Drucksache 18 / 17 388 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) vom 03. Januar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 04. Januar 2019) zum Thema: Mit Muskelkraft in die Freiheit – Sicherheitsarchitektur Berlin Justizvollzugsanstalten und Antwort vom 23. Januar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Jan. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/17388 vom 3. Januar 2019 über Mit Muskelkraft in die Freiheit - Sicherheitsarchitektur Berlin Justizvollzugsanstalten -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Trifft es zu, dass es am Abend des 31.12.2018 zu einem Ausbruchversuch aus der JVA Moabit kam? Zu 1.: Ja, es trifft zu. 2. Wo genau war der Gefangene in der JVA Moabit untergebracht? Zu 2.: Der Untersuchungsgefangene, der den Entweichungsversuch unternommen hat, war in der Teilanstalt II der Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit, im 6. Stock eines Anbaus im Haftraum H 602 untergebracht. 3. Trifft es zu, dass der Gefangene mit bloßer Muskelkraft die Fenstervergitterung aus der Wand drückte? Wenn ja: Wie war ihm dies möglich? Zu 3.: Das Gitter konnte nicht mit bloßer Muskelkraft aus der Wand gedrückt werden. Gitter und Feinvergitterung sind auf beiden Längsseiten mit jeweils 4 Ankern im Laibungsmauerwerk befestigt. Die Anker bestehen aus einer Gewindestange samt Hülse, die mittels hochfestem Spezialmörtel in eine zuvor in das Mauerwerk eingebrachte Bohrung eingeklebt werden. Nach derzeitigem Erkenntnisstand konnte der Gefangene das Gitter erst herausdrücken nachdem sechs dieser Anker von ihm herausgedreht worden sind. Grund dafür, dass die Anker herausgedreht werden konnten, sind falsch gesetzte Schweißpunkte. Die Mutter wurde mittels Schweißpunkt an der Gewindestange des Ankers gesichert, so dass unter Einsatz eines selbstgefertigten Werkzeugs das Herauslösen ermöglicht wurde. Bei ordnungsgemäßer Verschweißung wäre dies nicht möglich gewesen. 4. Gibt es weitere Zellen in der JAV Moabit oder in anderen Justizvollzugsanstalten Berlins, die über eine Fenstervergitterung dieser Bauart bzw. Bauweise verfügen? Wenn ja, welche Sicherheitsvorkehrungen werden unternommen? 2 Zu 4.: Alle zu Hof 1 hin gelegenen Hafträume des Anbaus, in dem sich auch der Haftraum H 602 befindet, weisen die gleiche Gitterkonstruktion und Befestigung samt Verschweißung von Mutter und Gewindestange auf. Nach Bekanntwerden des zu Frage 3 aufgeführten Sachverhaltes wurden diese Hafträume umgehend leergezogen und werden bis auf Veiteres nicht mehr belegt. Eine baugleiche Ausführung ist nach den bislang vorliegenden Erkenntnissen weder in anderen Bereichen der JVA Moabit noch in anderen Berliner Justizvollzugsanstalten vorhanden. 5. Seit wann wird diese Art und Weise der Fenstervergitterung in der JVA Moabit oder in anderen Justizvollzugsanstalten Berlins verwendet? Zu 5.: Die Fenstervergitterung in diesem Bereich wurde 2012 - 2013 ausgeführt. 6. In welchen zeitlichen Intervallen werden die Sicherheitsvorkehrungen und Sicherheitsvorrichtungen, wie beispielsweise die Fenstervergitterung, in den Berliner Justizvollzugsanstalten durch wen auf Funktionsfähigkeit , Fehlerhaftigkeit, Materialermüdung oder sonstige technische, bauliche oder andere Mängel untersucht? Zu 6.: Alle sicherheitstechnischen Anlagen der äußeren Sicherheitslinie werden mindestens einmal jährlich durch die von der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) mit der Wartung beauftragten Firmen einer erweiterten Kontrolle unterzogen (Funktionsprüfung aller Elemente, Sichtprüfung auf Beschädigung oder sonstige Auffälligkeiten). Darüber hinaus gibt es bestimmte Störmeldungen, die Managementsysteme sofort anzeigen . Außerdem führen die Justizvollzugsanstalten in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Ausstattung und ihrem Sicherheitsstandard in regelmäßigen Abständen eigene Sicherheitschecks durch. Hierbei werden beispielsweise auf dem Anstaltsgelände bewusst Alarme provoziert oder ein Durchlauf aller Kamerabilder zur Funktionsprüfung durchgeführt. Des Weiteren wurde 2017 damit begonnen, alle Justizvollzugsanstalten des geschlossenen Männervollzuges regelmäßig (vorgesehen ist ein Turnus von 4 bis max. 5 Jahren) einer regelhaften Überprüfung der sicherheitstechnischen Anlagen der Außensicherung (Gefahrenmanagementsystem , Videoüberwachungsanlage, Mauerkronendetektion) durch ein externes Ingenieurbüro zu unterziehen. Schwerpunkt ist dabei die Überprüfung des ordnungsgemäßen Zusammenwirkens der einzelnen Systeme. In den Unterbringungsbereichen (insbesondere den Hafträumen der Inhaftierten) werden die Fenstervergitterungen und Außenwände in unregelmäßigen Abständen mit Hilfsmitteln einer Kontrolle unterzogen. Je nach Stationsgrößen werden werktäglich mindestens zwei Hafträume pro Station einer eingehenden Kontrolle unterzogen oder auch einige Hafträume einmal wöchentlich kontrolliert. Hinzu kommen zumeist tägliche Sichtkontrollen, die in der Regel anlässlich des Nachtverschlusses durchgeführt werden. 7. Wer wird über das Ergebnis der Untersuchung unterrichtet? Zu 7.: Über Prüfergebnisse an den genannten technischen Anlagen werden grundsätzlich Mitarbeitende der Sicherheitsabteilungen in Kenntnis gesetzt. Die von den Fachfirmen erstellten Wartungsprotokolle werden von diesen direkt der BIM übersandt. Die Durchführung von Haftraumkontrollen wird entweder in vorhandenen Kontrollbüchern eingetragen oder im Falle von Auffälligkeiten in dienstlichen Meldungen festgehalten und den jeweiligen Vorgesetzten (Schichtleiter, Vollzugsdienstleiter, Teilanstalts-/Bereichsleiter, Leiter Sicherheit) zugeleitet. 3 8. Wann wurde die Zelle des betroffenen Gefangenen zuletzt derart und mit welchem Ergebnis untersucht? Wann wurden andere Zellen in der JVA Moabit oder in anderen Justizvollzugsanstalten Berlins, die über eine identische oder vergleichbare Bauweise der Fenstervergitterung verfügen zuletzt entsprechend der Fragestellung zu 6.) untersucht und was wurde dabei festgestellt? Zu 8.: Die letztmalige eingehende Kontrolle fand in dem Haftraum H 602 am 27. November 2018 statt. Anlässlich der Neubelegung dieses Haftraumes fand am 6. Dezember 2018 eine Kontrolle auf Unversehrtheit und Vollständigkeit der Haftraumausstattung statt. In den übrigen zu Frage 4 genannten Hafträumen des Kopfbaus der TA II fanden die letztmaligen Kontrollen durch Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdienstes an folgenden Tagen statt: H 102,103 18.12.2018 H 202,203 17.12.2018 H 302,303 12.12.2018 H 402,403 04.12.2018 H 502,503 27.12.2018 H 601 27.11.2018 H 603 18.12.2018 Bei allen genannten Kontrollen gab es keine Beanstandungen. 9. Trifft es zu, dass der Gefangene mit Hilfe eines aus dem Bett selbstgebauten Stegs auf das Dach der JVA klettern konnte? Welche Strecke in Metern (circa-Angabe genügt) musste er dazu überwinden? Zu 9.: Der Gefangene schob in die aufgrund der vorausgegangenen Handlung entstandene Fensteröffnung sein hochkant gestelltes Bettgestell derart, dass zwei Beine des Bettes aus dem Fenster reichten und sicherte das Bett unter anderem mit dem Haftraumschrank. Der 1,84 Meter große Gefangene begab sich dann auf die Fensterbrüstung, die sich bis zum Geländeboden in einer Höhe von circa 20 Metern befindet. Von dort aus überwand er den Abstand von circa 2 Metern bis zum Dach, indem er die beiden aus dem Fenster ragenden Beine des Bettes als Steighilfe nutzte. 10. Welche Strecke in Metern (circa-Angabe genügt) konnte der Gefangene zurücklegen, bis er erstmals - wann und wo genau - Alarm auslöste? Zu 10.: Im weiteren Verlauf befestigte er ein aus Decken und Tüchern selbstgefertigtes Seil am Dach und nutzte dies, um das circa 6 Meter tieferliegende Spitzdach eines Verbindungsganges zum Verwaltungsgebäude zu erreichen. Zu diesem Zweck ließ er sich zunächst an der Außenwand der Teilanstalt II bis zum Seilende herab und ließ sich sodann auf das Dach fallen. Auf dieser Strecke wurde um 21:20:53 Uhr ein Kamera-Alarm ausgelöst , welcher aufgrund des schwer zu bewertenden Standbilds als „Naturereignis“ bzw. nicht vollzuglich bedingt bewertet wurde. 11. Wie viel Zeit verging und welchen weiteren Weg in Metern (circa-angabe genügt) konnte der Gefangene zurücklegen, bis dieser nach Auslösen des Alarms gestellt wurde? Zu 11.: Der Gefangene überwand sodann in liegender Position 20 bis 23 Meter Dachfläche bis zum Verwaltungsgebäude. Dort richtete er sich auf und bearbeitete den an der Dachkante angebrachten sogenannten Sicherheitsdraht. Hierbei löste er ebenfalls Kamera- Alarme aus. Die Videoüberwachungsanlage ist mit einer Videosensorik ausgestattet. Zwar wurden einige Alarme zunächst auch als „Naturereignis“ bzw. nicht vollzuglich bedingt bewertet , jedoch kontrollierte ein Mitarbeiter der Alarmzentrale mittels manueller Kameraausrichtung diesen Bereich wegen der dort aufgetretenen Häufung. Hierbei wurde der Gefangene gesichtet und um 21:52 Uhr Anstaltsalarm ausgelöst. Die erforderlichen Maßnahmen sind unmittelbar angeordnet worden, so dass der Gefangene nach einer letzten Wegstrecke von maximal 10 Metern gegen 22:04 Uhr auf dem Dach gestellt werden konnte. 4 12. Wo ist der Gefangene jetzt untergebracht und wurden die Sicherheitsvorkehrungen für ihn oder andere Gefangene verschärft? Zu 12.: Der Gefangene befindet sich nun in einem Haftraum der JVA Moabit, der erhöhten Sicherheitsanforderungen entspricht. Seine Freistunde versieht er auf einem Hof mit einer zusätzlichen Umwehrungsmauer statt eines Ordnungszaunes. Zudem sind weitere umfangreiche besondere Sicherungsmaßnahmen gegen ihn angeordnet worden. 13. Wie viele Bedienstete, die für den Unterbringungsbereich des betroffenen Gefangenen zuständig waren, waren zur Zeit des Fluchtversuchs im Dienst, wie viele hätten im Dienst sein sollen, wie viele waren erkrankt und wie viele hatten Urlaub? Zu 13.: In der Silvesternacht wurde der Spätdienst bereits um 21.00 Uhr von der Nachtdienstbesetzung abgelöst. Die vorgesehene Anzahl an Mitarbeitenden war in voller Stärke gegeben; zudem hatte ein Mitarbeiter des Spätdienstes die Anstalt noch nicht verlassen. Aus grundsätzlichen Sicherheitserwägungen können keine konkreten Angaben zu den zahlenmäßigen Schichtbesetzungen der Justizvollzugsanstalten öffentlich gemacht werden. 14. Welche Konsequenzen werden aus der Art und Weise des Fluchtversuchs gezogen? Zu 14.: Die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung sieht es zusammen mit den Justizvollzugsanstalten als eine dauerhafte Aufgabe an, die Sicherheitsvorkehrungen regelmäßig zu überprüfen. Dabei werden – unabhängig von konkreten Vorkommnissen – regelmäßig alle denkbaren Möglichkeiten, welche die Sicherheit gefährden könnten oder einen Ausbruch erlauben, untersucht und notwendige Gegenmaßnahmen ergriffen . Die organisatorischen Abläufe haben gezeigt, dass die Justizvollzugsanstalt nach Feststellung des Entweichungsversuchs schnell das Erforderliche veranlasst hat. Die mechanischen Vorrichtungen zur Verzögerung und Verhinderung einer Entweichung haben ihre prinzipielle Eignung unter Beweis gestellt und den Gefangenen A. ihrem Zweck entsprechend 25 Minuten aufgehalten. Auch sie werden aber im Hinblick auf eine Optimierung von Befestigung und Materialzustand noch einmal überprüft. Die Videosensorik und das Videobearbeitungsprogramm werden noch einer Feinabstimmung unterzogen, um die Dauer bis zur Detektion eines Ereignisses weiter zu reduzieren. Um eine bessere Auswertung der Alarmbilder zu ermöglichen, werden die Beleuchtungskonzepte im Außenbereich überprüft. Darüber hinaus erfolgt eine Bestandsaufnahme der Haftraumausstattungen im Hinblick auf Metallbetten und andere missbräuchlich verwendbare Gegenstände mit dem Ziel des Austausches . Im Hinblick auf die Umstände des Entweichungsversuchs werden zudem alle Justizvollzugsanstalten mögliche Fluchtwege zu identifizieren versuchen, die bisher nach den üblichen Maßstäben nicht als solche bewertet wurden, jedoch unter Inkaufnahme von erheblichen Risiken für Leib und Leben möglich wären. Hiernach wird über weitere Absicherungserfordernisse entschieden. 15. Trifft es zu, dass durch privates Feuerwerk Fehlalarme in der JVA Moabit ausgelöst wurden? Wenn ja, an welchen konkreten Sicherheitsvorkehrungen und wie oft? Zu 15.: Vom Straßenland wurden Raketen in die Außensicherungslinie, den Anstaltsbereich und teilweise auch an die Fassade geschossen. In der Zeit von 21.00 Uhr bis 22.00 Uhr waren 46 Alarme durch die Videosensorik zu verzeichnen. Eine genaue Angabe, wie viele dieser Alarme auf Feuerwerk oder beispielsweise auf die Witterung zurückzuführen waren, ist nicht möglich. 16. Gab es andere Sicherheitseinrichtungen Berlins, an denen privates Feuerwerk Fehlalarme auslöste? Wenn ja: welche? 5 Zu 16.: Der Polizei Berlin und der Berliner Feuerwehr sind keine weiteren Sicherheitseinrichtungen bekannt geworden, bei dem ein privates Feuerwerk zu der Auslösung eines Fehlalarms führte. 17. Durch welche konkreten Maßnahmen konnte der Fluchtversuch von einem Fehlalarm unterschieden werden ? Zu 17.: Bei der Abarbeitung aller Alarme können verschiedene Kamerapositionen abgerufen werden und gegebenenfalls eine bewegliche Schwenk-/Neigekamera hinzugezogen werden , bis der Alarm abschließend bewertet werden kann. So wurde auch im Fall des Entweichungsversuchs die Ursache der Auslösungen ermittelt. 18. Was wird zukünftig unternommen, um zu verhindern, das privates Feuerwerk Fehlalarme an Justizvollzugsanstalten oder anderen Berliner Sicherheitseinrichtung auslöst oder um die Zahl der Fehlalarme zu verringern ? Zu 18.: Sofern die intensive Auswertung der Auswirkungen des Silvesterfeuerwerks auf das Alarmsystem der JVA‘en dies erfordert, werden die Voraussetzungen für eine ordnungsrechtliche Allgemeinverfügung zu einem Abbrennverbot von pyrotechnischen Gegenständen der Kategorien 2, 3, 4 sowie sonstiger Gegenstände im Sinne des Sprengstoffgesetzes in unmittelbarer Nähe zu einer Justizvollzugsanstalt Moabit geprüft: Dies erfordert auch eine Abwägung des Nutzens im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit und wäre von der zuständigen ordnungsrechtlichen Behörde zu erlassen. Berlin, den 23. Januar 2019 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung