Drucksache 18 / 18 275 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) vom 19. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 20. März 2019) zum Thema: Obdachlos und ohne WBS und Antwort vom 04. April 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 08. April 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Herrn Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18275 vom 19.03.2019 über Obdachlos und ohne WBS Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Kriterien gelten in Berlin für die Erteilung eines Wohnberechtigungsscheines mit besonderem Bedarf (WBS)? Antwort zu 1. Über den besonderen Wohnbedarf wird im Zusammenhang mit der Bearbeitung des Antrages auf Ausstellung eines Wohnberechtigungsscheines gem. § 27 WoFG entschieden. Im Wohnberechtigungsschein mit besonderem Wohnbedarf wird dem Wohnungssuchenden (zusätzlich) eine sog. Berechtigungsgruppe zugeordnet, die die Grundlage für den Bezug einer frei- oder bezugsfertig werdenden Besetzungsrechtswohnung nach § 4 Absatz 4 WoBindG bildet. Die Besetzungsrechtswohnungen stellen förderbedingt ein besonderes Segment des Mietwohnungsbestandes des sozialen Wohnungsbaus dar. Die Berechtigungsgruppen wurden erstmalig 1985 im Rahmen der Ausführungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz (AV –WoBindG) festgelegt und letztmalig 2012 mit verwaltungsinternen Verwaltungsvorschriften fortgeschrieben. Danach ist für die Anerkennung eines besonderen Wohnbedarfs zunächst Voraussetzung, dass der/die Wohnungssuchende als Bewohner/in dieser Stadt bereits mindestens ein Jahr mit Hauptwohnsitz in Berlin gemeldet sein muss. 2 Der besondere Wohnbedarf kann grundsätzlich nicht zuerkannt werden, sofern der/die Wohnungssuchende seine Notlage durch persönliches Fehlverhalten oder in der Absicht herbeigeführt hat, einen besonderen Wohnbedarf anerkannt und die Zuordnung zu einer Berechtigungsgruppe zu bekommen. Für die Anerkennung eines besonderen Wohnbedarfs und die Zuordnung zu einer Berechtigungsgruppe, die bei der Erteilung eines Wohnberechtigungsscheines mitbeschieden wird, sind aktuell folgende Merkmale maßgebend: 1. Alleinerziehende, Familien und Lebensgemeinschaften mit Kind/ Kindern - in räumlich unzureichenden Wohnverhältnissen oder - ohne eigene Wohnung oder - bei erheblichen Mietsteigerungen der bisherigen Wohnung. Als Kind gilt auch, wenn durch Vorlage des Mutterpasses oder einer gleichwertigen ärztlichen Bescheinigung eine Schwangerschaft von der 14. Woche ab nachgewiesen ist. Unzureichende Wohnverhältnisse liegen - unbeschadet weitergehender Regelungen in Gesetzen und Verordnungen - vor, wenn in der Regel nicht mindestens zur Verfügung stehen: für 2 Personen 1 Wohnraum für 3 Personen 2 Wohnräume für 4 und 5 Personen 3 Wohnräume für 6 und mehr Personen 4 Wohnräume 2. Ältere Personen (die das 65. Lebensjahr überschritten haben) - bei Aufgabe einer unterbelegten Mietwohnung (Wohnraumzahl > Perso- nenzahl) oder - ohne eigene Wohnung oder - bei erheblichen Mietsteigerungen der bisherigen Wohnung. Der Personenkreis ältere Personen umfasst Alleinstehende, Eheleute und Lebensgemeinschaften. Eine Zuordnung zur Berechtigungsgruppe kann nicht erfolgen, sofern unterbelegte Eigentumswohnungen oder Häuser aufgegeben werden. 3. Personen mit behördlich anerkannter und nachgewiesener Schwerbehinderung (50 v. H. und mehr), wenn die derzeitigen Wohnverhältnisse wegen der anerkannten Leiden für sie objektiv ungeeignet sind und sie deshalb - einer anderen Wohnung bedürfen oder - einer eigenen Wohnung bedürfen. Bestehen bei der Zuordnung zur Berechtigungsgruppe Zweifel am Wohnungsbedarf, so hat die für die Zuordnung zuständige Stelle eine gutachterliche Stellungnahme bei der behördlich zuständigen Stelle für die Anerkennung der Behinderung einzuholen. 3 4. Alleinstehende psychisch Kranke ohne eigene Wohnung, die aufgrund ihres Krankheitsbildes nicht in der Lage sind, sich nach der Klinikentlassung mit eigenem Wohnraum zu versorgen. 5. Umzusetzende, die nach einer Bescheinigung der zuständigen Stelle während der Geltungsdauer ihres Wohnberechtigungsscheines zur Freimachung verpflichtet sind aufgrund - anerkannter Maßnahmen der Gewerbe- und Industrieansiedlung oder - öffentlicher Hoch- und Tiefbau- sowie Garten- und Landschaftsbaumaßnahmen oder - anerkannter Stadterneuerungs- oder Modernisierungsmaßnahmen. 6. Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung ohne eigene Wohnung. 7. Folgende Personen ohne eigene Wohnung - Anspruchsberechtigte nach dem Häftlingshilfegesetz, - aus Freiheitsentziehung Entlassene, - Flüchtlinge mit anerkanntem (mindestens noch für ein Jahr) Aufenthaltsrecht sowie - Personen, die in Einrichtungen der sozialen Wohnhilfe oder sonstigen Behelfsunterkünften oder vergleichbaren Unterkünften des Jugend-, Frauen- und Sozialwesens (z. B. Frauenhäuser, Zufluchtswohnungen für geschlagene Frauen oder Mädchenhaus) leben. 8. Räumungspflichtige Wohnungsinhaber - in der Regel nach Vorlage einer gerichtlichen Entscheidung oder - aufgrund eines bau- oder wohnungsaufsichtlichen Benutzungsverbotes - deren Mietverhältnis wegen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses endet, sofern dieses mindestens ein Jahr bestanden hat oder - mit Hauswart-Dienstvertrag, sofern dieser wegen Erreichens der Altersgrenze oder aus gesundheitlichen Gründen gekündigt worden ist oder - die als Hinterbliebene von Dienst- oder Werkwohnungsinhabern zur Aufgabe der Wohnung verpflichtet sind oder - getrennt lebende Ehepaare mit Kindern, sofern nach der Stellungnahme des Jugendamtes ein Verbleiben des Wohnungssuchenden mit den im Wohnberechtigungsschein zu berücksichtigenden Kindern in der ehelichen Wohnung unzumutbar ist oder es sich um eine Wohnung handelt, die aufgrund ihrer Zweckbestimmung dem anderen Ehegatten zusteht (Dienst-, Werkwohnung). 9. Empfänger von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II sowie Empfänger von Leistungen der Sozialhilfe nach dem SBG XII, sofern eine konkrete Aufforderung zum Umzug in eine „angemessene Wohnung“ durch die zuständige Stelle vorliegt. 4 Frage 2: Wie viele WBS wurden 2016, 2017 und 2018 erteilt? Antwort zu 2. Im Jahr 2016 wurden 35.117, 2017 wurden 46.144 und im Jahr 2018 wurden 43.256 WBS erteilt. Frage 3: Wie viele Anträge auf einen WBS mit besonderem Bedarf wurden abgelehnt? Was waren im Allgemeinen die Gründe? Antwort zu 3. Im Jahr 2016 wurden 915, 2017 wurden 1.672 und im Jahr 2018 wurden 1.507 WBSe mit besonderem Bedarf abgelehnt. Wobei im Allgemeinen folgende Gründe verantwortlich waren: 1. Mangelnde Mitwirkung 2. Fehlende Aufenthaltsgenehmigung 3. Zu hohes Einkommen Frage 4: Sind Informationen zutreffend, dass Personen ohne festen Wohnsitz, sprich Obdachlose, keinen besonderen Bedarf für einen WBS erhalten? Wenn ja, was sind die Gründe dafür? Antwort zu 4. Der Zugang zum Segment des WBS mit besonderen Wohnbedarfs unterliegt bislang, neben der generellen „Wartefrist“ von einem Jahr, personalisierenden Kriterien (Berechtigungsgruppen - siehe Frage 1), welche als Mengenfilter fungieren, damit nicht zu viele Personen mit besonderem Wohnbedarf gleichzeitig in Konkurrenz zu den für sie bestimmten Wohnungen stehen. Der Vorteil liegt (bisher) nämlich darin, dass das Verhältnis der Wohnungen zur Bewerberzahl besser ist als bei den übrigen Sozialwohnungen und deshalb die Chancen größer sind, zeitnah eine Wohnung anmieten zu können. Nach Berechtigungsgruppe 7 erhalten wohnungslose Personen, welche die aufgeführten Voraussetzungen erfüllen, einen WBS mit besonderem Wohnbedarf. Grundsätzlich erhalten einkommensschwache wohnungslose Menschen in Berlin einen einkommensabhängigen Wohnberechtigungsschein (WBS), der sie berechtigt, eine mit öffentlichen Mitteln geförderte Sozialwohnung bzw. eine belegungsgebundene Wohnung in Berlin zu beziehen. Gerade bei den städtischen Wohnungsunternehmen, welche die Verpflichtung haben 55% bzw. 60% der jährlich freiwerdenden Wohnungen in ihren Wohnungsbeständen an „WBS-berechtigte“ Haushalte zu überlassen, haben Wohnungslose eine Chance sich mit Wohnraum zu versorgen. 5 Auch die Möglichkeit der Unterbringung im Rahmen des Geschützten Marktsegments oder von Housing First über die Senatsverwaltung für Soziales, Integration und Arbeit ist ein Weg zur Versorgung mit Wohnraum. Für das Geschütze Marktsegment wurden in 2018 allein von den städtischen Wohnungsbauunternehmen 1123 Wohnungen für die Bedarfsgruppen des GMS, wie zum Beispiel Wohnungslose, die sich auf dem Wohnungsmarkt (bei drohender Wohnungslosigkeit) nicht ohne fremde Hilfe mit Wohnraum versorgen können, bereitgestellt. Frage 5: Hält der Senat es für einen wirksamen Beitrag zur Beseitigung der Obdachlosigkeit, wenn gerade Menschen ohne festen Wohnsitz keinen WBS mit besonderem Bedarf erhalten; z.B. weil kein lückenloser Nachweis über den Hauptwohnsitz für ein Jahr vorliegt? Frage 6: Welche Gruppe hat hier, aus Sicht des Senats, einen dringenderen Bedarf als Obdachlose? Frage 7: Teilt der Senat die Einschätzung, dass das Fehlen eines Hauptwohnsitzes ein zentrales Wesensmerkmal von Personen ohne festen Wohnsitz (Obdachlose) ist? Wenn ja, welche Konsequenzen sollte dies ggf. für das Antragsverfahren bei Obdachlosen haben? Antwort zu 5, 6 und 7. Generelle Voraussetzung für die Anerkennung besonderen Wohnbedarfs, welches sich auf die Ausführungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz (AV-WoBindG) stützt, ist es, dass der Wohnungssuchende als Bewohner dieser Stadt bereits mindestens ein Jahr mit Hauptwohnsitz in Berlin gemeldet sein muss. Die „Wartefrist“ kann bei Wohnungslosen mit dem Kriterium einer bestehenden Unterbringung in einer Einrichtung der sozialen Wohnhilfe, sonstigen Behelfsunterkünften oder vergleichbaren Unterkünften umgesetzt werden. Wie die Berechtigungsgruppen unter Antwort 1 zeigen, ist eine Priorisierung des Zugangs zu gebundenen Wohnraum sehr schwierig. Auswahlkriterien sind dennoch zur Steuerung des Zugangs erforderlich. Frage 8: Welche Schritte wird der Senat bis wann unternehmen, damit künftig gerade Personen ohne festen Wohnsitz schnell und unbürokratisch an einen WBS mit besonderem Bedarf kommen? Antwort zu 8. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen prüft, ob alle Wohnungslosen, die mindestens ein Jahr in Berlin gemeldet sind, einen besonderen Wohnbedarf bei Beantragung eines WBS gelten machen können. In Abhängigkeit vom Ergebnis, welches bis Ende Mai vorliegen wird, wird eine Änderung 6 der Definition der Berichtigungsgruppen zum besonderen Wohnbedarf erfolgen. Berlin, den 4.4.19 In Vertretung Sebastian Scheel ................................ Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen