Drucksache 18 / 17 241 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Anne Helm (LINKE) vom 06. Dezember 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 07. Dezember 2018) zum Thema: Rechte und extrem rechte Netzwerke und Strafgefangene in Berliner Justizvollzugsanstalten und Antwort vom 28. Dezember 2018 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Dez. 2018) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Frau Abgeordnete Anne Helm (Die Linke) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/17 241 vom 6. Dezember 2018 über Rechte und extrem rechte Netzwerke und Strafgefangene in Berliner Justizvollzugsanstalten -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie viele Gefangene in den Berliner Justizvollzugsanstalten konnten seit 2011 durch Ergebnisse des Diagnostikverfahrens nach § 8 des Berliner Strafvollzugsgesetzes (StVollzG Bln) oder wegen des Verdachts auf entsprechende Aktivitäten oder Gefährdung während der Haft zum extrem rechten Spektrum gezählt werden (bitte nach Jahren und Justizvollzugsanstalten aufschlüsseln)? Zu 1.: Das Diagnostikverfahren nach § 8 des Berliner Strafvollzugsgesetzes (StVollzG Bln) ist seit dem Inkrafttreten des Gesetzes am 4. April 2016 durchzuführen. Zuvor war gemäß § 6 des bundeseinheitlichen Strafvollzugsgesetzes eine Behandlungsuntersuchung durchzuführen. Statistische Erfassungen finden zu der Fragestellung nicht statt. Darüber hinaus sind die vom Justizvollzug gespeicherten personenbezogenen Daten gemäß § 61 Justizvollzugsdatenschutzgesetz Berlin (JVollzDSG Bln) spätestens fünf Jahre nach der letzten Entlassung zu löschen, soweit nicht andere Rechtsnormen die weitere Aufbewahrung gebieten. Nach Ablauf von zwei Jahren seit der Entlassung der betroffenen Gefangenen sind die Daten gemäß § 62 Absatz 1 JVollzDSG Bln zu sperren und dürfen nur nach Maßgabe des Absatzes 2 übermittelt oder genutzt werden. Valide Daten lassen sich somit für einen derart lang zurückliegenden Zeitraum für den Berliner Vollzug nicht mehr gewinnen. Im Rahmen der Einweisungsverfahren durch die Einweisungsabteilung in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit kann bezogen auf den von dort einzuweisenden Personenkreis mitgeteilt werden, dass in dem auskunftsfähigen Zeitabschnitt 26 Gefangene, die eine Verurteilung gemäß der §§ 84 bis 86a Strafgesetzbuch (StGB) erhalten haben, das Diagnostikverfahren durchlaufen haben. Diese Taten waren häufig in Tateinheit mit anderen Straftaten (z. B. Körperverletzung oder Bedrohung) oder im alkoholisierten Zustand begangen worden. Allerdings ist die Einweisungsabteilung nur für einen Teil der erwachsenen männlichen Gefangenen zuständig. 2. Welche Kenntnisse liegen dem Senat über Aktivitäten rechter und extrem rechter Gruppierungen in Berliner Justizvollzugsanstalten vor (bitte nach Gruppierung und Justizvollzugsanstalten ab 2011 aufschlüsseln )? Zu 2.: Hinsichtlich statistischer Erfassungen und Datenaufbewahrungsbestimmungen wird auf die Ausführungen zu Frage 1 verwiesen. In der JVA Tegel wurde im Jahr 2013 ein mittlerweile entlassener Gefangener von der rechtsgerichteten „Gefangenenhilfsorganisation AD Jail Crew (14er)“ angeschrieben. Der Inhaftierte sollte für diese Organisa- 2 tion Mitglieder anwerben. Hinweise darauf, dass sich der Adressat bereits persönlich an der genannten Organisation beteiligt oder diesbezüglich Mitgefangene angesprochen hatte, ließen sich nicht finden. Andere Aktivitäten rechter oder extrem rechter Gruppierungen in Berliner Justizvollzugsanstalten sind nicht bekannt. 3. Welche Vorfälle oder Straftaten mit antisemitischem, rassistischem oder anderem extrem rechten Hintergrund (einschließlich Fund von NS-Devotionalien, Tonträgern, etc.) gab es in den einzelnen Justizvollzugsanstalten Berlins seit 2011, welche Ermittlungen wurden aufgrund welcher Straftatbestände eingeleitet und was war jeweils deren Ergebnis (bitte nach Jahren seit 2011 und Justizvollzugsanstalten aufschlüsseln )? Zu 3.: Eine statistische Erhebung zu dieser Fragestellung liegt nicht vor. In der Jugendstrafanstalt Berlin kam es im Rahmen eines Projektes des Anne-Frank- Hauses zum Leben von Anne Frank im Januar dieses Jahres seitens jugendlicher Inhaftierter zu hassgeprägten Äußerungen gegen Menschen mit jüdischem Glauben und gegen eine Projektbeteiligte. Das Verhalten wurde thematisiert und die Inhaftierten sind von der weiteren Projektteilnahme ausgeschlossen worden. Die JVA Plötzensee, die in ihrer fusionierten Form seit 2013 existiert, hat dokumentiert, dass 2014 wegen des Zeigens des so genannten Hitler-Grußes gegen einen Gefangenen Strafanzeige wegen des Verdachts der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen erstattet wurde. Das Ermittlungsverfahren ist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden. Ein wegen derselben Handlung im Jahr 2016 gegen einen Gefangenen eingeleitetes Verfahren wurde nach § 86a StGB wegen Nichterfüllung des Tatbestandes eingestellt. Ebenfalls im Jahr 2016 wurde aufgrund des Bemalens einer Tafel mit einem Hakenkreuz Strafanzeige wegen des Verdachts der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen erstattet. Der Ausgang des Verfahrens ist nicht bekannt. In 2018 ist ein Stück Pappe mit verfassungsfeindlichen Symbolen gefunden worden und Anzeige wegen des Verdachts der Verwendung von verfassungsfeindlichen Symbolen erstattet. Seitens der JVA Tegel kann mangels statistischer Erhebungen sowie der beschriebenen nicht möglichen anderweitigen validen Auswertungen lediglich für das laufende Jahr 2018 mitgeteilt werden, dass in zwei Fällen Strafanzeige wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen erstattet wurde (Zeigen des „Hitler- Grußes“ sowie Verwenden der Grußformel „Heil Hitler“). Darüber hinaus wurden bei einem Gefangenen auf einem sichergestellten Handy Musikdateien einschlägiger rechtsextremer Bands vorgefunden. Nach polizeilicher Einschätzung lag in diesem Fall jedoch keine Strafbarkeit vor. Schließlich ist aktuell ein Gefangener in der JVA Tegel untergebracht , der ein großflächiges Hakenkreuz-Tattoo trägt. Er ist dazu angehalten, dieses Tattoo zu bedecken. In der JVA Heidering gab es im Jahr 2017 in einem Fall Äußerungen oder Hinweise, die auf eine mögliche rechtsextreme Gesinnung schließen ließen. Die Justizvollzugsanstalten Moabit, des Offenen Vollzuges Berlin sowie der JVA für Frauen Berlin haben mitgeteilt, über keine Erkenntnisse zu Straftaten mit antisemitischen , rassistischem oder anderem extrem rechten Hintergrund zu verfügen. 4. Ist dem Senat bekannt, ob und wenn ja, in welchen Gefangenenvertretungen in Berliner Justizvollzugsanstalten einschlägig bekannte Neonazis oder wegen entsprechender Taten verurteilte Gefangene mitarbeiten (bitte einzeln anonymisiert auflisten)? 3 Zu 4.: In den Gefangenenvertretungen der Berliner Vollzugsanstalten arbeiten nach den vorliegenden Informationen keine einschlägig bekannten Neonazis oder wegen entsprechender Taten verurteilten Gefangenen mit. 5. Ist dem Senat bekannt, ob es seit dem Jahr 2011 Ermittlungen gegen Justizvollzugsbeamte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Berliner Justizvollzugsanstalten wegen rechter Aktivitäten oder Straftaten gegeben hat? (Wenn ja, bitte einzeln nach Jahren, Justizvollzugsanstalten und zugrundeliegendem Delikt auflisten.) Zu 5.: Es sind hinsichtlich des fraglichen Zeitraumes keine Ermittlungen gegen Mitarbeitende der Berliner Justizvollzugsanstalten wegen rechter Aktivitäten oder Straftaten bekannt . 6. Ist dem Senat bekannt, ob und wenn ja, welche Publikationen der rechten Szene an Berliner Justizvollzugsanstalten seit 2011 verbreitet wurden und welche Maßnahmen ggf. dagegen in jedem einzelnen Fall ergriffen wurden (bitte nach Publikation, Jahren und Justizvollzugsanstalten aufschlüsseln)? Zu 6.: Publikationen der rechten Szene wurden in Berliner Justizvollzugsanstalten nicht verbreitet, auch insoweit liegen keine Erkenntnisse vor. 7. Liegen dem Senat Erkenntnisse vor, dass extrem rechte Medien oder Publikationen in den Berliner Justizvollzugsanstalten seit dem Jahr 1990 hergestellt wurden, wenn ja, welche Angaben darüber gemacht werden können? Zu 7.: Nein. 8. Welche Unterstützerorganisationen der neonazistischen Szene waren nach Kenntnis des Senats auch außerhalb von Justizvollzugsanstalten in Berlin mit dem Ziel aktiv, gleichgesinnte Häftlinge etwa durch Betreuungsangebote, Solidaritätsaktionen oder finanziell zu unterstützen (bitte nach Gruppierung und Jahr ab 2011 sowie jeweiligen Aktivitäten aufschlüsseln)? 9. Von welchen der in Frage 8 genannten Gruppierungen wurden seit 2011 Informationsstände oder Spendenaktionen auf extrem rechten Veranstaltungen und Konzerten in Berlin bekannt (bitte einzeln auflisten)? Zu 8. und 9.: Es fanden seit 2011 Infostände und Vorträge der Unterstützerorganisation „Gefangenenhilfe“ statt. 10. Auf welchen Kommunikationswegen stehen inhaftierte Neonazis mit Sympathisanten außerhalb von Justizvollzugsanstalten in Kontakt und wurden Fälle von Nutzungen eingeschleuster Mobilfunkgeräte bei inhaftierten Neonazis bekannt? Zu 10.: Grundsätzlich hat jede/jeder Inhaftierte nach den gesetzlichen Regelungen ein Recht auf Kontakt mit der Außenwelt durch Besuchsempfang, Schriftwechsel und Telefonverkehr . In welchem Maße einzelne Gefangene hiervon Gebrauch machen, wird nicht gesondert erhoben. Fälle von eingeschleusten Mobilfunkgeräten bei inhaftierten Neonazis sind nicht bekannt. 11. Welche konkreten Maßnahmen unternehmen die Justizvollzugsanstalten, um Aktivitäten und Anwerbungsversuche durch extrem rechte Gefangene innerhalb dieser zu erkennen und zu unterbinden? Zu 11.: Sollte ein derartiges Verhalten beobachtet werden, würde im Rahmen der Hausordnung und auf Basis der der/dem Gefangenen gesetzlich auferlegten Pflichten disziplinarisch gegen die Gefangene/den Gefangenen vorgegangen werden. Besteht der Verdacht einer strafbaren Handlung oder sind Straftatbestände erfüllt, wird Strafanzeige erstattet . 4 Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden im Erkennen von Extremismus geschult bzw. es stehen entsprechende Informationsmaterialen zur Verfügung, so dass auch Aktivitäten rechts zuzuordnender Personen wahrgenommen und unterbunden werden können . 12. Ergreift der Senat konkrete Maßnahmen, um den Kontakt neonazistischer oder anderer extrem rechter Organisationen der „Gefangenenbetreuung“ außerhalb der Justizvollzugsanstalten mit Inhaftierten zu reduzieren bzw. gänzlich zu unterbinden? Wenn ja, welche, an welchen Justizvollzugsanstalten und mit welchen ggf. feststellbaren Auswirkungen? Zu 12.: Im offenen Vollzug kann das Verhalten von Insassen außerhalb der JVA schon aus Gründen der Vielzahl von gewährten Vollzugslockerungen nur stichprobenartig überprüft werden. Bei einschlägig vorbestraften Insassen und im Einzelfall wird daher vor der Zulassung zu Vollzugslockerungen Kontakt zu den entsprechenden Fachdezernaten beim Landeskriminalamt Berlin aufgenommen. Gegebenenfalls werden Weisungen erteilt , bestimmte Orte oder Veranstaltungen zu meiden. Hier kommt dem Diagnostikverfahren und dem Risikomanagement bereits im Vorfeld der Zulassung zum Offenen Vollzug eine besondere Bedeutung zu. Über einen Kontakt von Insassen zu neonazistischen oder anderen extrem rechten Organisationen liegen aktuell in der JVA des Offenen Vollzuges Berlin keine Erkenntnisse vor. Auch im geschlossenen Vollzug sind seit Jahren sind keine Hinweise auf Kontakte von Gefangenen zu externen neonazistischen Organisationen zu verzeichnen. Im geschlossenen Vollzug kann zur Unterbindung von Kontakten mit zu befürchtenden schädlichen Einflüssen die Besuchsüberwachung oder Besuchsuntersagung sowie die Überwachung des Schriftverkehrs angeordnet werden. Schreiben können unter anderem angehalten werden, wenn bei deren Weitergabe die Erreichung des Vollzugsziels oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet würde sowie die Weitergabe in Kenntnis ihres Inhalts einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklichen würde. Ergibt sich aus dem Inhalt der Verdacht einer strafrechtlichen Relevanz werden zudem die Ermittlungsbehörden eingeschaltet . In Besitz von Gefangenen befindliche inkriminierte Schriften, Bücher oder Ähnliches werden eingezogen und zur Habe gegeben beziehungsweise den Ermittlungsbehörden übermittelt. 13. Welche konkreten Maßnahmen unternimmt der Senat darüber hinaus, um der Verbreitung und Verfestigung neonazistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen oder anderen extrem rechten Gedankengutes in den Justizvollzugsanstalten entgegenzuwirken? Zu 13.: In Ergänzung zu den bereits in den vorherigen Antworten genannten Maßnahmen werden den Justizvollzugsmitarbeitenden im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen , die die Bildungsstätte Justizvollzug organisiert, durch den Berliner Verfassungsschutz Einblicke in die aktuelle Lage Berlins zu extremistischen Phänomen-Bereichen wie zum Beispiel Rechtsextremismus gewährt. Ferner existieren Fortbildungsangebote, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diesbezüglich zu sensibilisieren, von „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“ (MBR), die seitens der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung gefördert wird. Zudem werden die Bediensteten im Rahmen von Dienstbesprechungen immer wiederkehrend mit der Thematik konfrontiert und sensibilisiert. Spezielle Projekte (unter anderem „Abschied von Hass und Gewalt“) sowie entsprechende Gruppenveranstaltungen (wie zum Beispiel Soziales Kompetenztraining oder Anti- Gewalt-Training) zählen zu den Angeboten für die Gefangenen. Außerdem gehören Ver- 5 hinderung der Verfestigung, Verbreitung oder Entstehung rechtsextremen Gedankengutes in den Justizvollzugsanstalten zur täglichen Beziehungsarbeit mit den Gefangenen im Unterbringungsbereich, der Schule sowie den Arbeits- und Ausbildungsbetrieben und ist Bestandteil der Straftataufarbeitung. Zur Unterstützung eines Ausstiegs aus der rechten Szene werden gegebenenfalls Kontakte zur Organisation „Exit-Deutschland“ vermittelt . Berlin, den 28. Dezember 2018 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung