Drucksache 18 / 17 606 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Franz Kerker (AfD) vom 23. Januar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Januar 2019) zum Thema: Gemeinsames Lernen und Selbstausgrenzung und Antwort vom 28. Januar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 31. Jan. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Herrn Abgeordneten Franz Kerker (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/17606 vom 23. Januar 2019 über Gemeinsames Lernen und Selbstausgrenzung _______________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die sogenannte BERLIN-Studie, eine Langzeitstudie zur wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation der Berliner Schulreform ab 2010/2011, hat 2017 ihren Abschlußbericht veröffentlicht. Um einzuordnen, welchen Einfluß die Schulreform auf die schulische Situation von Kindern mit Migrationshintergrund hat, unterscheiden die Verfasser der BERLIN-Studie zwischen vier normativen Orientierungen: Assimilation: Die Überwindung von Gruppenunterschieden bei einer Präferenz der Mehrheitskultur. Egalitarismus: Die Devaluierung der Bedeutung von Gruppenunterschieden bei gleicher Wertschätzung aller Gruppen. Multikulturalismus: Die Wahrnehmung und Akzeptanz von Gruppenunterschieden, verbunden mit der Vorstellung eines integrativen Zusammenlebens der Gruppen. Separierung: Die bewußte Wahrnehmung von Gruppenunterschieden und Betonung von Grenzziehungen bei gleichzeitiger Präferenz für die eigene Gruppe. Die statistische Auswertung der durchgeführten Befragungen ergab folgende Ergebnisse: "Der Akktulturationsnorm der Assimilation stimmte rund die Hälfte der Jugendlichen zu, ebenfalls weitgehend unabhängig von der betrachteten Subgruppe. Größere Unterschiede fanden sich hingegen für die Akkulturationsnorm der Separierung. Stimmten dieser eher auf Abgrenzung zielenden Akkulturationsnorm rund ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund zu, waren es unter der Schülerschaft mit Migrationshintergrund je nach Migrationsgeneration zwischen 30 und 39 Prozent. Separierungsvorstellungen scheinen entsprechend für einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Schülerinnen und Schüler, auch der Schülerschaft ohne Migrationshintergrund, kennzeichnend zu sein." Während die Befragung nach normativen Orientierungen abstrakte Präferenzen untersuchte, richtete sich ein weiterer Teil der Befragung auf die Selbsteinschätzung der Schüler in Bezug auf ihre eigene Lage innerhalb des sozialen Raumes. "Neben der Einschätzung ihrer Verbundenheit mit der deutschen und der Herkunftskultur wurden die Schülerinnen und Schüler auch gebeten, anzugeben, welchem Akkulturationstyp (Berry, 1997) sie sich am ehesten zuordnen würden, ob also eine der beiden Kulturen bei der Identitätsprägung dominant ist oder eine bikultu- - - 2 relle Identität vorliegt. Dabei zeigte sich, dass mit etwa 50 Prozent der größte Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund sich als zu beiden Kulturen zugehörig empfindet (Mehrfachintegration). Ein weiteres Fünftel gibt an, sich stärker zu Deutschland als zu seiner Herkunftskultur zugehörig zu fühlen (Assimilation). Somit gaben also etwa 70 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund einen Akkulturationstyp an, der mit einer positiven soziokulturellen und psychologischen Adaption einhergehen sollte. Die Kehrseite dieses Befunds ist aber, dass etwa 30 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund sich entweder keiner der Kulturen zugehörig fühlen (Marginalisierung) oder angaben, „immer Teil der Herkunftskultur“ zu bleiben und „niemals Deutsch“ werden zu können (Separierung)." [Marko Neumann, Michael Becker, Jürgen Baumert, Kai Maaz, Olaf Köller & Malte Jansen (2017): Das zweigliedrige Berliner Sekundarschulsystem auf dem Prüfstand: Ein Zwischenresümee. Zusammenfassendes Abschlusskapitel aus dem zweiten Ergebnisbericht zur BERLIN-Studie. Waxmann Verlag. Münster & New York. S. 488-489. Online verfügbar.] 1.) Während 50% der Schüler mit Migrationshintergrund die Norm der Assimilation teilen, nehmen sich nur 20% selber als assimiliert wahr. Hat die Schulreform dazu beigetragen, den Anteil derjenigen Schüler zu vergrößern, die sich selber als assimiliert wahrnehmen? Zu 1.: Folgende Entwicklungen werden in der BERLIN-Studie aufgezeigt: 45,8 % der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in der ersten Generation, 49 % der Schülerinnen und Schüler in der zweiten Generation und 49,6 % der Schülerinnen und Schüler mit einseitigem Migrationshintergrund äußern sich zustimmend zur Akkulturationsnorm der Assimilation. Bei Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund liegt die Zustimmungsrate zu dieser Norm in einem ähnlichen Bereich (52,8 %). Der Großteil sowohl der Schülerinnen und Schüler mit als auch ohne Migrationshintergrund äußert sich zudem zustimmend zu den Akkulturationsnormen Multikulturalismus und Egalitarismus (Zustimmungsraten zwischen 76,4 % und 86,5 %). Ferner: 18,9 % der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund der ersten Generation , 21,2 % der Schülerinnen und Schüler der zweiten Generation und 36,5 % der Schülerinnen und Schüler mit einseitigem Migrationshintergrund nehmen sich als assimiliert wahr. Die Auswertungen waren Gegenstand einer Analyse der sogenannten „Reformkohorte“ der BERLIN-Studie (Schülerinnen und Schüler nach der Schulreform), sodass sich keine Aussagen zu möglichen Veränderungen in Folge der Reform treffen lassen. Lediglich für die Selbsteinschätzung der Verbundenheit mit der deutschen Kultur und der Herkunftskultur wurden Vergleiche der Befragten vor und nach der Schulreform durchgeführt, in denen sich jedoch keine Unterschiede zwischen den untersuchten Jahrgängen gegen den Zufall absichern lassen. 2.) 30 % der Schüler mit Migrationshintergrund nimmt sich als separiert wahr, ein noch größerer Anteil unter ihnen teilt auch die Norm der Separierung. Inwiefern kann „gemeinsames Lernen“ gelingen, wenn ein Drittel der Schüler mit Migrationshintergrund die Separierung befürwortet? Zu 2.: Folgende Entwicklungen werden in der BERLIN-Studie ausgewiesen: 26,9 % der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund der ersten Generation, 20 % der Schülerinnen und Schüler der zweiten Generation und rund 12 % der Schülerinnen und Schüler mit einseitigem Migrationshintergrund nehmen sich als separiert wahr. - - 3 Auch bei Schülerinnen und Schülern, die die Norm der Separierung teilen, kann mit steigender Generation ihre Abnahme konstatiert werden: Während 39,2 % der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund der ersten Generation die Norm der Separierung teilen, sind es in der zweiten Generation 36,8 % und bei einseitigem Migrationshintergrund 30,2 %, sodass sich mit längerem Aufenthalt der Familie in Deutschland tendenziell die Rahmenbedingungen für ein gemeinsames Lernen verändern. 3.) Die Norm der Separierung findet sich aufseiten der Schüler mit Migrationshintergrund in doppelt so hohem Maße wie bei den Schülern ohne Migrationshintergrund. Inwiefern widerspricht diese Beobachtung der weitverbreiteten Ausfassung, Exklusion ginge von der Mehrheitsgesellschaft aus. Zu 3.: 21,9 % der Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund teilen die Norm der Separierung , während 39,2 % der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund der ersten Generation, 36,8 % der Schülerinnen und Schüler der zweiten Generation und 30,2 % der Schülerinnen und Schüler mit einseitigem Migrationshintergrund diese Norm befürworten . Somit ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die diese Norm teilen, zwar bei den Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund bedeutsam höher, aber nicht doppelt so hoch. Auch hier zeichnet sich ab, dass sich der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die Norm der Separierung befürworten, mit aufsteigender Zuwanderungsgeneration reduziert. Im aktuellen Integrationsbarometer 2018 wird hervorgehoben, dass seit der ersten Auflage im Jahr 2010 Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund das Zusammenleben in Deutschland insgesamt positiv betrachten und sich damit „weitverbreitete Auffassungen der Exklusion“ nicht nachweisen lassen. Berlin, den 28. Januar 2019 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie