Drucksache 18 / 18 177 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katrin Seidel (LINKE) vom 07. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. März 2019) zum Thema: Kostenheranziehung in der stationären Jugendhilfe und Antwort vom 18. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 21. Mrz. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Frau Abgeordnete Katrin Seidel (Linke) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18177 vom 07. März 2019 über Kostenheranziehung in der stationären Jugendhilfe ___________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Wie sind die geltenden rechtlichen Regelungen zur Finanzierung der stationären Unterbringung von Kindern und Jugendlichen sowie jungen Volljährigen bezüglich ihrer Heranziehung zu den Kosten ihrer Unterbringung? Zu 1.: Die rechtlichen Regelungen zur Kostenbeteiligung in den Hilfen zur Erziehung sind im zweiten Abschnitt des achten Kapitels in den §§ 91 bis 94 des Sozialgesetzbuches (SGB) VIII festgelegt. Hiernach sind untergebrachte junge Menschen, Ehegatten und Lebenspartner der untergebrachten Person sowie deren Elternteile sowie Leistungsberechtigte nach § 19 SGB VIII und deren Ehegatten und Lebenspartner aus ihrem Einkommen zu den Kosten der Maßnahme heranzuziehen. Maßgeblich dabei ist das durchschnittliche Monatseinkommen im der Hilfe vorangegangenen Jahr. Darüber hinaus haben junge Volljährige und volljährige Leistungsberechtigte nach § 19 SGB VIII gemäß § 92 Absatz 1a SGB VIII auch aus ihrem Vermögen Kostenbeiträge zu leisten. Im Rahmen des SGB VIII handelt es sich bei entsprechenden Hilfen nicht um „Maßnahmen zur Finanzierung“ der stationären Unterbringung, sondern um die Erhebung von Kostenbeiträgen nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit der zum Kostenbeitrag verpflichteten untergebrachten jungen Menschen. Ist keine Leistungsfähigkeit gegeben , werden keine Kostenbeiträge erhoben. 2. Welche Freibeträge, Härtefallregelungen o.ä. gibt es rechtlich im Kontext der Heranziehung zu den Kosten der stationären Unterbringung in der Jugendhilfe, die die Heranziehung ausschließen oder zumindest einschränken? 3. Was bleibt Jugendlichen oder jungen Volljährigen in der stationären Jugendhilfe von dem, was sie durch einen Ferienjob/Nebenjob an Einkommen erzielen? 2 4. Was bleibt Jugendlichen oder jungen Volljährigen in der stationären Jugendhilfe, wenn sie im Rahmen einer Ausbildung Ausbildungsvergütung erhalten? 6. Wer entscheidet darüber auf welcher rechtlichen Grundlage, in welcher Höhe Kinder, Jugendliche oder junge Volljährige zu den Kosten ihrer Unterbringung herangezogen werden? Welche Ermessenspielräume , Härtefallregelungen o.ä. gibt es, und wie werden diese in den Berliner Jugendämtern angewendet? 7. Welche Möglichkeiten haben Kinder, Jugendliche oder junge Volljährige in stationärer Unterbringung , Geld für Anschaffungen zurückzulegen oder für die Zukunft (Ausbildung, eigenen Wohnraum …) zu sparen? Zu 2., 3., 4., 6. und 7.: Grundsätzlich sind 75% der bereinigten Einkünfte des untergebrachten jungen Menschen als Kostenbeitrag einzusetzen. Gem. § 94 Abs. 6 SGB VIII kann ein geringerer Kostenbeitrag erhoben oder gänzlich von der Erhebung des Kostenbeitrags abgesehen werden, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Leistung dient. Dies gilt insbesondere, wenn es sich um eine Tätigkeit im sozialen oder kulturellen Bereich handelt, bei der nicht die Erwerbstätigkeit, sondern das soziale oder kulturelle Engagement im Vordergrund steht. Entsprechend verbleiben bei den genannten Beispielen Ausbildung, Ferien- bzw. Nebenjob 25% der bereinigten Einkünfte beim untergebrachten jungen Menschen, die zurückgelegt werden können. Die Prüfung und Entscheidung über den zu leistenden Kostenbeitrag obliegt dem zuständigen Jugendamt auf der o.g. rechtlichen Grundlage. Entsprechend kann auch nur dort das pflichtgemäße Ermessen für jeden Einzelfall ausgeübt werden. Eine Berichtspflicht gegenüber der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie existiert nicht. 5. Was bleibt Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen in der stationären Unterbringung von Geldgeschenken, die sie erhalten, oder einer Erbschaft? Zu 5.: Grundsätzlich zählen Geldgeschenke zum Einkommen im Sinne von heranzuziehendem Einkommen. Einzelne, niedrige, anlassbezogene Zuwendungen zu speziellen Anlässen (z. B. Weihnachten, Geburtstag), werden nicht berücksichtigt. Sollten regelmäßig z. B. monatlich höhere Summen geschenkt werden, sind diese bei der Einkommensermittlung zu berücksichtigen. Ein derartiger Fall ist der für Jugend zuständigen Senatsverwaltung jedoch bisher nicht bekannt geworden. Erbschaften sind grundsätzlich zunächst als Einkommen zu berücksichtigen. Entsprechend sind in diesem Fall im Jahr nach der Erbschaft Kostenbeiträge zu leisten. Im darauffolgenden Jahr gilt der Rest der Erbschaft nicht mehr als Einkommen, sondern als Vermögen. Als Einkommen würden jedoch aus der Erbschaft und entsprechender Geldanlage resultierende Zinsen zum Tragen kommen. Minderjährige Kostenbeitragspflichtige würden weiterhin aus ihrem Einkommen zu den Kosten der Maßnahme herangezogen werden, Volljährige darüber hinaus auch aus dem restlichen Vermögen, wobei ein Schonbetrag in Höhe von 5.000 € beachtet werden muss 3 (in Anwendung. der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch 5.000€). 9. Wie positioniert sich der Senat zu Vorschlägen, Einnahmen/Einkommen von Kindern, Jugendlichen oder jungen Volljährigen nicht heranzuziehen, sondern auf einem gesonderten Konto zu verwahren, bis sie darüber verfügen dürfen? Zu 9.: Die für Jugend zuständige Senatsverwaltung kann sich diesen Vorschlägen nicht anschließen. Grundsätzlich sind alle unterhaltssichernden Leistungen (z.B. nach dem SGB II oder SGB XII) einkommensabhängig. Im SGB VIII wird davon abgewichen, da in § 39 Abs. 1 SGB VIII geregelt ist, dass bei stationären Hilfen der notwendige Unterhalt außerhalb des Elternhaushaltes durch das Jugendamt als Annexleistung sicherzustellen ist. Nach § 10 Abs. 2 SGB VIII werden unterhaltspflichtige Personen an den Kosten für Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach dem SGB VIII beteiligt. Entsprechend ruht dafür die sonstige Unterhaltspflicht. Die Unterhaltspflicht mindert sich bzw. ist aufgehoben, wenn die zu unterhaltende Person über Einkommen bzw. ausreichendes Einkommen verfügt, um sich selbst zu unterhalten. Dieses Prinzip wird auch in der Jugendhilfe entsprechend umgesetzt. In § 94 Abs. 1 SGB VIII ist die Rangfolge der Kostenheranziehung formuliert. Vorrangig sind die jungen Menschen als Leistungsempfänger zu den Kosten heranzuziehen. Es folgen deren Ehegatten und Lebenspartner. Eltern sind erst nachrangig heranzuziehen. Die Rangfolge der Heranziehung bewirkt, dass die öffentlich-rechtliche Kostenbeitragsforderung nicht mit unterhaltsrechtlichen Vorgaben kollidiert. 8. Wie positioniert sich der Senat zu Forderungen, Kinder und Jugendliche sowie junge Volljährige in der stationären Unterbringung hinsichtlich der Höhe der Heranziehung deutlich zu entlasten und den Freibetrag zur freien Verfügung deutlich zu erhöhen? 10. Wie steht der Senat zu Forderungen, die bundesgesetzlichen Regelungen zur Heranziehung von Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen zu den Kosten ihrer stationären Unterbringung im Rahmen der Jugendhilfe zu ihren Gunsten grundsätzlich neu zu regeln und so ihre Zukunftschancen deutlich zu verbessern? Was wird der Senat diesbezüglich tun? Zu 8. und 10.: Der Senat unterstützt diese Position. Im nicht abgeschlossenen Reformprozess zu Novellierung des SGB VIII in den Jahren 2016/2017 (Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG)) war eine erhebliche Entlastung für die untergebrachten jungen Menschen vorgesehen, so dass neben einem Freibetrag von mind. 150 € pro Monat nur ein Kostenbeitrag in Höhe von 50% des bereinigten und in Höhe des Freibetrages reduzierten Einkommens berücksichtigt worden wäre. Der Senat hätte diese deutliche Verbesserung für die untergebrachten jungen Menschen mitgetragen. Nunmehr muss der weitere Prozess zur Novellierung des SGB VIII in der laufenden Wahlperiode des Bundestages abgewartet werden. 4 Berlin, den 18. März 2019 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie