Drucksache 18 / 17 755 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Franz Kerker (AfD) vom 30. Januar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. Februar 2019) zum Thema: Privatschule und soziale Separierung und Antwort vom 12. Februar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Feb. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Herrn Abgeordneten Franz Kerker (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/17755 vom 31. Januar 2019 über Privatschule und soziale Separierung ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Abgeordneten: Eine Studie über die Wirkung rechtlicher Vorgaben auf die soziale Zusammensetzung an Privatschulen unterscheidet in diesem Zusammenhang drei Akteure. Staatliche Schulgesetzgeber, Landesregierungen und Aufsichtsbehörden sind einerseits an das Sonderungsverbot durch Art. 7 Abs.4 S.3 GG gebunden, andererseits ist ihre Situation durch begrenzte Haushaltsmittel gekennzeichnet. Privatschulen bevorzugen Familien mit höherem Einkommen nicht nur, um ihrer Unterfinanzierung zu begegnen, sondern auch, weil deren Kinder bereits sog. Bildungs- und Sozialkapital einbringen, welches etwa dazu führt, daß höhere Kompetenzwerte als an öffentlichen Schulen erzielt werden; die besseren Leistungen der Schüler sind nicht Resultat besserer pädagogischer Konzepte, sondern der sozialen Zusammensetzung. [S.367] Eltern bieten die Privatschulen gute Möglichkeiten, um den angeblichen oder tatsächlichen »Mängeln« des staatlichen Bildungssystems – etwa höheren Anteilen von Kindern aus nichtakademischem Milieu oder mit nichtdeutscher Herkunftssprache – zu entkommen. Die Studie diskutiert einige Maßnahmen, welche an der "Angebotsseite" ansetzen: die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben solle überwacht und durchgesetzt werden; auch solle der Staat finanzielle Anreize schaffen, um verstärkt Kinder aus einkommensschwächeren Familien an Privatschulen aufzunehmen . Tabelle 1 der Studie führt den Anteil der Schüler mit Lernmittelbeihilfe für das Schuljahr 2014/2015 in Berlin auf; die erste Spalte weist den Anteil an Öffentlichen Schulen, die zweiten an solchen in privater Trägerschaft und die dritte das Verhältnis beider zueinander aus. 2 Grundschule, Schulen mit einer 3. Klasse 27.14 | 7.73 | 3.5 Integrierte Sekundarschulen (7. Klasse) 44.28 | 10.73 | 4.1 Integrierte Sekundarschulen ohne eigene gymnasiale Oberstufe 51.71 | 10.97 | 4.7 Integrierte Sekundarschulen mit eigener gymnasialer Oberstufe 34.06 | 10.62 | 3.2 Gymnasien (7. Klasse) 17.51 | 6.22 | 2.8 Gymnasien, die mit Klasse 7 beginnen 20.45 | 11.09 | 1.8 Grundständige Gymnasien, die mit Klasse 5 beginnen 12.16 | 2.38 | 5.1 Freie Waldorfschulen (7. Klasse) 12.5 Ich frage den Senat: 1.) Der Studie zufolge dürfen nach Auffassung der Berliner Senatsverwaltung Ersatzschulen selbst von SGB-II-Empfängern und einkommensschwachen Familien, die Wohngeld oder andere staatliche Unterstützungsleistungen erhalten, ein monatliches Schulgeld von bis zu 100 Euro verlangen. a.) Entspricht dies den Tatsachen? Zu 1. a.: Das ist zutreffend. Nach der derzeitigen Verwaltungspraxis darf das Schulgeld für die Einkommensgruppe, die in die Kategorie des § 7 Abs. 1 Verordnung über die Lernmittel an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen (Lernmittelverordnung) fällt, 100 € nicht übersteigen, damit eine Sonderung nach Besitzverhältnissen nicht gefördert wird. Diese Voraussetzung wird durch die 2. Durchführungsverordnung zum Privatschulgesetz dahingehend ergänzt, dass 10 % des Schulgeldaufkommens verwendet werden muss, um Freiplätze und Schulgeldermäßigungen für Kinder sozial schwacher Eltern zu finanzieren. Die Senatsverwaltung für Bildung prüft jedoch derzeit eine Anpassung der Rechtslage. 3 b.) Falls ja: Wird dieses Schulgeld auf die finanziellen Belastungen der SGB-II-Empfänger angerechnet , also wiedererstattet? Zu 1. b.: Nach der Rechtsprechung ist der allgemeine und existenzsichernde Bedarf von Kindern und Jugendlichen an Schulbildung aufgrund der Schulgeldfreiheit für öffentliche Schulen, mit denen der Staat seinen Erziehungsauftrag gemäß Art 7 Abs. 1 Grundgesetz (GG) erfüllt, ausreichend gedeckt. Insoweit sind Kosten für den Besuch einer von den Eltern gewählten Privatschule als Mehrbedarf nicht anzuerkennen. 2.) a.) In welchem Maße stünden Haushaltsmittel bereit, um Schulen in privater Trägerschaft finanzielle Anreize zur Aufnahme von Schülern aus finanziell schlechter gestellten Familien anzubieten? b.) Gibt es Bestrebungen hierzu? Zu 2.: Ersatzschulen finanzieren sich zu einem überwiegenden Teil aus staatlichen Zuschüssen . Dies erfolgt um es ihnen zu ermöglichen, die durch Art. 7 Abs. 4 GG normierten Genehmigungsvoraussetzungen, zu welchen das Sonderungsverbot zählt, einzuhalten. Der Senat arbeitet an einem Ersatzschulzuschusssystem, in welchem unmittelbare Anreize für die Aufnahme von Schülerinnen und Schülern aus schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen gesetzt werden (vgl. grundsätzlich dazu die Berichte der Senatsverwaltung für Bildung an den Hauptausschuss Rote Nummer 0104 G vom 19.12.2014 und Rote Nummer 0777 G vom 5.11.2018). 3.) An Privatschulen sind bessere Leistungen der Schüler nicht Resultat besserer pädagogischer Konzepte , sondern der homogenen sozialen Zusammensetzung. Gilt dies auch an öffentlichen Schulen? Zu 3.: Leistungen der Schülerinnen und Schüler sind das Resultat einer Vielzahl von Bedingungen und lassen sich keineswegs auf die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft reduzieren. 4.) Die obige Tabelle führt die Anteil der Schüler mit Lernmittelbeihilfe für das Schuljahr 2014/2015 auf. Verfügt der Senat hier über neuere Zahlen? Zu 4.: Der Senat veröffentlicht jährlich ausgewählte Eckdaten der allgemein bildenden Schulen im Internet als Information für die Öffentlichkeit. Dort sind auch die Schüler, die von der Zahlung des Eigenanteils bei Lernmitteln befreit sind nach Bezirk, Träger, Schulart und Jahrgangsstufe dargestellt: https://www.berlin.de/sen/bildung/schule/bildungsstatistik/ 4 5.) Der Anteil der Schüler mit Lernmittelbeihilfe ist an Integrierten Sekundarschulen mit eigener gymnasialer Oberstufe geringer als an Schulen ohne eigene gymnasiale Oberstufe. Inwiefern ist das Merkmal "gymnasiale Oberstufe" auch nach der Schulreform ein entscheidendes Kriterium für die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft? Zu 5.: Die Einführung der gymnasialen Oberstufe an Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen begünstigt eine gemischte soziale Zusammensetzung der Schülerschaft. Dies wird weiter verstärkt durch die im Dezember 2018 beschlossene Schulgesetzänderung, gymnasiale Oberstufen auch im Verbund gründen zu können. Dadurch ist die Fortführung der Schullaufbahn in einer gymnasialen Oberstufe für die Schülerinnen und Schüler der Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen möglich, ohne dass eine „eigene gymnasiale Oberstufe“ vorhanden sein muss. 6.) Die Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Franz Kerker (AfD) zum Thema: Gesamtschule und Statusreproduktion [Drucksache 18/17251] beantwortet der Senat u.a. wie folgt: "Zu 2.b.: Die soziale Durchmischung innerhalb von Schulen wird durch die Einführung der gymnasialen Oberstufe an Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen begünstigt, da Schülerinnen und Schüler, die aufgrund ihrer Kompetenzentwicklung eher drei Jahre zum erfolgreichen Abschluss der Allgemeinen Hochschulreife benötigen, diese Form der gymnasialen Oberstufe wählen können. Deshalb ist mit der am 13. Dezember 2018 in zweiter Lesung beschlossenen Schulgesetzänderung ausdrücklich die Möglichkeit geschaffen worden, auch gymnasiale Oberstufen im Verbund zu gründen." Die Antwort des Senates stellt einen Zusammenhang zwischen sozialer Durchmischung und der Ballung von Schülern niedrigerer Kompetenzstufe an den gymnasialen Oberstufen der Integrierten Sekundarschulen her. Ein solcher Zusammenhang motiviert aber die Nachfrage nach Privatschulen. Wenn der Senat der sozialen Separierung entgegenwirken will, dann muss er den Bedarf an Privatschulen mindern. Dieser Bedarf wird aber gefördert, wenn die Etablierung eines niedrigeren Leistungsniveaus an öffentlichen Schulen akzeptiert wird. Welche Maßnahmen unternimmt der Senat, um öffentliche Schulen auch für finanziell bessergestellte Eltern wieder attraktiver zu machen? [Helbig, Marcel; Nikolai, Rita; Wrase, Michael (2017): Privatschulen und die soziale Frage: Wirkung rechtlicher Vorgaben zum Sonderungsverbot in den Bundesländern. In: Leviathan: Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Zu 6.: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf zukunftsfähige schulische Bildung und Erziehung ungeachtet seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Herkunft, einer Behinderung, seiner religiösen oder politischen Anschauungen, seiner sexuellen Identität und der wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Stellung seiner Erziehungsberechtigten“ (vgl. Schulgesetz für das Land Berlin § 2 (1)), sodass auch für Kinder und Jugendliche „finanziell bessergestellter Eltern“ die öffentlichen Berliner Schulen attraktiv bleiben. Zu den aktuellen Vorhaben des Berliner Senats, um die Berliner Schule weiterzuentwickeln , ihre Potenziale zu entfalten und die Ergebnisse zu steigern, wurden sieben Handlungsfelder ausgewiesen und mit 39 Maßnahmen unterlegt: 5 https://www.berlin.de/sen/bildung/unterricht/schulqualitaet/massnahmen. Berlin, den 12. Februar 2019 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie