Drucksache 18 / 18 188 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Franz Kerker (AfD) vom 11. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. März 2019) zum Thema: Milieuschutzgebiete: Der diskrete Charme der Bourgeoisie und Antwort vom 25. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. März 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Herrn Abgeordneten Franz Kerker (AfD) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18188 vom 11. März 2019 über Milieuschutzgebiete: Der diskrete Charme der Bourgeoisie Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung des Abgeordneten: Andrej Holm beobachtet in den von Gentrifizierung bedrohten Altbauvierteln Berlins einen regelrechten "Aufstand der Mittelklasse": "Die Aufwertung des Wohnumfelds, der freie Blick auf eine Grünfläche und die Versorgung mit hochwertigen Bildungsangeboten prägen die Nachbarschafts- und Lagequalität und damit auch den Wert des eigenen Besitzes. Im Gegensatz zu klassischen NIMBY-Revolten (Not In My Back Yard) verfolgen die neuen Bürgerinitiativen jedoch keine Abschottung nach unten, sondern mobilisieren in der Regel gegen die nächsten Stufen der Aufwertung." [Vgl.: Holm, Andrej: Das Recht auf die Stadt. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 8/2011. S. 90-97] Dieser Deutung des Protestes gegen die Gentrifizierung als einer der Formen neubürgerlicher Besitzstandswahrung schließt sich auch ein Artikel der TAZ an. Unter dem Slogan „Recht auf Stadt“ trete ein vorgeblich „links-alternatives“ Bürgertum auf den Plan, welches sich als Wortführer der "Stadtgesellschaft" insgesamt darstelle, selber aber ebenfalls soziale Ausschließung praktiziere: "Wenn schon Hartz-IV- Bezieher, dann bitte aus dem eigenen soziokulturellen Milieu und gern auch eine Flüchtlingsfamilie für die antirassistische Credibility." [Balcerowiak, Rainer: "Debatte Wohnungsnot in Großstädten. Gegenteil einer sozialen Bewegung". TAZ vom 15. 11. 2018] Ich frage den Senat: Die Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Franz Kerker (AfD) zum Thema: „Jugendwiderstand“, BDS- Kampagne und Gentrifizierung“ [Drucksache 18/17768] beantwortet der Senat u.a. wie folgt: Frage 1: "Es ist stadtentwicklungspolitisches Ziel, die gewachsene soziale und funktionale Mischung in den Stadtquartieren zu erhalten und weiterzuentwickeln. Verdrängungen der angestammten Bevölkerung sowie von etablierten kleingewerblichen, sozialen oder kulturellen Nutzungen sollen daher vermieden werden." Weshalb wird in diesem Falle die Durchsetzung von etablierten Vorrechten als legitim betrachtet, in anderen Fällen jedoch nicht? Welche "angestammte Bevölkerung" muss in der "Wachsenden Stadt" den Neophyten weichen, welche nicht? 2 Antwort zu 1 Es gehört zum heutigem Selbstverständnis von Stadtentwicklung, dass die Bedürfnisse der in den Stadtquartieren lebenden und arbeitenden Menschen einen hohen Stellenwert haben, ohne das Wohl der Allgemeinheit, die Ansprüche Zuziehender oder künftiger Generationen zu vernachlässigen. Für die Berücksichtigung und Abwägung aller Interessen im Rahmen der Stadtentwicklung stehen Landes- und Bezirkspolitik in der Verantwortung. Mit Blick auf die Frage, welche Bevölkerung besonders von Verdrängung gefährdet ist und welche nicht, wird auf die Ergebnisse des Forschungsprojekts "Verdrängung auf angespannten Wohnungsmärkten - Das Beispiel Berlin" der Wüstenrot Stiftung gemeinsam mit der Humboldt-Universität zu Berlin verwiesen: Eine höhere Vulnerabilität haben Haushalte mit geringem Nettoäquivalenzeinkommen, Alleinerziehende, Personen ohne Universitätsabschluss und Personen mittleren Alters (ca. 40 bis 65 Jahre). Eine geringere Vulnerabilität haben Paare mit Kindern, Jüngere und über 65-Jährige. Frage 2: "Die Einflussnahme auf Gentrifizierung erfolgt über ein komplexes Bündel an Regelungen und Maßnahmen, die auf einen verbesserten Mieterschutz, den Schutz des Wohnraums, Bindungen bei Mieten und Belegungen sowie die Erweiterung des gemeinwohlorientierten Wohnungsbestands zielen." Wie ist sichergestellt, dass die oben aufgeführten Maßnahmen transparent sind und politischer und öffentlicher Kontrolle unterliegen? Antwort zu 2 Zu den Regelungen und Maßnahmen gehören u.a.: – Die Regelungen des Mieterschutzes des Bürgerlichen Gesetzbuchs, deren landesrechtliche Erweiterungsmöglichkeiten konsequent genutzt werden: erweiterter Kündigungsschutz bei Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, Senkung der Kappungsgrenze bei Mieterhöhungen, Mietpreisbremse – Die in den Bezirken geschaffenen kostenfreien Beratungsangebote für Mieterhaushalte. – Das Zweckentfremdungsverbot für Wohnraum – Die Zuschüsse zu den Wohnkosten für bedürftige Mieterhaushalte – Die Förderungen für den sozialen Wohnraum, für Modernisierungen mit Bindungen bei Mieten und Belegung sowie für Genossenschaften – Der Erwerb von Wohnungsbeständen sowie die Kooperationsvereinbarung mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften Diese Regelungen und Maßnahmen wirken berlinweit, basieren auf normgebenden Verfahren, politischen Beschlüssen und unterliegen der parlamentarischen Kontrolle. Der interessierten Öffentlichkeit stehen verschiedene Informationsmöglichkeiten zur Verfügung. So bietet die Internetseite der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen umfassende Ausführungen zu den einzelnen Regelungen und Maßnahmen. Frage 3: "Um die Verdrängung der ansässigen Wohnbevölkerung eines Gebiets zu vermeiden, nutzen die Bezirke zudem offensiv das im § 172 Baugesetzbuch geregelte Instrument der sozialen Erhaltungsgebiete (sogenannte Milieuschutzgebiete). Ende 2018 gab es berlinweit 56 solcher Gebiete." Wo liegen diese sozialen Erhaltungsgebiete? (Bitte einzeln aufführen). Welche sind in Vorbereitung? 3 Antwort zu 3 Die Lage der derzeit 56 sozialen Erhaltungsgebiete ist nach Bezirken der folgenden Tabelle zu entnehmen sowie in der nachstehenden Übersichtskarte dargestellt. Bezirk soziale Erhaltungsgebiete (Stand 15.03.2019) Mitte Sparrplatz, Leopoldplatz, Waldstraße, Birkenstraße, Seestraße, Kattegatstraße, Reinickendorfer Straße, Humboldthain Nord-West, Soldiner Straße, Thomasiusstraße, Tiergarten-Süd Friedrichshain- Kreuzberg Graefestraße, Luisenstadt, Bergmannstraße Nord, Hornstraße, Chamissoplatz, Boxhagener Platz, Petersburger Straße, Weberwiese, Kreuzberg-Nord Pankow Falkplatz, Arnimplatz, Humannplatz, Ostseestraße/Grellstraße, Pankow Zentrum, Teutoburger Platz, Kollwitzplatz, Helmholtzplatz, Bötzowstraße, Winsstraße, Pankow Süd, Langhansstraße, Komponistenviertel Charlottenburg- Wilmersdorf Mierendorff-Insel, Gierkeplatz Tempelhof- Schöneberg Barbarossaplatz/Bayrischer Platz, Bautzener Straße, Kaiser-Wilhelm-Platz, Schöneberger Insel, Schöneberger Norden, Schöneberger Süden, Tempelhof, Grazer Platz Neukölln Schillerpromenade, Reuterplatz, Flughafenstraße/Donaustraße, Rixdorf, Körnerpark, Silbersteinstraße/Glasower Straße, Hertzbergplatz/Treptower Straße Treptow-Köpenick Alt-Treptow, Niederschöneweide, Oberschöneweide Lichtenberg Kaskelstraße, Weitlingstraße Reinickendorf Letteplatz Übersichtskarte soziale Erhaltungsgebiete (Stand 15.03.2019) 4 In der folgenden Tabelle sind Gebiete nach Bezirken gelistet, für die derzeit Prüfungen und Vorbereitungen für die Anwendung des sozialen Erhaltungsrechts nach Baugesetzbuch laufen. Bezirk Gebiete in Prüfung und Vorbereitung Mitte Alexanderplatzviertel Friedrichshain-Kreuzberg Stralauer Kiez Charlottenburg-Wilmersdorf Klausenerplatz/Sophie-Charlotte-Platz Neukölln Germaniapromenade, Britz-Nord, Britz-Süd Frage 4 "Viele, der von Gentrifizierung besonders betroffenen Gebiete, sind zugleich Gebiete des Bund-Länder- Programms Soziale Stadt. Hier unterstützen Quartiermanagement Verfahren gebietsbezogene Strukturen und Netzwerke, um Konflikten präventiv entgegenzuwirken." Wie ist sichergestellt, dass die angeführten "Netzwerke" nicht im Sinne der Vorbemerkung als wortmächtige Lobbygruppen auftreten, deren Mitglieder individualisierte Lebensläufe verfolgen, die (Miet)kosten dafür aber von der Allgemeinheit begleichen lassen? Antwort zu 4 Das Quartiermanagement hat zum Ziel, Nachbarschaften zu stabilisieren und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. In diesem Sinne werden auch Netzwerke aufgebaut. Hierzu gehören zum Beispiel Bildungsverbünde, Nachbarschaftsnetzwerke, Gewerbenetzwerke sowie der Aufbau von ehrenamtlichen Strukturen. Hierdurch soll die schwierige soziale Lage der Menschen im Quartier kompensiert werden. Bildungsverbünde mit Schulen und Kitas schaffen bestmögliche Bildungsübergänge für Kinder und informieren die Elternschaft im Quartier aktiv über Bildungsmöglichkeiten. Der Aufbau von Nachbarschaftsnetzwerken unterstützt mit Bewohnerschaft und Akteuren den nachbarschaftlichen Zusammenhalt, beispielsweise indem Straßenfeste organisiert oder andere identitätsstiftende Aktionen angeboten werden. Die Unterstützung und die Etablierung eines Gewerbenetzwerkes macht die lokalen Gewerbetreibenden gemeinsam stark, u.a. bei der Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber Vermietern und in ihrem Engagement für den Kiez. Gemessen werden all diese Projekte an vorher festgelegten Zielen für die Gebiete, die dem Programm Soziale Stadt entsprechen. Mietkosten begründen sich nicht aus der Unterstützung der beschriebenen Netzwerke und Strukturen. Das Programm Soziale Stadt fördert strukturell und nicht individuell. Berlin, den 25.03.2019 In Vertretung Sebastian Scheel ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen