Drucksache 18 / 17 790 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Daniel Wesener (GRÜNE) vom 04. Februar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Februar 2019) zum Thema: Humboldt Forum II: Wann eröffnet die Berlin-Ausstellung? Und inwieweit taugt ausgerechnet das rekonstruierte Stadtschloss als Gedenkort für koloniales Unrecht? und Antwort vom 20. Februar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Feb. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Seite 1 von 5 Senatsverwaltung für Kultur und Europa Herrn Abgeordneten Daniel Wesener (Grüne) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei – G Sen – Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18 / 17790 vom 04. Februar 2019 über Humboldt Forum II: Wann eröffnet die Berlin-Ausstellung? Und inwieweit taugt ausgerechnet das rekonstruierte Stadtschloss als Gedenkort für koloniales Unrecht? Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Fragen beziehen sich auf Sachverhalte, die der Senat von Berlin nur teilweise in eigener Zuständigkeit beantworten kann. Die Stiftung Humboldt Forum (SHF), die Kulturprojekte Berlin GmbH (KPB), die Stiftung Stadtmuseum (SSB) und die Humboldt Universität zu Berlin (HU) wurden daher um die Zulieferung von Antworten gebeten , auf die nachfolgend rekurriert wird. 1. Liegen dem Senat neue Erkenntnisse betreffs der Fragen 1, 2 und 4 in der Drucksache 18/16 896 vor, insbesondere hinsichtlich des Zeitpunkts der Fertigstellung und Eröffnung der sog. Berlin- Ausstellung im Humboldt Forum? Falls ja: welche? Falls nein: Wann kann der Senat ein mit der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Stadtschloss abgestimmtes, konkretes Eröffnungsdatum für die Berlin-Ausstellung nennen? Zu 1.: In Bezug auf die Antwort auf die Frage 1 der Schriftlichen Anfrage 18/16 896 gibt es insofern neue Erkenntnisse, als dass die SHF laut eigener Aussage vom 28.01.2019 die für die Berlin-Ausstellung vorgesehenen Flächen im 1. Obergeschoss (nach Absage des Übergabetermins im September 2018) auch zu dem in Aussicht gestellten Ersatztermin am 01. Februar 2019 nicht an das Land Berlin übergeben konnte, da diese baulich nicht fertiggestellt wurden. Laut Einschätzung der für die Berlin-Ausstellung zuständigen Projektpartner ist damit eine Eröffnung der Berlin-Ausstellung im Herbst 2019 aufgrund der wiederholten baulichen Verzögerung produktionstechnisch nicht mehr möglich. Gleichwohl laufen die Berliner Planungen natürlich mit Hochdruck weiter. Eine vorläufige Aussage zu einem avisierten Eröffnungstermin kann erst getroffen werden, wenn die Flächen tatsächlich in nutzbarem Zustand überlassen wurden und Klarheit über eine etwaige Seite 2 von 5 parallel stattfindende Mängelbeseitigung sowie die Inbetriebnahme der Flächen und des gesamten Hauses besteht. In Bezug auf die Antwort auf die Frage 2 der o.g. Schriftlichen Anfrage teilt die SHF mit, dass sie den konkreten Termin in der Stiftungsratssitzung im Juni 2019 mitteilen wird. In der Sitzung des Stiftungsrates am 20. November 2018 stellte die SHF ihren Plan einer Eröffnungschoreografie vor, der von einer sukzessiven Einweihung der unterschiedlichen Bereiche im Humboldt Forum (HF) ausgeht. Der Stiftungsrat hat diesen Plan zur Kenntnis genommen. Der Plan sieht vor, „dass das Haus von unten nach oben in Etappen eröffnet wird. Den Beginn macht das Erdgeschoss mit Sonderausstellungen, Veranstaltungsräumen , gastronomischen Einrichtungen und Shops. Es folgt die „Berlin-Etage“ im 1. OG. Danach die Westspange der Ausstellung der Staatlichen Museen und zum Schluss die Ostspange der Museumslandschaft mit Dauer- und Wechselausstellungen im 2. und 3. OG. Das gesamte Jahr 2020 soll mit verschiedenen Eröffnungen und Events aufwarten.“ In Bezug auf die Antwort auf die Frage 4 der o.g. Schriftlichen Anfrage ist festzustellen , dass aus den oben benannten Verzögerungen resultierende Mehrkosten seitens der Projektpartner zwar dem Grunde nach bereits angezeigt, aber noch nicht beziffert wurden, da dies von zahlreichen Parametern abhängig ist, die dem Land Berlin derzeit nicht bekannt sind, insbesondere hinsichtlich der Dauer weiterer baulicher Verzögerungen und des Zeitpunkts der Übergabe. Eine präzise Kalkulation der Mehrkosten ist erst möglich, wenn dem Land Berlin bzw. den Nutzern die Flächen in nutzbarem Zustand überlassen worden sind und – auch in Übereinstimmung mit der Eröffnungsdramaturgie der anderen Akteurinnen und Akteure – ein genauer Eröffnungstermin benannt werden kann. 2. Gibt es zwischenzeitlich eine Entscheidung des Senats, ob der Besuch der Berlin-Ausstellung – analog zur dreijährigen Erprobungsphase bei der Dauerausstellung der Staatlichen Museen zu Berlin – kostenfrei ist? Falls ja: Wie lautet die Entscheidung und ihre Begründung? Falls nein: Bis spätestens wann will der Senat über diese Frage entschieden haben? Zu 2.: Für die Berlin-Ausstellung hat der Senat die Frage, ob Eintritt erhoben wird oder ob es auch hier für eine dreijährige Probephase freien Eintritt geben soll, weiterhin noch nicht abschließend entschieden. Eine endgültige Entscheidung erfolgt spätestens mit der Verabschiedung des Doppelhaushalts 2020/21, da ggf. die Einnahmeausfälle der SSB kompensiert werden müssen. 3. Wie bewertet der Senat den Vorschlag, u.a. vom Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, im Humboldt Forum einen „Gedenkort für die Opfer des deutschen Kolonialismus“ zu schaffen? Und erscheint dem Senat die öffentlich vorgebrachte Idee eines „Raums der Stille“ für diesen Zweck tatsächlich geeignet bzw. angemessen? Zu 3.: Bisher fehlen in Berlin Orte, die an den deutschen Kolonialismus und seine Opfer erinnern. Die Regierungsparteien haben sich in ihrer Koalitionsvereinbarung das Ziel gesetzt, diese Erinnerung zu stärken, unter anderem durch die Vorbereitung eines Lern- und Erinnerungsortes gemeinsam mit dem Bund. In welcher Weise und an welchen Orten diese Erinnerung gestaltet werden wird, muss Gegenstand eines offenen gesellschaftlichen Diskussionsprozesses sein, an dem insbesondere Vertreterinnen und Vertreter der ehemals kolonialisierten Gesell- Seite 3 von 5 schaften, postkoloniale Initiativen, die seit langem für einen solchen Ort kämpfen, sowie Vertreterinnen und Vertretern der Nachkommen aus den ehemaligen deutschen Kolonien zu beteiligen sind. Da ein solcher Prozess noch nicht stattgefunden hat, gibt es aus Sicht des Senats noch keine Grundlage, um die genannte Idee zu bewerten. 4. Inwieweit taugt (ausgerechnet!) das Humboldt Forum aus Sicht des Senats ganz generell als Ort des Gedenkens an koloniales Unrecht – etwa so lange hinter der rekonstruierten Fassade des Hohenzollern -Schlosses Artefakte präsentiert werden, bei denen es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Raubkunst handelt bzw. deren Provenienz nicht eindeutig geklärt ist? Zu 4.: In Umsetzung der Richtlinien der Regierungspolitik strebt der Senat eine angemessene Erinnerung an die Verbrechen der deutschen Kolonialherrschaft an und verbindet damit den Anspruch, das HF zu einem Ort des Erinnerns an koloniales Unrecht und der Aufklärung über die Umstände des Unrechts zu machen, an dem die Themen Raubkunst/Provenienzen transparent, multiperspektivisch, umfassend und deutlich dargestellt werden. 5. Wie werden sich die drei vom Land Berlin bzw. der Kulturprojekte Berlin GmbH entsandten Vertreter *innen im Stiftungsrat der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Stadtschloss positionieren, wenn dort die Frage eines „Gedenkortes“ verhandelt wird? Zu 5.: Im Sinne der Antwort 3 dieser Anfrage, der zufolge die Frage eines solchen Gedenkortes ohne einen Diskussionsprozess mit den genannten Akteuren nicht entscheidungsreif ist. 6. Welche weiteren, alternativen Initiativen gibt es seitens des Senats, die deutsche Kolonialvergangenheit sowie ihre Verbrechen im Humboldt Forum zu thematisieren? Inwieweit wurden und werden bei dergleichen Überlegungen auch zivilgesellschaftliche Initiativen sowie Vertreter*innen der Nachkommen aus den ehemaligen deutschen Kolonien einbezogen? Zu 6.: Die deutsche Kolonialvergangenheit und ihre Verbrechen werden in beiden vom Land Berlin verantworteten Präsentationen als zentrales Querschnittsthema behandelt . Die Berlin-Ausstellung wird aus einer postkolonialen Perspektive zeigen, wie der Kolonialismus nicht nur die Gesellschaft der Kolonisierten prägte, sondern auch die Gesellschaft der Kolonisierenden. Es wird gezeigt, wie Geschehnisse in den deutschen „Schutzgebieten“ von Berlin ausgegangen sind und wieder auf Berlin zurückgewirkt haben. Einige wenige Beispiele: - Im Ausstellungsraum „Krieg“ wird anhand einer chinesischen Vase, die sich heute im Museum für Asiatische Kunst befindet, von der Sühnemission des Prinzen Chun II erzählt, der nach der Niederschlagung des chinesischen „Boxeraufstandes “ nach Berlin reisen musste, um Abbitte vor dem deutschen Kaiser zu leisten. - Im Themenbereich „Internierung“ geht es um die Kolonialsoldaten der deutschen Kriegsgegner im Ersten Weltkrieg, die als Kriegsgefangene in und um Berlin interniert waren, etwa im sogenannten „Halbmondlager“ in Wünsdorf. - Der Themenbereich „Erinnerung“ beschäftigt sich mit der Tatsache, dass an die Kolonialkriege im öffentlichen Raum heute kaum erinnert wird. Seite 4 von 5 In der Präsentation der HU werden die Impulse für die gesellschaftliche Aufarbeitung der Kolonialgeschichte eine wichtige Rolle spielen, die seit jeher aus der wissenschaftlichen Forschung, so auch aus der HU zu Berlin kommen. Hierzu gehört neben historisch angelegten Forschungen zum deutschen Kolonialismus auch die kritische Auseinandersetzung mit der postkolonialen Verfasstheit unserer heutigen Gesellschaft , mit Fragen der Erinnerungskultur und des Umgangs mit ‚schwierigem‘ Kulturerbe in Museen und Sammlungen oder mit Alltagsrassismus, der in vielen Fällen seine Wurzeln in der deutschen Kolonialgeschichte hat. Diese Perspektiven werden in den regelmäßig wechselnden Ausstellungen des Humboldt Labors eine selbstverständliche Rolle einnehmen. Die Zusammenarbeit mit Akteuren aus der Zivilgesellschaft , wie sie in den verschiedenen Fachdisziplinen und interdisziplinären wie hochschulübergreifenden Forschungszusammenhängen, aber auch in der Lehre, für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Alltag gehört, wird sich dabei auch in den Ausstellungen, im Vermittlungs- und Veranstaltungsprogramm niederschlagen. Auch Vertreterinnen und Vertreter der Nachkommen aus den ehemaligen deutschen Kolonien werden mit ihren Perspektiven zu Wort kommen, sei es als Partner in Forschungskollaborationen oder als Kommentatorinnen und Kommentatoren. Auch in der Präsentation von Exponaten aus den Universitätssammlungen wird die deutsche Kolonialgeschichte im Humboldt Labor eine wichtige Rolle spielen. So sind bedeutende Teile des an der HU angesiedelten Lautarchivs, eines weltweit einzigartigen Bestandes an frühen und frühesten wissenschaftlich geleiteten Sprech-, Musikund Gesangsaufnahmen, aufgrund ihrer Entstehungsbedingungen in Zwangssituationen (Aufnahmen in deutschen Kriegsgefangenenlagern des Ersten und Zweiten Weltkriegs) als „Sensible Sammlungen“ anzusehen. Das Lautarchiv zieht als einzige der über 40 aktiven wissenschaftlichen Sammlungen der HU in Gänze ins HF um und wird dort prominent in den Ausstellungen des Humboldt Labors präsentiert werden . Die Teil-Bestände des Lautarchivs, die nicht ausgestellt werden, werden im HF für Nachfahren der damaligen Kriegsgefangenen und der in anderen Situationen in Lagern Aufgenommenen sowie für Interessierte aus Wissenschaft und Kunst für eigene (Forschungs-)Arbeiten dennoch zugänglich sein. Auch aus weiteren Sammlungen der HU werden Objekte in den Ausstellungen des Humboldt Labors zu sehen sein, anhand derer die bisweilen enge historische Verwicklung der Wissenschaft mit dem Kolonialismus thematisiert werden kann. In der kritischen Aufarbeitung dieser Wissenschaftsgeschichten werden, wo immer möglich, sowohl Vertreterinnen und Vertreter der Nachfahren der betroffenen Gesellschaften, als auch Akteure aus der hiesigen Zivilgesellschaft involviert. Seite 5 von 5 7. Wie ist der aktuelle Gesprächs- und Planungsstand hinsichtlich der zentralen Gedenkstätte für den deutschen Völkermord an den Nama und Herero, die in Zusammenarbeit mit dem Bund als Lern- und Erinnerungsort entstehen soll? Zu 7.: Die Staatsministerinnen der Bundesregierung Prof. Monika Grütters und Michelle Müntefering haben sich hinsichtlich eines Ortes der Erinnerung an koloniales Unrecht in Deutschland positioniert und eine entsprechende Debatte im Deutschen Bundestag angeregt. Vor diesem Hintergrund möchte das Land Berlin baldmöglichst Gespräche mit dem Bund aufnehmen. Berlin, den 20.02.2019 In Vertretung Dr. Torsten Wöhlert Senatsverwaltung für Kultur und Europa