Drucksache 18 / 18 236 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Florian Swyter (FDP) vom 13. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. März 2019) zum Thema: Genehmigung von Ride Sharing Angeboten in Berlin und Antwort vom 27. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 03. April 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Herrn Abgeordneten Florian Swyter (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18236 vom 13. März 2019 über Genehmigung von Ride Sharing Angeboten in Berlin Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Verwaltung: Der Begriff „Ridesharing“ bezeichnet nach der Definition des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) sowie nach § 2 Abs. 3 Berliner Mobilitätsgesetz (MobG) die nicht-gewerbsmäßige Mitnahme von Personen auf freien Plätzen auf ohnehin stattfindenden Fahrten gegen Kostendeckungsbeitrag. Diese Angebote sind mit der Anfrage wohl nicht gemeint. Für die mit der Anfrage vermutlich gemeinten Verkehre verwendet das Land Berlin im Nahverkehrsplan 2019-2023 (NVP) dagegen den Begriff des „Ridepooling“. Dieser bezeichnet die über Apps vermittelte Bündelung separater Fahrtwünsche als gewerbsmäßige Bedarfssammelverkehre, wobei auch kommunale Verkehrsunternehmen bedarfsgesteuerte „Ridepooling“-Dienste anbieten können. Frage 1: Wie definiert das LABO das öffentliche Verkehrsinteresse im Zusammenhang mit Genehmigungen gemäß § 2 (7) PBefG? Aus welchen einzelnen Kategorien setzt sich das öffentliche Verkehrsinteresse nach Auffassung des LABO zusammen? Antwort zu 1: Öffentliche Verkehrsinteressen im Sinne des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) werden zum einen über die Vereinbarkeit des Erprobungsverkehrs mit den Angeboten im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und mit dem Erhalt der Funktionsfähigkeit des örtlichen Taxigewerbes definiert. Zum anderen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Auslegung der öffentlichen Verkehrsinteressen sonstige, im PBefG nicht konkretisierte öffentlichen Verkehrsinteressen zu berücksichtigen und nach ihrem Gewicht zu bestimmen. Das Land Berlin hat durch das Berliner Mobilitätsgesetz (MobG) den Rahmen für die Bestimmung sonstiger öffentlicher Verkehrsinteressen abgesteckt. Zentrale Maßgabe des Berliner Mobilitätsgesetzes ist, dass der Anteil der Verkehrsmittel des Umweltverbundes gesteigert werden soll (vgl. § 5 Abs. 1 MobG); dem 2 Umweltverbund zugerechnet werden der Fußverkehr, der Radverkehr und der ÖPNV (§ 2 Abs. 13 MobG) sowie die Minimierung des Verkehrsaufwands (§ 4 Abs. 3 MobG). Mit Blick auf die öffentlichen Verkehrsinteressen ist somit z. B. von Relevanz, ob neue Angebote per Saldo die Leistungsfähigkeit des Verkehrssystems (Verhältnis von Verkehrsleistung zu Verkehrsaufwand) verbessern oder verschlechtern. Ein erster Gradmesser dafür ist das Verhältnis der durch die Dienste erbrachten Personenkilometer im Verhältnis zu den mit ihnen verbundenen Betriebskilometern. Bei der Beurteilung der Auswirkungen dieser Dienste auf die Leistungsfähigkeit ist aber auch zu berücksichtigen, welche Verkehre substituiert werden. Die Leistungsfähigkeit des Verkehrssystems in seiner Gesamtheit wird z.B. dann gesteigert, wenn 100 Fahrten mit dem privaten Pkw durch 80 teilweise gepoolte Fahrten mit Ridepooling-Diensten ersetzt werden. Anders verhält es sich, wenn 100 Fahrten mit dem ÖPNV durch 80 teilweise gepoolte Fahrten ersetzt werden. Frage 2: Welche Aspekte der Mobilitätsangebote werden im Genehmigungsprozess berücksichtigt? Welche Rolle spielen dabei unter anderem die Größe der Fahrzeugflotte, das Geschäftsgebiet, die Antriebsart der Fahrzeuge, die Betriebszeiten und die Preisstruktur? Antwort zu 2: Die Regelung des § 2 Abs. 7 PBefG ermöglicht die Genehmigung der praktischen Erprobung bisher nicht im Gesetz geregelter Verkehrsarten oder Verkehrsmittel. Welche Aspekte der Mobilitätsangebote bei der Genehmigung zu berücksichtigen sind, hängt daher zunächst von den Besonderheiten der zur Erprobung beantragten neuen Verkehrsart im Einzelfall ab. Soweit gemäß § 2 Abs. 7 PBefG zusätzlich zu prüfen ist, dass das öffentliche Verkehrsinteresse nicht entgegensteht, ist mit der Antwort auf Frage 1 bereits beschrieben, wie dieser Begriff zu verstehen ist. Sowohl für das zu erprobende Konzept als auch mit Bezug auf die öffentlichen Verkehrsinteressen können alle in Satz 2 der Frage genannten Aspekte bei der Frage der Genehmigungsfähigkeit eine Rolle spielen. Frage 3: Inwiefern werden durch das LABO Umweltaspekte im Rahmen des Genehmigungsverfahrens berücksichtigt? Welche Rolle spielen beispielsweise ein Elektroantrieb der Fahrzeuge? Antwort zu 3: Es wäre gemäß § 8 und § 9 MobG nicht im öffentlichen Verkehrsinteresse, wenn die neuen Dienste die verkehrsbedingten Beeinträchtigungen von Klima, Umwelt und Gesundheit erhöhen würden. Bei der Bewertung dieser Aspekte spielen insbesondere das Antriebskonzept und die Antriebsenergie eine Rolle. In Berlin befinden sich zwei Konzepte mit einer App-basierten Fahrgastbündelung in der Erprobung. Bei einem Konzept wird eine Tür-zu-Tür-Beförderung nur mit Elektrofahrzeugen durchgeführt („CleverShuttle“). Das andere Konzept nimmt Fahrgäste an virtuellen, jedoch fest definierten Haltestellen auf („BerlKönig“). Von Beginn an waren 3 hier mindestens 40 vollelektrische Fahrzeuge, die mit Ökostrom betrieben werden, einzusetzen. Seit entsprechende Fahrzeuge des antragsgegenständlichen Fahrzeugtyps (Mercedes Vito) – und sei es als Prototypen - verfügbar sind, ist die Flotte jedoch sukzessive komplett auf den Einsatz vollelektrischer Fahrzeuge umzustellen. Frage 4: Warum werden die Genehmigungen nicht wie in anderen Kommunen über die Meistentsprechungsklausel gemäß §2 (6) PBefG, sondern restriktiv über die Experimentierklausel gemäß §2(7) PBefG erteilt? Antwort zu 4: Auf Basis welchen Tatbestandes eine Genehmigung erteilt wird, hängt zunächst davon ab, welche Genehmigungsart beantragt wird. Dabei spielt insbesondere eine Rolle, welche Freiheitsgrade das erprobende Unternehmen nutzen möchte und in wieweit daher auch die Rechtsfolgen der jeweiligen Verkehrsform (Linienverkehr/Gelegenheitsverkehr) mit dem jeweiligen Geschäftsmodell ggf. unvereinbar sind (z.B. Genehmigungsbedürftigkeit von Tarifen im Linienverkehr, Anforderungen als ÖPNV z. B. in Bezug auf Barrierefreiheit und Netzeinbindung). Da dem Land Berlin nicht bekannt ist, auf Basis welcher Antragsunterlagen sowie welcher rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen die Genehmigungsbehörden anderer Bundesländer entschieden haben, ist auf die Frage nach „der“ richtigen Genehmigungsform keine pauschale Antwort möglich. Frage 5: Warum lässt das LABO im Rahmen der Testphase nicht weitere Ride-Sharing-Modelle miteinander in Wettbewerb treten? Frage 8: Warum beschränkt der Senat die Anzahl von Ride-Sharing-Angeboten? Welche Rolle sollten nach Ansicht des Senats Ride-Sharing-Angebote für die Mobilität in Randgebieten und zu Randzeiten spielen? Antwort zu 5 und 8: Der Umfang der Zulassung von Ride-Sharing Angeboten unterschiedlicher Betreiber ergibt sich aus dem in § 2 Abs. 7 PBefG definierten Genehmigungszweck der Erprobung neuer Verkehrsformen und dem Genehmigungserfordernis der Vereinbarkeit mit öffentlichen Verkehrsinteressen. Es handelt sich um einen Ausnahmetatbestand. Die Bewilligung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Genehmigungsbehörde. Zu prüfen ist daher zunächst, ob der gesetzlich vorausgesetzte Erprobungsbedarf besteht. Dieser ist dann gegeben, wenn der jeweilige Erprobungsverkehr ein verkehrlich relevantes, innovatives Alleinstellungsmerkmal aufweist, das bisher in dem jeweiligen verkehrlichen Kontext noch nicht Gegenstand der Erprobung war bzw. ist. Derzeit werden in Berlin zwei unterschiedliche Ridepooling-Konzepte (Tür-zu-Tür/Virtuelle Haltestellen) erprobt. Beide Projekte haben u.a. zum Ziel, zur Vermeidung des motorisierten Individualverkehrs beizutragen. Erprobungsanträge, die im Vergleich dazu neue Formen und Konzepte für Beförderungsleistungen zum Inhalt haben, können gem. § 2 Abs. 7 PBefG nach pflichtgemäßem Ermessen zugelassen werden, wenn sie mit öffentlichen Verkehrsinteressen vereinbar sind (siehe Antwort zu Frage 1). Diese Norm zielt hingegen nicht darauf ab, mehreren Betreibern mit im Wesentlichen 4 deckungsgleichen (und insofern dann auch nicht mehr „neuen“) Geschäftsmodellen einen Rahmen zu bieten um ihre Angebote in einem für sie neuen Markt zu erproben. Dies gilt umso mehr für neue Verkehrsarten mit Pooling-Komponente, da hier eine Zersplitterung des Angebots die Erfolgschancen des Poolings insgesamt senkt. Ein wesentlicher Aspekt der Zulassung solcher Angebote, die Erprobung der Wirksamkeit des Poolings zur Vermeidung von Verkehrsaufwand, würde dadurch konterkariert. Frage 6: Auf welcher Datenbasis beruht die Auffassung des LABO, dass Genehmigungen von Ride-Sharing Angeboten zu einer Zunahme des KFZ-Verkehrs führen wird? Antwort zu 6: Eine generelle Aussage des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO), dass die Genehmigung von Ride-Pooling Konzepten unabhängig von der konkreten Ausgestaltung zu einer Zunahme des KFZ-Verkehrs führt, ist dem Senat nicht bekannt. Im Nahverkehrsplan 2019-2023 hat der Senat nach Auswertung diverser Studien auf das Risiko hingewiesen, dass die Einführung ähnlicher Angebote auch in Deutschland in Großstädten zu einer Erhöhung des Verkehrsaufkommens, mehr Stau und einem Rückgang der Nutzung des Nahverkehrs führen könnte. Diese Effekte sind gem. den Vorgaben des Mobilitätsgesetzes zu vermeiden. Da aber die o.g. Studienergebnisse im Ausland aufgrund teilweise anderer Rahmenbedingungen ermittelt wurden, lassen sie sich nicht 1:1 auf die Situation in Deutschland und in Berlin übertragen. Daher ist es sachgerecht, erst einmal im deutschen Markt in einem von der Genehmigungsbehörde definierten Rahmen zu testen, welche positiven oder negativen Effekte unter hiesigen Rahmenbedingungen eintreten und die entsprechenden Daten durch ein Monitoring zu erfassen. Ridepooling-Konzepte, deren Grundkonzeption das Pooling ausschließt und die lediglich darauf abstellen, eine Einzelfahrt im privaten PKW durch eine Einzelfahrt mit einem Ridepooling-Anbieter zu ersetzen, dürften allerdings von vornherein kaum geeignet sein, den KFZ-Verkehr zu senken. Frage 7: Wie steht der Senat zu der These, dass Ride Sharing-Dienste vor allem zu Randzeiten genutzt werden und eine Ergänzung zum ÖPNV darstellen? Antwort zu 7: Wie in der Antwort zu 6 ausgeführt, sind dem Senat diverse Thesen und Studien bekannt. Vor dem Hintergrund, dass Berlin – auch im Vergleich zu anderen Großstädten im In- und Ausland – über ein weitreichendes Nahverkehrsangebot auch nachts und am Wochenende verfügt, soll die Frage, inwieweit Ridepooling-Angebote Nahverkehrsangebote ergänzen oder ersetzen durch das beauflagte Monitoring im Rahmen der bereits genehmigten Erprobungen ermittelt werden. Der Senat beabsichtigt im Übrigen selber App-gestützte Rufbusse in mit dem ÖPNV schlecht erschlossenen Gebieten zu erproben, vgl. NVP 2019-2023 Kapitel VI.2.4.2. 5 Frage 9: Wie stellt der Senat sicher, dass ein fairer Marktzugang gewährleistet ist, wenn einzelnen privaten Anbietern kein Zugang gewährt wird? Antwort zu 9: Ob es künftig ggf. einen Markt für bestimmte neue Verkehrsformen geben soll, die sich im Rahmen von Erprobungen bewährt haben, ist durch die vom Bund angestrebte Änderung des PBefG letztlich auf Basis der laufenden deutschlandweiten Pilotversuche erst zu klären. Mit der Zulassung von Erprobungsverkehren wird somit gerade keine dauerhafte Entscheidung für eine Marktöffnung vorweggenommen, sondern es wird eine Datengrundlage für eine faktenbasierte Entscheidung über eine eventuelle künftige Zulassung derartiger Angebote und deren Regulierungsbedarf einschließlich der Marktzugangskriterien geschaffen. Berlin, den 27.03.2019 In Vertretung Ingmar Streese Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz