Drucksache 18 / 17 949 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Benedikt Lux (GRÜNE) vom 18. Februar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Februar 2019) zum Thema: Aufklärung im Fall der bei einer polizeilichen Eilfahrt getöteten Fabien M. und Antwort vom 01. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. Mrz. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Benedikt Lux (Bündnis 90/Die Grünen) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/17949 vom 18. Februar 2019 über Aufklärung im Fall der bei einer polizeilichen Eilfahrt getöteten Fabien M. Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie bewertet der Senat, die in der Öffentlichkeit vorgetragenen Vorwürfe der Angehörigen der verstorbenen Fabien M. gegen die Berliner Polizei und Justiz? Zu 1.: Es liegen keine Erkenntnisse dafür vor, dass die notwendigen und zielführenden Ermittlungen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt geführt worden sind. 2. Wie war der objektive Unfallverlauf? Mit welcher Geschwindigkeit war der Streifenwagen unterwegs? Welche Temporegeln gelten bei Eilfahrten der Polizei und Feuerwehr, insbesondere im verdichteten Straßenverkehr ? Zu 2.: Das Ermittlungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen, so dass insoweit nur der aktuelle Stand der Erkenntnisse - soweit dadurch der Ermittlungserfolg nicht gefährdet wird - mitgeteilt werden kann: Nach den gutachterlichen Feststellungen wird davon ausgegangen, dass das von dem Beschuldigten geführte Fahrzeug frontal fast mit der Mitte seiner Front unter einem Winkel von 80 Grad gegen die B-Säule der Fahrerseite des Fahrzeugs der Geschädigten geprallt ist. Die Geschwindigkeit soll 90 Meter vor dem Aufprall 134 km/h und 93 km/h zum Zeitpunkt der Kollision betragen haben. Eilfahrten, bei denen wegen der dringenden Einsatz-/Auftragslage von den allgemein geltenden Geschwindigkeitsregelungen (oder auch von sonstigen Verkehrsvorschriften) abgewichen werden muss, sind zwingend an die Voraussetzungen der §§ 35 und 38 Straßenverkehrsordnung (StVO) geknüpft. Hiernach sind Einsatzfahrzeuge der Polizei und Feuerwehr im Rahmen ihnen zustehender Sonder- und Wegerechte von allen Vorschriften der StVO befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend gebo- 2 ten ist. Diese besonderen Rechte dürfen jedoch stets nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden (§ 35 Abs. 8 StVO). Verbindliche allgemeingültige Geschwindigkeitsregelungen existieren weder in der StVO und Rechtsprechung noch in der einschlägigen polizeilichen Geschäftsanweisung (GA) über die Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten. In dieser GA heißt es hierzu aber wörtlich (Punkt 1 (3)): „Nicht dem schnellstmöglichen, sondern dem sicheren Erreichen des Einsatzortes kommt die höchste Priorität zu - denn nur wer ankommt, kann helfen .“ Im konkreten Einsatzfall obliegt es den Fahrzeugführenden aufgrund ihrer fahrtechnischen Alleinverantwortung, ihre Fahrweise den verordnungsrechtlichen und anweisungsgemäßen Verpflichtungen anzupassen. Etwaige Mitfahrende haben sie dabei ausdrücklich in geeigneter Weise verantwortungsvoll zu unterstützen. Wie bei der Polizei Berlin gibt es auch bei der Berliner Feuerwehr keine konkreten Temporegeln für Fahrten, bei denen Sonder- und Wegerechte in Anspruch genommen werden . Die betreffenden Fahrerinnen und Fahrer sollen regelmäßig bezüglich der Gefahren sensibilisiert werden, die mit der Inanspruchnahme von Sonder- und Wegerechten verbunden sind. Die Polizei Berlin unterbreitet Einsatzfahrenden zum Beispiel ein wiederkehrendes , verpflichtendes Angebot eines Fahrsicherheitstrainings. 3. Welche Notfallmaßnahmen wurden wann und durch wen eingeleitet? Welche Verletzungen erlitten die beteiligten Polizeibeamt*innen? Zu 3.: Die Geschädigte konnte vor Ort durch Ersthelfer aus ihrem Kraftfahrzeug geborgen werden und verstarb trotz versuchter Wiederbelebungsmaßnahmen noch an der Unfallstelle . Der Fahrer erlitt laut Unfallanzeige einen Schock, der Beifahrer eine Fraktur der linken Hand. 4. Trifft es zu, dass der Streifenwagen aufgrund eines Fehlalarms unterwegs war? Wenn ja, wie lautete dieser genau? Wie wurde die Fehlerhaftigkeit aufgeklärt? Wie und wo ist dieser dokumentiert worden? War dieser erkennbar und vermeidbar? Gibt es Aufzeichnungen über den Funkverkehr während des Einsatzes? Wurden diese - mit welchem Ergebnis - ausgewertet? Zu 4.: Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand war zum Zeitpunkt des Unfalls nicht bekannt , dass es sich um einen Fehlalarm handelte. Weitere Angaben können ohne Gefährdung des Ermittlungserfolges nicht gemacht werden. 5. Wurden - und wenn ja, wie und wann - die Angehörigen der Verstorbenen betreut? Sind diese auf Hilfe für Angehörige von Todesopfern, auf Opferberatung oder die psychosoziale Notfallversorgung hingewiesen worden? Welche Hilfen stehen für solche Fälle zur Verfügung? Zu 5.: Die Angehörigen der Verstorbenen wurden durch das Verkehrsunfallkommando im Beisein von psychologisch geschultem Fachpersonal aufgesucht und von letzterem betreut . Die Polizei Berlin kann sich grundsätzlich im Rahmen der Krisenintervention sowohl innerbehördlicher Organisationseinheiten (zum Beispiel psychologischer Dienst, Polizeiseelsorger ) als auch externer Beratungsstellen (zum Beispiel Kriseninterventionsdienst oder den vielfältigen Einrichtungen der Opferhilfe in Berlin) bedienen. 3 6. Trifft es zu, dass Medienvertreter*innen aus Polizeikreisen die Information erhielten, die Verstorbene habe während des Unfalls ihr Handy benutzt und sei abgelenkt worden, vgl. nur BZ vom 30. Januar 2018? Wie verhielt es sich tatsächlich? Wurde der Weitergabe dieser (mutmaßlichen Fehl-)Information an die Medien nachgegangen und wurde diese aufgeklärt? Was wurde getan, um ggf. diese Fehlinformation zu korrigieren? Zu 6.: Wie diese Information an Mitarbeitende von Medienunternehmen gelangte, ist der Staatsanwaltschaft Berlin nicht bekannt. Der Senat hat in den verschiedenen Gremien des Abgeordnetenhauses und durch die Beantwortung schriftlichen Anfragen über den aktuellen Stand der Ermittlungen berichtet, soweit dies ohne Gefährdung des Ermittlungserfolges möglich war. Eine weitergehende Bewertung einzelner Medienberichte ist nicht Aufgabe des Senats. Zu der Frage des Unfallgeschehens können keine weiteren Angaben gemacht werden, ohne dass dies den Ermittlungserfolg gefährden würde. 7. Wann werden die Angehörigen Akteneinsicht erhalten? Wurde geprüft, ob die Nebenklage auch während des laufenden Verfahrens (teilweise) Akteneinsicht erhalten kann? Zu 7.: Die Ermittlungsakte ist bereits mehrfach dem Vertreter der Opferfamilie zwecks Einsichtnahme ausgehändigt worden. 8. Wann fand die erste Vernehmung des Fahrers statt? Inwiefern war die mutmaßliche Alkoholisierung des Tatverdächtigen nicht dabei erkennbar? Wann wurde der Fahrer in der Charité vernommen? Trifft die Aussage zu, es werde nur bei Anlass auf Alkohol kontrolliert? Wenn ja, bei welchen? War der Fahrer schon vor dem Fall durch Alkohol im Dienst auffällig? Wird ermittelt, ob der Fahrer schon vor Fahrtantritt alkoholisiert war? Zu 8.: Eine Beschuldigtenvernehmung ist in dem Verfahren nicht erfolgt. Soweit aus den Akten ersichtlich, wurde der Beschuldigte in der Charité nach Einlieferung medizinisch versorgt und nach ambulanter Behandlung noch am selben Tag entlassen. Für ihn hat sich am 19. Februar 2018 ein Verteidiger gemeldet, der auf das bestehende Schweigerecht seines Mandanten hinwies und eine schriftliche Einlassung nach erfolgter Akteneinsicht ankündigte. Eine solche ist schließlich unter dem 22. Oktober 2018 abgegeben worden. Die Entnahme einer Blutprobe zum Zwecke einer Blutalkoholuntersuchung ist in § 81 a Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Da es sich hierbei um einen Grundrechtseingriff in die körperliche Unversehrtheit des Beschuldigten handelt, ist eine anlasslose Blutentnahme nicht zulässig. Es müssen also Anhaltspunkte für eine Beeinflussung durch Alkohol oder andere Rauschmittel vorliegen, um eine Blutentnahme anordnen zu können. Zur Frage der Beeinflussung durch eine Alkoholisierung dauern die Ermittlungen an. 9. Gab es eine Beifahrerin; hat diese - und wenn ja, was - ausgesagt? Wurden noch weitere Zeugen zu dem Tatvorwurf vernommen? Zu 9.: Der Beifahrer des Beschuldigten wurde am 7. März 2018 vernommen. Eine inhaltliche Wiedergabe der Aussage kann aufgrund der andauernden Ermittlungen nicht erfolgen . Neben dem Beifahrer wurden bisher 14 weitere Zeugen des Unfallgeschehens vernommen . 4 Nach dem Bekanntwerden der Möglichkeit einer Alkoholisierung des Beschuldigten wurde seitens der Staatsanwaltschaft ein ergänzender Ermittlungsauftrag an die Polizei zur Einvernahme aller am Unfallort anwesenden Polizei- und Rettungskräfte, der erneuten Vernehmung des Beifahrers sowie der Vernehmung der mit dem Beschuldigten am Tattag Dienst tuenden Beamtinnen und Beamten erteilt. 10. Wann wurde der Verdacht der Alkoholisierung polizeibekannt? Wann wurde darüber - welche Funktion - in der Führung informiert? Zu 10.: Der Verdacht der Alkoholisierung wurde spätestens mit dem Ermittlungsauftrag der Staatsanwaltschaft vom 19. November 2018 an die zur Ermittlungsverschwiegenheit verpflichteten Ermittlungsführenden des Verkehrsermittlungsdienstes der Direktion 3 polizeibekannt . Die Polizeipräsidentin wurde am 1. Februar 2019 (Freitag) in den Abendstunden über den Alkoholisierungsgrad des Beschuldigten zum Zeitpunkt der Blutentnahme im Krankenhaus in Kenntnis gesetzt, nachdem am 30. Januar 2019 die Patientenakte des Beschuldigten beschlagnahmt worden war. Die Benachrichtigung auf dem (polizeiinternen) Dienstweg erfolgte am 4. Februar 2019 (Montag). Die Abteilungsleitung III der Senatsverwaltung für Inneres und Sport wurde am 5. Februar 2019 gegen 17 Uhr telefonisch (vom Polizeivizepräsidenten) informiert, der Staatssekretär unverzüglich danach. 11. Wann wurde - aus welchem Grund zum entsprechenden Zeitpunkt - die Patientenakte des Fahrers bei der Charité beigezogen? Was sind die grundsätzlichen Regeln hierfür? Zu 11.: Krankenakten über eine medizinische Versorgung von Unfallopfern können nicht schlicht beigezogen werden, sondern nur dann aufgrund richterlicher Anordnung beschlagnahmt werden, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich aus diesen ermittlungsrelevante Erkenntnisse ergeben könnten. Vorliegend war zudem § 97 StPO zu beachten . Nach dieser Vorschrift - in Verbindung mit § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO - unterliegen Krankenunterlagen eines Beschuldigten nicht der Beschlagnahme. Den behandelnden Medizinern sowie dem Krankenhauspersonal steht zudem ein Auskunftsverweigerungsrecht zu. Aufgrund des Vortrages des Nebenklagevertreters, wonach der Beschuldigte zur Tatzeit erheblich alkoholisiert gewesen sein soll, wurde in dem laufenden Verfahren eine Erweiterung des Tatvorwurfs auf eine durch bislang Unbekannte begangene Strafvereitelung vorgenommen. In diesem Zusammenhang wurde von Seiten der Staatsanwaltschaft am 30. Januar 2019 die Beschlagnahme der Krankenunterlagen des Beschuldigten richterlich beantragt. 12. Was wird gegen Alkoholisierung im Dienst getan? Zu 12.: Die Mitarbeitenden der Polizei Berlin sind durch die Geschäftsanweisung ZSE I Nr. 3/2014 über das Verbot von Alkoholkonsum darüber sensibilisiert, dass eine Dienstaufnahme unter Einfluss von Restalkohol sowie der Konsum von Alkohol während des Dienstes und in Diensträumen verboten ist. Sofern Vorgesetzte feststellen oder den Verdacht haben, dass Mitarbeitende alkoholisiert im Dienst erscheinen, treffen sie im Einzelfall entsprechende Maßnahmen. Zum Beispiel ist eine Sofortvorstellung beim Polizeiärztlichen Dienst möglich. 5 Im Weiteren kann ein Verstoß gegen das Verbot rechtliche Konsequenzen zur Folge haben . So kann es zum Beispiel ein Dienstvergehen darstellen, das zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auch zur Aberkennung des Ruhegehalts führen kann. Bei Tarifbeschäftigten kann es eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten darstellen, die zur Durchführung arbeitsrechtlicher Maßnahmen bis hin zur Kündigung berechtigen. Im Bedarfsfall können sich Mitarbeitende in Fällen von persönlichen Problemlagen, die den Genuss von Alkohol begründen, vertrauensvoll an die Sozialbetreuung beim Polizeiärztlichen Dienst, einen der Sozialen Ansprechpartner (SAP), Vorgesetze, Beschäftigtenvertretungen oder den Personalservice wenden. Die Sozialbetreuung des Polizeiärztlichen Dienstes steht den Mitarbeitenden der Polizei Berlin (und auch der Berliner Feuerwehr ) als innerbetriebliche Beratungsstelle und als Anlaufstelle zur Verfügung. Sie berät die Mitarbeitenden sowie die Vorgesetzten und vermittelt im Bedarfsfall an weiterführende Hilfseinrichtungen. Für die Teilnahme wird jedoch die Freiwilligkeit vorausgesetzt. Sofern Bedenken bestehen, sich in eine polizeiinterne Beratung zu begeben, wird auf die Möglichkeit von externen Beratungsstellen in Berlin hingewiesen. 13. Wie viele Eilfahrten der Polizei gab es in den letzten Jahren? Und wie viele Unfälle gab es hierbei? Zu 13.: 2014 2015 2016 2017 2018 Gesamt Anzahl der freigegebenen Einsatzfahrten der Polizei Berlin unter Inanspruchnahme von Sonder -/Wegerechten 148.996 147.249 151.418 150.868 157.962 756.493 Verkehrsunfälle bei Einsatzfahrten der Polizei Berlin unter Inanspruchnahme von Sonder -/Wegerechten 100 130 105 125 136 596 14. Ist die Parksituation auf dem Mittelstreifen der Grunerstraße grundsätzlich überprüft worden? Zu 14.: Die Polizei Berlin prüft die Verkehrssituation und Verkehrsunfalllage in der Grunerstraße regelmäßig. Entsprechende Erkenntnisse aus dem Lagebild werden der Verkehrslenkung Berlin (VLB) mitgeteilt, um straßenverkehrsbehördliche Anordnungen zu treffen (zum Beispiel die Einrichtung von Fußgängergittern in Höhe der südwestlichen Tunneleinfahrt/-ausfahrt). Im Dezember 2011 wurde der Streckenabschnitt Grunerstraße zwischen Tunneleinfahrt/- ausfahrt und Molkenmarkt als Unfallhäufungsstelle (UHS) auf die Tagesordnung der Unfallkommission Berlin (UK) gesetzt. Verschiedene Maßnahmen standen zur Diskussion (unter anderem die Errichtung eines Zaunes/einer Betonschutzwand und die Ummarkierung der Parkplätze von der Senkrecht- zu einer Schrägausrichtung). Die Maßnahmen wurden durch die UK nicht abgeschlossen, weil für diesen Bereich durch den „Bebauungsplan 1 - 14 Molkenmarkt und Klosterviertel“ seit September 2016 andere städtebauliche Pläne existieren. Für diese Neustrukturierung ist die Verlegung der Grunerstraße 6 eine wesentliche Voraussetzung zur Wiedergewinnung des Klosterviertels als urbanes Stadtquartier. Berlin, den 1. März 2019 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung