Drucksache 18 / 18 120 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) vom 04. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. März 2019) zum Thema: Todesfall in der JVA Plötzensee im Oktober 2018 – Nachfrage zur Drs. 18/17554 und Antwort vom 21. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Mrz. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18120 vom 4. März 2019 über Todesfall in der JVA Plötzensee im Oktober 2018 – Nachfrage zur Drs. 18/17554 ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Stimmt der Senat überein, dass aufgrund des Wortlautes des § 87 Absatz 1 Satz 2 Strafvollzugsgesetz Berlin (StVollzG Bln) allein das Vorliegen von Gefahr im Verzug“ tatbestandsmerkmal ist und entgegen er Antwort auf Frage 4d.) der Drs. 18/17554 gerade nicht vorausgesetzt wird, dass die nach § 87 Absatz 1 Satz 1 StVollzG Bln Anordnungsbefugten nicht erreichbar sind? Zu 1.: Gefahr im Verzug ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00 -, BVerfGE 103, 142) ein eng auszulegender Rechtsbegriff. Sie liegt nach der Rechtsprechung des Kammergerichts (KG) auch im Sinne von § 87 Abs. 1 Satz 2 StVollzG Bln (Strafvollzugsgesetz Berlin) vor, wenn sich beim Abwarten der Entscheidung der vorrangig Entscheidungsbefugten die durch die Sicherungsmaßnahme zu verhütende Gefahr zu verwirklichen droht oder wenn eine bereits eingetretene Störung mit nachteiligen Folgen fortdauern würde (vgl. KG Berlin , Urteil vom 11. Mai 2005 - [5] 1 Ss 61/05 [12/05] - NStZ [Neue Zeitschrift für Strafrecht] 2006, S. 414). Der Begriff der „Gefahr im Verzug“ bezeichnet demnach u. a. eine Sachlage , bei der ein Schaden eintreten würde, wenn nicht an Stelle der zuständigen Person eine andere Person unmittelbar tätig wird. Insofern wird ein Widerspruch zu der Antwort auf Frage 4d.) der Schriftlichen Anfrage Nr. 18/17554 nicht gesehen. 2. Sind dem Senat die Beschlüsse des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform bekannt, insbesondere die zu § 76 StVollzG Bund, die mit der Berliner Regelung inhaltlich vergleichbar ist Vgl. BT Drs. 7/3998, S. 33)? Zu 2.: Die Beschlüsse des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, insbesondere die zu § 76 StVollzG Bund a.F. (alte Fassung) sind bekannt. 3. Wie bewertete der Senat diese Beschlüsse in Bezug auf seine Ausführungen zu Frage 4d) in der Drs. 18/17554 und sieht er diesbezüglich Handlungsbedarf? Zu 3.: Die in § 87 StVollzG Bln aufgeführten Regelungen zum Anordnungsverfahren bei den besonderen Sicherungsmaßnahmen sollen die Beachtung der Rechte des Gefangenen absichern. Dabei dient die Regelung über die Anordnungskompetenz (§ 87 Abs. 1 2 StVollzG Bln) insbesondere der Gewährleistung einer internen Kontrolle durch einen besonders ermächtigten und an der Entstehung der Gefahrensituation möglichst unbeteiligten Vollzugsbediensteten. Aus § 87 Abs. 1 StVollzG Bln folgt daher die Beschränkung der Anordnungskompetenz auf von der Anstaltsleiterin bzw. dem Anstaltsleiter ermächtigte Bedienstete. Dabei ist der für die Erteilung einer Ermächtigung in Betracht kommende Personenkreis, unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung eine interne Kontrollinstanz zu schaffen, nicht zu weit zu ziehen. Nach § 87 Abs.1 Satz 2 Halbsatz 1 StVollzG Bln können besondere Sicherungsmaßnahmen wie die Unterbringung in einem besonderes gesicherten Haftraum vorläufig auch durch „andere Bedienstete“ der Anstalt angeordnet werden, sofern eine Gefahr im Verzug vorliegt. Diese Befugnis setzt voraus, dass keiner der nach § 87 Abs.1 Satz 1 StVollzG Bln Anordnungsbefugten erreichbar ist, um die besondere Sicherungsmaßnahme anzuweisen. Nur unter dieser Voraussetzung könnte auch eine Ärztin oder ein Arzt nach § 87 Abs.1 Satz 2 StVollzG Bln – sofern sie wie in der JVA Plötzensee nicht zu den gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 StVollzG Bln hierzu vom Anstaltsleiter Befugten zählen – befugt sein, eine vorläufige Anordnung zu treffen. Die Entscheidung der nach § 87 Abs. 1 Satz 1 StVollzG Bln zuständigen Bediensteten ist dann unverzüglich einzuholen (§ 87 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 StVollzG). Die Berliner Justizvollzugsanstalten sind an Recht und Gesetz gebunden und setzen daher die dargestellte ständige Rechtsprechung des Kammergerichts um. Im Übrigen steht diese nicht im Widerspruch zu den erwähnten Beschlüssen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (Bundestag Drs. 7/3998), insbesondere zu dem mit der Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen betreffenden § 79. Auch dort wurde davon ausgegangen , dass wegen der besonderen Bedeutung der besonderen Sicherungsmaßnahmen für die betroffenen Gefangenen ihre Anordnung grundsätzlich der Anstaltsleiterin bzw. dem Anstaltsleiter vorbehalten werden muss. Demgegenüber wird durch die vorgesehene ärztliche Beteiligung bereits im Anordnungsverfahren die Berücksichtigung medizinischer Aspekte, die gegen die Verhängung der besonderen Sicherungsmaßnahme sprechen könnten, sichergestellt und hierdurch die Gesundheit des Gefangenen geschützt . Ebenfalls dem Schutz der Gesundheit soll das Erfordernis der Betreuung und Beobachtung (§ 87 Abs. 6 S. 2 und 3 StVollzG Bln) dienen. Die ärztliche Stellungnahme ist im Rahmen der vom Anstaltsleiter oder der von ihm dazu bestimmten Bediensteten zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. 4. Aufgrund welcher tatsachenbasierten Erkenntnisse ist der Senat zu der Ansicht gelangt, dass die „Schichtleitung der Alarmzentrale“ besser geeignet ist, den seelischen Zustand eines Gefangenen zu beurteilen , als ein/e ausgebildete/r Facharzt/ärztin (vgl. insbesondere Antwort auf Frage 4a) der Drs. 18/17554)? Zu 4.: Der Senat hat nicht die Ansicht geäußert, dass die „Schichtleitung der Alarmzentrale “ (grundsätzlich) besser geeignet ist als eine ausgebildete Fachärztin bzw. ein ausgebildeter Facharzt, den seelischen Zustand eines Gefangenen zu beurteilen. Der Senat hat in der Antwort auf die Frage 4a der Schriftlichen Anfrage Nr. 18/17554 lediglich dargelegt , dass das ärztliche Personal der JVA Plötzensee nach der dort geltenden Rechtsund Weisungslage für Entscheidungen nach § 87 Abs. 1 Satz 1 StVollzG nicht entscheidungs - oder anordnungsbefugt ist. Der Senat ist an diese Wertung des Gesetzgebers gebunden. 5. Warum hat der Senat mehr als zweieinhalb Jahre nach Inkrafttreten des StVollzG Bln noch immer nicht überprüft, ob die Anordnungen des Anstaltsleiters in Bezug auf die Zuständigkeit für die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen sachgerecht und rechtmäßig sind, insbesondere vor dem Hintergrund des 3 Erlasses der Anordnungen bereits im Jahre 2012 und damit erhebliche Zeit vor Inkrafttreten des StVollzG (vgl. Antwort zu Frage 4a) der Drs. 18/17554)? Zu 5.: Die Übertragung der Anordnung von besonders grundrechtsintensiven Eingriffen, wie die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, bedarf einer besonders sorgfältigen Prüfung und Auswahl der damit betrauten Bediensteten. § 103 Abs. 2 StVollzG Bln sieht daher vor, dass die Anstalt die Delegation der dort aufgezählten grundlegenden Aufgaben der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung in regelmäßigen Abständen mitzuteilen hat. Es bestand und besteht kein Anlass, die sachgemäßen Anordnungen des Anstaltsleiters der JVA Plötzensee gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 StVollzG fachaufsichtlich zu beanstanden. Das Berliner Strafvollzugsgesetz überträgt in § 87 Abs. 1 Satz 1 StVollzG die Entscheidungsbefugnis für die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen der bzw. den für vollzugliche Fragen Verantwortliche bzw. Verantwortlichen . Von diesem soll nach den geltenden Verfahrensregelungen (vgl. § 87 Abs. 2 StVollzG) in den gesetzlich bestimmten Fällen lediglich eine Stellungnahme eingeholt werden. Dieser gesetzlichen Systematik entsprechen die Anordnungen des Leiters der JVA Plötzensee. 6. Gegen wie viele Bedienstete der JVA Plötzensee wird aufgrund des Todesfalls im Oktober 2018 ein Ermittlungsverfahren wegen welcher Delikte geführt und wie ist der aktuelle Sachstand? Zu 6.: Aufgrund des Todesfalles in der JVA Plötzensee im Oktober 2018 wird bei der Staatsanwaltschaft Berlin gegen zwei Bedienstete der JVA Plötzensee wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt. Im Rahmen der bisherigen Ermittlungen wurden Zeugen vernommen. Eine Akteneinsicht der Beschuldigten, die sich anwaltlich vertreten lassen, steht noch aus. Die Ermittlungen dauern an. Berlin, den 21. März 2019 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung