Drucksache 18 / 18 577 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Andreas Otto und Dr. Turgut Altug (GRÜNE) vom 05. April 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. April 2019) zum Thema: Vogelschutz und Vogelschlag an Glas in Berlin und Antwort vom 30. April 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 02. Mai 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Herrn Abgeordneten Andreas Otto (Bündnis 90/Die Grünen) und Herrn Abgeordneten Dr. Turgut Altug (Bündnis 90/Die Grünen) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. S18/18577 vom 05.04.2019 über Vogelschutz und Vogelschlag an Glas in Berlin Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Verwaltung: Die Schriftliche Anfrage beinhaltet Sachverhalte, die der Senat nicht aus eigener Zuständigkeit und Kenntnis beantworten kann. Daher hat er die BIM (Berliner Immobilienmanagement GmbH) um Stellungnahme gebeten, die dort in eigener Verantwortung erstellt wurde. Sie wird in der Antwort an den entsprechend gekennzeichneten Stellen wiedergegeben. Frage 1: Welche Erkenntnisse hat der Senat zu Vogelarten und Anzahl von Vögeln, die in Berlin an Gebäuden durch Vogelschlag an Glas zu Tode kommen? Lassen sich Schätzungen für Berlin ggf. von anderen Erhebungen ableiten? Antwort zu 1: Dem Senat ist keine Schlagopferkartei für das Land Berlin bekannt. Durch einzelne systematische Untersuchungen und gesammelte Zufallsdaten liegen dem Senat aus den letzten Jahren rund 100 Nachweise für gut 30 betroffene Vogelarten vor. Hierbei ist zu beachten, dass Vogelschlagnachweise in der Regel durch Anflugspuren (Gefiederabdruck oder Einzelfedern) an der Glasscheibe erfolgen, daher nur bei einem kleinen Teil eine Artbestimmung möglich ist. Trotz der geringen Zahl ist ein breites Artenspektrum vorhanden, mit in Berlin auch sehr seltenen Zugvögeln (Ringdrossel, Zwergschnäpper). Waldschnepfe, Eisvogel, Habicht und Sperber scheinen einer im Verhältnis zur Populationsgröße recht großen Mortalität zu unterliegen. Die Menge der im Land Berlin an Glas zu Tode kommender Vögel ist unbekannt. Für Deutschland liegt eine Hochrechnung der Staatlichen Vogelschutzwarten vor, nach der jährlich an Glas 100–115 Mio. Vögel verunglücken könnten. Dies wären rund 5–10 % aller in Deutschland vorkommenden Vogelindividuen. Eine Herunterrechnung für Berlin kann 2 über den Anteil der Bevölkerung erfolgen, da zwischen Bevölkerung, Bebauung und Glas ein Zusammenhang besteht. Danach leben im Land Berlin ca. 4,1 % der Einwohnerinnen und Einwohner Deutschlands (gerundet 3,6 Mio. von 82,2 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern, Stand Dezember 2017). Dies würde als grobe Hochrechnung für eine Zahl von gut 4 Mio. Schlagopfern jährlich im Land Berlin sprechen. Frage 2: Wie bewertet der Senat in diesem Zusammenhang, dass in Berlin zunehmend große Glasfassaden errichtet werden, die als wesentliche Quelle für den Vogelschlag an Glas im städtischen Kontext gelten? Antwort zu 2: Große Glasfassaden sind bisher oft unter gestalterischen Gesichtspunkten gebaut worden. Andere Gesichtspunkte, wie z.B. Stadtklima und Innenklima der Bauwerke, aber auch der Artenschutz, müssen bei den Gestaltungsentscheidungen einen größeren Raum einnehmen. Der Senat hat sich zur Umsetzung der Konvention zur Biologischen Vielfalt verpflichtet – verglaste Fassaden bieten jedoch in der Regel keine Lebensstätten für gebäudebrütende Vögel und Fledermäuse, und ohne Vermeidungsmaßnahmen eine wesentliche Quelle für den Vogelschlag dar. Daher sieht der Senat die Errichtung großer Glasfassaden als kritisch an, wenngleich deren Vermeidung architektonische Einschränkungen bewirkt. Frage 3: Wie vermeidet der Senat bei eigenen Bauvorhaben aus Gründen des Vogelschutzes große Glasfassaden oder stattet er Glasfassaden mit geeigneten Schutzmaßnahmen aus? Welche anerkannten Schutzmaßnahmen sind das jeweils? Antwort zu 3: Nach Auskunft der BIM ist in den Bestandsimmobilien des Landes Berlin der Anteil an großflächigen Glasfassaden eher als gering zu bewerten. Grundsätzlich werden im Zuge von Baumaßnahmen etwaige Fenster, Türen, sonstige Verglasungen mit Blick auf den Vogelschutz dahingehend geprüft und bewertet, als dass hier bestmöglich sichergestellt wird, dass Glasflächen bzw. Flächen die eine Spiegelung bzw. Reflexion hervorrufen, für die Vogelwelt erkennbar sind. Zu den gängigen Schutzmaßnahmen gehören hier das Aufbringen von Formen/Mustern in entsprechendem Kontrast und Größe im Verhältnis zur Glasfläche, dies z.B. in Form von Klebefolie direkt auf der Glasfläche. Frage 4: Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten in Berlin, die den Vogelschlag an Glas vermeiden oder minimieren können? Antwort zu 4: Im Land Berlin gilt die bundesweit gleiche Rechtslage, dass alle europäischen Vogelarten nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) einem Tötungsverbot unterliegen. Jede absichtliche Tötung ist deshalb verboten. Bei Handlungen, die nicht auf die Tötung abzielen, bei denen das Töten aber eine zwangsläufige Folge ist, wird dieses 3 Verbot nicht in jedem Einzelfall ausgelöst. Nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (Urteil vom 9.7.2008, BVerwG 9 A 14.07) wird der Tatbestand des Tötungsverbotes dann erfüllt, wenn sich das Kollisionsrisiko für die geschützten Arten signifikant erhöht. Dies kann bei Fassaden mit hohen Glasanteilen der Fall sein. In diesen Fällen muss die Gefahrenstelle durch Vermeidungsmaßnahmen entschärft werden. Über die konkrete Rechtslage hinaus sollte dies schon aus Gründen der Erhaltung der biologischen Vielfalt erfolgen. Frage 5: Welche Grundsätze beachten die Baudienststellen des Landes Berlin bei eigenen Vorhaben, um Vogelschlag an Glas zu vermeiden oder zu minimieren? Antwort zu 5: Nach Auskunft der BIM sind im Rahmen von Bauvorhaben Architekten und Ingenieure als Planer tätig, die sich nach den anerkannten Regeln der Technik und allen gängigen und notwendigen Regelwerken des Bauens richten. Dies beinhaltet neben den Naturschutzgesetzen von Bund und Ländern sowie Vorgaben des nachhaltigen und umweltgerechten Bauens unter anderem auch bundeslandspezifische Richtlinien und Leitfäden. Hierzu sei auf das Rundschreiben der damaligen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (SenStadtUm) I E Nr. 1/2014 (Naturfreundliches Bauen mit Glas und Licht), nebst Beschluss des Sachverständigenbeirats für Naturschutz und Landschaftspflege zum Thema „Vogelfreundliches Bauen mit Glas zur Vermeidung von Vogelschlag“ (Prof. Dr. Ingo Kowarik, 05.11.2018) verwiesen. Das Rundschreiben greift das Thema des naturfreundlichen Bauens mit Glas und Licht auf, beugt im Sinne einer vorausschauenden Planung dem Vogelschlag im ersten Schritt vor und gibt dann im zweiten Schritt Hinweise zu geeigneten Maßnahmen zur Abhilfe eines vermehrt eintretenden Vogelschlags an Glas. Frage 6: Welche Maßnahmen zum Vogelschutz ergreifen die Baudienststellen und Bewirtschaftungsstellen von Immobilien des Landes Berlin, um Gebäude, wo der Vogelschlag an Glas vermehrt auftritt, nachträglich umzugestalten? Antwort zu 6: Nach Auskunft der BIM wird versucht, wenn im Zuge der Nutzung und Bewirtschaftung einer Immobilie das Thema Vogelschlag an Glas vermehrt auftritt, an den betroffenen Stellen am Gebäude, zunächst mit geringinvestiven Mitteln wie Klebefolie die Häufigkeit des Vogelschlags zu verringern und damit die Vogelwelt zu schützen. Frage 7: Welche Grundsätze beachten die Genehmigungsbehörden des Landes Berlin bei zu genehmigenden Vorhaben, um den Vogelschlag an Glas vermeiden oder minimieren zu können? 4 Frage 9: Welche Rolle spielt das Thema des Vogelschlags an Glas im Baugenehmigungsverfahren? Sind dem Senat Baugenehmigungsvorgänge in Berlin bekannt, wo aus Rücksicht auf den Schutz vor Vogelschlag an Glas Auflagen oder Veränderungen an Bauvorhaben verfügt wurden? Antwort zu 7 und 9: Der Artenschutz ist in der Bauordnung für Berlin nicht geregelt und wird im Genehmigungsverfahren nicht geprüft, sodass auch keine Anforderungen zur Vermeidung oder Minimierung von Vogelschlag gestellt werden können. Die Bauherrin oder der Bauherr sind insoweit selbst verantwortlich. Frage 8: Welche Informationen stellen die Behörden des Landes Berlin Dritten zur Verfügung, um bei Bauvorhaben Vogelschlag an Glas zu vermeiden oder zu minimieren? Antwort zu 8: Das artenschutzrechtliche Tötungsverbot wird in den Leitfaden Baunebenrecht der Obersten Bauaufsicht aufgenommen, um Architekten, Ingenieure und Fachplaner zu sensibilisieren. Daneben wird die umfassende Broschüre der Schweizerischen Vogelwarte „Vogelfreundliches Bauen mit Glas und Licht“ als Download und auf Wunsch auch als Druckexemplar zur Verfügung gestellt. Auf Anfrage erfolgt eine Beratung. Frage 10: Welche Rolle spielt das Thema des Vogelschlags an Glas in Bebauungsplanverfahren? Sind dem Senat Bebauungsplanverfahren in Berlin bekannt, wo aus Rücksicht auf den Schutz vor Vogelschlag an Glas spezielle Anforderungen festgesetzt wurden? Antwort zu 10: Mit § 9 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) steht ein abschließender Katalog an Festsetzungen für Bebauungspläne zur Verfügung, die zudem daran gebunden sind, aus städtebaulichen Gründen getroffen zu werden. Hier sind keine Maßnahmen vorgesehen, die im Besonderen der Vermeidung von Vogelschlag an Glas dienen. Grundsätzlich gehören solche Auswirkungen eines Bebauungsplans in die Begründung und den entsprechenden Umweltbericht. Um demgemäß konkrete Maßnahmen festzusetzen, steht im Bebauungsplanverfahren nur die Möglichkeit eines städtebaulichen Vertrags zur Verfügung. Dies sollte insbesondere für vorhabenbezogene Bebauungspläne gelten, da hier bereits konkrete Vorhaben zugrunde liegen, die im Durchführungsvertrag vereinbart werden können. Es ist kein Bebauungsplan bekannt, bei dem spezielle Festsetzungen hierzu getroffen wurden. Frage 11: Wie kann derzeit von Behördenseite sichergestellt werden, dass Bauvorhaben rechtssicher fertig gestellt werden können, ohne dass ein Bauherr möglicherweise im Nachhinein mit Problemen oder kostspieligen Nachrüstung aufgrund von Vogelschlag an Glas zu rechnen hat? 5 Antwort zu 11: Dies können die Behörden bei der derzeitigen Rechtslage nicht sicherstellen. Frage 12: Welchen Stellenwert misst der Senat der Thematik von Vogelschutz an Glas bei und welche Ziele hat er sich in diesem Zusammenhang gesetzt? Antwort zu 12: Der Senat sieht die Verpflichtung, die Artenvielfalt im Land Berlin zu erhalten. Da Vogelschlag an Glas als menschlich bedingter Mortalitätsfaktor für Vögel in Mitteleuropa ist (siehe Antwort zu Frage 1) und Berlin als wachsende Großstadt hierfür eine entsprechende Verantwortung trägt, sollten zwei Ziele verfolgt werden: Zum einen muss die Architektur bei der Planung von Bauwerken Gefahrenstellen vermeiden und zum anderen sollten die vorhandenen Gefahrenstellen ermittelt und möglichst abgestellt werden. In diesem Zusammenhang spielt auch der in der Antwort zu Frage 8 erwähnte Leitfaden eine wichtige Rolle. Berlin, den 30. April 2019 In Vertretung Ingmar Streese Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz