Drucksache 18 / 17 930 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Marcel Luthe (FDP) vom 18. Februar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. Februar 2019) zum Thema: § 20, 21 StGB in Berlin und Antwort vom 01. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. Mrz. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Marcel Luthe (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/17 930 vom 18. Februar 2019 über § 20, 21 StGB in Berlin --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1.) In wie vielen Fällen ist in den Jahren 2009 bis 2018 ein a) ein Ermittlungsverfahren eingestellt worden oder in einem Strafverfahren b) ein gerichtlicher Freispruch erfolgt oder c) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet worden, weil der Täter nach §§ 20, 21 StGB schuldunfähig oder vermindert schuldfähig gewesen ist? (bitte für beide Normen separat angeben) 2.) In wie vielen Fällen ist in den Jahren 2009 bis 2018 die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden? (§ 64 StGB) 3.) In wie vielen Fällen ist in den Jahren 2009 bis 2018 die Unterbringung in einer Sicherungsverwahrung angeordnet worden? (§ 66 StGB) Zu 1. bis 3.: Die jeweilige Anzahl der Fälle in den Jahren 2009 bis 2018 ist der Anlage 1 zu entnehmen. 4.) Welche (straf-)rechtliche Maßnahme ist aus Sicht des Senats zur Prävention weiterer Taten gegeben, wenn ein nach § 20 StGB schuldunfähiger Täter zwar regelmäßig Straftaten vollübt (e.g. Taten nach § 123, § 132 a oder § 241 StGB), diese aber nicht den Erheblichkeitsgrad des § 66 StGB erreichen? Zu 4.: Schuldunfähig handelnden Beschuldigten kann im Rahmen einer sogenannten Maßregel der Besserung und Sicherung nach § 63 Strafgesetzbuch (StGB) (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus) die Freiheit entzogen werden. Ein Gericht kann diese außerordentlich belastende Maßnahme sowohl bei verminderter (§ 21 StGB) als auch bei aufgehobener Schuldfähigkeit zur Tatzeit (§ 20 StGB) anordnen. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt die richterliche Überzeugung voraus, dass die Beschuldigte bzw. der Beschuldigte für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die Prognose, dass eine Beschuldigte bzw. ein Beschuldigter in diesem Sinne gefährlich ist, kann auch bei nicht erheblichen Anlasstaten – wie etwa einer Bedrohung gemäß § 241 StGB – erfolgen. Es muss dann jedoch zur Überzeugung des Gerichts auch feststehen, dass die Beschuldigte bzw. der Beschuldigte künftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird (§ 63 Satz 2 StGB). Ob das Gericht zu 2 einer solchen Prognose gelangt, hängt immer von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Andere Möglichkeiten sieht das Strafrecht nicht vor. Bei Vorliegen der Voraussetzungen nach dem Berliner Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) kommt in Betracht, Beschuldigte auch gegen ihren Willen in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer psychiatrischen Fachabteilung in einem Krankenhaus oder in für psychiatrischen Menschen geeigneten Heimen (Einrichtungen) geschlossen unterzubringen. Dies hat zur Voraussetzung, dass die Beschuldigten psychisch krank sind, durch ihr krankheitsbedingtes Verhalten eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr für besonders bedeutsame Rechtsgüter Dritter besteht und dass die Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. 5.) Sind dem Senat Fälle in den Jahren 2017 bis heute bekannt, in denen antisemitisch motivierte Straftaten im Sinne der Frage zu 4) von schuldunfähigen Tätern bzw. Tatverdächtigen begangen worden sind? Falls ja, was unternimmt der Senat zum Schutz der Opfer? Zu 5.: Dem Senat ist der Schutz von Opfern antisemitischer Straftaten ein besonderes Anliegen. Neben den allgemeinen Maßnahmen des Opferschutzes, die selbstverständlich auch Opfern antisemitischer Straftaten offen stehen, hat er beispielweise am 1. September 2018 eine Antisemitismusbeauftragte bei der Generalstaatsanwaltschaft bestellt. Durch eine verstärkte Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und weiteren Institutionen und Organisationen jüdischen Lebens soll durch die Beauftragte das Vertrauen der Gesellschaft in die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden bei der Bekämpfung antisemitischer Straftaten weiter gestärkt werden. Nach Auswertung des Aktenverwaltungssystems der Staatsanwaltschaften ergibt sich die folgende Anzahl von wegen Schuldunfähigkeit eingestellten Verfahren wegen antisemitischer Straftaten: Jahr 2017 2018 2019 Summe (bis 21.02.2019) Anzahl der Einstellungen von Verfahren wegen antisemitischer Straftaten 10 12 1 23 Antisemitische Straftaten, die wegen Schuldunfähigkeit der Täterin oder des Täters nicht verfolgt werden können, müssen nicht notwendigerweise ein Opfer haben. Unter den Begriff der antisemitischen Straftaten fallen auch reine Äußerungsdelikte, die zwar antisemitischen Inhalt haben, aber nicht notwendigerweise gegenüber Personen fielen, die jüdischen Glaubens sind. Wenn von der schuldunfähigen Person hingegen eine konkrete Gefahr für die körperliche Unversehrtheit ausgeht, ist die Möglichkeit einer Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB zu prüfen und je nach Einzelfall auch zu bejahen, wenn Taten aus dem Bereich der mittleren Kriminalität drohen. Bei Verfahren wegen Hassstraftaten, die sich gegen eine Person allein oder vorwiegend wegen deren politischer Einstellung, ihres politischen oder gesellschaftlichen Engagements , ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion, Behinderung oder ihrer sexuellen Identität oder Orientierung richten, ist aufgrund von Nr. 18 Buchstabe f) der Anordnung über Organisation und Dienstbetrieb der Staatsanwaltschaften und der Amtsanwaltschaft (OrgStA) gewährleistet, dass diese grundsätzlich nicht von der Amtsanwaltschaft, sondern von der Staatsanwaltschaft bearbeitet werden. Dort ist für einschlägige Verfahren 3 in der Regel eine einzige Spezialabteilung zuständig, bei der wiederum zwei Staatsanwältinnen bzw. Staatsanwälte speziell für Verfahren mit antisemitischem Hintergrund zuständig sind. Aufgrund dieser Zuständigkeitskonzentration ist gewährleistet, dass die zuständigen Sachbearbeitenden nicht nur von isolierten einzelnen Vorfällen Kenntnis haben, sondern die Entwicklung einer Person umfassend beobachten und erkennen können, wenn sich deren Gefährlichkeit erhöht. Darüber hinaus verfügt die Generalstaatsanwaltschaft Berlin über eine Antisemitismus-Beauftragte, die auch diese Fälle besonders beobachtet. Berlin, den 1. März 2019 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung SenJustVA S 18/17930 Berlin, den 26.02.2019 Anlage 1 Schuldunfähigkeit und verminderte Schuldfähigkeit 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Einstellungen nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) wegen Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 Strafgesetzbuch (StGB)*) 2076 2191 2204 1373 1964 2537 2588 2396 2351 2756 Abgeurteilte**) 61.079 55.631 56.900 46.288 48.510 52.504 58.231 54.857 46.663 ***) darunter Schuldunfähge nach § 20 StGB**) ohne Anordnung einer Unterbringung 13 15 16 32 22 6 30 15 31 ***) mit Anordnung einer Unterbringung 69 66 53 42 56 40 50 45 34 ***) davon in psychiatrischem Krankenhaus 68 64 50 42 55 37 49 44 30 ***) Entziehungsanstalt 1 2 3 - 1 3 1 1 4 ***) Verurteilte** 48.435 44.194 45.746 35.892 38.119 41.970 46.680 44.275 37.082 ***) darunter vermindert Schuldfähige nach § 21 StGB** ohne Anordnung einer Unterbringung 2.810 2.674 2.488 2.043 1.826 1.622 1.588 1.596 1.634 ***) mit Anordnung einer Unterbringung 65 51 46 43 55 54 56 56 44 ***) davon in psychiatrischem Krankenhaus 17 10 7 6 8 10 8 4 - ***) Entziehungsanstalt 47 39 39 37 45 43 47 52 44 ***) Sicherungsverwahrung 1 2 - - 2 1 1 - - ***) *) nach Auswertung des Aktenverwaltungssystems der Strafverfolgungsbehörden **) einschl. Freisprüche; Quelle: Tabelle SVE4 der Strafverfolgungsstatistik ***) Zahlen liegen noch nicht vor.