verfolgung von Ordnungsmaßnahmen kaum noch Raum gegeben ist und nicht für alle Denkmale im Bezirk die ihnen gebührende Hinwendung und Betreuung gleichermaßen gewährleistet werden kann. 10. Inwiefern wird das Jahr 2019 – 30 Jahre Mauerfall – dafür genutzt, den Grenzwachturm baulich und inhaltlich seiner Bedeutung entsprechend würdig in die Erinnerungslandschaft zu integrieren? Zu 10.: Siehe Antwort zu 8. Derartige Überlegungen oder Planungen sind dem Senat nicht bekannt. Berlin, den 03.12.2018 In Vertretung Gerry Woop Senatsverwaltung für Kultur und Europa