Drucksache 18 / 17 664 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Niklas Schrader (LINKE) vom 25. Januar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Januar 2019) zum Thema: „Stille SMS“ als Peilsender: Überwachung von Berliner*innen und Antwort vom 07. Februar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Feb. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Niklas Schrader (Die Linke) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/17664 vom 25. Januar 2019 über „Stille SMS“ als Peilsender: Überwachung von Berliner*innen Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Berliner Behörden sind, neben den in der Anfrage 18/17263 aufgeführten, derzeit technisch und rechtlich in der Lage, an Mobiltelefone so genannte „Stille SMS“ zur Ermittlung des Standortes oder zur Erstellung von Bewegungsprofilen zu verschicken? Zu 1.: Neben der Polizei Berlin ist auch die Verfassungsschutzbehörde Berlin technisch und rechtlich in der Lage, so genannte „stille SMS“ zur Ermittlung des Standortes oder zur Erstellung von Bewegungsprofilen zu verschicken. 2. Wie viele „stille SMS“ wurden von welcher Behörde auf welcher Rechtsgrundlage in den Jahren 2015 - 2018 jeweils versandt? Zu 2.: Die Polizei Berlin hat die so genannte „stille SMS“ in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft Berlin bis zur Bekanntgabe der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 8. Februar 2018 (3 StR 400/17) durch die Generalstaatsanwältin in Berlin auf Grundlage richterlich angeordneter Telekommunikationsüberwachungen (TKÜ) gem. §§ 100a, 100b Strafprozessordnung (StPO) eingesetzt. Unter Bezugnahme auf die Mitteilung der Generalstaatsanwältin in Berlin erging im August 2018 der behördeninterne Hinweis, dass zukünftig für den Einsatz der „Stillen SMS“ gerichtliche Anordnungen gemäß § 100i Absatz 1 Nr. 2 StPO einzuholen sind. Die Zahl der von der Polizei Berlin versandten „Stillen SMS“ in den angefragten Jahren wird wie folgt aufgeschlüsselt: Jahr „Stille SMS“ 2015 137.905 2016 270.579 2017 317.984 2018 447.972 2 Durch die Verfassungsschutzbehörde Berlin werden „stille SMS“ ausschließlich im Rahmen angeordneter und durch die G10-Kommission des Landes Berlin genehmigter Beschränkungsmaßnahmen nach §§ 1, 3 des Artikel 10-Gesetzes eingesetzt. Jahr „Stille SMS“ 2015 0 2016 0 2017 49 2018 121 3. In wie vielen Ermittlungsverfahren und an jeweils wie viele Betroffene wurden die „stillen SMS“ in den Jahren 2015 - 2018 jeweils versandt? Zu 3.: Diese Frage kann nicht beantwortet werden, da eine gesonderte statistische Erfassung , die eine der Frage entsprechende Eingrenzung der Verfahren ermöglichen würde, nicht erfolgt. 4. Wie viele richterliche Anordnungen für „stille SMS“ wurden seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs am 8. Februar 2018 (3 StR 400/17) und bezogen auf § 100e StPO von welchen Berliner Gerichten ausgesprochen und a) wie viele dieser Anordnungen auf Anwendung „stiller SMS“ wurden von der Staatsanwaltschaft ausgesprochen und erst später von einem Gericht bestätigt oder verworfen oder sind wegen Nicht-Bestätigung außer Kraft getreten? b) wie viele dieser Anordnungen auf Anwendung „stiller SMS“ wurden wie oft für wie lange von einem Gericht verlängert? c) wie viele Anträge über Anordnung auf Anwendung „stiller SMS“ wurden aus welchen Gründen von einem Gericht abgelehnt? d) wie viele Personen und Ermittlungsverfahren waren jeweils betroffen und wie viele Betroffene sind hierüber nachträglich benachrichtigt worden? Zu 4.: Siehe Antwort zu 3. 5. Wie oft beantragte die Berliner Staatsanwaltschaft Überwachung von Telekommunikation, Verkehrsdaten oder Ähnliches im Sinne der Fragestellung und setzte dann ohne spezifische Anordnung „stille SMS“ ein? Zu 5.: Siehe Antwort zu 3. 6. Welche weniger in das Recht der Betroffenen auf informelle Selbstbestimmung eingreifende Ermittlungsansätze werden in der Regel vor dem Einsatz oder (könnten) als Ersatz „stiller SMS“ eingeleitet werden, um ein angemessenes Verhältnis zur Bedeutung der Sache zu gewährleisten? Zu 6.: Der Einsatz so genannter „stiller SMS“ ist nur innerhalb der engen Voraussetzungen des § 100i Absatz 1 StPO und auf Grundlage einer richterlichen Anordnung möglich und wird in der täglichen Praxis regelmäßig mit Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO verbunden, für die noch engere gesetzliche Anforderungen gelten . Der Einsatz der Ermittlungsmaßnahme ist daher schon von Gesetzes wegen auf Straftaten von erheblicher Bedeutung beziehungsweise auf schwere Straftaten beschränkt und wird auch regelmäßig – schon aufgrund von bei den Strafverfolgungsbehörden anzustellenden Kapazitätserwägungen – als eine der letztmöglichen Maßnahmen zur Erforschung eines Sachverhaltes eingesetzt. Diese strengen Anforderungen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewährleisten ein angemessenes Verhältnis zur Bedeutung der Sache beim Einsatz der so genannten „stillen SMS“. 3 7. Welche bürger*innenrechtsstärkenden und datenschutzfreundlichen Maßnahmen für den Einsatz „stiller SMS“ hat der Berliner Senat seit dem Jahresbericht 2016 der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit umgesetzt und wenn keine Umsetzung erfolgte, warum nicht? a) Vermerk des Einsatzes von „stillen SMS“ in den Ermittlungsakten, b) Erfassung des Einsatzes von „stillen SMS“ in den elektronischen Verfahrensverwaltungen der Ermittlungsbehörden , um eine generelle Prüfung zu erleichtern und eine statistische Erfassung zu ermöglichen, c) Begleitung einer Ermittlungsakte durch eine Kontrollliste, ob Daten aus den Maßnahmen, die zur Akte gelangt sind, entsprechend den gesetzlichen Vorgaben gekennzeichnet wurden, d) Begleitung einer Ermittlungsakte durch eine Kontrollliste, ob Betroffene benachrichtigt oder Gründe einer Nichtbenachrichtigung dokumentiert wurden und ob eine unverzügliche Datenlöschung erforderlich ist, e) Information der Ermittlungspersonen über die rechtlichen Pflichten bei der Durchführung von TKÜ- Maßnahmen bzw. dem Abrufen von Verkehrsdaten bei Telekommunikationsanbietern, f) verlaufsstatistische Erfassung, welche Ermittlungsmaßnahmen einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung geleistet haben? Zu 7.: Der Senat nimmt Empfehlungen der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit sehr ernst und prüft sie eingehend auf ihre Umsetzbarkeit. Auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 8. Februar 2018 - 3 StR 400/17 - zur Rechtsgrundlage für den Versand so genannter „stiller SMS“ hat daher Anlass gegeben, für den Geschäftsbereich der Staatsanwaltschaft Berlin die Anweisung zu erteilen, dass in allen Fällen, in denen „stille SMS“ zur Standortermittlung eines Handys eingesetzt werden sollen , ausdrücklich eine gerichtliche Anordnung nach § 100i Absatz 1 Nr. 2 StPO zu beantragen , die Maßnahme in den Akten zu dokumentieren und die Zielperson nachträglich gemäß § 101 Absatz. 3 Nr. 8 StPO über die Durchführung technischer Maßnahmen zur Ermittlung des Handy-Standorts zu informieren ist. Die sich aus dem Gesetz ergebenden Dokumentations-, Benachrichtigungs- und Löschungspflichten für sämtliche Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung waren bereits zuvor in den Dienstanweisungen für die Staatsanwaltschaft enthalten und haben zudem in der dortigen Schreibwerksanwendung (S@M) Berücksichtigung gefunden. Die diesbezüglichen Empfehlungen der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wurden somit umgesetzt. Bei der Berliner Polizei wurde darüber hinaus vor dem Hintergrund der in dem Jahresbericht der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit aus dem Jahr 2016 dargestellten Beanstandungen der praktische Umgang mit TKÜ-Maßnahmen kritisch betrachtet und die Handlungsempfehlungen aus dem Jahresbericht geprüft. Im Ergebnis wurde dort festgestellt, dass die Beanstandungen bezogen auf den Verantwortungsbereich der Polizei unbegründet waren. Insofern ergaben sich aus dem Jahresbericht keine Handlungs- und Regelungserfordernisse. Derzeit bestehen behördeninterne Regelungen zur Dokumentation von TKÜ-Maßnahmen und erhobener Verkehrsdaten. Diese Dokumentationen sind Bestandteile der Ermittlungsakten, denen im Übrigen im Bedarfsfall eine Gesamtübersicht aller Einzelmaßnahmen, inklusive der „stillen SMS“, zu entnehmen ist. Die Dokumentationen beinhalten auch die automatisiert erstellten Tabellen über möglicherweise zu benachrichtigende Betroffene. Sofern „stille SMS“ zu verfahrensrelevanten Erkenntnissen geführt haben, erfolgt die Dokumentation in Form von Auswerteberichten. Darüber hinaus gehende statistische Erfassungen können nicht erfolgen. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die für den Bereich der Strafverfolgung relevanten StPO-/OWi (Ordnungswidrigkeiten)- sowie StA-Statistiken (Staatsanwaltschaft) derzeit auf bundeseinheitlichen Verwaltungsanordnungen der Länder basieren, nach denen bereits umfangreiche statistische Daten erhoben werden. Bei dem Aktenverwaltungsprogramm MESTA (Mehrländer-Staatsanwaltschafts-Automation) der Staatsanwaltschaft Berlin handelt es sich zudem um ein Verbundverfahren, welche nicht durch ein einzelnes Bundesland um Eingabemöglichkeiten erweitert werden kann. 4 Der Senat ist stets darum bemüht, den Einsatz von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen – im Rahmen der gesetzlichen und tatsächlichen Möglichkeiten – so datenschutzfreundlich wie möglich auszugestalten. So erarbeitet er zurzeit beispielsweise ein Funkzellenabfragen -Transparenz-System, welches Betroffene von Funkzellenabfragen der Staatsanwaltschaft Berlin nachträglich per SMS informieren wird. 8. Wie beurteilt der Senat die Umsetzbarkeit und die Wirksamkeit der unter 7. a.-f. im aufgeführten Maßnahmen ? Zu 8.: Der Senat ist sich darüber bewusst, dass verdeckte Ermittlungsmethoden einen starken Eingriff in die Rechte Betroffener bedeuten und daher besonders hohen Anforderungen unterliegen. Daher setzen die Behörden des Landes Berlin die „stille SMS“ nur in den engen – in der Antwort zu Frage 6 skizzierten – Grenzen ein. Gleichzeitig hat der Senat den Auftrag Straftaten zu verhindern und begangene Straftaten aufzuklären. Die vom Bundesgesetzgeber eingeführten Ermittlungsmethoden sind daher auch von den Behörden des Landes Berlin einzusetzen. Der Senat geht davon aus, dass die den Berliner Strafverfolgungsbehörden erteilten und unter der Antwort zu Frage 7 bezeichneten Anweisungen eine gesetzeskonforme und der Schwere des Eingriffs angemessene Anwendung des Ermittlungsinstrumentes "stille SMS" gewährleisten. Berlin, den 7. Februar 2019 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung