Drucksache 18 / 17 405 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Sabine Bangert (GRÜNE) vom 07. Januar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. Januar 2019) zum Thema: Erinnerungskultur: Orte von Straflagern und Zwangsarbeit in Berlin und Antwort vom 22. Januar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Jan. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 5 Senatsverwaltung für Kultur und Europa Frau Abgeordneten Sabine Bangert (GRÜNE) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei – G Sen – Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18 / 17405 vom 07.01.2019 über Erinnerungskultur: Orte von Straflagern und Zwangsarbeit in Berlin Die Anfrage umfasst Sachverhalte, die der Senat nicht nur aus eigener Kenntnis beantworten kann. Sofern die angefragten Stellungnahmen eingegangen sind, sind sie in die nachfolgenden Antworten eingeflossen. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Orte von Zwangsarbeit in der NS-Zeit sowie Straf- und Stammlager gibt es in Berlin? Welche davon werden seitens des Senats als erhaltenswert betrachtet? Zu 1.: Es gibt keine Gesamtübersicht, wo sich im Berliner Stadtgebiet noch bauliche Reste von Orten der NS-Zwangsarbeit befinden. In Berlin gab es während des Zweiten Weltkrieges etwa 3.000 Sammelunterkünfte für ca. 500.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den besetzten Ländern Europas: Das waren eigens errichtete Barackenlager sowie umfunktionierte Gebäude wie beispielsweise Schulen, Theater , Ausflugslokale. Die Zahl der Arbeitseinsatzorte geht weit über die Zahl der Unterkünfte hinaus und lässt sich nach derzeitigem Forschungsstand nicht quantifizieren. Lager wie Einsatzorte waren über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Dementsprechend befindet sich eine Vielzahl dezentraler Erinnerungsorte und Erinnerungszeichen zum Thema NS-Zwangsarbeit in bezirklicher Verantwortung oder wird durch bürgerschaftliche Initiativen unterstützt. Dem Gelände des ehemaligen „GBI-Lagers 75/76“ (GBI=Generalbevollmächtigter für die Reichshauptstadt), das in den Jahren 1943−1945 inmitten eines Wohngebiets in Schöneweide 13 Unterkunftsbaracken aus Stein umfasste und bis heute das einzige, fast vollständig erhaltende ehemalige Zwangsarbeitslager im Stadtgebiet darstellt, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu: An diesem authentischen Ort informiert seit 2006 das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit über die Geschichte der NS-Zwangsarbeit in ihrer Vielschichtigkeit. Seite 2 von 5 Außerdem ist der ehemalige Flughafen Tempelhof als Ort von NS-Zwangsarbeit ebenso von überregionaler Bedeutung wie beispielsweise das Kriegsgefangenenlager in Lichterfelde. Eine abschließende Auflistung der nach Einschätzung des Senats erhaltenswerten Orte von NS-Zwangsarbeit kann angesichts einer fehlenden Gesamtübersicht hier nicht erfolgen. 2. Welcher dieser Orte stehen nicht unter Denkmalschutz und warum sind sie nicht geschützt? 3. Gibt es konkrete Planungsvorhaben, um diese Orte unter Denkmalschutz zu stellen? Zu 2.-3.: Die meisten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter waren in Lagern untergebracht , die in Leichtbauweise und damit als Provisorium gebaut wurden – damit und aufgrund der Tatsache, dass Zwangsarbeit erst sehr spät als NS- Verbrechenskomplex öffentlich wahrgenommen wurde, sind ihre Spuren zum größten Teil verloren gegangen, wurden inzwischen überbaut bzw. überformt. Alle bekannten Orte, die die Kriterien des Denkmalschutzgesetzes Berlin erfüllen, sind in die Denkmalliste eingetragen. Zuletzt wurden die 1944 zu einer Fabrik für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter umgebauten Keller der Bockbrauerei in der Fidicinstraße und die Reste des Kriegsgefangenenlagers Stalag III D in Lichterfelde- Süd eingetragen. 4. Welche Maßnahmen ergreift der Senat um an bisher nicht dokumentarisch erschlossene Orte von Zwangsarbeit sowie Straf- und Stammlagern zu erinnern und diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen? 5. Für welche dieser Orte werden aktuell Maßnahmen durchgeführt und für welche gibt es bereits konkrete Planungsvorhaben? Zu 4. und 5.: Es ist dem Senat ein Anliegen, die Information über den NS-Verbrechenskomplex in der öffentlichen Wahrnehmung zu stärken. Zur Entwicklung entsprechender Empfehlungen wurde bei der Stiftung Topographie des Terrors bzw. dem Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit ein internationaler Fachbeirat eingerichtet. Der Fachbeirat hat mehrmals getagt; das Verfahren ist jedoch noch nicht abgeschlossen und es liegen noch keine Empfehlungen vor. Außerdem wurde ein Runder Tisch NS- Zwangsarbeit eingerichtet. Dieser bietet den bezirklichen und bürgerschaftlich getragenen Initiativen zur NS-Zwangsarbeit eine Plattform für einen regelmäßigen Wissens - und Informationsaustausch. Aktuell informiert die von der Stiftung Topographie des Terrors erarbeitete Ausstellung „Ein weites Feld“ über die Geschichte des Flughafens einschließlich des Themas NS-Zwangsarbeit. 2019 soll diese Ausstellung in das neue Besucherzentrum im Flughafengebäude umziehen. 6. Gibt es ein Berliner Gesamtkonzept dafür, Orte von Zwangsarbeit in der NS-Zeit sowie Straf- und Stammlager als Gedenkorte zu erhalten und zugänglich zu machen? Wenn nein, ist ein solches Konzept in Planung und wann wird dieses erstellt sein? Zu 6.: Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit selbst arbeitet an einer Datenbank der Berliner Zwangsarbeiterlager. In der Dauerausstellung „Alltag Zwangsarbeit“ sind derzeit rund 1.200 Lagerstandorte auf einer Karte eingezeichnet. Mittlerweile sind rund 1.500 Lagerstandorte verifiziert und verortet. Diese Datenbank soll kontinuierlich Seite 3 von 5 ergänzt werden. Da diese Arbeit zeitintensiv ist, kann kein konkreter Termin für eine Fertigstellung genannt werden. Ein Gesamtkonzept in dem gefragten Sinne gibt es nicht, es ist auch nicht in Planung . Es ist dem Senat vielmehr wichtig, die öffentliche Wahrnehmung und Information über diesen NS-Verbrechenskomplex zu stärken und zu qualifizieren. 7. Welche dieser Orte befinden sich auf Grundstücken bzw. in Gebäuden in privatem Besitz? Zu 7.: Da es keine Gesamtübersicht der noch erhaltenen historischen Orte der NS- Zwangsarbeit gibt, gibt es auch keine entsprechende Liste mit den Eigentumsverhältnissen . Die Bockbrauerei in Kreuzberg und das ehemalige Kriegsgefangenenlager in Lichterfelde-Süd befinden sich jedoch in Privateigentum, ebenso wie beispielsweise die ehemalige „Zentrale Dienststelle für Juden“ in der Fontanepromenade , Kreuzberg, oder auch die Batteriefabrik Pertrix in Niederschöneweide. 8. Welche Möglichkeiten sieht der Senat private Eigentümer*innen bei der Sichtbarmachung solcher Denkmale mit in die Verantwortung zu nehmen und für welche Orte wurden konkrete Vereinbarungen mit den Eigentümer*innen getroffen? 9. Sind dem Senat aktuelle Bauvorhaben bekannt, bei welchen Orte von Zwangsarbeit sowie Strafoder Stammlager überbaut bzw. ganz oder teilweise vernichtet werden sollen? Wenn ja, um welche Orte handelt es sich dabei und welche Maßnahmen ergreift der Senat um nichts desto trotz ein authentisches Erinnern und Gedenken zu ermöglichen? Zu 8. und 9. : Bei einigen Bauvorhaben an Orten von NS-Zwangsarbeit, die sich in privater Trägerschaft befinden und die unter Denkmalschutz stehen, werden Verhandlungen mit den Eigentümerinnen und Eigentümern geführt, wie im Rahmen der Baumaßnahme eine dauerhafte Sichtbarmachung und Information zur Geschichte des Ortes umgesetzt werden kann. Dies betrifft zum Beispiel die Bockbrauerei, Kreuzberg, Fidicinstr. 3-5 oder auch das ehemalige Kriegsgefangenenlager, Lichterfelde-Süd. Konkrete bzw. verbindliche Vereinbarungen gibt es hier bislang nicht. 10. Inwieweit hält der Senat es für wichtig das Stammlager, Stalag III D zu erhalten und dort einen Ort des Erinnerns zu errichten? Wie soll ein solcher Ort des Erinnerns aussehen? Zu 10.: Die erhaltenen Baracken des Kriegsgefangenenlagers Stalag III D sind als Denkmale ausgewiesen. Da die Bauten auf einem Gelände stehen, das für eines der größten Wohnungsbauprojekte Berlins vorgesehen ist und die Planungen weit fortgeschritten sind, wurde mit der Eigentümerin (Groth Gruppe) ein Erhaltungs- und Gedenkkonzept verhandelt. Eine historische Recherche, die Dokumentation und Bauforschung an den Baracken und archäologische Untersuchungen sind angelaufen bzw. schon abgeschlossen. Es soll ein Lern- und Gedenkort entstehen (Lagermodell, Footprints der Baracken, Rundweg mit Erläuterungen, Erhalt von Baracken, von Spolien und Funden zur Veranschaulichung der Lagerarchitektur und des Lagerlebens). Erhalten werden sollen eine Baracke des Lagers für die Präsentation der Funde und Spolien usw., eine Baracke auf dem zukünftigen Schulgelände für die Projektarbeit von Schulen der Umgebung . Eventuell kann eine sogenannte Einheitsmassivbaracke zur Dokumentation eines Typs, der selten geworden und bautechnisch interessant ist, transloziert wer- Seite 4 von 5 den. Eine endgültige Sicherung der für den Erhalt vorgesehenen Baracken steht noch aus. 11. In welcher Weise ist das Landesdenkmalamt bzw. die im Bezirk Steglitz-Zehlendorf zuständige Untere Denkmalschutzbehörde eingebunden? Zu 11.: Das Landesdenkmalamt (LDA) steht mit der unteren Denkmalschutzbehörde (UD) und dem Stadtplanungsamt Steglitz-Zehlendorf in engem Kontakt. Das LDA und der Bezirk verhandeln mit dem Bauherrn über die Möglichkeiten einen Lern- und Gedenkort sowie ein Vermittlungs- und Kommunikationssystem mit Lagermodell, städtebaulichen Footprints und Informationsangeboten auf dem Areal des ehemaligen Lagers Stalag III D einzurichten. 12. Wie bewertet der Senat den Bebauungsplan für die Bockbrauerei in Kreuzberg in Hinblick auf die Sichtbarmachung der in der NS-Zeit Zwangsarbeiter*innen beherbergenden Kellergewölbe in Hinblick auf die nicht vollständige Erhaltung eben dieser Kellergewölbe? Zu 12.: Der Bebauungsplan für die Bockbrauerei ist noch nicht verabschiedet. Das Landesdenkmalamt hat in einer Stellungnahme zur Beteiligung der Behörden gemäß § 4 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) darauf hingewiesen, dass die denkmalgeschützten Anlagen nicht gefährdet werden dürfen. 13. Gibt es konkret Pläne hier einen Ort des Erinnerns zu schaffen? Falls ja, welches Konzept liegt dem zugrunde, falls nein, was sind die Gründe dafür? Zu 13.: Der Eigentümer ist grundsätzlich bereit, eine öffentlich zugängliche Erinnerungsstätte in Teilen der historischen Kelleranlagen unterzubringen. Da die Untersuchungen und die denkmalrechtliche Bewertung zu den Kelleranlagen und deren Historie noch nicht vollständig abgeschlossen sind, liegt auch noch kein konkretes Konzept für einen Ort des Erinnerns vor. Der Senat und das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg begrüßen das Vorhaben, in der Bockbrauerei einen Ort des Erinnerns an die NS- Zwangsarbeit zu schaffen. Momentan befindet sich das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg in Verhandlungen mit dem Eigentümer der Kreuzberger Bockbrauerei. Sobald konkrete Ergebnisse vorliegen , wird die bezirkliche Gedenktafelkommission den weiteren Prozess und die Konzeptionierung fachlich begleiten. Seite 5 von 5 14. Wird es bei der Bebauung der Rathenau-Hallen in Oberschöneweide einen Gedenk- und Erinnerungsort für die über 1000 Zwangsarbeiter*innen zur Zeit des Nationalsozialismus geben? Wenn ja, wie wird dieser aussehen? Wenn nein, warum nicht und wie bewertet der Senat dies? Zu 14.: Die Rathenauhallen in Oberschöneweide liegen im Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans 9-58 „Rathenauhallen“. Gegenwärtig werden grundsätzliche Fragen der städtebaulichen Neuordnung für diesen Bereich geklärt. Daher ist dem Senat zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine konkrete Antwort auf diese Frage nicht möglich. Berlin, den 22.01.2019 In Vertretung Dr. Torsten Wöhlert Senatsverwaltung für Kultur und Europa