Drucksache 18 / 18 094 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Herbert Mohr und Franz Kerker (AfD) vom 07. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. März 2019) zum Thema: Pflegebetrug und Antwort vom 26. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Mrz. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Herrn Abgeordneten Herbert Mohr (AfD) und Herrn Abgeordneten Franz Kerker (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18094 vom 07. März 2019 über Pflegebetrug __________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Abgeordneten: Bezogen auf die Anfragen des Abgeordnetenkollegen, Tommy Tabor (AfD), Drucksache 18/17773- 18/17782 sowie 18/17812-18/17813 fragen wir den Senat: 1) Wie erklärt sich der Senat die auf Bezirksebene unterschiedlich verteilte Anzahl der Verdachtsfälle auf Betrug in der häuslichen Pflegeversorgung? Wie erklärt sich der Senat ferner, dass Bezirke wie Steglitz-Zehlendorf, Tempelhof-Schöneberg und Mitte mit respekive 673, 633 und 616 Fällen am meisten von Betrugsverdachtsfällen betroffen sind? Zu 1.: Der Begriff „Verdachtsfälle“ wurde bei der Bearbeitung der Antworten durch die Bezirksämter von Berlin unterschiedlich interpretiert. Während einige Bezirksämter diese Begrifflichkeit bei vertragsrechtlichen oder strafrechtlichen Auffälligkeiten des Pflegedienstes verwenden, verstehen andere Bezirksämter darunter in Verdacht geratene Personen (z.B. Leistungsberechtigte), über die im Bezirksamt ein Vorgang angelegt worden ist. Dieser Vorgang wird dann als „Verdachtsfall“ gezählt. Ferner ist die Verteilung der Verdachtsfälle in den Bezirken sehr unterschiedlich. Das hängt davon ab, wo die Pflegedienstanbieter ihre regionalen Schwerpunkte und Tätigkeitsgebiete gelegt haben. Es gibt aber auch Anzeichen dafür, dass sich die betrügerisch agierenden Pflegedienste berlinweit unterschiedlich verteilen. Verstärktes Vorgehen gegen unseriöse Pflegedienste führt erfahrungsgemäß auch zu einer Verdrängung in die angrenzenden Bezirke. Schließlich haben die Bezirke zu unterschiedlichen Zeiten angefangen, sich im Bereich der Bekämpfung des Leistungsmissbrauchs zu engagieren . 2 2) Ein Baustein der weiterentwickelten Zielvereinbarung, die die Zusammenarbeit mit den Bezirksämtern u. a. bei der Bekämpfung des Leistungsmissbrauchs regelt und zum 01.01.2018 von allen Bezirksämtern und der Senatsverwaltung für Finanzen unterzeichnet wurde, war auch eine zusätzliche Personaleinsatzoption bei erhöhten Fallzahlen in den Bezirksämtern. Inwiefern wurde diese (seit 01.01.2018 zur Verfügung stehende) Personaleinsatzoption in Anspruch genommen? Zu 2.: Die meisten Bezirksämter haben die zusätzliche Personaloption nicht in Anspruch genommen. Nur die Bezirksämter Tempelhof-Schöneberg und Mitte haben neben den beiden Stellen weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingesetzt. 3) In den zuvor erwähnten Antworten sind die berlinweit beendeten Verfahren aufgeführt; das sind seit der Einführung der Nebenverfahrensklasse PFLEGE im Jahr 2015 bis Ende 2018 insgesamt 13 gerichtliche Verfahren, die rechtskräftig beendet sind. a) Inwiefern kann davon ausgegangen werden, dass die 3.643 übrigen statistisch erfassten Verdachtsfälle weiterhin strafrechtlich relevant sind? b) In wie vielen der 3.643 Fälle kam es zu Ermittlungsverfahren bzw. wurde Strafanzeige erstattet? c) Wie viele Fälle davon sind nach Kenntnis des Senats dem Bereich der organisierten Kriminalität bzw. des besonders schweren Fall des Betruges (gem. § 263 Abs. 3 StGB) zuzuordnen? d) Wie viele Verfahren davon sind noch anhängig? Zu 3. a): Eine derartige Erhebung wird in den Bezirksämtern nicht geführt. Nicht alle statistisch erfassten Verdachtsfälle sind strafrechtlich relevant. Verdacht heißt in diesem Kontext nicht unbedingt, dass es Anhaltspunkte für eine Straftat im Sinne des Strafgesetzbuches (StGB) gibt. Erfasst werden zum Beispiel auch relevante Unplausibilitäten bei den Angaben zum Bedarfsumfang, die im Rahmen des Bedarfsfeststellungsverfahrens an den tatsächlichen Bedarf angepasst wurden oder sogar zur Verfahrenseinstellung geführt haben. Zu 3. b) und d): Diese Daten werden in den Bezirksämtern nicht erhoben. Insgesamt sind 129 Strafanzeigen von den Bezirksämtern gemeldet worden. Die Strafverfolgungsbehörden hingegen können lediglich feststellen, wie viele der bei ihnen geführten Verfahren mit der für die Kennzeichnung von Verfahren wegen Betruges durch Pflegedienste eingerichtete Nebenverfahrensklasse PFLEGE gekennzeichnet worden sind. Diese Nebenverfahrensklasse ist am 25. Februar 2015 eingerichtet worden. Es ist jedoch möglich, dass auch Verfahren, die zum Zeitpunkt der Einführung dieser Nebenverfahrensklasse bereits anhängig waren, nachträglich so gekennzeichnet worden sind. Feststellen lässt sich, wie viele Verfahren mit dieser Nebenverfahrensklasse bei den Strafverfolgungsbehörden geführt worden sind, wie viele dieser Verfahren noch nicht abgeschlossen sind und wie die bereits abgeschlossenen Verfahren erledigt wurden. Nicht feststellbar ist, ob die Verfahren von Amts wegen oder auf Anzeige der Bezirksämter von Berlin eingeleitet worden sind. Die statistische Auswertung der Strafverfolgungsbehörden hat ergeben, dass 150 Verfahren, davon 147 Verfahren aus dem Bereich des Betruges gemäß § 263 StGB, noch offen sind. 3 Zu 3. c): Bislang wurden keine Verfahren wegen Abrechnungsbetruges durch ambulante Pflegedienste der Organisierten Kriminalität (OK) zugerechnet. Besonders schwere Fälle des Betruges gemäß § 263 Abs. 3 StGB werden im Aktenverwaltungssystem der Strafverfolgungsbehörden nicht gesondert ausgewiesen und sind daher nicht ermittelbar . 4) Die Nebenverfahrensklasse PFLEGE berücksichtigt nur Betrugsverhalten gegen Pflegedienste; sind aus Sicht des Senats die bestehenden Maßnahmen gegen Pflegebetrug ausreichend? Besteht nach Auffassung des Senats ein weiterer Bedarf zur Prävention, Aufdeckung und Bekämpfung von Abrechnungsbetrug in der Pflege? Zu 4.: Das Land Berlin ist diesbezüglich seit Jahren, auch im bundesweiten Vergleich sehr gut aufgestellt und hat ein hochfunktionierendes Netzwerk mit den wichtigsten Akteuren aufgebaut sowie mehrere Anpassungen auf Bundesgesetzebene erfolgreich initiiert , wie z.B. die Einführung des § 47 a SGB XI sowie die Möglichkeit der unangemeldeten Hausbesuche bei Anlassprüfungen im Rahmen des PSG II. Das Land Berlin hat sich des Weiteren an einer bundesweiten Arbeitsgruppe im Rahmen der ASMK beteiligt, die effektive Prüf- und Kontrollmöglichkeiten des Sozialhilfeträgers entwickelte. Diese Prüf- und Kontrollmöglichkeiten sind in einem Gesetz zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Union zur Bereitstellung von Produkten auf dem Markt und zur Änderung der SGB IX und SGB XII beschlossen worden, wonach der Sozialhilfeträger erstmals eine eigenständige Rechtsgrundlage hätte, um gegen Abrechnungsbetrug vorgehen zu können. Auch ermöglicht der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) den Sozialhilfeträgern bessere Informationsrechte (siehe § 47a SGB XI n.F.). Mit diesen Neuregelungen wird der aktuell bekannte Reformbedarf vorerst abgedeckt. 5) Inwiefern wurden in den Jahren 2015-2018 vermehrt Anlassprüfungen (gem. § 114a Absatz 1, SGB XI) durchgeführt? (Bitte, wenn möglich, Anzahl der Prüfungen nach Bezirk und Jahr aufschlüsseln ) Zu 5.: In den Jahren 2015 und 2016 wurden vier bzw. drei anlassbezogene Prüfungen gemäß § 114 a SGB XI des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) bei Berliner Pflegediensten durchgeführt. Im Jahr 2017 gab es einen Anstieg auf sieben anlassbezogene MDK Prüfungen und im Jahr 2018 einen erneuten Anstieg auf 15 anlassbezogene MDK Prüfungen. Somit haben sich die anlassbezogenen MDK Prüfungen im Verlauf von 2015 zu 2018 verfünffacht. Die nachfolgende Tabelle bildet alle Anlassprüfungen nach § 114 a SGB XI für die Jahre 2015 bis 2018 ab: 4 Anlassprüfungen Berlin ambulant für die Jahre 2015 - 2018 Bezirk/Jahr 2015 2016 2017 2018 Charlottenburg-Wilmersdorf 1 3 Marzahn- Hellersdorf 2 2 Friedrichshain-Kreuzberg 1 3 Lichtenberg 1 2 Mitte 1 Neukölln 1 1 Pankow 1 3 1 Tempelhof-Schöneberg 1 2 Spandau 1 Steglitz-Zehlendorf 1 1 Gesamt 4 3 7 15 6) Wie viele verdachtsunabhängige bzw. verdachtsabhängige Kontrollen auf Sozialbetrug (Hilfe zur Pflege) gab es nach Kenntnis des Senats durch die Sozialämter in der ambulanten Pflege seit 2015? (Bitte, wenn möglich, nach Bezirk und Jahr aufschlüsseln) Zu 6.: Grundsätzlich und unabhängig von Verdachtsfällen werden alle Leistungsanträge in der ambulanten Hilfe zur Pflege geprüft. Es erfolgen regelmäßige reguläre Bedarfsfeststellungen im Rahmen von Hausbesuchen durch die Mitarbeiter/-innen der Bedarfsfeststellung . Es gibt seit 2012 ein berlineinheitliches Instrument zur Ermittlung und Feststellung der Pflegebedarfe im Land Berlin: die sogenannte Individuelle ambulante Pflegegesamtplanung (IAP) mit der regelhaft die Erstanträge, aber auch die Erhöhungsund Weiterbewilligungen geprüft werden. Diese Mitarbeiter/-innen melden den Stelleninhaber /-innen zur Verhinderung von Leistungsmissbrauch mit dem sogenannten Meldebogen die Verdachtshinweise, die den Prüfprozess dieser Stellen - wie in der nachfolgenden Tabelle dokumentiert - auslösen. Die Stelleninhaber/-innen zur Verhinderung von Leistungsmissbrauch und Abrechnungsmanipulation werden grundsätzlich nur im Zusammenhang mit einem Verdacht aktiv. 5 Bezirk / Jahr 2015 2016 2017 2018 Mitte 72 28 89 76 Friedrichshain- Kreuzberg 25 48 62 31 Pankow 8 39 18 10 Charlottenburg- Wilmersdorf ./. 89 58 24 Spandau 3 107 84 39 Steglitz- Zehlendorf 14 46 63 66 Tempelhof- Schöneberg 40 49 57 60 Neukölln 19 118 100 74 Treptow- Köpenick ./. 27 30 24 Marzahn- Hellersdorf 7 1 ./. 3 Lichtenberg 25 20 29 33 Reinickendorf 25 54 64 29 Summe 238 626 654 469 7) Zur Bekämpfung von Leistungsmissbrauch stand das Vorhaben des Senant für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, sich an der Entwicklung der bundesweiten Betrugspräventions-Datenbank zu beteiligen, deren Umsetzung sich im Juni 2018 noch in den Anfangsstadien befand (Rote Nummer 0976 A/19.06.2018). Über welche Ergebnisse im Kontext der Umsetzung des Vorhabens kann aktuell berichtet werden 1? Zu 7.: SenGPG ist zu diesem Thema im engen Kontakt mit dem GKV-Spitzenverband, der dieses Instrument federführend vorantreibt. In seiner Stellungnahme vom 7.2.2019 zum Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) hat der GKV-Spitzenverband zuletzt mit Blick auf die Änderungen der §§ 197a Abs. 3 b SGB V, 47a SGB XI deutlich gemacht, dass für die Entwicklung der bundesweiten Betrugspräventions- Datenbank die gesetzlichen Rahmenbedingungen für einen verbesserten Informationsaustausch zu schaffen sind. Es müsse gesetzlich klargestellt werden, dass zur Verhinderung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen ein Austausch von personenbezogenen Daten auch unter der Verwendung von Datenbanken zulässig ist, die von Dritten betrieben werden (sog. „fraud pool“). Konkret wird seitens des GKV- Spitzenverbandes vorgeschlagen, dass die notwendigen gesetzlichen Klarstellungen in §§ 197a Abs. 3 b SGB V, 47a SGB XI sich an der bereits erfolgten Klarstellung des § 47 Abs. 5 Geldwäschegesetz (GWG) orientieren sollten, die auch von den Landesdatenschutzbeauftragten und dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationssicherheit mehrheitlich angeregt wurde. 1 Auch mit Blick auf § 81a, § 197a SGB V, §47a SGB XI und darauf, dass aus Sicht der Fragesteller weiterhin Unklarheit darüber besteht, welche Übermittlungswege zum Informationsaustausch über Fehlverhalten von Leistungserbringern tatsächlich auch datenschutzrechtlich zulässig sind. 6 8) Inwiefern konnte die Zusammenarbeit mit den Pflegekassen, der Staatsanwaltschaft sowie der beim LKA etablierten Ermittlungsgruppe „Pflege“ intensiviert werden? Zu 8.: SenGPG hat das bestehende und funktionierende Netzwerk mit den Akteuren/-innen der Pflegekassen, der Staatsanwaltschaft, des LKA und den Bezirksämtern von Berlin im Rahmen von regelmäßigen Zusammenkünften und Workshops weiter gestärkt und wird dies auch zukünftig nachhaltig tun, um gemeinsam, in enger Abstimmung und wirkungsvoll gegen Leistungsmissbrauch in der Pflege vorzugehen. Berlin, den 26. März 2019 In Vertretung Barbara König Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung