Drucksache 18 / 17 879 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Emine Demirbüken-Wegner (CDU) vom 12. Februar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Februar 2019) zum Thema: Obdachlose Familien im Land Berlin Teil III und Antwort vom 25. Februar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 27. Feb. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Frau Abgeordnete Emine Demirbüken-Wegner (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/17879 vom 12.02.2019 über Obdachlose Familien im Land Berlin Teil III ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Ist der Senat auch ohne eine vorliegende konkrete Statistik in der Lage, die Presseberichte des letzten halben Jahres über das Anwachsen obdachloser Familien in Berlin zu kommentieren bzw. zu dementieren oder zu bestätigen? Wenn ja, warum wurde dann die diesbezügliche Nachfrage aus der Schriftlichen Anfrage 18/17446 nicht beantwortet? Wenn nein, was hinderte den Senat, die Frage zu beantworten? Zu 1.: Die Bezirksämter sind gemäß Nr. 19 Zuständigkeitskatalog des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG Bln) verantwortlich für die Ordnungsaufgaben bei Obdachlosigkeit soweit keine Zuständigkeit für Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Ausländerinnen und Ausländer beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) besteht. Die ordnungsrechtliche Aufgabe der Unterbringung in Notunterkünfte dient dem Schutz vor Selbstgefährdung des Lebens bzw. der Gesundheit der wohnungslosen Personen. Daten in Verbindung mit der Unterbringung gemäß ASOG erheben die Bezirke als Geschäftsstatistik gemäß Nr. 3 Abs. 17 Zuständigkeitskatalog des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes (AZG). Im Rahmen der Beantwortung der Schriftlichen Anfrage greift der Berliner Senat auf Bezirksangaben zurück. Der Anteil der untergebrachten Familien betrug Ende 2016 (Stichtag 31.12.2016) 22 %, und Ende 2017 (Stichtag 31.12.2017) 25 %. Die Daten für das Jahr 2018 werden bis Mitte 2019 validiert vorliegen. Bei diesem Anteil ist berücksichtigen, dass ein Großteil 2 der Familien mit Kindern der Gruppe der Geflüchteten zuzurechnen sind. Da diese Gruppe bereits untergebracht ist, handelt es sich nicht um die adressierte Zielgruppe. Bezogen auf das Integrierte Sozialprogramm liegen Daten auch zu den Notübernachtungen für Familien mit Kindern – so wie in der Beantwortung der Drs. 18/17446 bereits ausgeführt - für das Berichtsjahr 2017 vor. Die Daten für das Berichtsjahr 2018 werden am 30.06.2019 vorgelegt. Eine Bewertung wird im zweiten Halbjahr 2019 vorgenommen. 2. Wenn sich die Situation obdachloser Familien in Berlin weiter verschlechtert, wo bleiben die angekündigten Aktivitäten des Senats zum Ausbau der Platzkapazitäten von 30 auf 100 Plätze? 3. Sind die dafür notwendigen Immobilien gefunden worden? Wenn nein, welche Gründe liegen vor? Wenn ja, warum hat der Senat in meiner Anfrage 18/17446 nicht darauf geantwortet, welche Immobilien dafür genutzt werden sollen? 4. Bis wann will der Senat die Aufstockung auf 100 Plätze realisiert haben? Wird es dafür weitere Betreiber geben? Wenn ja, welche? Zu 2., 3. und 4.: In Umsetzung der Richtlinien der Regierungspolitik wird das Ziel verfolgt, der Wohnungslosigkeit von Familien mit minderjährigen Kindern entgegenzuwirken. Dazu werden u. a. für obdachlose Familien Kapazitäten an Notübernachtungen mit sozialpädagogischer Unterstützung auf bis zu 100 Plätze ausgebaut. Mit der Notübernachtung des Diakonischen Werkes Berlin Stadtmitte e. V. sind die ersten 30 Plätze in 2016/2017 geschaffen. Der Senat hat hierzu in der Schriftlichen Anfrage 18/17446 berichtet. Darüber hinaus haben die für Soziales und Familie zuständigen Senatsverwaltungen sich mit dem Träger Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF gemeinnützige AG) verständigt, eine weitere Notübernachtung für Familien mit Kindern in Berlin- Reinickendorf zu installieren. Geplant sind weitere Kapazitäten im Umfang von 40-50 Plätzen, die im Kontext einer niedrigschwelligen Notübernachtung auch Aspekte des Kinderschutzes berücksichtigt. Ziel ist die Vermittlung in die Regelversorgung. Die Senatsverwaltungen sind derzeit damit befasst, alle erforderlichen Prüfungen und Abstimmungen mit dem Träger vorzunehmen. Der Träger verfügt über einen laufenden Mietvertrag über die Räume. Da bereits das Genehmigungsverfahren im Bezirksamt Reinickendorf läuft, verzichtet der Senat auf Benennung der Immobilie, um das Verfahren nicht zu beeinflussen. Die Umsetzung ist zudem mit der LIGA der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege Verbände abgestimmt. Der Zeithorizont zur Realisierung dürfte im 1. Halbjahr 2019 liegen. Weitere Immobilien für weitere Kapazitäten stehen zurzeit trotz intensiver Suche nicht zur Verfügung. 3 5. In seiner Antwort 18/17446 hat der Senat viel Mühe aufgewandt zu erläutern, warum Unterkünfte des LAF nicht für Obdachlose genutzt werden können. Nun wurde im ND vom 7. Februar 2019 berichtet, dass diese nun doch für diese Zielgruppe geöffnet werden sollen. Ist diese Mitteilung auch für obdachlose Familien zutreffend? Wenn ja, welcher Kapazitätszuwachs in welcher Qualität ist zu erwarten? 6. Im Zusammenhang mit der Nachnutzung von LAF-Unterkünften für obdachlose Menschen hat der Senat ein Prüfverfahren angekündigt. Was hat der Senat bisher zur Implementierung eines solchen Verfahrens getan und welchen Stellenwert werden darin die obdachlosen Familien haben? Zu 5. und 6.: Der Senat hat am 19.02.2019 ein von den Senatsverwaltungen für Integration, Arbeit und Soziales, Stadtentwicklung und Wohnen sowie Finanzen erarbeitetes Rahmenkonzept zur Prüfung der Weiternutzung der Tempohomes und Containerbauten beraten und dem Rat der Bürgermeister vorgelegt. Das Konzept sieht bei der Prüfung der Weiternutzung einen Vorrang für die Unterbringung von wohnungslosen Personen und Familien vor. Der Bericht im Neuen Deutschland vom 7. Februar 2019 bezieht sich hingegen auf das vom Senat beschlossene Projekt „Gesamtstädtische Steuerung der Unterbringung“. Ziel des Senats ist es, eine qualitätsgesicherte und bedarfsgerechte Unterbringung für alle von Wohnungslosigkeit bedrohten oder betroffenen Menschen und Familien, unabhängig von ihren staatsangehörigkeits- und aufenthaltsrechtlichen Verhältnissen zu gewährleisten. Auf Beherbergungsbetriebe soll langfristig nicht mehr zurückgegriffen werden müssen. Damit dies gelingen kann, werden derzeit im Rahmen eines Projektes, an dem verschiedene Senatsverwaltungen, die Bezirke und die Landesämter beteiligt sind, Strukturen geschaffen, die ein gesamtstädtisches Handeln ermöglichen. Es ist geplant, dass zukünftig alle Unterkünfte in einem Pool verwaltet und auch belegt werden können. Bei der Schaffung neuer Unterkünfte werden vorranging Wohnungsgrundrisse realisiert, um eine Nachnutzung als allgemeinen Wohnraum zu ermöglichen. Als Übergangslösung bis zur Umsetzung des vorgenannten Projekts stellt das LAF den Bezirksämtern von Berlin schon jetzt – im Wege der Amtshilfe bzw. auf der Grundlage einer Rahmenvereinbarung – nicht benötigte Plätze in Gemeinschaftsunterkünften für die Unterbringung von anerkannten Asylberechtigten und Flüchtlingen sowie deren nachziehenden Familienangehörigen zur Verfügung. Hierdurch werden einerseits die bezirklichen Leistungs- bzw. Ordnungsbehörden entlastet, andererseits wird dadurch der Anteil nicht belegter Plätze in den Unterkünften reduziert. 7. Welche Maßnahmen hat der Senat bisher eingeleitet, um die Vorschläge der AG 9 der Strategiekonferenz Wohnungslosenhilfe umzusetzen, die der Vermeidung von Obdachlosigkeit von Frauen und Familien dienen sollen? 8. Was hat der Senat insbesondere konkret vor, um a) keine Zwangsräumungen dieser Zielgruppe mehr zuzulassen, b) Aufklärung und Information für die Betroffenen zu verbessern sowie c) zentrale Anlaufstellen einzurichten? 10. Welche Schlussfolgerungen zieht der Senat für die geplante Obdachlosenstatistik (Straßenzählung), wenn Frauen und Familien künftig besonderen Schutz genießen sollen (keine Räumung)? Müsste dann für diese Zielgruppe nicht eine eigene Statistik geführt werden? Wenn ja, wie könnte das umgesetzt werden, um die realen Bedarfe zu ermitteln? 4 Zu 7., 8. und 10.: Der Leitgedanke eines Fachstellenkonzeptes ist, Teilkompetenzen aus dem ordnungsrechtlichen, sozialrechtlichen und dem wohnungswirtschaftlichen Bereich, die für die Bearbeitung von Wohnungsnotfällen erforderlich sind und in der Regel über verschiedene Ressorts in der (bezirklichen) Kommunalverwaltung verteilt sind, zusammenzuführen. Die Grundlagen der laufenden Diskussion um die Aufgaben von Fachstellen bilden das Handbuch zu zentralen Fachstellen für Wohnungsnotfälle der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) von 1999 sowie die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V. zur Prävention von Wohnungslosigkeit durch Kooperation von kommunalen und freien Trägern von 2013. Der Deutsche Verein sieht in dem Konzept der Fachstelle sowie in den Organisationslösungen, die in diese Richtung zielen, ein geeignetes Instrument, um erforderliche Hilfen in Wohnungsnotfällen rasch und in gebotener Qualität aus einer Hand umzusetzen, wobei die inhaltliche und organisatorische Ausgestaltung unter Berücksichtigung der örtlichen Bedingungen und Bedarfe erfolgen muss. Allerdings bilden weder der theoretische Diskurs noch die umgesetzten „zentralen Fachstellen“ anderer Städte oder Kommunen die Berliner Struktur ab, d. h. jeweils zwölf handelnde Bezirke und Jobcenter. Die Berliner Bezirke setzen bereits jetzt in unterschiedlicher Ausprägung Teile der „Fachstellenkonzepte“ um. Sie erfüllen gemäß Artikel 66 Abs. 2 der Verfassung von Berlin ihre Aufgaben nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung. Historisch und organisatorisch betrachtet ist diese Unterschiedlichkeit im Sinne der Selbstverantwortung der Bezirke politisch intendiert und setzt die Grundsätze der Verfassung von Berlin um. Vor diesem Hintergrund sind einseitige Vorgaben seitens des Berliner Senats zur konkreten Ausgestaltung der bezirklichen organisatorischen Strukturen nicht vorgesehen. Der Berliner Senat unterstützt daher die Bezirke bei der gemeinsamen Entwicklung eines bezirksübergreifend einheitlichen Fachstellenkonzeptes, um den gestiegenen Anforderungen bei der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit Rechnung zu tragen. Dies beinhaltet auch die Konzeptionierung und Bereitstellung von Informationsmaterial für Betroffenen zu den Themen Mietschulden, Mietrückständen, sowie zu Beratungsmöglichkeiten zu drohendem Wohnraumverlust. Die Zielstellung ist hierbei, Wohnraum zu erhalten bzw. Zwangsräumungen – insbesondere von Familien zu vermeiden. Es ist weiterhin darauf hingewiesen, dass der Bundesgesetzgeber mit der Mietrechtsreform des Jahres 2013 sowohl beim Abbau von Verfahrenshürden bei Räumungsklagen die Zivilprozessordnung als auch mit der Aufnahme neuer Räumungstatbestände im Gesetz die Vermieterseite gestärkt hat. Es ist nicht erkennbar, dass seitens des Bundesgesetzgebers Bestrebungen bestehen, Mieterrechte zur Verhinderung von Zwangsräumungen zu stärken. 5 9. Welche Vorstellungen verfolgt der Senat hinsichtlich des Vorschlages der AG 9, familienspezifische Einrichtungen einschließlich eines Krisenhauses anzubieten? Was ist unter diesen Angeboten zu verstehen? Zu 9.: Die Vorschläge der AG, familienspezifische Leistungen einschließlich eines Krisenhauses zu installieren, werden von der für Soziales zuständigen Senatsverwaltung geprüft. Die Prüfungen erfolgen im jeweiligen vertraglichen Kontext des Berliner Rahmenvertrages gemäß § 79 Abs. 1 SGB XII bzw. des Integrierten Sozialprogramms /ISP. Eine mögliche Umsetzung wird in der Folge der Vereinbarungen und Festlegungen der Ergebnisse der Strategiekonferenz erfolgen. Der Berliner Senat hat sich zum Ziel gesetzt, die Leitlinien der Wohnungslosenpolitik gemeinsam mit den Bezirken, der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Berlin und anderen Akteuren der Wohnungslosenhilfe weiterzuentwickeln. Bereits im Jahr 2017 wurden daher erste Maßnahmen eingeleitet oder bereits konkret umgesetzt. Dazu haben im Jahr 2018 zwei Strategiekonferenzen Wohnungslosenhilfe“ stattgefunden, zuletzt am 10. Oktober 2018. Dort wurden die Ergebnisse der bisherigen Tätigkeit von neun Arbeitsgruppen vorgestellt und diskutiert. Darüber hinaus wurden Arbeitsgruppen initiiert, die zu Teilen auch im Nachgang weiter geführt wurden. Diese Erkenntnisse werden in die neuen Leitlinien für die Wohnungslosenpolitik einfließen. Nach diesem breiten Beteiligungsprozess besteht das Ziel, im Jahr 2019 einen Senatsbeschluss zu den Leitlinien der Wohnungslosenhilfe sowie den daraus abgeleiteten Maßnahmen mit Zustimmung des Rats der Bürgermeister herbeizuführen. Der Berliner Senat ist weiterhin bestrebt, eine Wohnungslosenstatistik einzuführen und diese in den Kontext einer ebenfalls vorgesehenen Armuts- und Sozialberichterstattung zu setzen. In diesem Zusammenhang unterstützt der Berliner Senat ausdrücklich das Vorhaben der Bundesregierung, eine bundesweite Wohnungslosen-/ Wohnungslosennotfallstatistik einzuführen. Das Land Berlin ist weiterhin stark daran interessiert, an der inhaltlichen Erarbeitung dieser einheitlichen Bundesstatistik mitzuwirken. Diese wäre eine bedeutende rechtliche Grundlage zur Umsetzung des Vorhabens im Land Berlin. Ungeachtet der Bestrebungen der Bundesregierung erarbeitet die im Rahmen der 1. Berliner Strategiekonferenz Wohnungslosenhilfe 2018 eingerichtete Arbeitsgruppe zum Thema „Wohnungslosenstatistik“ aktuell Vorschläge zur Umsetzung einer derartigen Statistik im Land Berlin. Idealtypisch ist die Entwicklung einer mehrstufigen Berliner Wohnungsnotfallstatistik, auf deren Grundlage eine kurz-, mittel- und langfristige Wohnungsnotfallstrategie erarbeitet werden kann. Dabei sind die oben angeführten vorhandenen Auswertungen aufzugreifen und zu ergänzen sowie die Entwicklungen hinsichtlich der angestrebten Einführung einer bundesweiten Wohnungslosenstatistik zu berücksichtigen. Diese umfasst auch Merkmale zur Erfassung von Geschlecht und Haushaltsstruktur. Aktuell wird erstmals die Durchführung einer Straßenzählung wohnungsloser Menschen auf der Straße noch in diesem Jahr geplant. Berlin wäre damit die erste Stadt in Deutschland, die eine derartige Straßenzählung durchführen würde. 6 Derzeit werden die notwendigen organisatorischen Vorbereitungen für diese Straßenzählung getroffen sowie die datenschutzrechtlichen Anforderungen für eine solche Straßenzählung mit der Berliner Datenschutzbeauftragten geklärt. Berlin, den 25. Februar 2019 In Vertretung Alexander F i s c h e r _____________________________ Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales