Drucksache 18 / 17 172 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Maik Penn (CDU) vom 29. November 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. November 2018) zum Thema: Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in Berlin II – Auswirkungen auf Menschen mit Behinderungen und Antwort vom 12. Dezember 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 17. Dez. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Herrn Abgeordneten Maik Penn (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/17172 vom 29.11.2018 über Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in Berlin II - Auswirkungen auf Menschen mit Behinderungen ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Eine zentrale Anforderung des BTHG ist die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen. a. Welche Regelungen plant der Senat bezüglich der Abweichung von der Durchführung einer Teilhabeplankonferenz nach § 20 Abs. (2) SGB IX n. F.? Zu 1 a.: Das Gesamtplanverfahren des Trägers der Eingliederungshilfe beinhaltet eine Gesamtplankonferenz nach § 119 SGB IX sowie eine Teilhabeplankonferenz nach § 20 SGB IX. Diese können nur mit Zustimmung der leistungsberechtigten Person durchgeführt werden. Soweit der Träger der Eingliederungshilfe leistender Rehabilitationsträger nach § 14 SGB IX ist, verbindet er diese beiden Konferenzen. Soweit er dies nicht ist, soll er den anderen Rehabilitationsträgern anbieten, mit deren Einvernehmen das Verfahren anstelle des leistenden Rehabilitationsträgers durchzuführen, vgl. § 119 Abs. 3 SGB IX. In bestimmten Fällen hat der Bundesgesetzgeber Ausnahmen für den Fall vorgesehen, dass vom Vorschlag der leistungsberechtigten Person abgewichen werden kann. Diese sind abschließend: Das Land Berlin kann nicht Abweichungen von § 20 Abs. 2 SGB IX hinzufügen oder bestimmte benannte Abweichungen weglassen. Eine etwaige Landesregelung kann das Bundesrecht nur konkretisieren. Der Senat begrüßt die Stärkung der Beteiligungsrechte der leistungsberechtigten Person. Diese umfasst eine durchgängige Beteiligung der leistungsberechtigten Person im Verfahren von Anfang an. Der Senat wird die Beteiligung im Fall einer nicht 2 stattfindenden Teilhabeplankonferenz durch andere Formate gewährleisten, etwa durch ein persönliches Beratungsgespräch. b. Wie werden aktuell Menschen mit Behinderungen in die Erarbeitung von Rahmenverträgen nach § 131 Abs. 2 SGB IX n. F. einbezogen? Zu 1 b.: Die Arbeitsgruppe Berliner Rahmenvertrag (AG BRV) erarbeitet den neuen Landesrahmenvertrag nach SGB IX. Diese ist eine Unterarbeitsgruppe der Berliner Vertragskommission für Soziales. Zu Beginn der Verhandlungen hat die AG BRV in ihrer Geschäftsordnung den Kreis der Mitglieder festgelegt. Hierzu zählt die Landesbeauftragte bzw. der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung als eine Vertreterin bzw. ein Vertreter der Interessen der Menschen mit Behinderungen gemäß § 131 Absatz 2 SGB IX. Ein weiteres Mitglied wird vom Landesbeirat für Menschen mit Behinderung als Interessensmitglied benannt. c. Wie schätzt der Senat aktuell die Qualität der Mitwirkung von Menschen mit Behinderungen bei der Erarbeitung von Rahmenverträgen ein und welche Veränderungen sind evtl. geplant? Zu 1 c.: Der Landesbeirat für Menschen mit Behinderung hat eine Vertreterin sowie eine Stellvertreterin benannt. Diese nehmen zusammen oder im Wechsel mit der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung an den Sitzungen teil. Die Zusammenarbeit mit den Interessensvertreterinnen ist sehr konstruktiv. Sie vertreten aktiv ihre Positionen und lenken den Blick auf die Auswirkungen für die Menschen mit Behinderung. Eine Reihe von Anmerkungen und Vorschlägen haben bereits Eingang in den Vertragstext gefunden. 2. Im „Abschlussbericht zu den rechtlichen Wirkungen im Fall der Umsetzung von Artikel 25a § 99 des Bundesteilhabegesetzes (ab 2023) auf den leistungsberechtigten Personenkreis der Eingliederungshilfe“, über den die Bundesregierung im September 2018 unterrichtet wurde, kommen die Autoren u.a. zu folgender Einschätzung: „Bei der Umsetzung von Artikel 25a BTHG können wahrscheinlich ab 2023 Menschen mit seelischer Behinderung oder Suchterkrankung, Menschen mit einem Grad der Behinderung unter 50, ebenso Empfänger von Hochschulhilfen und Beschäftigte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus dem leistungsberechtigten Personenkreis herausfallen.“ a. Welche Position vertritt der Senat hierzu? b. Was wird der Senat tun, um einen Wegfall der Leistungsberechtigung für diese Personenkreise zu verhindern? Zu 2 a. und 2 b.: Die Fragen werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Bundesregierung hat den o. g. Abschlussbericht vorgelegt. Der Senat sieht sich durch diese Studie in seiner Annahme bestätigt, dass mit dieser Neudefinition es zu Verschiebungen beim anspruchsberechtigten Personenkreis der Eingliederungshilfe kommen wird. Für ein Inkraftsetzen dieser Regelungen ist ein gesondertes Bundesgesetz bis zum 01.01.2022 erforderlich. Da das BMAS sein Ziel, den berechtigten Personenkreis nicht zu verändern, laut der Studie nicht erreichen wird, geht der Senat, auch gespeist aus bundesweiten Gremien dazu davon aus, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vorerst nicht den über Art.25a BTHG beschriebenen Weg einschlagen wird. Der Senat tritt auf Bundesebene und in den entsprechenden überörtlichen Gremien dafür ein, den Personenkreis zu beschreiben, ohne die unter heutigen Gesichtspunkten überholten Begrifflichkeiten der Eingliederungshilfeverordnung zu 3 verwenden. Ziel einer Veränderung kann es nur sein, dass der anspruchsberechtigte Personenkreis der gleiche ist, wie vor der Änderung durch das BTHG. 3. Ein großer Kritikpunkt und Sorge der Menschen mit Behinderungen beim Inkrafttreten des BTHG war die Schnittstelle Pflege-Teilhabe, insbesondere das Wegbrechen bereits gut funktionierender, selbstbestimmter Leistungen wie die des LK 32. a. Welche Schritte unternimmt der Senat, damit diese guten Ansätze selbstbestimmter Leistungen nicht verlorengehen? Zu 3 a.: Der Senat berücksichtigt bei der Umsetzung des BTHG im ressortübergreifenden Projekt, dass die Ziele des BTHG, insbesondere die Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und die Verbesserung der Lebenssituation der Menschen mit Behinderungen und der effektive und effiziente Einsatz der Ressourcen in Einklang zu bringen sind. Dabei sollen nach Maßgabe des BTHG bestehende Modelle übersetzt werden. Dies wird u. a. in den Rahmenvertragsverhandlungen unter Einbeziehung dieses Personenkreises erörtert. b. Wie schätzt der Senat das Lebenslagenmodell innerhalb des BTHG ein, nach dem Menschen, die Behinderungen erst nach dem Vollenden der Rentenaltersgrenze erworben haben, vorrangig auf Pflegeleistungen verwiesen werden sollen? c. Wie will der Senat sicherstellen, dass künftig auch Menschen nach dem 65. Lebensjahr Teilhabeleistungen in vollem Umfang beziehen können? Zu 3 b. und 3c.: Die Fragen werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Das Lebenslagenmodell gemäß § 103 Abs. 2 SGB IX besagt, dass die Leistung der Eingliederungshilfe die Leistungen der häuslichen Pflege im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII umfasst, solange die Ziele des Gesamtplans erreicht werden können. Dies gilt für Personen, die Eingliederungshilfe erhalten haben, bevor sie die Regelaltersgrenze erreicht haben. Die Eingliederungshilfe umfasst in diesen Fällen nach Bedarf die Hilfe zur Pflege, auch wenn die Regelaltersgrenze überschritten wird. Die Leistungserbringung erfolgt integriert, die Qualitätssicherung und Abrechnung nach den Vorgaben der jeweiligen Leistungssysteme. Wird Eingliederungshilfe erstmals nach Erreichen der Regelaltersgrenze beantragt, steht der Anspruch neben dem der Hilfe zur Pflege. 4. Das BTHG bietet die Chance einer Flexibilisierung der Zugänge zum Arbeitsmarkt, insbesondere für voll erwerbsgeminderte Menschen, durch das Budget für Arbeit (§ 61 BTHG) und die anderen Leistungsanbieter (§ 60 BTHG). a. Wie schätzt der Senat deren Umsetzung ein? b. Wie viele sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze konnten bisher durch das Budget für Arbeit realisiert werden? Zu 4 a. und b.: Die Fragen werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Der Senat unterstützt die neuen Instrumente zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung. Das Rundschreiben Soz 1/2018 zu § 61 SGB IX - Budget für Arbeit als 4 Leistung der Eingliederungshilfe - ist seit Januar 2018 veröffentlicht. Die für den Abschluss von Leistungs- und Vergütungsverträgen erforderliche Leistungsbeschreibung für die anderen Leistungsanbieter hat die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales gemeinsam mit den Leistungserbringern auf Grundlage der Leistungsbeschreibung für den Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen erarbeitet. Zum 9.10.2018 ist die „Leistungsbeschreibung für den Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen und den Arbeitsbereich bei anderen Leistungsanbietern“ in Kraft getreten ist (siehe hierzu die Anlage zum Beschluss Nr. 9/2018 der Kommission 75). Die Senatsverwaltung hat auf mehreren Veranstaltungen auf die neuen Instrumente hingewiesen. Es gibt in Berlin vier Budgets für Arbeit. Nach § 61 SGB IX können Mittel für das Budget für Arbeit erst gewährt werden, wenn der Arbeitsvertrag zwischen der leistungsberechtigten Person und dem Arbeitgeber geschlossen worden ist. Hier ergeben sich in der Praxis Probleme. So hat sich gezeigt, dass der Unterstützungsbedarf bereits bei der Vermittlung einer Arbeitsstelle beginnen muss. Es gibt in Berlin viele interessierte Unternehmen und auch Menschen mit Behinderung, die dem Instrument sehr aufgeschlossen gegenüber stehen, die aber nicht zusammenfinden. Um dieses Instrument weiter zu unterstützen hat die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales aus Mitteln der Beschäftigungsförderung (Landesmittel) ein Modellprojekt „Beschäftigungsimpulse für Menschen mit Behinderung durch Nutzung des Budgets für Arbeit (BfA)“ welches im Rahmen eines zweistufigen Ideenwettbewerbs (1. Interessenbekundung mit Referenzen und Konzept, 2. konkrete Antragstellung) durchgeführt werden soll, aufgelegt. Der Ideenwettbewerb ist bereits abgeschlossen. Der Start der Projekte ist zum 01.01.2019 vorgesehen. Ziele der Projekte sind insbesondere, anspruchsberechtigte Personen in ein Budget für Arbeit zu vermitteln und bei den leistungsberechtigten Menschen mit Behinderungen und Unternehmen für das Budget für Arbeit zu werben. c. Welche Anforderungen und Qualitätskriterien stellt der Senat an (künftige) andere Leistungsanbieter? Zu 4 c.: In der „Leistungsbeschreibung für den Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen und den Arbeitsbereich bei anderen Leistungsanbietern“ sind auch die Anforderungen und Qualitätskriterien an andere Leistungsanbieter formuliert. Hiernach müssen andere Leistungsanbieter bis auf die in § 60 Abs. 2 SGB IX genannten Ausnahmen dieselben Anforderungen und Qualitätskriterien erfüllen, wie anerkannte Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Zur Sicherstellung der Anforderungen und dem wirtschaftlichen Betrieb eines anderen Leistungsanbieters betont die Leistungsbeschreibung die Möglichkeit von Kooperationen mit Dritten. Hierzu können sich mehrere Leistungsanbieter miteinander ins Benehmen setzen, aber auch Kooperationen mit Werkstattträgern oder sonstigen Anbietern der Behindertenhilfe sind möglich. Hiermit soll es potentiellen anderen Leistungsanbietern ermöglicht werden, die vom Bundesgesetzgeber formulierten Vorgaben erfüllen zu können. 5 d. Wie viele andere Leistungsanbieter nach § 60 BTHG konnten bisher im Land zugelassen werden? Falls es noch keine geben sollte: wo sieht der Senat die Gründe dafür? Zu 4 d.: Momentan liegen der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales 7 Anträge auf Abschluss einer Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII als anderer Leistungsanbieter vor. Diese befinden sich in der fachlichen Prüfung. Sofern die fachlichen Anforderungen der Leistungsbeschreibung aufgrund der eingereichten Konzeptionen erfüllt sind, ist der zeitnahe Abschluss einer Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII angestrebt. 5. Ein neues – von Menschen mit Behinderungen meist positiv bewertetes – Beratungsangebot sind die Beratungsstellen der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung nach § 32 SGB IX n. F. im Land Berlin. a. Wie schätzt der Senat deren Tätigkeit bisher ein? Zu 5 a.: Verantwortlich für die ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatungen (EUTB) und deren Tätigkeit ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). In Berlin gibt es 16 EUTB´s, die ihre Beratungsfunktionen wahrnehmen. Teilweise stellen sie ihre Arbeit auf Veranstaltungen wie z. B. bei der internationale Veranstaltung „Inklusion: Wege in Gute Arbeit – eine europäische Konferenz“, die von der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales durchgeführt wurde, oder bei den vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales organisierten Inklusionstagen 2018 vor. Die Fachstelle Teilhabeberatung hat zum 10.12.2018 im Namen der Länder Berlin, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen sowie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die EUTB´s zu einer regionalen Schulungsveranstaltung eingeladen. In diesem Zusammenhang werden u. a. Fragen zum Zuwendungsrecht, Qualitätssicherung und Peer-Counseling diskutiert. b. Welche Initiative wird der Senat auf Bundesebene vorschlagen oder mittragen, damit diese zunächst bis 31. Dezember 2022 befristeten Beratungsangebote verstetigt werden? Zu 5 b.: In der 95. Arbeits- und Sozialministerkonferenz 2018 am 05.12.2018- 06.12.2018 in Münster haben die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder den Beschluss gefasst, die Bundesregierung zu bitten, dass die in § 32 Abs. 5 SGB IX normierte Befristung der Förderung der EUTB´s gestrichen wird. Das Land Berlin ist neben den Ländern Baden- Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen Antragssteller des Beschlusses. c. Ein Kritikpunkt an der Umsetzung von § 32 SGB IX n. F. ist bisher, dass die aktuellen Förderrichtlinien bisher wenig Möglichkeiten geben, dass auch Menschen mit Lernschwierigkeiten bzw. so genannter geistiger Behinderung als Peer-Berater und Beraterinnen tätig werden können. Ist dem Senat dies bekannt und falls ja, wie wird er Peer-Beratung von Menschen mit Lernschwierigkeiten noch mehr unterstützen? Zu 5 c.: Die Förderrichtlinien zur Durchführung der „Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung“ für Menschen mit Behinderung vom 17.05.2017 sind vom BMAS erstellt worden. Aus den Förderrichtlinien geht hervor, dass es ein wichtiges Anliegen ist, die Beratungsmethode des „Peer Counseling“ auszubauen. Hierbei sollen soweit wie möglich Selbstbetroffene als Beraterin bzw. Berater tätig werden. Eine 6 Einschränkung bei der Peer-Beratung auf bestimmte Behinderungsarten geht aus den Förderrichtlinien nicht hervor. Berlin, den 12. Dezember 2018 In Vertretung Alexander F i s c h e r _____________________________ Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales