Drucksache 18 / 18 678 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) vom 16. April 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. April 2019) zum Thema: Reform des JGG – Sachstand und Auswirkungen für Berlin und Antwort vom 08. Mai 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 13. Mai 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Herrn Abgeordneten Sven Rissmann (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18678 vom 16. April 2019 über Reform des JGG - Sachstand und Auswirkungen für Berlin Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Die Richtlinie (EU) 2016/800 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.Mai 2016 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind (ABl. L 132 vom 21.5.2016, S. 1), ist bis zum 11.06.2019 umzusetzen. Dazu soll u.a. das Jugendgerichtsgesetz (JGG) novelliert werden. Wie ist der aktuelle Sachstand und welche Auswirkungen wird die Umsetzung für Berlin haben? Wie bringt sich Berlin bei der Umsetzung der Richtlinie ein? Zu 1.: Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat bislang nur einen auf den 11. Oktober 2018 datierten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren vorgelegt, der in Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie insbesondere Änderungen des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) vorsieht. Der Referentenentwurf ist abrufbar unter dem Link https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Staerkung_Verfahrensr echte_Beschuldigter_Jugendstrafverfahren.html. Ein von der Bundesregierung beschlossener Gesetzentwurf liegt noch nicht vor. Auf eine mit Schreiben vom 26. März 2019 von Frau Staatssekretärin Gerlach an das BMJV gerichtete Anfrage zum Sachstand im Gesetzgebungsverfahren wurde mit Schreiben vom 24. April 2019 mitgeteilt, dass das Gesetzgebungsverfahren beschleunigt betrieben werde und man bemüht sei, die Überschreitung der Umsetzungsfrist möglichst kurz zu halten. Angesichts dessen rechnet der Senat nicht mehr mit einer fristgerechten Umsetzung der Richtlinie zum 11. Juni 2019. Die Umsetzung der Richtlinie wird grundsätzlich Auswirkungen auf alle am Jugendstrafverfahren beteiligten Stellen haben. Betroffen sind vor allem die Bereiche der notwendigen Verteidigung und der Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren, der so genannten Jugendgerichtshilfe (JGH). Soweit es den Bereich der notwendigen Verteidigung betrifft, ist zu differenzieren. Zwar ist nur eine moderate Ausweitung der Fälle vorgese- 2 hen, in denen die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist. Allerdings wird es zu einer merklichen zeitlichen Vorverlagerung der Bestellung eines Pflichtverteidigers kommen . So wird die Mitwirkung eines Verteidigers bereits bei der ersten Beschuldigtenvernehmung vorgeschrieben sein. Insbesondere für die Fälle, in denen eine Vernehmung zeitnah durchgeführt werden muss, werden die Polizei, die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte organisatorische Maßnahmen treffen, um eine zügige Bestellung zu gewährleisten. Im Bereich der JGH ist in vielen Fällen mit einer umfassenderen und frühzeitigen Einbindung bereits im Ermittlungsverfahren zu rechnen, darüber hinaus mit einer Anwesenheitspflicht in den gerichtlichen Hauptverhandlungen. In Anbetracht der zu erwartenden erheblichen Rechtsänderungen hat sich in Berlin unter Federführung der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung bereits Ende des Jahres 2017 eine ressortübergreifende Koordinierungsgruppe zur Begleitung der Umsetzung der Richtlinie aus Vertreterinnen und Vertretern der Fachebene der am Jugendstrafverfahren beteiligten Stellen (Polizei, Strafverfolgungsbehörden , Gerichte und JGH sowie die für Inneres, Jugend, Finanzen und Justiz zuständigen Senatsverwaltungen) konstituiert. Sie dient insbesondere dem Informationsaustausch zur Sach- und Rechtslage, der Vorbereitung von Stellungnahmen (insbesondere zu Gesetzentwürfen) und als Forum für organisatorische Absprachen zwischen den beteiligten Stellen. Im Rahmen dieser Koordinierungsgruppe sind auch alle am Jugendstrafverfahren beteiligten Stellen über die rechtlichen Folgen der nicht fristgerechten Umsetzung einer EU-Richtlinie informiert worden, um eine sachgerechte Vorbereitung für den Zeitraum nach Ablauf der Umsetzungsfrist zu gewährleisten. Jede Senatsverwaltung und jedes Bezirksamt hat in eigener Zuständigkeit die aus der Richtlinie resultierenden Veränderungen umzusetzen. 2. Was wird aktuell von wem unternommen, um dem aus der Richtlinie folgenden Recht auf Unterstützung durch einen Rechtsbeistand entsprechen zu können? Welche Konsequenzen, personeller und haushaltsbezogener Art, sind damit für Berlin verbunden und welche Vorkehrungen trifft Berlin diesbezüglich ? Zu 2.: Der Senat wird die Entwicklung im Blick behalten und in stellenwirtschaftlicher Hinsicht gegebenenfalls Anpassungen vornehmen, sollten sich aus der Änderung des Rechts der Pflichtverteidigerbestellung Auswirkungen ergeben. Soweit das Land Berlin die Kosten für ein Ermittlungs- oder Strafverfahren zu tragen hat, werden die Gebühren für die Tätigkeit eines Rechtsbeistandes aus dem Titel „Gerichts- und ähnliche Kosten“ des jeweiligen Kapitels finanziert. In wie weit das Abgeordnetenhaus als Haushaltsgesetzgeber Konsequenzen zieht, bleibt abzuwarten. 3. Aus der genannten Richtlinie folgt zudem das Recht auf „individuelle Begutachtung“, womit einhergeht, dass nur noch in Ausnahmefällen die Teilnahme eines Vertreters der Jugendgerichtshilfe an der Hauptverhandlung entbehrlich ist. Welche Vorkehrungen werden hier aktuell von wem unternommen, um dem augenscheinlich erheblichen personellen Bedarf entsprechen zu können? Welche Haushaltsvorsorge wird aktuell getroffen? Zu 3.: Über das Ergebnis der Haushaltsberatungen für den Doppelhaushalt 2020/ 2021 kann erst nach erfolgtem Senatsbeschluss Auskunft gegeben werden. 4. Weiter folgt aus der Richtlinie, dass die Befragungen audiovisuell aufzuzeichnen sind. Welche möglichen Einschränkungen und welche dringenden Handlungsempfehlungen ergeben sich hieraus für die Berliner Gerichte sowohl personeller als auch haushaltsbezogener Art? Zu 4.: Anzumerken ist zunächst, dass die Richtlinie selbst nur die audiovisuelle Aufzeichnung der Vernehmungen von Beschuldigten regelt, die in der Mehrzahl der Verfah- 3 ren von der Polizei und nur in Ausnahmefällen überhaupt von den Gerichten durchgeführt werden. Die audiovisuelle Aufzeichnung richterlicher Beschuldigtenvernehmungen steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Rechtsfindung und gehört somit zum Kernbereich der richterlichen Tätigkeit. Die konkrete Ausgestaltung einer audiovisuell aufgezeichneten Vernehmung unterliegt folglich der richterlichen Unabhängigkeit und ist dem Einflussbereich des Senats entzogen. Der Senat ist daher daran gehindert „Handlungsempfehlungen “ neben dem Gesetzestext zu erlassen. 5. Trifft der Senat in Bezug auf die Aufstellung des nächsten Doppelhaushaltes Vorkehrungen hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinie? Wenn ja: welche? Wenn nein: warum nicht? Zu 5.: Über das Ergebnis der Haushaltsberatungen für den Doppelhaushalt 2020/ 2021 kann erst nach erfolgtem Senatsbeschluss Auskunft gegeben werden. Berlin, den 8. Mai 2019 In Vertretung M. Gerlach Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung