Drucksache 18 / 18 235 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) vom 13. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. März 2019) zum Thema: Familienpflegedienste in Not und Antwort vom 29. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. April 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Frau Abgeordnete Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18235 vom 13. März 2019 über Familienpflegedienste in Not Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Abgeordneten: Die ambulanten Familienpflegedienste (tätig nach § 38 SGB V und § 20 SGB VIII) leisten einen wichtigen Beitrag im Gefüge der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe und der Frühen Hilfen. Sie gewährleisten eine sofortige und niederschwellige Unterstützung für Familien in Notsituationen, welche z. B. durch Krankheit oder Tod eines Elternteils entstehen können. Dabei geht es um die Vermittlung von lebenspraktischer Unterstützung, welche Krisensituationen nicht nur überbrücken, sondern auch verhüten sollen, mit dem Ziel, den Verbleib der Kinder im häuslichen Umfeld zu gewährleisten und familiäre Bindungsprozesse zu stabilisieren und zu fördern. Damit ist die Arbeit der Familienpflegedienste ein Beitrag zum aktiven Kinderschutz unserer Stadt. Da jedoch die Kostensätze für ambulante Familienpflege schon seit Jahren nicht mehr kostendeckend sind, haben die Verbände ihre Angebote in der Familienpflege zunehmend eingestellt. Es gibt nur noch wenige Organisationen, die Familienpflege vorhalten. 1. Welche Aufgabe übernimmt die ambulante Familienpflege im Rahmen des SGB VIII § 20? 2. In welchen Situationen kommt die ambulante Pflegehilfe zum Einsatz? 3. Welche Maßnahmen zählen zur Erfüllung der Aufgabe? Zu 1. bis 3.: Fällt ein Elternteil aus, das ein unter 14 Jahre altes Kind allein oder überwiegend betreut, kann eine akute Notsituation entstehen, deren Bewältigung familienunterstützende Hilfen und sofortiges Handeln erfordert. Bei Ausfall der überwiegenden Betreuungsperson bestehen für Familien unterstützende Angebote verschiedener Sozialleistungsträger mit zum Teil deckungsgleichen Leistungsinhalten. Es gibt verschiedene Ausfallgründe des betreuenden Elternteils, die eine Notsituation des Kindes im Einzelfall begründen können, wenn sich dieser nicht im erforderlichen Maße der Betreuung des Kindes widmen kann: - - 2 Krankenhausbehandlung oder Kuraufenthalt schwerwiegende häusliche Erkrankung Entbindung psychische Erkrankungen Suchterkrankungen unheilbare Erkrankungen andere zwingende Gründe, wie z.B. Pflege eines anderen Familienmitgliedes oder Verbüßung einer Untersuchungs- oder Strafhaft bzw. Teilnahme an einer Resozialisierungsmaßnahme Die Unterstützung bei der Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen gemäß § 20 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) ist eine antragsgebundene Soll-Leistung, die dem Grunde nach nachrangig gegenüber vergleichbaren Leistungen der Krankenkassen ist, aber vorrangig gegenüber den Hilfeleistungen nach § 70 SGB XII (Haushaltshilfe). Eine Hilfe nach § 20 SGB VIII scheidet daher in den Fällen aus, soweit eine vorrangige Haushaltshilfe nach § 38 SGB V oder eine häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V von der Krankenkasse gewährt wird und diese zur Bewältigung der Notsituation ausreicht. Sie kann in Einzelfällen auch ergänzend gewährt werden. Die Hilfe in Notsituationen /ambulante Familienpflege nach § 20 SGB VIII ist an der Schnittstelle zum SGB V ein sehr sinnvolles, niedrigschwelliges Angebot. Hilfe in einer der genannten Notsituationen wird dem anderen Elternteil nur gewährt werden , wenn nach § 20 Abs. 1 Nr. 1-3 SGB VIII gleichzeitig drei weitere Voraussetzungen vorliegen: 1. Der andere Elternteil ist wegen berufsbedingter Abwesenheit nicht in der Lage, die Aufgaben wahrzunehmen. Die berufsbedingte Abwesenheit als Grund liegt nur dann vor, wenn die Abwesenheit nicht durch Jahres- oder Sonderurlaub, durch Vertretung oder etwa durch flexiblere Gestaltung der Arbeitszeit behoben werden kann. 2. Die Hilfe ist erforderlich, um das Wohl des Kindes zu gewährleisten. Die Erforderlichkeit der Hilfe hängt auch davon ab, ob anderweitige private Hilfemöglichkeiten durch den anderen Elternteil, weitere Verwandte, Nachbarn oder Freunde tatsächlich nicht oder nicht ausreichend vorhanden sind. Soweit erforderlich kann diese Form der Selbsthilfe (insbes. Nachbarschaftshilfe) unterstützt werden. 3. Angebote der Förderung des Kindes in Tageseinrichtungen oder in Tagespflege reichen nicht aus, um die Betreuung des Kindes im erforderlichen Maß zu gewährleisten. Ziel ist die Herstellung von Rahmenbedingungen zur Weiterführung des Haushalts und der Erhalt des familialen Lebensraums der Kinder trotz des Ausfalls des haushaltsführenden Elternteils. Die Aktivierung der Ressourcen innerhalb der Familie zur Überwindung der Notsituation ist Bestandteil dieser Jugendhilfeleistung. Mit dem Wegfall der Notsituation endet die Leistung. Die Formen der Unterstützung werden in Absprache mit dem antragstellenden Elternteil, dem Leistungserbringer und dem örtlich zuständigen Jugendamt je nach den Erfordernissen (betreuerisch, hauswirtschaftlich, erzieherisch und/ oder pflegerisch) individuell und flexibel festgelegt. Sie umfassen insbesondere: - - 3 Aufrechterhaltung und Weiterführung des Haushaltes Wäschepflege Einkauf Wohnungspflege Versorgung und Betreuung des Kindes/ der Kinder (bis 14 Jahre): Sicherstellung Grundbedürfnisse der Kinder Sicherstellung des Kita- und/ oder Schulbesuches Kontaktpflege zu Schule und Kindergarten Hausaufgabenbetreuung Altersgemäße Freizeitbeschäftigung Unterstützung bei psychischen Belastungen Säuglingspflege/ altersgemäße Kinderpflege Beobachtung der gesundheitlichen Situation Kindgerechte Begleitung in der Notsituation Kontaktpflege zum familialen Umfeld: Aktivierung nachbarschaftlicher und familiärer Ressourcen. 5. Wie viele Anträge wurden in den vergangenen fünf Jahren beim Land Berlin entsprechend § 20 SGB VIII gestellt (sortiert nach Jahr und Bezirk)? 6. Wie viele Anträge wurden in den vergangenen fünf Jahren beim Land Berlin entsprechend § 20 SGB VIII bewilligt und wie viele Stunden umfasst die Bewilligung (sortiert nach Jahr und Bezirk)? Zu 5. bis 6.: Die Anzahl der Anträge wurde im befragten Zeitraum gesamtstädtisch nicht erfasst. Die gewährte Leistungsdauer variiert in Abhängigkeit der Dauer und den besonderen Einzelumständen der Notsituation. Der individuelle Leistungsumfang ist sehr heterogen und wird statistisch nicht erfasst. Die Fallzahlentwicklung nach Bezirken zum 31.12. der Jahre 2014 bis 2018 gestaltet sich wie folgt: Bezirke 2014 2015 2016 2017 2018 31 Mitte 10 14 12 8 7 32 Fhn.-Krzbg. 4 8 8 2 6 33 Pankow 26 13 6 7 11 34 Chbg.-Wdrf. 8 11 6 10 6 35 Spandau 17 13 11 4 8 36 Stgl.-Zhldf. 25 15 15 10 3 37 Tphf-Schbg. 21 19 23 10 15 38 Neukölln 12 6 7 1 3 39 Trept.-Köp. 1 4 4 3 2 40 Marz.-Hdf. 5 5 1 3 41 Lichtenberg 5 6 8 3 42 Reinickendf. 8 9 4 11 16 Gesamt 142 123 105 69 80 (Quelle: IT-Verfahren ProJugend, ab 2017 ISBJ-SoPart) - - 4 4. Wie wird die Erfüllung der Aufgabe im Land Berlin organisiert? 7. Welche Träger übernahmen in den letzten fünf Jahren die Aufgabe der Familienpflegedienste (sortiert nach Bezirk und Jahr)? 8. Welche Kenntnisse hat der Senat hinsichtlich der Probleme der Träger, ausreichend qualifiziertes Personal für die ambulante Familienpflege zu finden? 9. An welchen Oberstufenzentren findet eine entsprechende Ausbildung und Qualifizierung für Fachpersonal statt? 10. Wie bewertet der Senat die aktuelle Situation der ambulanten Familienpflege in Berlin? 11. Inwiefern hält der Senat das aktuelle Angebot zur Deckung des tatsächlichen Bedarfs für ausreichend? Zu 4., 7. bis 11.: Die Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen nach § 20 SGB VIII ist nicht Bestandteil des Berliner Rahmenvertrages für Hilfen in Einrichtungen und durch Dienste der Kinder- und Jugendhilfe (BRVJug). Dies hat zur Folge, dass keine Trägerverträge mit den Leistungserbringern geschlossen werden und dem Senat keine Erkenntnisse vorliegen , welche Träger und Sozialstationen in den einzelnen Bezirken ambulante Familienpflege durchführen. Die jeweils zuständigen Jugendämter treffen in eigener Verantwortung Vereinbarungen mit den leistungserbringenden Trägern. Der tatsächliche Bedarf wird durch die auf dem Markt befindlichen Dienstleister gedeckt. Derzeit wird an keinem Oberstufenzentrum der Ausbildungslehrgang Familienpflege durchgeführt. Der Bildungsgang Staatlich anerkannte Familienpflegerin/Staatlich anerkannter Familienpfleger wird an der Beruflichen Schule für Sozialwesen Pankow angeboten , aber aufgrund der fehlenden Nachfrage kommt kein Kurs zustande. Mit der aktuell anvisierten Entgelterhöhung soll daher die Attraktivität des Berufsfelds Familienpflege gesteigert und einem Fachkräftemangel entgegen gewirkt werden. Ziel ist, dass in Kooperation mit der LIGA der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Berlin neben der Alten- und Krankenpflege gezielt Kräfte für die Familienpflege durch einen neuen Ausbildungsgang gewonnen werden können. - - 5 12. Wie haben sich die Etats in den letzten fünf Jahren entwickelt, und wo sind sie etatisiert (sortiert nach Jahr und Bezirk)? Zu 12: Nachfolgend ist die Ausgabenentwicklung der letzten fünf Jahre nach Bezirken aufgelistet: Bezirk 2014 2015 2016 2017 2018 Mitte 80.495 € 139.711 € 140.115 € 144.689 € 151.182 € Friedrichshain- Kreuzberg 54.361 € 69.457 € 144.655 € 130.412 € 68.947 € Pankow 253.784 € 206.692 € 335.198 € 209.766 € 164.711 € Charlottenburg- Wilmersdorf 110.632 € 141.874 € 102.050 € 117.633 € 222.481 € Spandau 127.606 € 173.277 € 202.411 € 139.634 € 162.801 € Steglitz-Zehlendorf 361.709 € 303.328 € 132.287 € 179.382 € 130.535 € Tempelhof-Schöneberg 176.450 € 233.842 € 267.910 € 171.423 € 177.101 € Neukölln 89.998 € 113.163 € 84.600 € 100.986 € 88.267 € Treptow-Köpenick 35.091 € 26.298 € 36.930 € 34.993 € 60.998 € Marzahn-Hellersdorf 109.253 € 74.778 € 48.857 € 42.909 € 84.751 € Lichtenberg 5.091 € 21.355 € 19.661 € 62.746 € 10.230 € Reinickendorf 147.017 € 222.798 € 179.712 € 115.099 € 198.511 € Berlin gesamt 1.551.487 € 1.726.572 € 1.694.386 € 1.449.671 € 1.520.515 € (Quelle: Berichtswesen SenFin; kamerales Ist der Haushaltsstelle Kapitel 4040 Titel 67143) Es ist des Weiteren zu beachten, dass es auch Familienpflegeeinsätze durch fachfremde Personen wie z.B. Verwandte und Nachbarn geben kann, die ein Honorar gemäß Nr. 5 e) des Jugendrundschreibens Nr. 3 / 2011 aufgrund der jeweils gültigen Honorarvorschriften der Kinder- und Jugendhilfe erhalten. 13. Wie setzt sich das aktuelle Entgelt für die Familienpflege zusammen und welche Leistungen umfasst das Entgelt? 15. Wie erklärt der Senat die aktuelle Diskrepanz zwischen der Zahlungshöhe für ambulante pädagogische Hilfen nach §31 SGB VIII (59,58€ pro Facharbeitsleistungsstunde) und der Zahlungshöhe für Familienpflege nach §20 SGB VIII (20,81€ pro Einsatzstunde in der Familie = Arbeit vor Ort)? Zu 13. und 15.: Der Stundensatz für die Familienpflege nach § 20 SGB VIII basiert auf den Beträgen der Krankenkassen für diese familienunterstützenden Hilfen. Er umfasst Bruttopersonalkosten einschließlich Lohnnebenkosten für die eingesetzte Familienpflege-Fachkraft, Vorhalteund Regiekosten sowie zusätzliche Kosten für Fortbildung, begleitende Qualitätssicherung /Dienstbesprechungen, Wegezeiten und Fahrgelder. Für die Berechnung des Fachleistungsstundensatzes (FLS) nach § 31 SGB VIII wurden gemäß Rahmenleistungsbeschreibung (Anlage D1 zum Berliner Rahmenvertrag für Hilfen in Einrichtungen und durch Dienste der Kinder- und Jugendhilfe) die Vergütungen für Sozialarbeiter /-innen in Vergütungsgruppe 9 des TV-L Berlin herangezogen; dazu kommen Anteile für Leitung und Koordination und für die Leistungserbringung erforderliche Sachmittel . - - 6 14. Wie entwickelte sich das Entgelt in den letzten 25 Jahren und wie bewertet der Senat diese Entwicklung? 16. Plant der Senat eine Erhöhung des Entgeltes, und zu wann soll dieses verbindlich gelten? 17. Wie hoch soll das Entgelt zukünftig ausfallen und welche Leistungen umfasst dies? 18. Hält der Senat die geplante Erhöhung für ausreichend, und wie begründet sich die Zusammensetzung des Entgeltes? 19. Inwiefern werden tarifliche Steigerungen des TVL zukünftig berücksichtigt? Zu 14., 16. bis 19.: Der Entgeltsatz je Einsatzstunde für eine/n staatlich anerkannte/n Familienpfleger/in betrug ab dem 01.01.1995 für die westlichen Bezirke 39,89 Deutsche Mark (DM) und für die östlichen Bezirke 35,51 DM sowie an Wochenenden (Samstag und Sonntag), Feiertagen und zu Nachtstunden (20:00 bis 06:00 Uhr) 51,86 DM bzw. 46,16 DM. Ab dem 01.01.1998 betrug der Entgeltsatz berlineinheitlich 20,40 € bzw. 26,52 € zu Wochenenden / Feiertagen / Nachtzeiten. Seit dem 01.01.2012 beträgt der aktuelle Entgeltsatz 20,81 € bzw. 27,05 € für Nachtzeiten bzw. Wochenenden und Feiertage. Aktuell finden Abstimmungen zur Anpassung des Entgeltsatzes unter Berücksichtigung der durch die Krankenkassen durchgeführten Entgelterhöhung beim § 38 SGB V statt. Die Erhöhung des Entgeltes für den § 20 SGB VIII soll rückwirkend zum 01.01.2019 in Kraft treten. Eine Änderung des Leistungskatalogs ist nicht vorgesehen. Berlin, den 29. März 2019 In Vertretung Sigrid Klebba Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie