Drucksache 18 / 18 718 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Florian Graf (CDU) vom 26. April 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 30. April 2019) zum Thema: Welche Vorstellungen hat der Senat zur sektorenübergreifenden Versorgung im Gesundheitswesen? und Antwort vom 21. Mai 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 22. Mai 2019) Die Drucksachen des Abgeordnetenhauses sind bei der Kulturbuch-Verlag GmbH zu beziehen. Hausanschrift: Sprosserweg 3, 12351 Berlin-Buckow · Postanschrift: Postfach 47 04 49, 12313 Berlin, Telefon: 6 61 84 84; Telefax: 6 61 78 28. Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Herrn Abgeordneten Florian Graf (CDU) über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über Senatskanzlei - G Sen - A n t w o r t auf die Schriftliche Anfrage Nr. 18/18 718 vom 26. April 2019 über Welche Vorstellungen hat der Senat zur sektorenübergreifenden Versorgung im Gesundheitswesen? _______________________________________________________________________ Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt: 1. Welche Konzepte verfolgt der Senat bei der sektorenübergreifenden Versorgungsplanung im Gesundheitswesen ? Zu 1.: Aufgrund der historischen Entwicklung des Gesundheitssystems in Deutschland bestehen erhebliche Unterschiede zwischen dem ambulanten und stationären Sektor hinsichtlich: - der gesetzlichen Grundlagen, - der Finanzierung, - den angebotenen Leistungen und - der Vergütung dieser Leistungen. Diese Differenzierung stellt gelegentlich eine erhebliche Hürde für die fallspezifische Versorgung einer Patientin oder eines Patienten dar, da Schnittstellenprobleme beim Übergang zwischen den Leistungserbringern der verschiedenen Sektoren, z.B. hinsichtlich der Fortführung einer begonnenen Therapie oder der Übermittlung behandlungsrelevanter Daten auftreten können. Der Abbau dieser Differenzen ist aufgrund der bundesrechtlichen Verankerung der Sektorentrennung jedoch auf Bundesebene zu verorten, was die Handlungsoptionen des Senats erheblich beschränkt. Derzeit arbeitet der Senat zu Fragen der sektorenübergreifenden Versorgungsplanung eng mit den Partnern der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen in verschiedenen Organisationsformen zusammen. Das Gemeinsame Landesgremium nach § 90a SGB V hat wiederholt Empfehlungen zur sektorenübergreifenden Versorgung abgegeben. Auf Basis des zwischen dem Senat, den Landesverbänden der Krankenkassen und der Ersatzkassen sowie der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin im Jahr 2013 vereinbarten - 2 - 2 „Letter of Intent“ hat das Gemeinsame Landesgremium nach § 90a SGB V Beschlüsse gefasst, die darauf abzielen, bei Sitzverlegungen, Nachbesetzungen und Neuzulassungen von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten die zum Teil erheblich unterschiedlichen Versorgungsgrade zwischen den Bezirken - auch unter Berücksichtigung des Sozialindex - möglichst weitgehend auszugleichen. Die vom Zulassungsausschuss nach § 96 SGB V unter Berücksichtigung dieser Empfehlungen getroffenen Entscheidungen über Zulassungsanträge zeigen eine vom Senat begrüßte positive Entwicklung. Dessen unbeschadet sind nach der Auffassung des Senats weitere Anstrengungen und zusätzliche Maßnahmen erforderlich, um die ambulanten vertragsärztliche Versorgung von im Vergleich schlechter versorgten Bezirken und innerhalb der Bezirke zu verbessern. Durch das am 11. Mai 2019 in Kraft getretene Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vom 06. Mai 2019 (BGBl. I S. 646) wurden den Ländern ein allgemeines Antragsrecht im Landesausschuss nach § 90 SGB V sowie ein (beschränktes) Mitberatungsrecht im Zulassungsausschuss nach § 96 SGB V eingeräumt. Darüber hinaus haben die Länder durch das TSVG die Möglichkeit erhalten, in strukturschwachen Teilgebieten von überversorgten Planungsbereichen über den Wegfall von Zulassungssperren für bestimmte Arztgruppen zu entscheiden. Die Kriterien für die Festlegung von strukturschwachen Teilgebieten hat der Landesausschuss im Einvernehmen mit den für die Sozialversicherung zuständigen obersten Landesbehörden festzulegen. Zudem wurde die Stellung der Länder in den Unterausschüssen zur Bedarfsplanung und zur Qualitätssicherung des Gemeinsamen Bundesausschusses durch ein Antragsrecht gestärkt. Diese neu geschaffenen Steuerungsinstrumente und die hierzu anstehenden Beratungen wird der Senat im Sinne einer bedarfsgerechten Versorgungssteuerung in Berlin nutzen. Die AG Notfallversorgung des Gemeinsamen Landesgremiums nach § 90a SGB V hat sich mit der Einrichtung von kassenärztlich besetzten Notdienstpraxen an Berliner Krankenhäusern befasst. Des Weiteren hat sich die AG Patientenpfade und Modelle für ein Schnittstellenmanagement am Beispiel Schlaganfallversorgung des gemeinsamen Landesgremiums intensiv mit Fragen des Schnittstellenmanagements zwischen den Sektoren am Beispiel von Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf oder Diagnose eines Schlaganfalls auseinandergesetzt, deren Ergebnisse auch auf andere Krankheitsbilder übertragbar sind. Die hierbei relevante Frage des sektorenübergreifenden Entlassmanagements nach § 39 Absatz 1a SGB V war zudem Thema einer Sonderveranstaltung des Landespflegeausschusses am 24. Oktober 2018. Innerhalb von vier Workshops wurden zentrale Herausforderungen identifiziert und Lösungsansätze entwickelt. 2. Welche Datengrundlagen legt er dabei zugrunde? Zu 2.: Der Senat greift bei der Versorgungsplanung wesentlich auf die Daten des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg und den Sozialstrukturatlas zurück. Dies beinhaltet u.a. die Bevölkerungsentwicklung auf Basis der unterbezirklichen Prognoseräume. Einbezogen werden ebenso die Statistiken zu Menschen mit Behinderung- und die Pflegestatistik. Die Ge- - 3 - 3 sundheitsberichterstattung des Landes Berlin umfasst zudem umfangreiche Erkenntnisse aus den Eingangsschuluntersuchungen sowie aus verschiedenen Sozialindikatoren. 3. Welche Überlegungen (ggf. auch Bundesratsinitiativen) verfolgt der Senat bei der ambulanten ärztlichen Bedarfsplanung, der Kranhausplanung oder der Reha-Pflegeplanung hinsichtlich einer Umstellung von einer reinen Kapazitätsplanung hin zu einer Planung, die sich an den medizinischen Leistungen orientiert (Leistungsplanung statt Kapazitätsplanung)? Zu 3.: Die ambulante vertragsärztliche Bedarfsplanung wird wesentlich auf Bundesebene durch die Bedarfsplanungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses, die derzeit eine Kapazitätsplanung vorsieht, bestimmt, die sich derzeit in der Überarbeitung befindet. Da die Frist zur Stellungnahme zum Entwurf der neuen Bedarfsplanungsrichtlinie abgelaufen ist, wird der Senat zunächst deren Inkrafttreten abwarten und diese zusammen mit den durch das am 11. Mai 2019 in Kraft getretene Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vom 06. Mai 2019 (BGBl. I S. 646) angepassten und den neu geschaffenen Steuerungsinstrumenten bewerten. Der im Rahmen der Gemeinsamen Krankenhausplanung Berlin-Brandenburg im Jahr 2020 dem Senat vorzulegende Krankenhausplan wird am Bett als Planungsgröße festhalten . Beide Länder haben sich mit einem abgestimmten Grundlagenpapier u.a. auf die anzuwendende Planungsmethodik bei der Sicherstellung der stationären Versorgung verständigt . Der Senat informiert zudem in regelmäßigen Abständen über den „Landespflegeplan“ über die Angebote zur Information, Beratung und Hilfe rund um die Pflege in Berlin. Der letzte Bericht wurde als „Landespflegeplan 2016 – Pflege und pflegeunterstützende Angebote in Berlin“ vorgelegt und veröffentlicht. Gegenstand der Berichtslegung ist regelmäßig neben der Darstellung der Ist-Situation auch ein Ausblick zu den verschiedenen Angebotssegmenten . 4. Wie hoch schätzt der Senat das Potential einer stärkeren Ambulantisierung durch sogenannte ambulantsensitive Krankenhausfälle nach den internationalen Klassifikationen ein (bitte konkrete Zahlen aus der Berliner Krankenhausstatistik bzw. InEK Datensatz)? Zu 4.: Das Konzept ambulant-sensitiver Krankenhausfälle (ASK) basiert auf der Annahme, dass der stationäre Aufenthalt bei bestimmten Krankheitsbildern (wie z.B. chronische Herzinsuffizienz , Angina pectoris, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus) durch eine frühzeitige und qualifizierte (ambulante) Versorgung vermeidbar wäre. Aus den Daten der amtlichen Krankenhaus (Diagnosen-) Statistik können zur Beantwortung dieser Frage keine Informationen entnommen werden. Das gleiche gilt für die zu Zwecken der Krankenhausplanung und -förderung vorliegenden Daten nach § 21 des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntG). Die Analyse von Krankenhausfällen im Sinne der Fragestellung kann nur im Kontext wissenschaftlicher Studien zu den ASK erfolgen. 5. Welche Auswirkungen hätte dieses Potential auf die ambulante ärztliche Bedarfsplanung und die Krankenhausplanung ? - 4 - 4 Zu 5.: Aus heutiger Sicht sind Auswirkungen eines möglichen Ambulantisierungspotenzials durch sogenannte ASK-Fälle auf die Krankenhausplanung nicht abschätzbar. 6. Welche Vorstellungen bzw. Konzepte hat der Senat hinsichtlich einer besseren sektorenübergreifenden Notfallversorgung? Zu 6.: Berlin hat bereits 2014 die Federführung einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe übernommen , die Vorschläge zur Reformierung der Notfallversorgung erarbeitet hat. Ein entsprechender GMK-Beschluss konnte 2017 einstimmig herbeigeführt werden. Viele dieser Vorschläge finden sich im Gutachten des Sachverständigenrates zur Beurteilung der Entwicklung im Gesundheitswesen („Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung “) wieder, welches auch Grundlage für das im Dezember 2018 veröffentlichte Eckpunktepapier zur Reform der Notfallversorgung des Bundesministeriums für Gesundheit ist. Die Reformpläne des Bundesministeriums für Gesundheit sind bisher als Eckpunkte bekannt und umfassen u.a. die Schaffung von Integrierten Notfallzentren, die eine eigenständige extrabudgetäre Finanzierung erhalten und von den Landesbehörden geplant werden. Dies ist ein wesentlicher Schritt in die Richtung der Bereitstellung einer bedarfsgerechten sektorenübergreifenden Notfallversorgung. Der Senat begrüßt die Pläne zur Reform der Notfallversorgung und wird sich aktiv an der Umsetzung auf Bundes- und Länderebene beteiligen. Im Rahmen der Arbeitsgruppe Notfallversorgung des Gemeinsamen Landesgremiums nach § 90a SGB V hat der Senat bereits Vorschläge zur Verbesserung der sektorenübergreifenden Notfallversorgung in Berlin vorgestellt. Eine konkrete Ausgestaltung der Reform der sektorenübergreifenden Notfallversorgung auf Landesebene ist aber erst nach Vorliegen entsprechender Gesetzesänderungen auf Bundesebene möglich. 7. Welche Digitalisierungsstrategie verfolgt der Senat bei einer stärkeren sektorenübergreifenden Versorgung ? Zu 7.: Der Senat begrüßt im Wesentlichen die Bemühungen der Bundesregierung, einen einheitlichen Rahmen für weitere Digitalisierungsschritte des Gesundheitswesens zeitnah einzurichten . Gemäß § 291a Absatz 7 SGB V liegt die Verantwortung des Aufbaus einer interoperablen und kompatiblen Informations-, Kommunikations- und Sicherheitsinfrastruktur (Telematikinfrastruktur ) gemeinsam beim GKV-Spitzenverband, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung , der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, der Bundesärztekammer, der Bundeszahnärztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Apotheker Verband, die zu diesem Zwecke die Gesellschaft für Telematik (gematik) betreiben . Mit Inkrafttreten des TSVG am 11. Mai 2019 hat der Bund, vertreten durch das Bundesministerium für Gesundheit 51% der Anteile der gematik übernommen. - 5 - 5 Gemäß § 291b Absatz 1a Satz 1 SGB V liegt die Zulassungskompetenz für Komponenten und Dienste der Telematikinfrastruktur bei der Gesellschaft für Telematik. Die Zulassung ist dabei zu erteilen, wenn die Komponente oder der Dienst funktionsfähig, interoperabel und sicher ist. Die Übernahme der einzelnen zugelassenen Komponenten wird in der Verantwortung der verschiedenen Leistungserbringer liegen, so dass dem Senat keine Befugnis zur direkten Steuerung des Digitalisierungsprozesses im Gesundheitswesen zukommt. Eine wesentliche Neuerung mit weitreichenden Auswirkungen auf die sektorenübergreifende Versorgung wird die Einführung der elektronischen Patientenakte, die nach der Festlegung im Terminservice- und Versorgungsgesetz nunmehr für den 1. Januar 2021 vorgesehen ist, darstellen (§ 291a Absatz 5c Satz 2 SGB V). Der Anwendungsbereich digitaler Techniken im Gesundheitswesen ist in Berlin jedoch bereits weit verbreitet. Es findet ein reger Datenaustausch statt, insbesondere im Bereich der Befundung bildgebender Verfahren. So werden im Austausch zwischen kleineren und großen Krankenhäusern eine 24/7 Verfügbarkeit der Befundung sichergestellt und die Einholung einer Zweitmeinung, z.B. externe Expertise bei seltenen Krankheiten und Tumorerkrankungen ermöglicht. Der Senat begrüßt auch den Beschluss der Mitgliederversammlung der Ärztekammer Berlin vom 10. Oktober 2018, mit dem diese das bis dahin geltende sogenannte „Fernbehandlungsverbot “ grundsätzlich aufgehoben hat (vgl. § 7 Absatz 4 der Berliner Berufsordnung). In diesem Zusammenhang begrüßt der Senat die auf Basis des durch das Pflegepersonal- Stärkungsgesetz vom 11. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2394) geänderten § 87 SGB V zum 1. April 2019 erfolgte Aufnahme von Videosprechstunden in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (§ 87 Absatz 2a Sätze 17-22 und Absatz 2k SGB V). Berlin, den 21. Mai 2019 In Vertretung Martin Matz Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung