Drucksache 18 / 17 758 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Herbert Mohr (AfD) vom 01. Februar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. Februar 2019) zum Thema: Sepsis – eine verkannte Gefahr mit verheerenden Folgen für die Betroffenen! und Antwort vom 19. Februar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Feb. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Herrn Abgeordneten Herbert Mohr (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/17 758 vom 01.02.2019 über Sepsis – eine verkannte Gefahr mit verheerenden Folgen für die Betroffenen! ________________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie hoch ist nach Kenntnis des Senats die Anzahl der Sepsis-Fälle in Berlin seit 2008? (Wenn möglich, bitte Fallzahlen nach Jahr, Alter sowie ätiologischen und epidemiologischen Parametern aufschlüsseln) Zu 1.: Das klinische Bild der Sepsis ist kein nach § 6 Infektionsschutzgesetz (IfSG) meldepflichtiger Tatbestand, der den Gesundheitsämtern gemeldet und anschließend dem Land Berlin (hier: LAGeSo) übermittelt wird. Zur Anzahl der Sepsis-Fälle kann also aufgrund von Meldedaten nach IfSG keine genaue Aussage getroffen werden. Meldepflichtig hingegen sind Nachweise von bestimmten Krankheitserregern (z.B. bei Meningokokken , MRSA, Listeria monocytogenes), die zu einer Sepsis führen können, soweit die Nachweise auf eine akute Infektion hinweisen. Dementsprechend kann bei diesen Erregern das septische Krankheitsbild in den klinischen Informationen zu einem Meldefall angegeben und an das Land Berlin übermittelt werden. Bei einigen meldepflichtigen Krankheitserregern, die nach § 7 IfSG durch die nachweisenden Labore der Primärdiagnostik meldepflichtig sind, lässt auch die Nachweismethodik bzw. –lokalisation auf ein septisches Krankheitsbild schließen. So sind für typische nosokomiale Infektionserreger, wie z.B. für Carbapenem-nichtempfindliche Enterobakterien und Acinetobacter, Erregernachweise aus dem Blut in den Meldedaten nachvollziehbar und lassen auf ein septisches Krankheitsbild schließen. Die aus den Meldedaten nachvollziehbaren Angaben zu Fallzahlen und Altersgruppen in den Jahren 2008 - 2018 zu diesen Erregern sind in den Tabellen 1 und 2 zusammengefasst : - 2 - 2 2. Wie lang ist die Dauer des Zeitraums zwischen dem Auftreten einer septischen Symptomatik und der Einleitung suffizienter Maßnahmen?1 Insbesondere: Wie lange dauert aktuell die mikrobiologische Untersuchung ? Zu 2.: Angaben zum Zeitraum zwischen dem Auftreten erster Symptome und Therapiebeginn bei Sepsis liegen in öffentlichen Erfassungen nicht vor. Eine neue Definition der Diagnose Sepsis, die in Fachkreisen seit 2016 empfohlen und offensichtlich weiterentwickelt wird, https://www.aerzteblatt.de/archiv/192597/Sepsis-2017-Eine-neue-Definition-fuehrt-zuneuen -Konzepten, eröffnet nicht nur ein besseres Verständnis für die pathologischen Prozesse bei Sepsis, sondern soll auch zur schnelleren und präziseren Identifizierung von Risikopatienten und zur Weiterentwicklung bisheriger Therapieansätze beitragen, inklusive möglichst frühem Therapiebeginn. Eine kalkulierte oder empirische Antibiotikatherapie, gezielt fortgesetzt nach Antibiogramm gehört dazu. Die notwendigen mikrobiologischen Untersuchungen müssen selbstverständlich sofort eingeleitet werden. Wann der abschließende Befund vorliegt, kann methodisch bedingt (Anzuchtverfahren etc.) durchaus variieren . 1 Sartelli et al. (2018) - Abdominal Sepsis: A Multidisciplinary Approach - 3 - 3 3. Welche nosokomialen Infektionen sind die häufigsten Verursacher von Sepsis? (Angaben bitte gesondert nach Fällen von Sepsis, schwerer Sepsis und septischem Schock) Zu 3.: Obschon eine Sepsis sich aus jedem Infektionsfokus entwickeln kann, sind die wichtigsten Quellen einer Sepsis respiratorische (62,9%) und intraabdominelle Infektionen (25,3%). Somit beträgt die Wahrscheinlichkeit für eine Infektionsursache der Sepsis im Respirationstrakt oder Abdomen fast 90%.*Als potentielle nosokomiale Sepsisquellen werden vor allem Pneumonien, Katheter – und Wundinfektionen und Urogenitalinfektionen aufgeführt .* Seit 1992 unterschied man je nach Schweregrad der Erkrankung zwischen Sepsis schwerer Sepsis (mit Organdysfunktion) septischem Schock (Sepsis mit arterieller Hypotonie (niedriger Blutdruck) und verminderter Organdurchblutung, die nicht durch die Gabe von intravenöser Flüssigkeit ausgeglichen werden kann) Nach neuerer Definition von 2016 geht jedoch jede Form der Sepsis mit einer Organdysfunktion einher. Daher wird der Begriff der „schweren Sepsis“ nicht mehr verwendet. * Kramer A, Assadian O, Exner M et al (2016), Krankenhaus- und Praxishygiene, 3. überarbeitete Auflage, Urban & Fischer, München **1. Revision der S-2k Leitlinien der Deutschen Sepsis-Gesellschaft e.V. (DSG) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), 2010 4. Welche Daten zur Verweildauer nach stationären und intensivstationären Behandlungsfällen sowie Schwere der Sepsis-Fällen liegen vor? (Bitte in tabellarischer Darstellung) Zu 4.: Diese Frage kann vom Senat nicht beantwortet werden. Die für Berlin veröffentlichten Auswertungen der amtliche Krankenhausstatistik Teil II - Diagnosen der Krankenhauspatienten - nach der ICD 10 sind nicht detailliert genug, um diese Frage zu beantworten. Daten nach § 21 KHEntG dürfen nur zu den gesetzlich normierten Zwecken (Krankenhausplanung , Krankenhausförderung) ausgewertet werden. 5. Wie viele der Sepsis-Fälle (siehe 1) hatten einen letalen Ausgang? (Wenn möglich, bitte incl. Krankenhausbehandlungen in Intensiv- und Normalstation sowie während des Krankenhausaufenthalts und nach Krankenhausentlassung) Zu 5.: Tabelle 3: Anzahl der erfassten Todesfälle in Zusammenhang mit einem septischen Krankheitsbild1 bzw. Nachweis eines Erregers in Blut2 für die Jahre 2008 - 2018 nach Meldekategorie: - 4 - 4 Meldekategorie Anzahl erfasster Todesfälle 2008 - 2018 Haemophilus influenzae, invasive Erkrankung1 5 Listeriose1 10 Meningokokken, invasive Erkrankung1 18 MRSA, invasive Infektion1* 182 Pneumokokken, invasive Erkrankung1 0 Tularämie1 1 Weitere bedrohliche Krankheit1 1 Acinetobacter (Carbapenemnichtempfindlich )2** 2 Enterobacteriaceae (Carbapenemnichtempfindlich )2** 9 6. Wie verhalten sich Fallzahlen und Letalität von Sepsis in Berlin im inner- und außereuropäischen Vergleich ? Zu 6.: Da die Sepsis selbst nicht der Meldepflicht unterliegt (siehe Antwort zu 1.), können keine validen Vergleiche zum inner- oder außereuropäischen Ausland gezogen werden. 7. In wie vielen Sepsis-Fällen trugen Patienten gesundheitliche Folgeschäden? (Bitte Fallzahlen nach Schweregrad, Jahr, Alter) Zu 7.: Diese Daten werden gemäß IfSG nicht erhoben. 8. Welche Parameter bzw. Daten zu Sepsis-Outcome (nach Krankenhausentlassung) werden erhoben? Zu 8.: Hierzu werden keine Daten erhoben. 9. Inwiefern werden Daten bezogen auf die langfristige Mortalität und die Lebensqualität nach einer überstandenen Sepsis erhoben? (Wenn möglich, bitte bei den Angaben auch eine Klassifizierung nach Schwere der Verlaufsform bzw. Inzidenz sowie die Abstände der Datenerhebungen berücksichtigen) Zu 9.: Es werden keine längerfristigen Verlaufserhebungen zu meldepflichtigen Erregernachweisen bzw. Krankheiten nach IfSG durchgeführt 10. Gibt es nach Kenntnis des Senats Therapie- und Betreuungskonzepte für Patienten nach einer überlebten Sepsis und inwiefern wird die Implementierung und Umsetzung dieser evaluiert? - 5 - 5 Zu 10.: Es gibt die Leitlinien der Deutschen Sepsis-Gesellschaft und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin zur Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge der Sepsis. Die Leitlinien werden momentan aktualisiert, da wissenschaftliche Erkenntnisse und technischer Fortschritt eine periodische Überarbeitung notwendig machen . Die Leitlinien geben den Stand des Wissens wieder. 11. Welche Empfehlungen zur Sepsis-Prävention und -Früherkennung sind aktuell maßgebend? a. Inwiefern werden Sepsis-Protokolle bzw. die Analyse von Krankenakten darin berücksichtigt? b. Inwiefern ist die Inzidenz postoperativer Sepsis-Fälle für Krankenhäuser und weitere Einrichtungen des Gesundheitswesens ein verpflichtender Qualitätsindikator? Zu 11.: Die Prävention der Sepsis ist eine klinische Maßnahme, die den behandelnden Ärzten obliegt . Klinische Leitlinien im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zur Erkennung, Prävention, Therapie und Nachsorge der Sepsis sind durch die Deutsche Sepsis-Gesellschaft und die Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin veröffentlicht und werden aktuell überarbeitet. Grundlegende infektionspräventive Empfehlungen (z.B. im Kontext von Gefäßkathetern , künstlicher Beatmung und postoperativen Wundinfektionen) erarbeitet und veröffentlicht die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) am Robert Koch-Institut. a) Diese Information liegt uns nicht vor. b) Die Leiter medizinischer Einrichtungen sind nach §23(4) IfSG dazu verpflichtet nosokomiale Infektionen fortlaufend aufzuzeichnen, zu bewerten und sachgerechte Schlussfolgerungen hinsichtlich erforderlicher Präventionsmaßnahmen zu ziehen, sowie dafür zu sorgen, dass diese Präventionsmaßnahmen dem Personal mitgeteilt und umgesetzt werden. Das Robert Koch-Institut legt entsprechend den jeweiligen epidemiologischen Erkenntnissen diese zu erfassenden nosokomialen Infektionen fest. Dies sind derzeit die folgenden (Übersicht über die gemäß § 23 Abs. 4 in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe b IfSG zu erhebenden nosokomialen Infektionen): - Postoperative Wundinfektionen (anhand geeigneter Indikatoroperationen) - Katheter-assoziierte Septikämien - Beatmungsassoziierte Pneumonien - Katheter-assoziierte Harnwegsinfektionen - Nosokomiale Diarrhöen durch C. difficile (CDAD) 12. Inwiefern wird eine (transsektorale) Umsetzung von Präventionsmaßnahmen bzw. prophylaktischen Maßnahmen im ambulanten und stationären Bereich (Aufklärung, Impfungen, effektive Antibiotikabe- handlung, Vermeidung nosokomialer Infektionen und Katheterinfektionen usw.) überprüft und evaluiert? Zu 12.: Das RKI führt verschiedene Studien durch, die sich mit Fragen der Krankheitslast durch nosokomiale Infektionen befassen. - 6 - 6 So wurde z. B. in Kooperation mit dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, eine Behörde der Europäischen Union (ECDC), die primäre Sepsis als die nosokomiale Infektion mit der zweithöchsten Krankheitslast nach nosokomialen Pneumonien identifiziert. Die primäre Sepsis macht zusammen mit der nosokomialen Pneumonie ca. 60 % der Krankheitslast der sechs häufigsten nosokomialen Infektionen aus. Derzeit wird von der Senatsverwaltung für Gesundheit ein Aktionsplan zur Vermeidung von Krankenhausinfektionen mit wichtigen Berliner Akteuren erarbeitet. Gegenstand der Diskussion sind unter anderem Präventionsmaßnahmen im stationären, aber auch ambulanten Bereich, Aufklärung der Patienten und ihrer Angehörige, die rationaler Antibiotikatherapie, etc. 13. Inwiefern ist die Veröffentlichung von Sepsis-Fallzahlen Bestandteil der Gesundheitsberichterstattung und wie erfolgt das Sepsis-Monitoring auf Landesebene? Zu 13.: Im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung gemäß Indikatorensatz der Länder werden Sepsis-Fallzahlen nicht separat berichtet, sondern sind lediglich in den Fallzahlen der stationären Behandlungsfälle wegen infektiöser und parasitärer Krankheiten (ICD-10 Nrn. A00 – B99, Indikator 3.60) sowie im Falle der Meningokokken-Sepsis in den Fallzahlen der nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Infektionskrankheiten (Indikatoren 3.58 und 3.59) enthalten. Die entsprechenden Tabellen lassen sich im Gesundheitsinformationssystem (http://www.gsi-berlin.info) abrufen. Ein Sepsis-Monitoring im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung erfolgt nicht. 14. Eine Validierungsstudie der Universität Jena von 2015 legt nahe, dass in Deutschland eine erhebliche Unterkodierung der Sepsis im § 21 Datensatz (KHEntgG) besteht. a. Inwiefern trifft das nach Kenntnis des Senats auch für Berlin zu? b. Welche zusätzlichen Daten wären aus Sicht des Senats erforderlich, um die Datenlage zu verbessern ? c. Welche Maßnahmen plant der Senat, um die Datenlage zu Sepsis-Fällen zu verbessern? Zu 14.: Dem Senat liegen keine Informationen zu den offensichtlich vermuteten Fehlkodierungen bei Sepsis in Berliner Krankenhäusern vor. Der § 21 Datensatz gemäß KHEntgG steht nur für die unter 1. genannten Zwecke zur Verfügung. Allgemein sind verlässliche Erhebungen zu Behandlungen nur möglich, wenn einheitliche Definitionen und geeinten Dokumentationsverfahren vorliegen (siehe auch unter 2.). Die aktuell laufende Überprüfung der Leitlinie zur Sepsisbehandlung (Gültigkeit lief am 1.2.2015 ab), wird dies sicherlich berücksichtigen https://www.awmf.org/leitlinien/aktuelleleitlinien /ll-liste/deutsche-sepsis-gesellschaft-ev.html. 15. Inwiefern ist aus Sicht des Senats mit Blick auf die Qualität der Sepsisversorgung ein Verbesserungsbedarf erforderlich und welche konkreten Maßnahmen sieht der Senat hierzu vor? - 7 - 7 Zu 15.: Wesentlich für eine gute und leitliniengerechte Behandlung der Sepsis sind eine frühzeitige Erkennung der Sepsis und eine unmittelbare Therapie mit Antibiotika. Viele Patienten mit Sepsis kommen über die Notaufnahme in das Krankenhaus. Hier ermöglicht die im Krankenhausplan Berlin und mittlerweile auch im G-BA verankerte unmittelbare Ersteinschätzung die rechtzeitige Erkennung der Sepsis Patienten. Berlin, den 19. Februar 2019 In Vertretung Martin Matz Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung