Drucksache 18 / 18 373 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katina Schubert (LINKE) vom 27. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. März 2019) zum Thema: Fragebogen des Sozialamts Pankow und Antwort vom 10. April 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 12. April 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Frau Abgeordnete Katina Schubert (Die Linke) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18373 vom 27.03.2019 über Fragebogen des Sozialamts Pankow ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Trifft es zu, dass das Sozialamt Pankow einen mehrseitigen, umfangreichen Fragebogen (Überschrift: "Erklärung") mit rund drei Dutzend Fragen verwendet, um Ansprüche für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu klären? Falls ja, wie bewertet der Senat diesen Sachverhalt? Zu 1.: Das Sozialamt Pankow hat die Verwendung eines Fragebogens bestätigt, mit dem Ermittlungen darüber angestellt werden sollen, ob die Voraussetzungen für eine Leistungseinschränkung nach § 1a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) vorliegen. Der Senat sieht den Einsatz dieses Fragebogens oder ähnlicher Fragebögen kritisch. Die darin enthaltenen Fragen erscheinen nicht durchweg geeignet, die Voraussetzungen der Leistungseinschränkung nach § 1a AsylbLG zweifelsfrei zu klären. Sie können zumindest Anlass für Fehleinschätzungen geben. Gleichwohl sieht der Gesetzestext u. a. die Prüfung der Einreisemotivation vor, so dass Leistungsbehörden Informationen benötigen, um die Anwendbarkeit von § 1a AsylbLG prüfen zu können. 2. Trifft es zu, dass dieser Fragebogen auf Deutsch verfasst ist und auf Deutsch beantwortet werden muss, obwohl die Zielgruppe nicht-deutschsprachiger Herkunft ist? 5. Trifft es zu, dass die Antragsteller Folgendes unterzeichnen müssen: "Verständigungsschwierigkeiten gab es keine" und "Übersetzungsfehler oder durch die Übersetzung bedingte Missverständnisse zu Lasten" des Erklärenden gehen? 2 6. Hält der Senat diesen Umgang mit der Sprachproblematik für verantwortungsvoll? Zu 2., 5. und 6.: Der Fragebogen ist ebenso wie die Einheitsformulare zur Beantragung von Sozialhilfe bzw. Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einschließlich aller Anlagen in deutscher Sprache verfasst. Der besagte Fragebogen enthält als Auswahloptionen die Aussagen - „Ich/wir habe(n) selbst o. g. Person beauftragt, für mich/uns zu übersetzen. Ich vertraue darauf, dass der/die o.G. meine und die deutsche Sprache ausreichend beherrscht. Mir ist bekannt, dass Übersetzungsfehler oder durch die Übersetzung bedingte Missverständnisse zu meinen Lasten gehen.“ - „Ich/wir habe(n) die Angaben mit Hilfe des/der vom Sozialamt gestellten Sprachmittlers/Sprachmittlerin gemacht.“ - „Ich/wir haben die Angaben ohne Sprachmittler gemacht, weil ich/wir der deutschen Sprache ausreichend mächtig sind.“ Weiterhin heißt es in dem in Pankow verwandten Fragebogen „Ich hatte/wir hatte(n) Gelegenheit, alle wesentlichen Gründe, aus denen ich/wir in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, vorzutragen. Verständigungsschwierigkeiten gab es keine. ... Der vorstehende Text ist mir vorgelesen und übersetzt worden.“ Sowohl § 19 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) als auch der für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG anwendbare § 23 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) erlegen allen Antragstellenden auf, sich der deutschen Sprache zu bedienen. Der Senat ist sich bewusst, dass diese Vorschriften einen Personenkreis, der typischer Weise deutsch nicht als Muttersprache spricht, hart treffen können. Vielfach greifen Antragstellende auf eigene Bekannte oder Verwandte zurück, um bei Behördenterminen zu übersetzen. Im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), wo überwiegend Menschen betreut werden, die sich erst kurze Zeit im Inland aufhalten, werden regelmäßig Sprachmittlerinnen und Sprachmittler eingesetzt. 3. Inwiefern ist die Anmerkung „Bei fehlender Auskunfts- und Mitwirkungsbereitschaft ist die Behörde zu Leistungen nicht verpflichtet“ mit dem Tatbestand des § 1a AsylbLG bzw. mit §§ ff. SGB I vereinbar? Wenn ja, in welcher Weise? 4. Trifft es zu, dass die erste Frage lautet: "Welche Muttersprache sprechen Sie?" Wenn ja, wie bewertet der Senat dies? 7. Trifft es zu, dass auf diesem Fragebogen auch nach der Religionsangehörigkeit gefragt wird? 8. Ist die Frage nach der Religionszugehörigkeit rechtlich zulässig und können – bei Nichtbeantwortung – hierbei Rechtsfolgen für die leistungsberechtigte Person drohen? Wenn ja, welche? 9. Trifft es zu, dass dieser Fragebogen nach einer detaillierten Schilderung von Fluchtursachen, Fluchtroute und Kontakt zu sogenannten "Schleppern" fragt? Was ist die rechtssichere Definition des Begriffs „Schlepper“? 10. Wie steht der Senat zu dem Umstand, dass mit Unterzeichnung der Erklärung gleichzeitig eine Einwilligung zur Einsichtnahme der „Ausländerakte“ erfolgt? Zu 3., 4., 7. bis 10.: Im Fragebogen werden Angaben zur Muttersprache, Religionszugehörigkeit sowie Reisemotivation und -umständen abgefragt. Mit ihrer Hilfe 3 soll ermittelt werden, ob der Leistungsbezug das prägende Motiv der Einreise gewesen ist oder ob andere Motive überwogen haben mit der Folge, dass die Voraussetzungen für eine Leistungseinschränkung von § 1a Abs. 1 AsylbLG nicht vorliegen. Nach § 9 Abs. 3 Satz 1 AsylbLG sind die §§ 60 bis 67 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) über die Mitwirkung der Leistungsberechtigten entsprechend anwendbar. Nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I sind alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen. Kommt die leistungsberechtigte Person ihren Mitwirkungspflichten nicht nach, kann der Leistungsträger gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. In der Kommentarliteratur und Rechtsprechung besteht Uneinigkeit, ob die Mitwirkungspflichten sich lediglich auf den Bedarf sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der leistungsbegehrenden Person beziehen oder auf das gesamte AsylbLG Anwendung finden, beispielsweise sich auch auf den Fall der Täuschung der Identität beziehen. Angesichts der in § 1a AsylbLG genannten weiteren, vor allem sich aus dem Asylgesetz ergebenen Mitwirkungspflichten (vgl. § 1a Abs. 5 Nr. 1 bis 4 AsylbLG) dürfte einiges dafür sprechen, dass der Anwendungsbereich der §§ 60 ff. SGB I erheblich eingeschränkt ist. Selbst wenn die Verweisung in § 9 Abs. 3 Satz 1 AsylbLG auf alle Mitwirkungspflichten anzuwenden sein sollte und nicht nur auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, so wäre aus Sicht des Senats die Nichtbeantwortung der Frage nach der Religionszugehörigkeit allein nicht ausreichend, um eine Leistungsversagung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I oder eine Anspruchseinschränkung im Sinne von § 1a AsylbLG begründen zu können. Der Begriff „Schlepper“ steht umgangssprachlich für eine Person, die Menschen gegen Bezahlung unerlaubt von einem Land in ein anderes bringt. Der entsprechende Straftatbestand wird als „Einschleusen von Ausländern“ in den §§ 96 und 97 Aufenthaltsgesetz definiert. 11. Trifft es zu, dass kein Hinweis auf den Datenschutz erfolgt? Wenn ja, wie bewertet der Senat diesen Umstand? Zu 11.: Der Vordruck ist aufgrund der Beanstandung des Berliner Datenschutzbeauftragten im Jahre 2002 mit diesem abgestimmt und die Bezirke um entsprechende Korrektur gebeten worden. Im Übrigen obliegt die Prüfung in Bezug auf etwaige Korrekturen, die sich durch eine veränderte datenschutzrechtliche Lage ergeben könnten, dem diesen Fragebogen jeweils verwendenden Bezirk. 12. Ist dem Senat bekannt, ob Fragebögen dieser Art auch in anderen Bezirken verwendet werden? Wenn ja, in welchen? Zu 12.: Eine Umfrage unter den Sozialämtern hat folgendes ergeben. 4 Fragebogen zu § 1a werden verwandt Sozialamt ja nein ergänzende Hinweise Charlottenburg- Wilmersdorf x Friedrichshain- Kreuzberg x Der Personenkreis wird „formlos“ angeschrieben, um Gelegenheit zur Anhörung und mithin Darstellung der persönlichen Situation zu geben. Lichtenberg x Marzahn- Hellersdorf x Für das AsylbLG finden die gleichen Formulare Anwendung wie für das SGB XII. Mitte x Aushändigung bei Erstanträgen von Personen, die unerlaubt bzw. wiederholt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig bzw. im Besitz einer Duldung sind; wichtig zur Klärung der Einreisemotivation und des Umfangs des Leistungsanspruchs. Neukölln 2018 in zwei Fällen eingesetzt worden, danach als nicht brauchbar bzw. problematisch eingestuft und nicht weiter genutzt. Pankow x Reinickendorf x Spandau x Steglitz- Zehlendorf In der Regel Anforderung der Akte des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO), sehr selten Verwendung eines entsprechenden Fragebogens. Tempelhof- Schöneberg x Treptow- Köpenick x Ggf. werden Informationen schriftlich erfragt; keine pauschale Abfrage. Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) setzt den Vordruck nicht ein. 13. Wird sich der Senat dafür einsetzen, dass die Verwendung derartiger Fragebögen in Zukunft unterbleibt? Zu 13.: Der Senat hat im Jahre 2002 die schon in Frage 11 erwähnte Anpassung der bezirklichen Fragebögen an die Beanstandungen des Berliner Datenschutzbeauftragten empfohlen. Angesichts des Erfordernisses, bei der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 1a AsylbLG stark auf die individuelle Situation der Hilfe suchenden Person einzugehen, ist der Senat nicht davon überzeugt, dass ein Formular das geeignete Werkzeug für die Erhebung der erforderlichen Informationen ist. Er hat bereits in der Vergangenheit davon Abstand genommen, einen derartigen Fragebogen als Einheitsvordruck aufzulegen. Im Übrigen erkennt der Senat an, dass die Sozialämter, die Leistungen nach dem AsylbLG als Bezirksaufgabe in eigener Zuständigkeit erbringen und hierin nicht der Fachaufsicht durch den Senat unterliegen, sich die aus dortiger Sicht erforderlichen Formulare selbst erarbeiten. Eine Möglichkeit, die Verwendung bezirklicher Formulare zu unterbinden oder die ausschließliche Verwendung von Einheitsvordrucken durchzusetzen, ist nicht gegeben. 5 Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales wird das Thema in der Runde der Integrationsbeauftragten der Bezirke sowie in der Runde der Sozialstadträtinnen und Sozialstadträte der Bezirke ansprechen. Berlin, den 10. April 2019 In Vertretung Daniel T i e t z e _____________________________ Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales