Drucksache 18 / 18 416 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Thomas Seerig (FDP) vom 31. März 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. April 2019) zum Thema: Kann die Kältehilfe mehr als das Überleben sichern? und Antwort vom 16. April 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Apr. 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Herrn Abgeordneten Thomas Seering (FDP) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18416 vom 31.03.2019 über Kann die Kältehilfe mehr als das Überleben sichern? ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Änderungen bei der Struktur der Obdachlosigkeit hat der Senat in den letzten fünf Jahren festgestellt; z.B. mehr Frauen und Familien, Working Poor, EU-Ausländer? 2. Welche Konsequenzen hat der Senat aus diesen Änderungen für seine Konzepte in der Obdachlosenarbeit bereits gezogen? Zu 1. und 2.: Berlin ist - wie alle anderen europäischen Großstädte auch - mit mehreren Entwicklungen konfrontiert, die bei der sozialen Versorgung wohnungsloser Menschen neue Fragestellungen aufwerfen. Berlin erfährt aus den verschiedensten Gründen sowohl aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands als auch aus dem Ausland einen erheblichen Zuzug, der insgesamt zu einer größeren Nachfrage nach Wohnraum in Berlin führt. Im Besonderen ist festzustellen, dass insbesondere bei Wohnraum für Einpersonenhaushalte und große Mehrpersonenhaushalte sowie für Menschen mit geringem Einkommen eine Verknappung des Angebotes besteht, die zusätzlich zu einer geringeren Fluktuation von Mieterinnen und Mietern führt. Damit wird es für zunehmend mehr Menschen schwierig, passenden Wohnraum zu finden. Vor dem Hintergrund der Europäischen Verträge, die ausschließlich auf einen grenzfreien Waren- und Dienstleistungsverkehr bzw. Arbeitnehmerfreiheit abstellen, ist festzustellen, dass die Vertragspartner darauf verzichtet haben, einheitliche soziale Mindeststandards zu formulieren. EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, die keine Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer sind und ihren Lebensunterhalt nicht aus 2 eigenem Einkommen bestreiten können, haben in der Bundesrepublik Deutschland oft keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Mit einem zunehmenden Anstieg der Migration sehen sich alle Großstädte mit komplexen Problemlagen zur Wohnungslosigkeit konfrontiert. Ergänzend stellt der aktuelle Bedarf an Wohnraum zur Versorgung von Geflüchteten eine zusätzliche Herausforderung dar. Der Berliner Senat verfolgt bei der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit u. a. folgende Ziele: Bereitstellung von Wohnraum auf für untere Einkommensgruppen und wohnungslose Menschen. Qualitätsgesicherte und bedarfsgerechte Unterbringung im Rahmen des Projektes zur gesamtstädtischen Steuerung der Unterbringung (GStU) von wohnungslosen oder von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen. Dabei wird auch auf die speziellen Anforderungen von Zielgruppen mit spezifischen Bedarfen eingegangen. Stärkung der niedrigschwelligen Angebote im Integrierten Sozialprogramm/ISP, Der Senat hat insbesondere im ISP einen Mittelaufwuchs von rd. 3,0 Mio. EUR (Stand: 2015) auf rd. 9,8 Mio. EUR (incl. Modellprojekte) realisiert. Damit konnte die Angebotsbereiche Notübernachtung und „Straßensozialarbeit“ besonders gefördert werden. Konsolidierung der Notschlafplätze in der „Kältehilfe“ in Kooperation mit den Bezirken. Im Rahmen der Strategiekonferenz Wohnungslosenhilfe und Wohnungslosenpolitik werden die Änderungen im Bereich der Struktur von Wohnungslosigkeit in einem partizipativen Prozess erörtert und finden Eingang in die Neufassung der „Leitlinien zur Wohnungslosenpolitik“. 3. Hält der Senat angesichts des geänderten Klientels das Konzept der Kältehilfe als reinem Schutz vor dem Kältetod ohne sozialarbeiterische Begleitung noch für zeitgemäß? 4. Wenn nein, welche Schritte zur besseren Integration der Angebote der Kältehilfe in das Regelsystem der Obdachlosenarbeit wird er vornehmen? 5. Teilt der Senat die Einschätzung von Beteiligten der Obdachlosenarbeit, dass es sinnvoll wäre, wenn ein Kontakt zu Obdachlosen hergestellt werden konnte, dies für weiterführende Angebote durch qualifiziertes Personal zu nutzen anstatt sich auf den reinen Schutz vor Kälte zu beschränken? 6. Wenn nein, warum nicht? 7. Wenn ja, welche Konsequenzen wird der Senat dann ziehen und bis wann? Zu 3. bis 7.: Bei der „Kältehilfe“ handelt sich um ein Sonderprogramm zur Bereitstellung von Notschlafplätzen in den Wintermonaten von Oktober bis April für Menschen, die Angebote der Regelversorgung nicht oder noch nicht in Anspruch nehmen. Auf Wunsch können sich wohnungslose Menschen ordnungsbehördlich unterbringen lassen. Die Bezirke haben die Aufgabe, die Angebote konzeptionell und finanziell sicherzustellen. Dabei engagieren sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten und organisieren jährlich mit freien Trägern und Kirchengemeinden das Angebot an Notschlafplätzen. Durch die zunehmende Anzahl an Menschen aus der Europäischen Union oder Drittstaaten, die die Kältehilfeplätze in Berlin in Anspruch nehmen, wird es 3 auch für die Bezirke immer schwieriger, ausreichende Kapazitäten zur Verfügung zu stellen. Der Berliner Senat unterstützt die Bezirke bei der Wahrnehmung ihrer Aufgabe. Gemäß der politischen Festlegung des Berliner Senats wurde in diesem Winter der Ausbau der Kapazitäten der Kältehilfe auf über 1.000 Notschlafplätze umgesetzt. Außerdem wurde die Kältehilfesaison um die Monate April und Oktober erweitert. In diesen Randmonaten sollen jeweils bis zu 500 Notschlafplätze vorgehalten werden. Hinsichtlich der konzeptionellen Ausrichtung ist der Nothilfecharakter der „Kältehilfe“ allgemeiner Konsens zwischen den Bezirken und dem Berliner Senat. Aufgrund des absolut niedrigschwelligen Charakters der „Kältehilfe wird auf eine Datenerhebung verzichtet. Aus diesem Grund liegen sozio-demografische Daten der Besucherinnen und Besuchern zu Alter, Geschlecht und Nationalität u.a.m. nicht vor. Die Angebote der Kältehilfeplätze in der Saison 2018/2019 verteilen sich über elf Bezirke mit einem Schwerpunkt auf die Innenstadtbezirke, da hier die stärkste Frequentierung zu verzeichnen ist. Die aktuelle Auslastung der angebotenen Plätze beträgt rd. 85 %. Damit stehen zurzeit bzw. standen im gesamten Winter ausreichend Kapazitäten zur Verfügung. Im Rahmen der Strategiekonferenz Wohnungslosenhilfe und Wohnungslosenpolitik sowie in den andauernden Diskussionen zu den Leitlinien sind auch Ansätze zur Weiterentwicklung der „Kältehilfe“ erörtert worden. Es sind noch keine abschließenden Festlegungen dazu getroffen worden. Berlin, den 16. April 2019 In Vertretung Alexander F i s c h e r _____________________________ Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales