Drucksache 18 / 18 580 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Stefan Ziller (GRÜNE) vom 09. April 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 11. April 2019) zum Thema: ASOG I - Unterbringung obdachloser Unionsbürger*innen und Antwort vom 24. April 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. April 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. 1 Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Herrn Abgeordneten Stefan Ziller (Bündnis 90/Die Grünen) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18580 vom 09.04.2019 über ASOG I - Unterbringung obdachloser Unionsbürger*innen ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Die Bezirksämter sind gemäß § 2 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG Bln) i. V. m. Nr. 19 Zuständigkeitskatalog des ASOG Bln verantwortlich für die Ordnungsaufgaben bei Obdachlosigkeit soweit keine Zuständigkeit für Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Ausländerinnen und Ausländer beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten(LAF) besteht. Diese Ordnungsaufgabe der Bezirksämter gehört gemäß Nr. 19 Zuständigkeitskatalog des ASOG Bln zum Gebiet des Sozialwesens. Daher wurden die Bezirke zu den Fragen 1. bis 3. um Beantwortung gebeten. 1. Wie ist die Praxis der bezirklichen sozialen Wohnhilfen nach §17 ASOG hinsichtlich der Bewilligung einer Unterbringung von unfreiwillig obdachlosen Unionsbürger/innen außerhalb jeglichen Leistungsbezuges (Bitte nach Bezirken aufschlüsseln)? Zu 1.: Bezirk Beantwortung Mitte Obdachlose Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ohne Leistungsbezug werden gemäß ASOG unter anderem bei folgenden Voraussetzungen untergebracht: 2 - laufende Verfahren bei Ablehnungen durch Jobcenter oder Sozialamt (Widersprüche, Klagen, Rechtsschutzverfahren) - nachgewiesene Reiseunfähigkeit - auf Hilfe durch Familienangehörige angewiesen, die im Leistungsbezug stehen - bei Schwangerschaft sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt Friedrichshain- Kreuzberg Parallel zur Prüfung eines gegebenenfalls geltend zu machenden materiellen Leistungsanspruchs nach SGB II oder SGB XII wird jeder Einzelfall – unter Betrachtung der Gesamtsituation der Antragsteller - einer ausführlichen Prüfung und Klärung unterzogen. Die Entscheidung einer ordnungsbehördlichen Unterbringung gemäß § 17 ASOG richtet sich immer nach der Besonderheit des Einzelfalls. Die Merkmale der freiwilligen Obdachlosigkeit, die in diesem Zusammenhang relevant sein können, sind vielfältig. Vor allem kann dies sein: - Mangel an Unterkunft und Schutzlosigkeit gegenüber Witterungsverhältnissen, - kein Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse, - soziale und/oder medizinische Gründe, - eingeschränkte Selbsthilfekräfte, etc. Vorrangig geht es hier um eine gefahrenabwehrrechtliche, vorübergehende Unterbringung in einer den Mindeststandards entsprechenden Notunterkunft mit dem Ziel der Klärung einer Perspektive. Pankow Unabhängig von fehlenden SGB II - oder SGB XII - Ansprüchen wird geprüft, ob die Voraussetzungen der allgemeinen Freizügigkeit von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern (FreizügG/EU) erfüllt sind und ob sich die Betroffenen vorrangig selbst helfen können. Ergibt die Erstprüfung der leistungsrechtlichen Ansprüche für unfreiwillig obdachlose Unionsbürgerinnen und Unionsbürger einen eindeutigen Leistungsausschluss, werden diese umgehend an ihre Herkunftsländer verwiesen und zur zeitnahen Heimreise beraten bzw. auf Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Rückkehrbeihilfen nach § 23 Abs. 3a SGB XII hingewiesen. Aufgrund der bestehenden Verkehrsinfrastruktur ist im Regelfall die Organisation der Heimreise zügig abgeschlossen. Im Bedarfsfall wird für eine Nacht an eine Notunterkunft oder in den Wintermonaten an die Kältehilfe verwiesen. 3 Wenn in der Erstprüfung erkennbar ist, dass Leistungsansprüche bestehen oder der Sachverhalt z. B. aufgrund fehlender Unterlagen unklar ist, erfolgt die ordnungsrechtliche Unterbringung bis zur abschließenden Klärung durch den jeweiligen Leistungsträger (Jobcenter oder Sozialamt). Es erfolgt generell eine Einzelfallprüfung. Wird als abschließendes Ergebnis ein Leistungsausschluss festgestellt, ergibt sich ggf. die Anwendung des § 23 Abs.3 Satz 3 SGB XII. Charlottenburg- Wilmersdorf Dem Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf war die Beantwortung der Schriftlichen Anfrage innerhalb der Frist nicht möglich. Spandau Obdachlose Personen werden im Rahmen der gesetzlichen Verpflichtung untergebracht. Steglitz- Zehlendorf Nach Vorsprache der Klientinnen und Klienten prüfen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialen Wohnhilfe die Notwendigkeit einer Unterbringung; diese erfolgt nur, wenn im Rahmen der Hilfe zur Selbsthilfe keine Bleibe gefunden werden konnte und keine anderen Perspektiven einer Unterbringung bestehen (z.B. Freunde, Bekannte). In diesem Zusammenhang werden auch vorrangige Hilfen für die Bestreitung des Lebensunterhalts (z.B. Ansprüche nach SGB II, SGB XII, Rente) abgeklärt und die Klientinnen und Klienten ggf. zur Geltendmachung etwaiger Ansprüche verwiesen. Wenn keine Leistungsansprüche bei vorrangigen Leistungsträgern bestehen, erfolgt eine Unterbringung je nach der Besonderheit des Einzelfalls bis zu maximal drei Monaten nach dem ASOG. Tempelhof- Schöneberg In der Sozialen Wohnhilfe Tempelhof-Schöneberg besteht die Auffassung, dass die Ablehnung einer Unterbringung, ausschließlich mit der Begründung, dass noch kein Rechtsanspruch auf Leistungen nach dem SGB II/SGB XII festgestellt wurde, falsch ist. Es besteht die grundsätzliche Auffassung, dass eine (dauerhafte) Unterbringung erst dann abgelehnt werden kann, wenn rechtskräftig entschieden ist, dass die vorgenannten Leistungsansprüche nicht bestehen, dann aber immer mit einem Hinweis auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Leistungen nach § 23 Abs. 3 SGB XII. Diese beinhalten dann auch eine ggf. bis zur Ausreise notwendige Unterbringung. Neukölln Die Ämter für Soziales haben keine Feststellungskompetenz bezüglich der Frage ob im Einzelfall Rechtsansprüche auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende bestehen, mithin im Hinblick auf die Bestimmungen des § 7 Abs. 2 Satz 2 4 SGB II ggf. die Arbeitnehmereigenschaft oder die Eigenschaft als Selbständige besteht. Die Betroffenen werden daher zunächst auf Grundlage des § 17 ASOG für einen Zeitraum von einem Monat untergebracht. Hierdurch erhalten die Betroffenen Gelegenheit, ihre etwaigen Ansprüche auf Sozialleistungen zu klären. Der Zeitraum kann verlängert werden, wenn die Betroffenen aus Gründen die sie nicht zu vertreten haben, noch keine abschließende Klärung ihrer Ansprüche herbeiführen konnten. Ist diese Frage durch das zuständige Jobcenter bzw. ggf. auch im Wege des sozialgerichtlichen Verfahrens geklärt und haben die Betroffenen im Ergebnis keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende, erhalten sie auf Antrag Leistungen nach § 23 Abs. 3 SGB XII. Treptow- Köpenick Die für die Aufgaben der bezirklichen Wohnhilfe zuständige Koordinationsstelle zur Behebung und Vermeidung von Wohnungsverlust bringt unfreiwillig obdachlos gewordene Menschen unter. Hierbei wird grundsätzlich nicht danach differenziert, welche Staatsangehörigkeit die hilfesuchenden Personen haben (auch nicht, ob sie aus einem Staat der EU kommen) oder ob sie im Bezug von Sozialleistungen stehen, denn eine solche Unterscheidung sieht § 17 Abs. 1 ASOG nicht vor. Weigert sich eine hilfesuchende Person, einen möglicherweise bestehenden leistungsrechtlichen Anspruch geltend zu machen oder besteht die Option der Reise in ein (Herkunfts-)Land, in dem eine Unterkunft zur Verfügung steht, findet dies bei der Entscheidung über die Dauer der ordnungsrechtlichen Zuweisung in eine Unterkunft Berücksichtigung. In den geschilderten Fallkonstellationen würde die Zuweisung nur für einen kurzen Zeitraum ausgesprochen werden, um die hilfesuchende Person zur Mitwirkung zu animieren. Marzahn- Hellersdorf Antwort siehe Frage 2. Lichtenberg Entsprechend der §§ 2 und 17 ASOG i.V. mit Nr. 19 Zuständigkeitskatalog ist der Bezirk verpflichtet, unfreiwillige obdachlose Unionsbürgerinnen und Unionsbürger vorübergehend unterzubringen. Eine Unterbringung nach dem ASOG Berlin kommt in Betracht, wenn die bestehende Notlage durch Heranziehung eigener zumutbarer Hilfsmöglichkeiten durch die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger nicht abgewendet werden kann. Zeitgleich sind andere vorrangige Leistungsansprüche durch die Unionsbürgerin bzw. den Unionsbürger in zumutbarer Weise 5 gem. SGB II, SGB XII, AsylblG zu klären. Wenn diese Unionsbürgerinnen und Unionsbürger keinen Leistungsanspruch haben, werden sie über unsere Unterstützungsmöglichkeiten gem. § 23 SGB XII für eine mögliche Rückreise ins Heimatland beraten und bis dahin untergebracht. Reinickendorf Unfreiwillig obdachlose Unionsbürgerinnen und Unionsbürger werden unabhängig von der Frage eines Leistungsbezuges nach dem ASOG untergebracht. 2. Lehnen soziale Wohnhilfen die Unterbringung von unfreiwillig obdachlosen Unionsbürger/innen aufgrund fehlenden Leistungsbezuges ab? Wenn ja, wohin werden die Betroffenen verwiesen? (Bitte nach Bezirken aufschlüsseln) Zu 2.: Bezirk Beantwortung Mitte Nein, siehe Nr.1. Friedrichshain- Kreuzberg Nein. Pankow s. o. Charlottenburg- Wilmersdorf s. o. Spandau Die Unterbringungsverpflichtung ist grundsätzlich nicht abhängig vom Leistungsbezug. Steglitz- Zehlendorf Nein. Tempelhof- Schöneberg Die Soziale Wohnhilfe Tempelhof-Schöneberg wird erst dann auf die Möglichkeiten des § 23 Abs. 3 SGB XII verweisen und damit eine Entscheidung gegen eine dauerhafte Unterbringung der Betroffenen treffen, wenn deren Leistungsbezug rechtskräftig abgelehnt wurde. Es ist hierbei festzustellen, dass die Betroffenen das Angebot zur Kostenübernahme der Rückfahrt in ihr Heimatland in der Regel nicht annehmen. Neukölln s. o. Treptow- Köpenick s. o. Marzahn- Hellersdorf Obdachlose Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ohne jeglichen Anspruch auf Leistungen können nicht zugewiesen werden. In diesen Fällen erhalten betroffene Personen eine Liste mit Notunterkünften/Kältehilfen ausgehändigt. Lichtenberg Das Amt für Soziales Lichtenberg lehnt keine notwendige Unterbringung von unfreiwillig obdachlosen Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ab. Wenn im Ergebnis der o. g. Klärung kein Leistungsanspruch gem. SGB II, SGB XII oder dem AsylblG ermöglicht werden kann und keine Unterstützung für die Rückreise in das Heimatland gewünscht ist, werden Unionsbürgerinnen und Unionsbürger an 6 die Notunterkünfte in der Stadt verwiesen. Reinickendorf Nein. 3. Welche sozialen Wohnhilfen machen die Unterbringung von unfreiwillig obdachlosen Unionsbürger/innen ausdrücklich von einem Leistungsbezug nach SGB II/ SGB XII abhängig (Bitte nach Bezirken aufschlüsseln)? Zu 3.: Bezirk Beantwortung Mitte Entfällt. Friedrichshain- Kreuzberg s. o. Pankow s. o. Charlottenburg- Wilmersdorf s. o. Spandau Trifft für Spandau nicht zu. Steglitz- Zehlendorf Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf macht die Unterbringung von unfreiwillig obdachlosen Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern nicht ausdrücklich von einem Leistungsbezug nach SGB II / SGB XII abhängig. Tempelhof- Schöneberg Fehlanzeige Neukölln s.o. Treptow- Köpenick s.o. Marzahn- Hellersdorf Antwort siehe Frage 2. Lichtenberg Die Unterbringung wird nicht von einem Leistungsbezug nach SGB II/ SGB XII abhängig gemacht, sondern wir prüfen und bringen bei Notwendigkeit bis zur Entscheidung über die gestellten, persönlichen Anträge auf Leistungen nach dem SGB II, SGB XII oder AsylblG und gegebenenfalls hierzu eingelegten Widersprüchen und ergehenden Gerichtsbeschlüssen vorübergehend unter. Reinickendorf Nein. 4. Wie bewertet der Senat diese Vorgehensweise der sozialen Wohnhilfen bei der Unterbringung von unfreiwillig obdachlosen Unionsbürger/innen außerhalb des Leistungsbezuges? Zu 4.: Wie bereits in der Beantwortung der Schriftlichen Anfrage 18/14015 ausgeführt, geht der Senat davon aus, dass eine rechtliche Verpflichtung – auch außerhalb der sozialhilferechtlichen Ansprüche – dahingehend besteht, dass alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, welche unfreiwillig obdachlos sind und nicht über Möglichkeiten verfügen, sich selbst aus dieser unerwünschten Lage zu befreien, im Rahmen des Gefahrenabwehrrechts unterzubringen sind. Diese Verpflichtung gilt auf jeden Fall solange, bis die sozialhilferechtlichen Ansprüche im Einzelfall abschließend geprüft sind. 7 Sofern Betroffene der Auffassung sind, dass eine bezirkliche Entscheidung im Einzelfall nicht rechtmäßig sei, kann der Rechtsweg beschritten werden. Ferner wird davon ausgegangen, dass die Bezirke die Betroffenen über Selbsthilfemöglichkeiten informieren sowie eine Beratung der bestehenden Hilfe- und Handlungsmöglichkeiten erfolgt. Hierzu gehören gemäß § 23 Abs.3 SGB XII Überbrückungsleistungen, die längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren bis zur Ausreise gewährt werden können. Nach § 23 Abs. 3 Satz 6, 2. Halbsatz SGB XII kann eine Leistungserbringung zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage über einen Monat hinaus erfolgen. Insbesondere in den Fällen, in denen Familien oder andere vulnerable Personen ausreisen müssen, kann ein Härtefall vorliegen, der eine Bewilligung der Überbrückungsleistungen über einen Monat hinaus bis zur Überwindung des Ausreisehindernisses begründet. Von einer Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Ausreise ist insbesondere auszugehen, wenn eine ärztlich festgestellte Reiseunfähigkeit vorliegt oder eine schwerwiegende Erkrankung bzw. Behinderung vorliegt, deren Behandlung bzw. Betreuung im Herkunftsland nicht sichergestellt ist. Nach § 23 Abs. 3a SGB XII sind neben den Überbrückungsleistungen auf Antrag die angemessenen Kosten für die Rückreise zu gewähren. Die darlehensweise Erbringung der Rückreisekosten kommt auch für die Personen in Betracht, deren Hilfebedürftigkeit allein durch die Kosten der Rückreise herbeigeführt wird. Darüber hinaus ist für den Personenkreis alternativ die Möglichkeit der niedrigschwelligen Hilfen gegeben, in den Wintermonaten insbesondere der Kältehilfe. Zudem unterstützt der Senat die freiwillige Rückkehr europäischer Obdachloser in ihre jeweiligen Herkunftsländer bereits seit Jahren durch eine Rückkehr- und Weiterwanderungsberatung, die zunächst vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) und nun vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) wahrgenommen wird. Sie steht allen in Berlin lebenden Ausländerinnen und Ausländern zur Verfügung, um sie zu bestehenden Rückkehrmöglichkeiten zu beraten und eine geordnete Ausreise zu organisieren. Berlin, den 24. April 2019 In Vertretung Alexander F i s c h e r _____________________________ Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales