Drucksache 18 / 17 547 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Franz Kerker (AfD) vom 15. Januar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Januar 2019) zum Thema: Schulen und (soziale) Klassen und Antwort vom 24. Januar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Jan. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Herrn Abgeordneten Franz Kerker (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/17547 vom 15. Januar 2019 über Schulen und (soziale) Klassen _______________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Abgeordneten: Die sogenannte BERLIN-Studie, eine Langzeitstudie zur wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation der Berliner Schulreform ab 2020/2011, welche auf Befragungen von Eltern, Lehrkräften und Schulleitungen sowie auf statistischen Vergleichungen von Kompetenzen und Leistungen zweier Schülerkohorten beruht, hat 2017 ihren Abschlußbericht veröffentlicht. Die Verfasser der BERLIN-Studie kommen u.a. zu folgenden Ergebnissen: „Hinsichtlich des Migrationshintergrunds fanden sich vor allem für Schülerinnen und Schüler mit beidseitigem Migrationshintergrund in der 2. Zuwanderungsgeneration niedrigere Besuchsquoten für Schulen mit eigener Oberstufe. Mit der Verfügung über eine eigene gymnasiale Oberstufe geht somit im nichtgymnasialen Bereich eine institutionelle Differenzierung der Schulen nach bildungsmäßiger und ethischer Herkunft einher. Diese Disparitätsmuster haben sich mit der Schulstrukturreform nicht verändert.“ Ich frage den Senat: 1.) Wenn, wie Marcel Helbig, Nikolai, Rita (2017) darlegen, Eltern höherer sozialer Schichten solche Schulen bevorzugen, die eine gymnasiale Oberstufe bereitstellen, Schüler mit beidseitigem Migrationshintergrund der BERLIN-Studie zufolge dort aber unterrepräsentiert sind, wie kann dann an diesen Schulen gemeinsames Lernen unabhängig von der sozialer Herkunft stattfinden? Zu 1.: Die zitierte Studie formuliert in ihrem Fazit: „Ob mit der Schulstrukturreform langfristig auch eine pädagogische Veränderung einhergeht und mehr Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Schichten zu höherer Bildung geführt werden können, ist noch eine offene Forschungsfrage“, sodass die Frage nicht abschließend beantwortet werden kann. Der Anteil Integrierter Sekundarschulen mit „eigener“ gymnasialer Oberstufe ist allerdings zum Schuljahr 2018/2019 auf über 40 % angewachsen und lässt erwarten, dass damit auch der Anteil gemeinsamen Lernens unabhängig von der sozialen Herkunft sich erhöht hat. - - 2 2.) Der Bildungssoziologin Cornelia Koppetsch (2018) zufolge besitzen fremdenfeindliche Anwandlungen für die in Kreuzberg oder am Prenzlauer Berg wohnende akademische Mittelschicht deshalb keine lebensweltliche Grundlage, weil Migranten in dieser Welt allenfalls als „Diener“ eines neu entstandenen Bürgertums vorkommen; als Wachschützer, Kellner, Verkäuferin oder Paketfahrer – oder eben in der Rolle hilfsbedürftiger „Flüchtlinge“ [Anführungsstriche im Original]. Mit diesem Dienstleistungsproletariat teile man zwar zeitweilig den Raum; den eigenen hoffnungsvollen Nachwuchs aber schicke man doch lieber auf Schulen fernab der Zugewanderten. Wenn die auf „International Schools“ hin orientierte, von Frau Koppetsch so genannte Transnationale Oberschicht kein Interesse daran hat, ihre Kinder mit denen der Transnationalen Unterschicht gemeinsam lernen zu lassen, wie kann die Bereitschaft dazu von den Angehörigen der traditionellen Mittel- und Arbeiterschicht erwartet werden? Zu 2.: Bei dem zitierten Text handelt es sich um die gekürzte Version eines Essays im Internetportal Soziopolis. Der Textart Essay folgend enthält die Abhandlung eine persönliche Auseinandersetzung der Autorin mit dem Thema „alter Privilegien und neuer Spaltungen“ bei Vernachlässigung der Kriterien wissenschaftlicher Methodik. Der von Koppetsch dargestellte Sachverhalt fehlender Bereitschaft zum gemeinsamen Lernen lässt sich im heutigen Berlin nicht nach wissenschaftlichen Standards als quantifizierbar dominante Verhaltensweise nachweisen, sodass folglich als unterstellte Reaktion auch keine „Bereitschaft dazu von den Angehörigen der traditionellen Mittel- und Arbeiterschicht erwartet werden“. 3.) Die Schicht der sogenannten „Globalisierungsverlierer“ ist auf zwei Weisen in die Globalisierung eingebunden : selber ortsgebunden ist sie dennoch einerseits Opfer der Auslagerung von Produktionsprozessen in Niedriglohnländer, andererseits der Lohnkonkurrenz durch eingewanderte Arbeitsmigranten. Inwiefern ergibt sich aus der in Berlin praktizierten „Ausbildungsduldung“ abgewiesener Asylbegehrender gegenüber Bundesbürgern eine spätere Konkurrenz im Niedriglohnsektor? [Marko Neumann, Michael Becker, Jürgen Baumert, Kai Maaz, Olaf Köller & Malte Jansen (2017): Das zweigliedrige Berliner Sekundarschulsystem auf dem Prüfstand: Ein Zwischenresümee. Zusammenfassendes Abschlusskapitel aus dem zweiten Ergebnisbericht zur BERLIN-Studie. Waxmann Verlag. Münster & New York. S. 488-489. Online verfügbar.] [Marcel Helbig, Nikolai, Rita (2017): Alter Wolf in neuem Schafspelz? Die Persistenz sozialer Ungleichheiten im Berliner Schulsystem, WZB Discussion Paper, No. P 2017-001, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Berlin. Online verfügbar.] [Koppetsch, Cornelia (2018): In Deutschland daheim, in der Welt zuhause? Der Heimat-Diskurs und die Transnationalisierung von Klassenstrukturen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Nation und Nationalismus. 48/2018. Berlin. S. 18-26] - - 3 Zu 3.: Ausbildungsduldungen in Berlin nach dem im August 2016 in § 60a Abs. 2 AufenthG geschaffenen Anspruch bewegen sich in einem unteren dreistelligen Bereich, der Mitte 2018 rund 150 Personen betraf (s. Schriftliche Anfrage Nr. 18/16828 vom 23.10.2018 über Aufenthaltsrecht während der Berufsausbildung). Angesichts der Berliner Anzahl von Ausbildungsduldungen kann gegenwärtig gegenüber Bundesbürgern keine spätere nennenswerte Konkurrenz im Niedriglohnsektor ausgemacht werden. Berlin, den 24. Januar 2019 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie