Drucksache 18 / 18 128 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Franz Kerker (AfD) und Tommy Tabor (AfD) vom 05. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 06. März 2019) zum Thema: Schulische Sexualerziehung: Rechtliche und inhaltliche Grundlagen und Antwort vom 21. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 26. Mrz. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Herrn Abgeordneten Franz Kerker (AfD) Herrn Abgeordneten Tommy Tabor (AfD) über den Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18128 vom 5. März 2019 über Schulische Sexualerziehung: Rechtliche und inhaltliche Grundlagen ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Die Schriftliche Anfrage betrifft Sachverhalte, die der Senat nicht in eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Er hat daher zu 5.) das LISUM um Zulieferung gebeten, die von dort in eigener Verantwortung erstellt und dem Senat mit nachfolgenden Aussagen übermittelt wurden. 1.a) Der Sexualpädagoge Prof. Dr. Uwe Sielert fordert: „Sexuelle Bildung von Anfang an! Sexualität und Sexualerziehung im Bildungsauftrag von Kindertagesstätten“. Gehört Sexualpädagogik zum Bildungsauftrag von Kindertagesstätten in Berlin? In welcher Form sind die Grundlagen für die Sexualpädagogik in Kindertagesstätten in Berlin rechtlich geregelt? (Bitte um Nennung aller entsprechenden Stellen: Lehrpläne, Gesetze, Verwaltungsvorschriften, Rundschreiben, etc.) 1.b) In welcher Form sind der Umfang sowie die inhaltlichen und methodisch-didaktischen Grundlagen für die Sexualpädagogik in Berliner Schulen rechtlich geregelt? (Bitte um Nennung aller entsprechenden Stellen: Lehrpläne, Gesetze, Verwaltungsvorschriften, Rundschreiben, etc.) Zu 1 a): Das „Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertagespflege“ (BBP) bildet gem. § 13 Kindertagesförderungsgesetz (KitaFöG) die verpflichtende Grundlage für die pädagogische Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen. Das BBP wurde 2014 aktualisiert und entspricht dem aktuellen Stand frühpädagogischer Wissenschaft und Forschung. Allgemeines Ziel ist eine umfassende Persönlichkeitsentwicklung des individuellen Kindes. Der Bildungsbereich Gesundheit als Querschnittsbereich umfasst thematisch neben der Förderung von Wohlbefinden, gesunder Ernährung, positiver Esskultur, Hygiene und Körperpflege auch das Themenfeld der sensiblen pädagogischen Begleitung der Körper- und Sexualitätsentwicklung der Kinder. Der Bildungsbereich Soziales und Kulturelles Leben stellt darüber hinaus die Verbindung zu Demokratiebildung und geschlechtergerechter Identität sowie den Themen Körper/ Sexualitätsentwicklung und Familie her. Zu 1 b): Die Sexualerziehung und die Bildung für sexuelle Selbstbestimmung sind gemäß § 12 Absatz 4 SchulG übergreifende Bildungs- und Erziehungsaufgaben, die als Querschnittsaufgaben in den Fächern, fachübergreifend, in Lernbereichen und im Rahmen spezifischer Angebote und Projekte der Schule berücksichtigt werden. Gemäß § 12 Absatz 7 SchulG ergänzt die schulische Sexualerziehung die Sexualerziehung durch die Erziehungsberechtigten. Des Weiteren gelten der Rahmenlehrplan der Jahrgangsstufen 1 bis 10 Berlin Brandenburg sowie die „Allgemeinen Hinweise zu den Rahmenlehrplänen für Unterricht und Erziehung in der Berliner Schule - Sexualerziehung “. Ziel ist es, den Schülerinnen und Schülern das ihrem Alter und ihrer Reife angemessene Wissen über biologische und gesellschaftliche Zusammenhänge sowie die Vielfalt der Lebensweisen und unterschiedlichen kulturellen Werte und Normen zu vermitteln und sie zu selbstbestimmtem und verantwortlichem Handeln gegenüber sich selbst und den anderen in Familie, Partnerschaft und Gesellschaft zu befähigen. Insbesondere soll das Bewusstsein für ein gewaltfreies, respektvolles Verhalten in gegenwärtigen und zukünftigen persönlichen Beziehungen entwickelt und gefördert werden. Die Sexualerziehung darf zu keiner einseitigen Beeinflussung führen. Die Schule hat die Erziehungsberechtigten rechtzeitig und in geeigneter Weise über Ziel, Inhalt und Form der Sexualerziehung zu informieren. 2.a) Im Rahmenlehrplan heißt es: „Die Eltern werden über Ziel, Inhalt und Formen der Sexualpädagogik rechtzeitig informiert.“ Mit welchem zeitlichen Vorlauf und in welcher Form (Elternabend, Anschreiben , etc.) erfolgt diese Informierung? 2.b) Dürfen Eltern die Teilnahme ihres Kindes am schulischen Sexualkundeunterricht verweigern? Wenn nein: Mit welchen Konsequenzen müssen sie rechnen und wie viele solcher Fälle sind dem Senat aus den letzten fünf Jahren bekannt? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Bezirk) 2.c) Wie viele Beschwerden haben Eltern in den letzten fünf Jahren bezüglich der Sexualpädagogik an Berliner Schulen an die Schulämter bzw. an die Senatsverwaltung gerichtet? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr und Bezirk) Zu 2. a) und 2. b): Laut Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 21.12.1977 (BVerfGE 47, 46 - Sexualkundeunterricht) „ist Sexualerziehung als fächerübergreifender Unterricht nicht von der Zustimmung der Eltern abhängig. Die Eltern haben jedoch einen Anspruch auf rechtzeitige Information über den Inhalt und den methodisch-didaktischen Weg der Sexualerziehung in der Schule.“ Dieser Grundsatz findet sich im Berliner Schulgesetz in § 12 Satz 7 entsprechend wieder. Gemäß § 46 Absatz 5 Satz 1 des Schulgesetzes können Schülerinnen und Schüler auf Antrag aus wichtigem Grund vom Unterricht beurlaubt oder von der Teilnahme an einzelnen Unterrichts- oder anderen schulischen Veranstaltungen befreit werden. Nach Nr. 5 Absatz 2 der Ausführungsvorschriften über Beurlaubung und Befreiung vom Unterricht (AV Schulbesuchspflicht) in der Fassung vom 22. Dezember 2017 (Amtsblatt S. 45 1) ist ein religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis allein kein wichtiger Grund, der eine Befreiung rechtfertigt. Eltern dürfen nicht die Teilnahme ihrer schulpflichtigen Kinder am Sexualkundeunterricht allein aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen verweigern. Diese Rechtslage wurde durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Für den Begriff „rechtzeitig“ gibt es keine Legaldefinition, auch die Form der Information ist nicht festgelegt, sondern beides liegt in der Eigenverantwortung der Schule. Eine praktizierte Vorgehensweise ist der vorab durchgeführte Elternabend. Ein unentschuldigtes Fernbleiben vom Unterricht zieht Maßnahmen gemäß AV Schulbesuchspflicht Nr.7 Absatz 7- 9 nach sich. Zu 2. c): Diese Daten werden vom Senat nicht erfasst. 3.) Im Rahmenlehrplan heißt es: „Sexualerziehung wird fachübergreifend bzw. fächerverbindend unterrichtet . Vielfältige Lerngelegenheiten bieten sich in allen Fächern, insbesondere im Sachunterricht, in Naturwissenschaften 5/6, in Gesellschaftswissenschaften 5/6 und in den Fächern Biologie, Ethik (Berlin), Deutsch, Politische Bildung, Geschichte, Theater, Wirtschaft-Arbeit-Technik, Sport, Lebensgestaltung -Ethik-Religionskunde (Brandenburg) und in den Fremdsprachen. Bezüge gibt es weiterhin zu den übergreifenden Themen Demokratieerziehung, Gesundheitsförderung, Medienbildung, Sprachbildung und Gewaltprävention.“ In welcher Altersstufe hat der Sexualkundeunterricht an Berliner Schulen zu erfolgen und welchen Stundenumfang nimmt die Sexualerziehung ein? (Bitte aufschlüsseln nach Jahrgangsstufe und Fach) Zu 3.: Die Festlegung des Zeitpunktes und der Klassenstufe obliegt der Verantwortung der Schule. Der Rahmenlehrplan der Jahrgangsstufen 1 bis 10 Berlin/Brandenburg Teil B macht keine Vorgaben zu Altersstufen und Stundenumfang. Die Berücksichtigung der übergreifenden Themen erfolgt fächerverbindend entsprechend des schulinternen Curriculums. Dieses legen die Schulen im Rahmen der Eigenverantwortung fest. In den Fachplänen der Naturwissenschaften und Biologie finden sich Inhalte und Standards, die auch sexuelle Vielfalt thematisieren, und bestimmten Jahrgangsstufen zugeordnet sind. Stundenumfänge sind in den Rahmenlehrplänen nicht verankert. 4.) Im Rahmenlehrplan heißt es: „Dabei ist die Akzeptanz sexueller Vielfalt ein wichtiges Ziel des Kompetenzerwerbs.“ Auf welchem Wege erwerben Berliner Schüler die Kompetenz, sexuelle Vielfalt zu akzeptieren und wie viele Lerneinheiten sind dafür vorgesehen? Zu 4.: Für den Kompetenzzuwachs im Bereich Akzeptanz sexueller Vielfalt sind unterschiedliche , adressaten- und altersgerechte Lernarrangements notwendig. In den Ausführungen des Rahmenlehrplanes der Jahrgangsstufen 1 bis 10 werden unterstützend Bedeutung, Kompetenzerwerb und Bezüge zu den Fächern aufgezeigt. Für die Ausgestaltung des Unterrichts gibt es Hinweise der Senatsverwaltung für Bildung , Jugend und Familie, die unter folgenden Link zu finden sind: https://www.berlin.de/sen/bildung/unterricht/faecher-rahmenlehrplaene/rahmenlehrplaene/ 5.) Im Jahr 2015 von den Landesregierungen Berlin und Brandenburg vorgelegte Entwurf für den neuen Rahmenlehrplan war die 2001 eingeführte Berliner Richtlinie zur Sexualerziehung nicht mehr vorgesehen. Der LSVD forderte in einem Schreiben eine umfassende Überarbeitung des Entwurfs. Die AG Schwule Lehrer in der GEW erstellte eine Analyse des geplanten Rahmenlehrplans für die Klassen 1 bis 10 – als Defizit benannte sie das Fehlen von Sexualerziehung als fächerübergreifendes Thema, statt einer breiten Implementierung von LGBT-Themen erfolge nur eine lückenhafte und unverbindliche Erwähnung. In welcher Form wurden die Einwände dieser Lobbygruppen für die Überarbeitung des Rahmenlehrplans aufgenommen und inwiefern wurden ihre Anregungen umgesetzt? Zu 5.: In der Anhörungsfassung des Rahmenlehrplans war Sexualerziehung u. a. in den übergreifenden Themen Gesundheitsförderung, Gender Mainstreaming und Diversity im Teil B des Rahmenlehrplans integriert worden. Die im Teil B verankerten übergreifenden Themen sind im Schulunterricht zu berücksichtigen. Aufgrund der Rückmeldungen im Anhörungsverfahren wurde die Sexualerziehung als eigenes übergreifendes Thema im Teil B verankert. Das Themenfeld Sexualität, Fortpflanzung und Entwicklung im Teil C Biologie des Rahmenlehrplans kann, im Ergebnis der Anhörung, nun der Doppeljahrgangsstufe 7/8 oder 9/10 zugeordnet werden. Der Umgang mit den Anhörungsergebnissen wurde in einem Bericht des LISUM 2016 dargestellt. Die obigen Ausführungen folgen im Wesentlichen diesem Bericht (S. 28, S. 33): https://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/unterricht/rahmenlehrplaene/implementierung-des-neuenrahmenlehrplans -fuer-die-jahrgangsstufen-1-10/historie-des-projektes-zum-neuen-rahmenlehrplan-1- 10/anhoerungsportal/anhoerungsbericht/ 6.) Welche Schulbücher und Materialien sind in Berlin zur Sexualaufklärung zugelassen? (Bitte Titel und Seitenzahlen angeben) 7.) Die Nutzung welcher Schulbücher, Materialien und Schriften zum Themenbereich Sexualkunde ist in Berlin explizit untersagt? 8.) Ist der Rückgriff auf Schriften Helmut Kentlers zur Vorbereitung oder Durchführung des Sexualkundeunterrichts an Berliner Schulen oder zur Sexualaufklärung in Kindertageseinrichtungen in Berlin möglich? Zu 6., 7. und 8.: Es werden keine Vorgaben oder Einschränkungen zu verwendungsfähigen Medien vorgenommen. Die Fachkonferenzen der Schulen entscheiden im Rahmen der eigenverantwortlichen Schule über die Auswahl der Medien unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben, darunter § 176 Strafgesetzbuch, nach dem jeglicher sexuelle Kontakt zwischen Erwachsenen und Kindern unter 14 Jahren, sowie das Zeigen pornographischer Darstellungen, Filme oder Tonaufnahmen sexueller Gewalt einen Straftatbestand darstellt. Insofern sind auch die Schriften Helmut Kentlers nach diesen Vorgaben zu bewerten. 9.) Welche Rollen spielen die „emanzipatorische Sexualpädagogik“ und „neo-emanzipatorische Sexualpädagogik “ für die Durchführung der Sexualpädagogik an Berliner Schulen? Zu 9.: Besondere Richtungen oder sexualpädagogische Ansätze können unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben Berücksichtigung finden. Die schließt die neoemanzipatorische Sexualpädagogik, mit der Verwendung eines weiten Sexualitäts- begriffs, der alle Facetten von Sexualität einschließt und nach welchem Sexualität, gemäß den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO), als Bestandteil von Gesundheit betrachtet wird, ein. 10.) Welchen Freiraum besitzen Schulen und Lehrer zur Gestaltung des Sexualkundeunterrichts? Zu 10.: Der Sexualkundeunterricht unterliegt den rechtlichen Vorgaben des Schulgesetzes und des Rahmenlehrplans für die Jahrgangsstufen 1 bis 10. Berlin, den 21. März 2019 In Vertretung Mark Rackles Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie